George Nelson (1908-1986) ist einer der bedeutendsten amerikanischen Designer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Designkennern sind vor allem seine ikonischen Produktentwürfe ein Begriff: etwa die Ball Clock (1948), die 'Bubble Lamps' (1952), das 'Marshmallow Sofa' (1956) oder das 'Action Office' (1964). Nelsons Arbeit als Chefdesigner für den amerikanischen Möbelhersteller Herman Miller ist in die amerikanische Kulturgeschichte eingegangen.Weit weniger bekannt ist dagegen, dass George Nelson als Ausstellungsmanager und -gestalter im Auftrag der amerikanischen Regierung von 1957 bis 1972 rund um die Welt Produktpräsentationen, Themenausstellungen, Messeauftritte konzipierte - kurz: den amerikanischen Lebensstil präsentierte.Diese sensationell bebilderte Monografie stellt die unbekannte Seite von Nelsons Schaffen nun erstmals detailliert vor. Jochen Eisenbrand, Chefkurator des Vitra Design Museums, hat dafür den Nelson-Nachlass aufgearbeitet. Er folgt dem Designer auf seine frühen Reisen, resümiert die prägenden Einflüsse und den Aufstieg zum begehrten Designer. Weiter zeigt er, welche industriell gefertigten Innovationen das Ausstellungsmobiliar revolutionierten, und beschreibt dann detailliert die Ausstellungen, die Nelson etwa in São Paulo oder Moskau im Auftrag der United States Information Agency realisierte. Eisenbrands Buch ist eine Fundgrube für Designinteressierte - und zugleich eine Fallstudie darüber, wie innovatives Design im Kalten Krieg als Instrument der US-Politik genutzt wurde.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wie mit Kunst, Kunsthandwerk, Design und Technik im Kalten Krieg Politik gemacht wurde, erfährt Laura Weißmüller anhand dieser detaillierten Monografie über den amerikanischen Designer George Nelson, verfasst vom Designhistoriker Jochen Eisenbrand. Weißmüller staunt über die wechselseitigen Konsumgüterschauen der Großmächte und darüber, wie Nelson für die Amerikaner Eames-Möbel, Schallplatten und IBM-Computer zu einer Leistungsschau kompilierte. Eisenbrands Rechercheleistung im Nachlass des Gestalters erstaunt sie nicht minder. Das Buch, findet sie, erscheint mitunter wie ein Krimi, wenn nur die quietschbunten Wirtschaftswunderdesigns nicht wären. Etwas mehr Deutlichkeit bei der Darstellung der Wohnwelten auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs hätte sich Weißmüller gewünscht. Davon abgesehen eine klare Lektüreempfehlung von ihr.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.04.2014Grellbunte Leichtigkeit
Als Manager und Gestalter großer Ausstellungen präsentierte George Nelson während des Kalten Krieges rund um die Erde
den amerikanischen Lebensstil. Eine fulminante Monografie zeigt, wie aus Design Propaganda wurde
VON LAURA WEISSMÜLLER
Der Krieg kennt viele Waffen. Und manchmal sind die vermeintlich harmlosen die effektivsten. Zum Beispiel ein Kühlschrank.
Unter anderem einen Kühlschrank schickten die Amerikaner 1959 ihrem Klassenfeind nach Moskau. Mitten im Kalten Krieg zimmerten sie dort ein ultramodernes Fertigappartement, ließen es vom New Yorker Kaufhaus Macy’s ausstatten und bestückten es mit den neuesten Küchengeräten von General Electric und raumgreifenden Schrankwänden, in denen die Utensilien des American Way of Life glänzten, als wären es Siegerpokale. Waren sie ja auch: Was den Moskauer Besuchern da unter einem gewaltigen blau-roten donutförmigen Logo in der „American National Exhibition“ präsentiert wurde, war schließlich nichts anderes als der dinggewordene Anspruch der USA auf die Vormachtstellung in der Welt. „Schöner Wohnen im Kapitalismus“ lautete die Botschaft dieser Möbelschau auf feindlichem Terrain.
Wie aus Design Propaganda werden kann, das zeigt auf faszinierende Weise Jochen Eisenbrands detaillierte Monografie „George Nelson. Ein Designer im Kalten Krieg“. Denn Nelson, einer der wichtigsten amerikanischen Gestalter im 20. Jahrhundert, konzipierte nicht nur die „American National Exhibition“ und damit die größte Konsumgüterschau der USA außerhalb des eigenen Landes, er war auch über zwei Jahrzehnte federführend damit beschäftigt, den Menschen der Sowjetunion durch Ausstellungen den richtigen Weg in die moderne, sprich konsumgüterverliebte urbane Welt zu weisen – bis er am Ende selbst von diesem Pfad abkam.
Bei all der Politik, die bei der Ausstellung im Sommer 1959 mitschwang, offiziell kam sie überhaupt nicht vor. Neben Fotografie und moderner Kunst – wie zur gleichen Zeit auf der documenta in Kassel durften auch hier Jackson Pollock und die Vertreter des Abstrakten Expressionismus den Beweis für den freien Geist der USA antreten– stellte Nelson ausschließlich den US-Alltag aufs Podest.
Die Russen sollten sehen wie „Amerika lebt, arbeitet, lernt, produziert, konsumiert und spielt“. Da gab es mondäne Möbel Nelsons Designerfreunds Charles Eames, den neuesten Computer von IBM, aber auch Kleidung, Sportartikel, Schallplatten, Spielwaren, Autos und sogar Boote. Vieles war aus Plastik oder Aluminium, kein Wunder: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs suchte die Industrie nach neuen Einsatzmöglichkeiten für diese Materialien – und fand sie prompt in den Zugmitteln des Wirtschaftswachstums.
Gleich am Eröffnungstag zeigten Richard Nixon und Nikita Chruschtschow, was sie voneinander hielten. In der Ausstellungsküche lieferten sie sich eine Frotzelei über Farbfernseher und Waschmaschinen, die als „Kitchen Debate“ in die Geschichtsbücher einging. Eisenbrand zitiert die Historikerin Elaine Tyler May, die 1999 in ihrer Untersuchung über die amerikanische Familie im Kalten Krieg schrieb: „Die Metapher, die für die Debatte am treffendsten erscheint, war die eines Wettrennens. Aber es handelt sich weder um den Rüstungswettlauf noch um das Wettrennen im Weltall; es war ein Wettlauf unter Konsumenten und das Eigenheim war das Ziel.“
Jochen Eisenbrand, Designhistoriker und Chefkurator am Vitra Designmuseum in Weil am Rhein, hat für seine hervorragend bebilderte Monografie, die sich streckenweise wie ein Krimi liest, den kompletten Nachlass des Designers aufgearbeitet. Die Quellenrecherche hat sich gelohnt, war George Nelson doch vor Eisenbrands Buch den meisten nur als Designer poppig bunter Entwürfe bekannt. Die „Ball Clock“ (1949) stammt genauso von ihm, wie das „Marshmallow Sofa“ (1956), die „Bubble Lamps“ (1952) und der „Coconut Chair“ (1955). So sprechend die Namen, so fröhlich bildhaft fällt die Gestaltung aus. Design auf der Schaumkrone des Wirtschaftswunders. Möbel, die aus heutiger Sicht erstaunlich grellbunt die Leichtigkeit des Lebens feiern, während ihre Besitzer doch gerade erst aus einem Krieg zurückgekommen waren.
Doch der 1908 in Hartford, Connecticut geborene Nelson entwarf nicht nur Möbel, er führte zeitweise auch eine der wichtigsten Designagenturen der USA. Dort testete er konsequent mit seinen Mitarbeitern die Wirkungsmacht von Gestaltung. Und zwar in alle Richtungen. So entwickelte er das komplette Erscheinungsbild von Herman Miller, bis heute eines der wichtigsten amerikanischen Möbelunternehmen. Er beriet Firmen wie General Electric, IBM, aber auch die amerikanische Regierung. Nelsons Ansatz war dabei immer der gleiche: „Design als Kommunikation aufzufassen“.
Wie effektiv Entwürfe als Botschafter für die eigenen Überzeugungen eingesetzt werden können, hatte Nelson, studierter Architekt, in Europa gelernt. Anfang der Dreißiger arbeitete er dort als Journalist an einer Serie über die Großen der modernen Architektur, traf Le Corbusier, Walter Gropius und Mies van der Rohe. Genau die also, die Ausstellungen gezielt einsetzten, um ihre Ideen für eine moderne Lebenswelt zu propagieren – und dabei immer heftiger mit dem engstirnigen Regelwerk der Nationalsozialisten in Konflikt kamen. Die Politisierung der Gestaltung blieb Nelson nicht verborgen. 1957 schrieb er in seinem Buch „Problems of Design“: „je größer die innere Stabilität einer modernen Regierungsform, desto leichter ihre Bauten“.
Was er damit meinte, führte Nelson zwei Jahre später bei der „American National Exhibition“ vor. Als es darum ging, die USA zu präsentieren, wählte er als Ausstellungsgebäude Buckminster Fullers geodätische Kuppel aus. Kaum eine Architektur dürfte mehr Transparenz und Leichtigkeit symbolisieren als Fullers Dome in Leichtbauweise und Welthalbkugelformat. Das passte perfekt zu dem, was Nelson mit der Schau, 3000 Tonnen Material, den Produkten 700 teilnehmender Firmen und Gratisgetränken von Pepsi Cola manifestieren wollte.
Hintergrund der Ausstellung in Moskau war ein Vertrag, den beide Staaten Anfang 1958 zum Austausch im Bereich Kultur, Technik und Bildung geschlossen hatten. Was neutral klingt, war nichts anders als das Einfallstor für die jeweilige Systempropaganda. Amerika war dafür gut vorbereitet. Als eine der ersten Amtshandlungen hatte Präsident Dwight D. Eisenhower 1953 die United States Information Agency (USIA) gegründet, ihre Mission: „durch die Nutzung von Kommunikationstechniken gegenüber anderen Völkern den Beweis zu erbringen, dass die strategischen und politischen Ziele der Vereinigten Staaten mit ihrem rechtmäßigen Streben nach Freiheit, Fortschritt und Frieden übereinstimmen und diesem zugute kommen“. Zwei Jahrzehnte nach der Gründung hatte diese Behörde 10 000 Angestellten, ein Jahresbudget von 240 Millionen Dollar. Eine Weltmacht wollte promotet werden.
Besonders ehrlich war beim Werbefeldzug für die eigene Überzeugung weder die einer noch die andere Seite. Die russische Presse schrieb zum Fertighaus der „American National Exhibition“, es sei für einen US-Arbeiter so typisch wie das Taj Mahal für einen Arbeiter in Bombay. Auch das russische Ausstellungspendant, das zur gleichen Zeit in New York die Sowjetunion vor allem als Wissenschaftsnation feierte, nahm es mit der Realität nicht allzu genau. Die New York Times meinte lapidar, die Ausstellung zeige die UdSSR wie sie gerne sein würde, nicht wie sie ist.
So ausführlich wie Eisenbrands Fallstudie ausfällt, hier hätte man tatsächlich gern noch etwas mehr gelesen: Wie sahen denn damals die Wohnwelten der Durchschnittsamerikaner und -russen aus? Und wie verhielt sich ihr Alltag zu dem, was in den Schauen propagiert wurde? Die Diskrepanz würde den enormen Aufwand, den beide Staaten betrieben, noch deutlicher machen – und auch den Versuch, durch Design Politik zu betreiben. Den Besuchern dürfte das nicht entgangen sein. Gestört hat es sie offenbar nicht. In New York besuchten mehr als eine Millionen Menschen die „USSR Exhibition“, in Moskau sogar 2,7 Millionen das US-Gegenstück, das danach noch in weitere Ostblockstaaten zog. Der Klassenfeind brach Besucherrekorde.
Bis 1972 entwarf George Nelson insgesamt sieben Ausstellungen für die amerikanische Regierung. Knapp 20 Jahre später schloss 1991 mit „Design USA“ und zwei Millionen Besuchern die letzte Schau der USIA. Im Jahr 1999 löste Präsident Bill Clinton die Behörde endgültig auf. Warum? „Mit Glasnost und Perestroika, dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands“, schreibt Eisenbrand, „verlor die Arbeit der USIA ihre Grundlage und hatte ihre Mission in gewisser Weise erfolgreich erfüllt.“ Es könnte aber auch einfach sein, dass sich die Form der Propaganda verändert hat. Die Spannung zwischen beiden Mächten ist aktuell deutlicher den je.
George Nelson, der entscheidend bei der Promotiontour für den Kapitalismus mitgewirkt hatte, zweifelte zunehmend am Heilsversprechen durch den Konsum. Nur ein paar Monate nach der Eröffnung der „American National Exhibition“ erklärte er bei einem Vortrag: „Das geplante, vorzeitige Veralten von Produkten in unserer Kultur ist ein Wahnsinn. Dinge wegzuwerfen, bevor sie aufgebraucht oder abgenutzt sind, kann für unsere nationale Wirtschaft zerstörerisch sein. Ein bisschen davon ist gesund (. . . ), aber in der Form, die es heute angenommen hat, ist es zu einer Art öffentlicher Perversion geworden.“ Kurz darauf warnte er vor einer Stadtentwicklung im Zeichen des Kommerzes. 1961 erklärte er, die USA verwende „eine enorme Energie auf das Verzieren von Heckflossen statt auf das Lösen von Verkehrsproblemen“.
Gut möglich also, dass Amerika dank Kühlschrank, Luxuslimousine und Farbfernseher den Kalten Krieg gewonnen hat. Ganz sicher aber verlor die USA genau damit den Kampf gegen die Umweltzerstörung. Und zwar weltweit.
J ochen Eisenbrand: Ein Designer im Kalten Krieg. Ausstellungen für die United States Information Agency 1957 - 1972, Park Books, Zürich 2014. 496 Seiten, 52 Euro.
„Es war ein Wettlauf
unter Konsumenten und
das Eigenheim war das Ziel.“
Die Ausstellungen zeigten,
wie die Länder sein wollten,
nicht wie sie waren
Nelson zweifelte zunehmend
an den Heilsversprechen
des Konsums
Zu Besuch beim Klassenfeind: Unter Buckminster Fullers geodätischer Kuppel
sollten die Russen in der „American National Exhibition“ im Sommer 1959 sehen, wie „Amerika lebt,
arbeitet, lernt, produziert, konsumiert und spielt“. Fotos: Vitra Design Museum Archiv
George Nelson bei der Planung für die American National Exhibition.
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Als Manager und Gestalter großer Ausstellungen präsentierte George Nelson während des Kalten Krieges rund um die Erde
den amerikanischen Lebensstil. Eine fulminante Monografie zeigt, wie aus Design Propaganda wurde
VON LAURA WEISSMÜLLER
Der Krieg kennt viele Waffen. Und manchmal sind die vermeintlich harmlosen die effektivsten. Zum Beispiel ein Kühlschrank.
Unter anderem einen Kühlschrank schickten die Amerikaner 1959 ihrem Klassenfeind nach Moskau. Mitten im Kalten Krieg zimmerten sie dort ein ultramodernes Fertigappartement, ließen es vom New Yorker Kaufhaus Macy’s ausstatten und bestückten es mit den neuesten Küchengeräten von General Electric und raumgreifenden Schrankwänden, in denen die Utensilien des American Way of Life glänzten, als wären es Siegerpokale. Waren sie ja auch: Was den Moskauer Besuchern da unter einem gewaltigen blau-roten donutförmigen Logo in der „American National Exhibition“ präsentiert wurde, war schließlich nichts anderes als der dinggewordene Anspruch der USA auf die Vormachtstellung in der Welt. „Schöner Wohnen im Kapitalismus“ lautete die Botschaft dieser Möbelschau auf feindlichem Terrain.
Wie aus Design Propaganda werden kann, das zeigt auf faszinierende Weise Jochen Eisenbrands detaillierte Monografie „George Nelson. Ein Designer im Kalten Krieg“. Denn Nelson, einer der wichtigsten amerikanischen Gestalter im 20. Jahrhundert, konzipierte nicht nur die „American National Exhibition“ und damit die größte Konsumgüterschau der USA außerhalb des eigenen Landes, er war auch über zwei Jahrzehnte federführend damit beschäftigt, den Menschen der Sowjetunion durch Ausstellungen den richtigen Weg in die moderne, sprich konsumgüterverliebte urbane Welt zu weisen – bis er am Ende selbst von diesem Pfad abkam.
Bei all der Politik, die bei der Ausstellung im Sommer 1959 mitschwang, offiziell kam sie überhaupt nicht vor. Neben Fotografie und moderner Kunst – wie zur gleichen Zeit auf der documenta in Kassel durften auch hier Jackson Pollock und die Vertreter des Abstrakten Expressionismus den Beweis für den freien Geist der USA antreten– stellte Nelson ausschließlich den US-Alltag aufs Podest.
Die Russen sollten sehen wie „Amerika lebt, arbeitet, lernt, produziert, konsumiert und spielt“. Da gab es mondäne Möbel Nelsons Designerfreunds Charles Eames, den neuesten Computer von IBM, aber auch Kleidung, Sportartikel, Schallplatten, Spielwaren, Autos und sogar Boote. Vieles war aus Plastik oder Aluminium, kein Wunder: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs suchte die Industrie nach neuen Einsatzmöglichkeiten für diese Materialien – und fand sie prompt in den Zugmitteln des Wirtschaftswachstums.
Gleich am Eröffnungstag zeigten Richard Nixon und Nikita Chruschtschow, was sie voneinander hielten. In der Ausstellungsküche lieferten sie sich eine Frotzelei über Farbfernseher und Waschmaschinen, die als „Kitchen Debate“ in die Geschichtsbücher einging. Eisenbrand zitiert die Historikerin Elaine Tyler May, die 1999 in ihrer Untersuchung über die amerikanische Familie im Kalten Krieg schrieb: „Die Metapher, die für die Debatte am treffendsten erscheint, war die eines Wettrennens. Aber es handelt sich weder um den Rüstungswettlauf noch um das Wettrennen im Weltall; es war ein Wettlauf unter Konsumenten und das Eigenheim war das Ziel.“
Jochen Eisenbrand, Designhistoriker und Chefkurator am Vitra Designmuseum in Weil am Rhein, hat für seine hervorragend bebilderte Monografie, die sich streckenweise wie ein Krimi liest, den kompletten Nachlass des Designers aufgearbeitet. Die Quellenrecherche hat sich gelohnt, war George Nelson doch vor Eisenbrands Buch den meisten nur als Designer poppig bunter Entwürfe bekannt. Die „Ball Clock“ (1949) stammt genauso von ihm, wie das „Marshmallow Sofa“ (1956), die „Bubble Lamps“ (1952) und der „Coconut Chair“ (1955). So sprechend die Namen, so fröhlich bildhaft fällt die Gestaltung aus. Design auf der Schaumkrone des Wirtschaftswunders. Möbel, die aus heutiger Sicht erstaunlich grellbunt die Leichtigkeit des Lebens feiern, während ihre Besitzer doch gerade erst aus einem Krieg zurückgekommen waren.
Doch der 1908 in Hartford, Connecticut geborene Nelson entwarf nicht nur Möbel, er führte zeitweise auch eine der wichtigsten Designagenturen der USA. Dort testete er konsequent mit seinen Mitarbeitern die Wirkungsmacht von Gestaltung. Und zwar in alle Richtungen. So entwickelte er das komplette Erscheinungsbild von Herman Miller, bis heute eines der wichtigsten amerikanischen Möbelunternehmen. Er beriet Firmen wie General Electric, IBM, aber auch die amerikanische Regierung. Nelsons Ansatz war dabei immer der gleiche: „Design als Kommunikation aufzufassen“.
Wie effektiv Entwürfe als Botschafter für die eigenen Überzeugungen eingesetzt werden können, hatte Nelson, studierter Architekt, in Europa gelernt. Anfang der Dreißiger arbeitete er dort als Journalist an einer Serie über die Großen der modernen Architektur, traf Le Corbusier, Walter Gropius und Mies van der Rohe. Genau die also, die Ausstellungen gezielt einsetzten, um ihre Ideen für eine moderne Lebenswelt zu propagieren – und dabei immer heftiger mit dem engstirnigen Regelwerk der Nationalsozialisten in Konflikt kamen. Die Politisierung der Gestaltung blieb Nelson nicht verborgen. 1957 schrieb er in seinem Buch „Problems of Design“: „je größer die innere Stabilität einer modernen Regierungsform, desto leichter ihre Bauten“.
Was er damit meinte, führte Nelson zwei Jahre später bei der „American National Exhibition“ vor. Als es darum ging, die USA zu präsentieren, wählte er als Ausstellungsgebäude Buckminster Fullers geodätische Kuppel aus. Kaum eine Architektur dürfte mehr Transparenz und Leichtigkeit symbolisieren als Fullers Dome in Leichtbauweise und Welthalbkugelformat. Das passte perfekt zu dem, was Nelson mit der Schau, 3000 Tonnen Material, den Produkten 700 teilnehmender Firmen und Gratisgetränken von Pepsi Cola manifestieren wollte.
Hintergrund der Ausstellung in Moskau war ein Vertrag, den beide Staaten Anfang 1958 zum Austausch im Bereich Kultur, Technik und Bildung geschlossen hatten. Was neutral klingt, war nichts anders als das Einfallstor für die jeweilige Systempropaganda. Amerika war dafür gut vorbereitet. Als eine der ersten Amtshandlungen hatte Präsident Dwight D. Eisenhower 1953 die United States Information Agency (USIA) gegründet, ihre Mission: „durch die Nutzung von Kommunikationstechniken gegenüber anderen Völkern den Beweis zu erbringen, dass die strategischen und politischen Ziele der Vereinigten Staaten mit ihrem rechtmäßigen Streben nach Freiheit, Fortschritt und Frieden übereinstimmen und diesem zugute kommen“. Zwei Jahrzehnte nach der Gründung hatte diese Behörde 10 000 Angestellten, ein Jahresbudget von 240 Millionen Dollar. Eine Weltmacht wollte promotet werden.
Besonders ehrlich war beim Werbefeldzug für die eigene Überzeugung weder die einer noch die andere Seite. Die russische Presse schrieb zum Fertighaus der „American National Exhibition“, es sei für einen US-Arbeiter so typisch wie das Taj Mahal für einen Arbeiter in Bombay. Auch das russische Ausstellungspendant, das zur gleichen Zeit in New York die Sowjetunion vor allem als Wissenschaftsnation feierte, nahm es mit der Realität nicht allzu genau. Die New York Times meinte lapidar, die Ausstellung zeige die UdSSR wie sie gerne sein würde, nicht wie sie ist.
So ausführlich wie Eisenbrands Fallstudie ausfällt, hier hätte man tatsächlich gern noch etwas mehr gelesen: Wie sahen denn damals die Wohnwelten der Durchschnittsamerikaner und -russen aus? Und wie verhielt sich ihr Alltag zu dem, was in den Schauen propagiert wurde? Die Diskrepanz würde den enormen Aufwand, den beide Staaten betrieben, noch deutlicher machen – und auch den Versuch, durch Design Politik zu betreiben. Den Besuchern dürfte das nicht entgangen sein. Gestört hat es sie offenbar nicht. In New York besuchten mehr als eine Millionen Menschen die „USSR Exhibition“, in Moskau sogar 2,7 Millionen das US-Gegenstück, das danach noch in weitere Ostblockstaaten zog. Der Klassenfeind brach Besucherrekorde.
Bis 1972 entwarf George Nelson insgesamt sieben Ausstellungen für die amerikanische Regierung. Knapp 20 Jahre später schloss 1991 mit „Design USA“ und zwei Millionen Besuchern die letzte Schau der USIA. Im Jahr 1999 löste Präsident Bill Clinton die Behörde endgültig auf. Warum? „Mit Glasnost und Perestroika, dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung Deutschlands“, schreibt Eisenbrand, „verlor die Arbeit der USIA ihre Grundlage und hatte ihre Mission in gewisser Weise erfolgreich erfüllt.“ Es könnte aber auch einfach sein, dass sich die Form der Propaganda verändert hat. Die Spannung zwischen beiden Mächten ist aktuell deutlicher den je.
George Nelson, der entscheidend bei der Promotiontour für den Kapitalismus mitgewirkt hatte, zweifelte zunehmend am Heilsversprechen durch den Konsum. Nur ein paar Monate nach der Eröffnung der „American National Exhibition“ erklärte er bei einem Vortrag: „Das geplante, vorzeitige Veralten von Produkten in unserer Kultur ist ein Wahnsinn. Dinge wegzuwerfen, bevor sie aufgebraucht oder abgenutzt sind, kann für unsere nationale Wirtschaft zerstörerisch sein. Ein bisschen davon ist gesund (. . . ), aber in der Form, die es heute angenommen hat, ist es zu einer Art öffentlicher Perversion geworden.“ Kurz darauf warnte er vor einer Stadtentwicklung im Zeichen des Kommerzes. 1961 erklärte er, die USA verwende „eine enorme Energie auf das Verzieren von Heckflossen statt auf das Lösen von Verkehrsproblemen“.
Gut möglich also, dass Amerika dank Kühlschrank, Luxuslimousine und Farbfernseher den Kalten Krieg gewonnen hat. Ganz sicher aber verlor die USA genau damit den Kampf gegen die Umweltzerstörung. Und zwar weltweit.
J ochen Eisenbrand: Ein Designer im Kalten Krieg. Ausstellungen für die United States Information Agency 1957 - 1972, Park Books, Zürich 2014. 496 Seiten, 52 Euro.
„Es war ein Wettlauf
unter Konsumenten und
das Eigenheim war das Ziel.“
Die Ausstellungen zeigten,
wie die Länder sein wollten,
nicht wie sie waren
Nelson zweifelte zunehmend
an den Heilsversprechen
des Konsums
Zu Besuch beim Klassenfeind: Unter Buckminster Fullers geodätischer Kuppel
sollten die Russen in der „American National Exhibition“ im Sommer 1959 sehen, wie „Amerika lebt,
arbeitet, lernt, produziert, konsumiert und spielt“. Fotos: Vitra Design Museum Archiv
George Nelson bei der Planung für die American National Exhibition.
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