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Die ergreifende Annäherung einer Tochter an ihren Vater
Die Geschichte von Georg führt um die halbe Welt: Herkunft aus Frankfurt, Odenwaldschule, Paris - London - Berlin, dazwischen Internierung in Kanada, nach der Emigration der Weg in die DDR. Und bei alldem die wiederkehrende Erfahrung: »Zu Hause Mensch und auf der Straße Jude«. Lakonisch und witzig, traurig und mitreißend erzählt Barbara Honigmann von ihrem Vater und ihrer Familie. Ein großes Buch über Deutschland - und die bewegende Liebeserklärung an einen außergewöhnlichen Mann.

Produktbeschreibung
Die ergreifende Annäherung einer Tochter an ihren Vater

Die Geschichte von Georg führt um die halbe Welt: Herkunft aus Frankfurt, Odenwaldschule, Paris - London - Berlin, dazwischen Internierung in Kanada, nach der Emigration der Weg in die DDR. Und bei alldem die wiederkehrende Erfahrung: »Zu Hause Mensch und auf der Straße Jude«. Lakonisch und witzig, traurig und mitreißend erzählt Barbara Honigmann von ihrem Vater und ihrer Familie. Ein großes Buch über Deutschland - und die bewegende Liebeserklärung an einen außergewöhnlichen Mann.
Autorenporträt
Barbara Honigmann, 1949 in Ost-Berlin geboren, arbeitete als Dramaturgin und Regisseurin. 1984 emigrierte sie mit ihrer Familie nach Straßburg, wo sie noch heute lebt. Honigmanns Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. dem Heinrich-Kleist-Preis, dem Max-Frisch-Preis der Stadt Zürich, dem Jakob-Wassermann-Preis, dem Bremer Literaturpreis, dem Jean-Paul-Preis, dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, dem Goethepreis der Stadt Frankfurt a. M. und zuletzt dem Friedrich-Schiller-Preis.
Rezensionen
Ein schmales Buch, aber ein großes Buch über Deutschland - und die bewegende Liebeserklärung an einen außergewöhnlichen Mann. Buch-Magazin, 09/2021

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.12.2019

Geschenke
für den Kopf
Die Weihnachtsempfehlungen
des SZ-Feuilletons
ILLUSTRATIONEN: STEFAN DIMITROV
David Steinitz
EINE HERAUSFORDERUNG (1)
Es ist in diesem Jahr kein spannenderer Krimi erschienen als dieser. Don Winslows „Jahre des Jägers“ ist das knapp 1000-seitige Finale seiner monumentalen Romantrilogie über den amerikanischen Drogenkrieg. Ein brutaler Thriller und ein trauriger Abgesang auf die USA. Kann man auch unabhängig von den ersten beiden Teilen lesen, aber besser: alle drei hintereinander.
Don Winslow: Jahre des Jägers. Droemer, München 2019. 992 S., 28 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Noch besser als der Regisseur Quentin Tarantino ist eigentlich nur der DJ Quentin Tarantino. Für „Once Upon A Time in Hollywood“, sein tragikomisches Sittengemälde der Sechzigerjahre, hat er eine famose Platte ohne Angst vor Kitsch kompiliert. „Choo Choo Train“ von den Box Tops und „Mrs. Robinson“ von Simon & Garfunkel sind die Lieder seiner Kindheit. Und ein paar irre Radiowerbespots von damals – „Numero Uno Cologne!“ – gibt es als Intermezzi noch dazu. So fühlt man sich auch im Volkswagen im Schwabinger Regen für ein paar Sekunden wie im Cabrio unter der Sonne von Los Angeles.
Once Upon A Time In Hollywood. Soundtrack. Mit The Village Callers, Simon & Garfunkel u.a. CD, 10 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG (2)
Die fünf Folgen der Miniserie „Chernobyl“ von Craig Mazin sind ein Meisterstück der TV-Erzählkunst. Ein perfekt ausgestatteter und gespielter Albtraum über das Reaktorunglück von 1986.
Chernobyl Mit Jared Harris, Stellan Skarsgård. Von Craig Mazin. 2 DVDs, 14 Euro oder Stream.
Christine Dössel
EIN GENUSS
Die Memoiren der wunderbaren Angela Winkler, nicht wichtigtuerisch, sondern so, wie sie ist: lebensfreudig, offen, unkonventionell. Ein episodenhaftes Buch, das wie ein frischer Luftzug daherweht. Man kann sich die Schauspielerin danach nicht mehr ohne Gummistiefel und dreckige Fingernägel vorstellen, so oft wie sie sich dem Beruf entzogen und mit ihrem Mann alte, entlegene Häuser umgebaut hat. Vier Kinder haben sie, eines mit Downsyndrom. Viel Freiheit ist hier zu spüren – als Basis feiner Kunst.
Angela Winkler: Mein blaues Zimmer. Autobiographische Skizzen. Kiwi, Köln 2019. 240 Seiten, 22 Euro.
EIN AUFREGER
Der Theaterprofessor und ehemalige SZ-Kritiker C. Bernd Sucher erzählt von seiner strengen, gefühlskalten jüdischen Mutter, einer KZ-Überlebenden – und damit viel von sich selbst. Ein sehr persönliches, berührendes, teils erschütterndes Buch, sowohl zeithistorisch als auch psychopathologisch interessant.
C. Bernd Sucher: Mamsi und ich.
Die Geschichte einer Befreiung. Piper, München 2019. 256 Seiten, 20 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
„Ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht...“ Goethes Kultbriefroman „Die Leiden des jungen Werthers“, inbrünstig interpretiert von Philipp Hochmair, der selber ein Maniac ist und mit seinem Bühnensolo „Werther!“ seit 1997 tourt. Auch als Hörbuch ein irrer Gefühlstrip, begleitet von Hochmairs Band Die Elektrohand Gottes.
Philipp Hochmair / Die Elektrohand Gottes: Werther! Elektrohand Records, hoanzl.at. 18 Euro.
Lothar Müller
EIN LIEBESBEWEIS
Die Geschichte eines Bonvivants und Spions, eines Kommunisten, der Jude war, ohne es sein zu wollen, und doch blieb. Ein Rückblick auf die Kulturaristokratie der DDR und Deutschland im 20. Jahrhundert. Vor allem aber das Buch einer Tochter, die das abgründige Leben ihres Vaters erzählt, ohne ihm den Prozess zu machen.
Barbara Honigmann: Georg. Roman. Hanser, 2019, 160 Seiten, 18 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Der Staub, angeblich in Archiven zu Hause, ist eine Großmacht. Wer die Staubwolken und das Staubsieben nach der Lektüre dieses so gelehrten wie humorvollen Essays noch unterschätzt, dem ist nicht zu helfen.
Joachim Kalka: Staub. Berenberg Verlag, Berlin 2019, 152 S., 22 Euro).
EIN GENUSS
In diesem großen Roman des 19. Jahrhunderts findet das Welttheater in der englischen Provinz um 1830 statt. Eine kleine Frau mit runden Augen sieht darin aus wie ein gezähmter Falke. Die Autorin nimmt es nicht nur mit Liebe, Ökonomie und Politik auf, sondern auch mit den modernen Wissenschaften.
George Eliot: Middlemarch. Neuübersetzung. Rowohlt. 1264 S., 45 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Wer bei dem Wort „Traumlandschaften“ nicht an paradiesische Reiseziele denkt, sondern an das Unheimliche, die Ängste und Obsessionen, kommt als Teilnehmer dieser furiosen Expedition ins Reich der Finsternis infrage.
Mircea Cărtărescu: Solenoid. Roman. Zsolnay, 2019. 912 Seiten, 36 Euro.
Felix Stephan
EINE HILFE
Über die kommenden Zwanzigerjahre wird oft gesprochen, als stünde ein Revival des berühmten Vorgängerjahrzehnts aus dem 20. Jahrhundert an: Starke politische Ränder, soziale Ungleichheit und ein rasanter technologischer Wandel ergeben ein autoritäres Gebräu. Lehrreicher ist der Ansatz des Politologen Philip Manow: Er erklärt den Aufstieg des europäischen Populismus nicht anhand historischer Formatvorlagen, sondern anhand der ökonomischen Bedingungen der Gegenwart.
Philip Manow: Die politische Ökonomie des Populismus. Suhrkamp, Berlin 2018. 160 Seiten, 16 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Computerspiele sind ästhetisch unerfreulich, aber allgegenwärtig. Im Falle des monumentalen Computerspiel-Romans „Miami Punk“ von Juan S. Guse verhält es sich genau andersrum. Ein dunkles Zeichengewitter, eine soziologisch informierte Gesellschaftshochrechnung, Literatur aus der Zukunft.
Juan S. Guse: Miami Punk. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2019. 640 Seiten, 26 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
In „Menschheitsdämmerung“, der bedeutendsten Lyrik-Anthologie des deutschen Expressionismus, herrscht eine besondere Stimmung. Als wäre die deutsche Lyrik unter einem Apfelbaum eingedämmert und in einer industrialisierten Metropole wieder aufgewacht. Der Urknall des 20. Jahrhunderts.
Kurt Pinthus (Hg.): Menschheitsdämmerung. Symphonie jüngster Dichtung. Rowohlt, Hamburg 2019. 448 Seiten, 34 Euro.
Catrin Lorch
EIN GENUSS
Ein Loch graben. Die Erde um die halbe Welt fahren. Wieder graben, wieder Erde verschiffen. Die in Nigeria geborene Otobong Nkanga bringt in ihren Werken Konzeptkunst und Kolonialismusdebatte zusammen – und es sieht fantastisch aus: Weil Otobong Nkanga auch das Buch dazu gezeichnet hat und die harte, künstlerische Setzung in eine bestechend klare, zarte Bildsprache übersetzt hat.
Otobong Nkanga: To Dig A Hole That Collapses Again. Katalog zur Ausstellung mit Essays von Omar Kholeif und Teju Cole. Museum of Contemporary Art Chicago und DelMonico Books, 2018. 41 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Klaus Theweleit hat alles erklärt. Die Männer, die Welt, wie das miteinander zusammenhängt. Mehr als tausend Seiten, die alle gelesen hatten, vor vierzig Jahren. Und offensichtlich vergessen haben – es ist ernüchternd, wie aktuell sich die Neuauflage liest.
Klaus Theweleit: Männerphantasien. Matthes & Seitz, Berlin 2019.
1278 Seiten, 42 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Ein Buch zum Ausklang des Bauhausjahres. Das „Notebook“ ist ein Faksimile des Hefts, in dem die Künstlerin Anni Albers sich Notizen machte. Mit Bleistift auf Karopapier, ein Webmuster nach dem anderen. Näher kann man der Kunst nicht kommen.
Anni Albers: Notebook
Nachwort von Brenda Danilowitz. David Zwirner Books, New York 2017. 152 Seiten, 26 Euro (über Buchhandlung Walther König).
Theresa Hein
EIN LIEBESBEWEIS
Es mag zwar sein, dass den beiden Genies ein bisschen mehr Duett-Routine gutgetan hätte. Das gelegentliche Gekicher von Johnny Cash macht aber jede Schlamperei vergessen. Vor allem für Menschen, die sich mit Bob Dylan eher schwertun.
Bob Dylan, Johnny Cash: Travelin’ Thru,1967 –1969: The Bootleg Series Volume 15. 3 CDs, 23 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Eine Kritik des 21. Jahrhunderts an dir, mir, uns. Ein Theatergedicht.
Wolfram Lotz: Die Politiker. Spector Books, Leipzig 2019. 96 Seiten, 10 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Phoebe Waller-Bridge spielt eine Frau, die Angst hat, dass sie habgierig, sexsüchtig, egoistisch, zynisch ist und zu allem Überfluss nicht mal eine gute Feministin. „Fleabag“ ist nicht nur die beste britische Serie der vergangenen Jahre, sondern zeigt nebenbei noch, wie erfüllend und notwendig die Liebe einer Schwester sein kann.
Fleabag Von und mit Phoebe Waller-Bridge. DVD/Bluray, 22 Euro/40 Euro. Oder via Streaming.
EIN AUFREGER
Wie geht eine Gesellschaft damit um, wenn herauskommt, dass ein gefeiertes Wissenschaftsgenie Kinder missbraucht? Hanya Yanagihara gibt in ihrem ersten Roman keine Antwort, dafür einem verachtenswerten Protagonisten eine Stimme. „Schwieriges Thema“ wäre eine Untertreibung.
Hanya Yanagihara: Das Volk der Bäume. Roman. Hanser Berlin, 2019. 478 Seiten, 25 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.02.2019

Erzähl weiter, Pappi

Barbara Honigmann schreibt die verblüffende Lebens- und Liebesgeschichte ihres Vaters auf.

Zu ihrem heutigen siebzigsten Geburtstag macht Barbara Honigmann sich ein Geschenk: Sie legt die Geschichte ihres Vaters vor. 35 Jahre war sie alt, als Georg Honigmann (1903 bis 1984) starb; jetzt, 35 Jahre nach dem Tod, erzählt sie sein Leben und ihr eigenes Leben mit ihm, gestaltet es in einer Montage von Perspektiven, die die autobiographische Struktur ihres Werkes zur kunstvollen Poetologie entfaltet.

Das Autobiographische ist Barbara Honigmanns Element. Sie ist eine Erzählerin und eine Malerin, die Menschen, über die sie schreibt, prägen sich dem Leser bildhaft ein, sie stehen ihm wie ein Porträt vor Augen. So war es schon in "Ein Kapitel aus meinem Leben" (2004), ihrem Buch über die Mutter. Litzy Kohlmann war nicht nur eine attraktive femme fatale - eine in Wien geborene Kommunistin, die Georg Honigmanns Lebensweg bestimmte, als sie 1946 heirateten -, sie war auch geheimnisumwittert. Ihr erster Mann war der Spion Kim Philby gewesen, die Fakten ihres Lebens hat sie immer verschleiert, und das Bild, das ihre Tochter von ihr zeichnete, musste daher zu großen Teilen ein Schattenriss bleiben.

Ganz anders ist das Porträt ihres Vaters, das sie uns jetzt gibt. Sie ist ihm näher als ihrer Mutter, das spürt man auf jeder Seite des Buches, und diese Nähe ist ein wenig paradox. Die Eltern hatten sich scheiden lassen, als ihre einzige Tochter sechs Jahre alt war, Barbara lebte bei ihrer Mutter und sah den Vater zumeist nur an Wochenenden oder in den Schulferien, schon in Gesellschaft der nächsten Frau, die er inzwischen geheiratet hatte. Woher also kommt das Gefühl der Intimität, das man beim Lesen ihres Erinnerungsbuchs hat?

"Erzähl weiter, Pappi" lautet ein Refrain darin. Die Tochter streut ihn immer wieder ein, als wollte sie ihren Vater zum Weitersprechen animieren, oft hält sie nur fest, was sie von ihm gehört hat. Georg Honigmann hat seine Geschichte niemals aufgeschrieben, und auch das ist merkwürdig, denn er war ein bekannter Journalist, für den das Schreiben Beruf und Berufung war.

Er stammte aus Hessen und war der Sohn von Georg Gabriel Honigmann, einem bedeutenden Arzt und Medizinprofessor in Gießen. Er besuchte die berühmte Odenwald-Schule, an die er glückliche Erinnerungen hatte, im Berlin der Weimarer Republik begann er seine Journalistenkarriere bei der Ullstein-Presse, und zu Beginn der dreißiger Jahre ging er als Auslandskorrespondent nach London. Hier machte er sich bald einen Namen, und nach dem Ende des "Dritten Reiches" hätte er seine Karriere in England oder in der westdeutschen Presse fortsetzen können, aber es ist anders gekommen.

Ein wiederkehrendes Motiv des Buchs sind die Ehen, die Georg Honigmann geschlossen hat, insgesamt vier. Als er Kim Philby und dessen Frau Litzy in London begegnete, war er noch mit seiner Jugendliebe aus den Tagen der Odenwald-Schule verheiratet. Später ließen Litzy und er sich von ihren vorherigen Partnern scheiden und heirateten in Ost-Berlin, wohin sie gegangen waren, weil Litzy es so wollte. "Bevor ich deine Mutter kennenlernte, war ich weit davon entfernt, ein politischer Mensch zu sein", schreibt er seiner Tochter in einem Brief. Erst Litzy hat ihn bewogen, in die DDR zu gehen, und das, so zeigt Barbara Honigmann einfühlsam, war eine unglückliche Entscheidung.

Ihr Vater war ein humorvoller Mensch, und Diktaturen vertragen keinen Humor. Nach dem 17. Juni 1953 suchte das DDR-Regime nach Ventilen für den öffentlichen Druck und gestattete eine Reihe satirischer Kurzfilme, "Das Stacheltier". Georg Honigmann, ihr Produktionsleiter, hatte unter ständiger Zensur zu leiden, und kurz nach dem Mauerbau wurde er abgesetzt. Ähnliches wiederholte sich bei dem politischen Kabarett "Die Distel", dessen Leitung er bald darauf übernahm. "Der Gedanke an die ,Distel' verursacht mir Übelkeit und Brechreiz", schreibt er aus Prag, wohin er sich für einige Tage vor den Querelen geflüchtet hat.

Man kann Barbara Honigmanns Vaterbuch auf vielen Ebenen lesen: als eine europäische Geschichte über kommunistische Gruppen im London der Kriegsjahre, die vom britischen Geheimdienst beschattet wurden; als eine deutsch-deutsche Geschichte über West-Emigranten, die ins Visier der Stasi gerieten; als Privatgeschichte eines bekannten Journalisten, der in dritter Ehe mit einer noch bekannteren Schauspielerin, Gisela May, unglücklich verheiratet war.

Georg Honigmann gehörte zur privilegierten DDR-Prominenz, aber seine Privilegien bereiteten ihm keine Freude. Als er schon auf dem Sterbebett lag, sagte er zu der behandelnden Ärztin "I am an old man in a hurry" und bat sie, alle weiteren Untersuchungen einzustellen: "Was an mir nicht stimmt, könnten wir doch für uns beide vorteilhafter bei der Obduktion feststellen." Vielleicht dachte er dabei an seine besseren Tage in England und war bereit, sich aus der Welt des realen Sozialismus zu verabschieden.

Das Buch spricht den Leser auf den verschiedensten Ebenen an, die Intimität jedoch, mit der sich Barbara Honigmann an ihren Vater erinnert, hat einen eigenen Grund. "Ich bin ins Jüdische Museum gegangen", schreibt er in seinem Brief aus Prag, wo er die "Distel" zu vergessen sucht, dort "sah ich mir die schöne Sammlung und die Spanische Synagoge an und habe auch den verwunschenen Friedhof mit dem Grab von Rabbi Löw besucht."

Es ist ein seltener Augenblick im Leben dieses Mannes, der sich zwischen allen Fronten aufreibt, doch für seine Tochter ist er entscheidend. Barbara Honigmann gehört zu einer Generation, die man als "post-assimilatorisch" bezeichnen kann: Schon 1984, noch vor dem Mauerfall, hat sie die DDR verlassen und lebte seither mit Mann und Kindern in einer thoratreuen Gemeinde in Straßburg. Nach langen Umwegen fand sie zum Judentum zurück, das ihr Vater und Großvater längst verlassen hatten.

Ihre Vorfahren, so erzählt sie an einer anderen Stelle, haben alle geschrieben: In der Zeitschrift "Der Israelit" bekämpfte ihr Urgroßvater nach 1848 noch die Antisemiten; ihr Großvater in Gießen dagegen war schon ganz unjüdisch, er gab medizinische Fachzeitschriften heraus; und dem "linientreuen" Kommunisten Georg Honigmann war das Judentum von Staats wegen untersagt. Seine Tochter versucht es seit Jahrzehnten anders. Jetzt hat sie ihrem traurig entwurzelten Vater ein schönes Denkmal gesetzt.

JAKOB HESSING

Barbara Honigmann: "Georg".

Carl Hanser Verlag, München 2019, 157 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Ebenso "schmal" wie "intensiv" nennt Rezensentin Manuela Reichart dieses Buch, das die in Straßburg lebende Berliner Autorin Barbara Honigmann ihrem Vater Georg gewidmet hat. Die Kritikerin liest hier die Geschichte des jüdischen Journalisten und Bohemian, der für das Deutsche Reich spionierte. Wie die Autorin ihren Vater umkreist, bewegend und um Verständnis ringend, dabei auch den Einfluss des Vaters auf die eigene Lebensgeschichte reflektierend, findet Reichart beeindruckend.

© Perlentaucher Medien GmbH