Auf der Grundlage eines zum erstenmal erstellten Oeuvre-Kataloges und des dokumentierten schriftlichen Nachlasses werden die Gemälde und Zeichnungen Georg Friedrich Kerstings (1785-1847) in ihrer Gesamtheit analysiert. Es werden nicht nur die berühmten Interieurbilder vorgestellt, sondern auch die Porträts, die Landschaften und die bislang völlig unbeachtet gebliebenen Historienbilder der dreißiger und vierziger Jahre.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.1995Leser in der Nacht
Interieurs bei Tage und bei Kerzenlicht: Der Maler Georg Kersting
Georg Kersting wird in einem Atemzug mit Caspar David Friedrich genannt. Die denkwürdige Wanderung durch das Riesengebirge im Jahre 1810 haben beide gemeinsam unternommen. Kersting hat das Bild des verehrten Kollegen mehrmals festgehalten, versunken im Wandern, versunken vor der Staffelei. Beide verdankten, wie Carstens und Runge, ihre Ausbildung der ausgezeichneten Akademie in Kopenhagen. Von der schroffen Kunst des Pommern Friedrich, der mit Hölderlin, Novalis und Tieck gleichen Alters war, unterscheidet sich die leichtere Auffassung des Mecklenburgers, dem Eichendorff und Uhland mit ihrer weicheren Stimmung näherstehen.
Die vorliegende Arbeit von Werner Schnell, hervorgegangen aus einer Habilitationsschrift an der Technischen Universität Berlin, behandelt das Werk unter dem Gesichtspunkt der dem Künstler gestellten Aufgaben. Genaugenommen handelt es sich, bedingt durch das Fehlen einer potenten Auftraggeberschicht, überwiegend um Eigenaufträge. Dabei werden Interieur, Landschaft, Bildnis und Historienbild gesondert besprochen. Der Verfasser benutzt das Verfahren der Felduntersuchung, wobei ein breiter Schirm von vielfältigen Verknüpfungen aufgespannt wird. Das Buch bringt in überlegter Anordnung Sachhinweise und Zitate in einer anschaulichen Fülle, auf die hier nur hingewiesen werden kann.
Sicherlich ist von Adriaen van Ostades Bild "Maler im Atelier" in Dresden die Anregung für Kerstings "Malerstuben" ausgegangen. In anderer Weise hat die Haltung der Barbara auf Raphaels "Sixtinischer Madonna" das prachtvolle Bildnis der Eleonore Sophie Sergel (1810-13) geprägt. Nur drückt die Vielzahl der sekundären Beobachtungen diese wichtigen Bezüge in manchen Fällen an den Rand der Betrachtung.
Mit besonderer Ausführlichkeit ist Kerstings Verdienst um die Interieurmalerei behandelt. Die in den Jahren 1811 und 1812 entstandenen Bilder haben Dresdener Lokalkolorit und gehen auf Friedrichs Kontrastierung von Innen- und Außenraum zurück. Die beiden wichtigsten, "Herr am Schreibtisch" und "Die Stickerin", dank Goethe in Weimar, geben einen ausgezeichneten Eindruck von der Eigenart und der außerordentlichen Konzentration des Malers. Diese Werke, die in ihrer besonnenen Farbigkeit und Verflechtung der Gegenstände mit den Lichtbahnen ohne Beispiel sind, zeigen die Malerin Luise Seidler und den Maler Joseph Grassi in Arbeit vertieft am Fenster. "Meister der Rückenfiguren" wäre Kersting vielleicht genannt worden, wenn er in den namenlosen Zeiten der frühen Tafelmalerei gelebt hätte.
Kersting ging weiter, er wagte 1812 die Darstellung eines Lesers bei Nachtbeleuchtung. Das Gemälde bedeutet einen weiteren Höhepunkt seiner Arbeit. Es zeigt die Neuerungen der Argandschen Lampe, die den Raum anders ausleuchtet, als es bei Kerzenlicht möglich wäre. Kersting verfehlt nicht, das Moment der Absonderung durch die Uhrzeit zu steigern: der Student arbeitet in der Tiefe der Nacht. Zu diesem geschlossenen Studierzimmer gehört als Gegenbild, mindestens in der Vorstellung des Künstlers, die Berliner Darstellung des Predigers Reinhold im offenen Raum mit Ausblick auf das Elbsandsteingebirge.
Auftragswerke waren diese Gemälde wohl kaum. Bereits Friedrich soll mit dem Gedanken einer Anstellung in Polen gespielt haben. Kersting war nach seiner Rückkehr aus dem Krieg von 1813 gezwungen, zur Sicherung des Lebensunterhalts eine Zeichenlehrerstelle in Warschau und danach das Amt eines Malervorstehers bei der Porzellanmanufaktur in Meißen anzunehmen. Die Abwesenheit des aufstrebenden Künstlers in entscheidenden Jahren und der dauernde Frondienst in der abgelegenen Kleinstadt haben auf das Werk ungünstige Auswirkungen gehabt.
Zwar verraten Bilder wie "Der Vorposten" von 1829 in Berlin sogar noch gewisse Steigerungen im koloristischen Bereich, zwar bestätigt die Darstellung eines Spaziergängers über den Gipfeln der Sächsischen Schweiz, die durch Schnell zurecht für Kersting in Anspruch genommen wird, den selbständigen Geist, doch scheint der reich angelegte Grundplan von Kerstings Werk nicht abgeschlossen worden zu sein. Dies betrifft vor allem seine Proben im Fach der Figurenmalerei, ein Bereich, zu dem außerordentlich viele Zeichnungen von der Hand des Künstlers erhalten sind. Der Verlag hat mit Abbildungen nicht gespart, um diese Leidenschaft des Künstlers vor Augen zu stellen.
Als Kriegsteilnehmer gegen Napoleon 1813 malte er ein Epitaphbild für seine gefallenen Kriegskameraden Theodor Körner, Friedrich Friesen und Heinrich Hartmann. In dem dazugehörigen (zeitlich wohl vorangehenden) Bild einer Kranzwinderin am jenseitigen Ufer begegnet dem Bild der Erinnerung aus Kriegstagen das Bild des ewigen Ruhmes.
Seine Malerei ist besonders überzeugend bei den Darstellungen vertrauter Personen und vertrauter Vorwürfe. (Wo sind Darstellungen aus dem Riesengebirge geblieben?) Den Lebenstraum von dramatischen Massenszenen wie im Jahre 1835 bei der "Verwerfung Christi in Nazareth" (sonst selten, jedoch auf einem Stich nach Maerten de Vos bereits zu finden) und bei der "Speisung der Fünftausend" zu Papier gebracht, hat er jedoch nicht austragen können. Der Versuch, Dramen Shakespeares zu illustrieren, ist über zwei Zeichnungen des Jahres 1843 nicht hinausgediehen. Im Selbstbildnis letzter Hand hat sich Kersting schlicht als Leser Goethes und Shakespeares gezeichnet.
Kerstings Zuschnitt auf einen intimen Kreis der Betrachtungen wurde von Goethe und den Weimarer Kunstfreunden weit besser aufgenommen als die sperrige Landschaftskunst Friedrichs. Doch blieb die Auftragslage bescheiden. Der seltene Augenblick der Entfaltung eines außerordentlichen Malers verstrich ungenutzt. Es ist dieses Zusammentreffen von hoher künstlerischer Konzentration und gesellschaftlicher Labilität, das dem Werk des Künstlers die tragische Färbung gibt. WERNER SCHADE.
Werner Schnell: "Georg Friedrich Kersting". Das zeichnerische und malerische Werk mit OEuvrekatalog. Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, Berlin 1994. 452 S., 661 Abb., geb., 298,- DM.
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Interieurs bei Tage und bei Kerzenlicht: Der Maler Georg Kersting
Georg Kersting wird in einem Atemzug mit Caspar David Friedrich genannt. Die denkwürdige Wanderung durch das Riesengebirge im Jahre 1810 haben beide gemeinsam unternommen. Kersting hat das Bild des verehrten Kollegen mehrmals festgehalten, versunken im Wandern, versunken vor der Staffelei. Beide verdankten, wie Carstens und Runge, ihre Ausbildung der ausgezeichneten Akademie in Kopenhagen. Von der schroffen Kunst des Pommern Friedrich, der mit Hölderlin, Novalis und Tieck gleichen Alters war, unterscheidet sich die leichtere Auffassung des Mecklenburgers, dem Eichendorff und Uhland mit ihrer weicheren Stimmung näherstehen.
Die vorliegende Arbeit von Werner Schnell, hervorgegangen aus einer Habilitationsschrift an der Technischen Universität Berlin, behandelt das Werk unter dem Gesichtspunkt der dem Künstler gestellten Aufgaben. Genaugenommen handelt es sich, bedingt durch das Fehlen einer potenten Auftraggeberschicht, überwiegend um Eigenaufträge. Dabei werden Interieur, Landschaft, Bildnis und Historienbild gesondert besprochen. Der Verfasser benutzt das Verfahren der Felduntersuchung, wobei ein breiter Schirm von vielfältigen Verknüpfungen aufgespannt wird. Das Buch bringt in überlegter Anordnung Sachhinweise und Zitate in einer anschaulichen Fülle, auf die hier nur hingewiesen werden kann.
Sicherlich ist von Adriaen van Ostades Bild "Maler im Atelier" in Dresden die Anregung für Kerstings "Malerstuben" ausgegangen. In anderer Weise hat die Haltung der Barbara auf Raphaels "Sixtinischer Madonna" das prachtvolle Bildnis der Eleonore Sophie Sergel (1810-13) geprägt. Nur drückt die Vielzahl der sekundären Beobachtungen diese wichtigen Bezüge in manchen Fällen an den Rand der Betrachtung.
Mit besonderer Ausführlichkeit ist Kerstings Verdienst um die Interieurmalerei behandelt. Die in den Jahren 1811 und 1812 entstandenen Bilder haben Dresdener Lokalkolorit und gehen auf Friedrichs Kontrastierung von Innen- und Außenraum zurück. Die beiden wichtigsten, "Herr am Schreibtisch" und "Die Stickerin", dank Goethe in Weimar, geben einen ausgezeichneten Eindruck von der Eigenart und der außerordentlichen Konzentration des Malers. Diese Werke, die in ihrer besonnenen Farbigkeit und Verflechtung der Gegenstände mit den Lichtbahnen ohne Beispiel sind, zeigen die Malerin Luise Seidler und den Maler Joseph Grassi in Arbeit vertieft am Fenster. "Meister der Rückenfiguren" wäre Kersting vielleicht genannt worden, wenn er in den namenlosen Zeiten der frühen Tafelmalerei gelebt hätte.
Kersting ging weiter, er wagte 1812 die Darstellung eines Lesers bei Nachtbeleuchtung. Das Gemälde bedeutet einen weiteren Höhepunkt seiner Arbeit. Es zeigt die Neuerungen der Argandschen Lampe, die den Raum anders ausleuchtet, als es bei Kerzenlicht möglich wäre. Kersting verfehlt nicht, das Moment der Absonderung durch die Uhrzeit zu steigern: der Student arbeitet in der Tiefe der Nacht. Zu diesem geschlossenen Studierzimmer gehört als Gegenbild, mindestens in der Vorstellung des Künstlers, die Berliner Darstellung des Predigers Reinhold im offenen Raum mit Ausblick auf das Elbsandsteingebirge.
Auftragswerke waren diese Gemälde wohl kaum. Bereits Friedrich soll mit dem Gedanken einer Anstellung in Polen gespielt haben. Kersting war nach seiner Rückkehr aus dem Krieg von 1813 gezwungen, zur Sicherung des Lebensunterhalts eine Zeichenlehrerstelle in Warschau und danach das Amt eines Malervorstehers bei der Porzellanmanufaktur in Meißen anzunehmen. Die Abwesenheit des aufstrebenden Künstlers in entscheidenden Jahren und der dauernde Frondienst in der abgelegenen Kleinstadt haben auf das Werk ungünstige Auswirkungen gehabt.
Zwar verraten Bilder wie "Der Vorposten" von 1829 in Berlin sogar noch gewisse Steigerungen im koloristischen Bereich, zwar bestätigt die Darstellung eines Spaziergängers über den Gipfeln der Sächsischen Schweiz, die durch Schnell zurecht für Kersting in Anspruch genommen wird, den selbständigen Geist, doch scheint der reich angelegte Grundplan von Kerstings Werk nicht abgeschlossen worden zu sein. Dies betrifft vor allem seine Proben im Fach der Figurenmalerei, ein Bereich, zu dem außerordentlich viele Zeichnungen von der Hand des Künstlers erhalten sind. Der Verlag hat mit Abbildungen nicht gespart, um diese Leidenschaft des Künstlers vor Augen zu stellen.
Als Kriegsteilnehmer gegen Napoleon 1813 malte er ein Epitaphbild für seine gefallenen Kriegskameraden Theodor Körner, Friedrich Friesen und Heinrich Hartmann. In dem dazugehörigen (zeitlich wohl vorangehenden) Bild einer Kranzwinderin am jenseitigen Ufer begegnet dem Bild der Erinnerung aus Kriegstagen das Bild des ewigen Ruhmes.
Seine Malerei ist besonders überzeugend bei den Darstellungen vertrauter Personen und vertrauter Vorwürfe. (Wo sind Darstellungen aus dem Riesengebirge geblieben?) Den Lebenstraum von dramatischen Massenszenen wie im Jahre 1835 bei der "Verwerfung Christi in Nazareth" (sonst selten, jedoch auf einem Stich nach Maerten de Vos bereits zu finden) und bei der "Speisung der Fünftausend" zu Papier gebracht, hat er jedoch nicht austragen können. Der Versuch, Dramen Shakespeares zu illustrieren, ist über zwei Zeichnungen des Jahres 1843 nicht hinausgediehen. Im Selbstbildnis letzter Hand hat sich Kersting schlicht als Leser Goethes und Shakespeares gezeichnet.
Kerstings Zuschnitt auf einen intimen Kreis der Betrachtungen wurde von Goethe und den Weimarer Kunstfreunden weit besser aufgenommen als die sperrige Landschaftskunst Friedrichs. Doch blieb die Auftragslage bescheiden. Der seltene Augenblick der Entfaltung eines außerordentlichen Malers verstrich ungenutzt. Es ist dieses Zusammentreffen von hoher künstlerischer Konzentration und gesellschaftlicher Labilität, das dem Werk des Künstlers die tragische Färbung gibt. WERNER SCHADE.
Werner Schnell: "Georg Friedrich Kersting". Das zeichnerische und malerische Werk mit OEuvrekatalog. Deutscher Verein für Kunstwissenschaft, Berlin 1994. 452 S., 661 Abb., geb., 298,- DM.
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