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David Bellos' monumentale Biographie Georges Perecs ist nicht nur das Porträt eines faszinierenden Menschen und Autors: In seinem Detailreichtum ist dieses Buch zugleich unverzichtbares Referenzwerk, ein facettenreiches Gesellschaftstableau, eine detektivische Spurensuche, eine Kartographie des literarischen Paris und nicht zuletzt ein elegant und unterhaltsam erzählter, veritabler Roman, der den immer zahlreicher werdenden Perec-Leser:innen ein beispielloses Leben mit und in Wörtern nahebringt.
Neben der Beschreibung zentraler Wegmarken - Perecs jüdische Herkunft und das damit verbundene
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Produktbeschreibung
David Bellos' monumentale Biographie Georges Perecs ist nicht nur das Porträt eines faszinierenden Menschen und Autors: In seinem Detailreichtum ist dieses Buch zugleich unverzichtbares Referenzwerk, ein facettenreiches Gesellschaftstableau, eine detektivische Spurensuche, eine Kartographie des literarischen Paris und nicht zuletzt ein elegant und unterhaltsam erzählter, veritabler Roman, der den immer zahlreicher werdenden Perec-Leser:innen ein beispielloses Leben mit und in Wörtern nahebringt.

Neben der Beschreibung zentraler Wegmarken - Perecs jüdische Herkunft und das damit verbundene Kindheitsschicksal, der windungsreiche Pfad zur ersten Publikation und zu einem eigenen Stil, die Pariser Szene um die Gruppe OuLiPo, Freund- und Liebschaften, der enorme Erfolg von Das Leben Gebrauchsanweisung, schließlich der frühe Tod nach kurzer Krankheit - sind es unzählige, wenig bekannte biographische Details, die dieses Buch zu einem wahren Schlüsselbund für das Verständnis einer bis heute unerschöpflichen Literatur machen. Sind es doch die Wörter und Buchstaben, Einschnitte und Nahtstellen, Knoten und Löcher, losen Enden und Schleifen, die jenseits einer linearen Chronologie Perecs Leben mit seinem Werk verbinden.

Die hier erstmals in deutscher Sprache vorgelegte Biographie gibt den von David Bellos vollständig revidierten und ergänzten Text wieder und stellt somit den letzten Stand der Forschung dar.
Autorenporträt
David Bellos ist Übersetzer und Übersetzungstheoretiker, Professor für Romanistik, Französische Literatur und Komparatistik an der Princeton University.
Rezensionen
»Großartig - äußerst unterhaltsam und sehr erhellend: ein atemberaubendes, immens weitgespanntes Porträt.« Los Angeles Times

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Charlotte Horst freut sich, dass David Bellos' Georges-Perec-Biographie 30 Jahre nach ihrem Ersterscheinen nun auch auf Deutsch vorliegt. Das auch in der Gestaltung anspruchsvolle Buch zeichnet laut Horst den Lebensweg des jüdischen Schriftstellers nach, dessen Eltern von den Nazis wenige Jahre nach seiner Geburt ermordet wurden, beziehungsweise im Zweiten Weltkrieg fielen, und greift dabei auch in dessen Genealogie zurück. Der Autor hat, so die Rezensentin, umfangreiche Recherchen angestellt, wobei er Perec selbst wohl nie begegnet war. Weiterhin geht es, lernen wir, um Perecs Weg ins linksintellektuelle Pariser Schriftstellertum, um seine Bekanntschaft mit Roland Barthes und seine zunehmend experimenteller werdende Schreibpraxis. Was aber, stellt Horst mit Bellos klar, nicht mit einer Entpolitisierung verwechselt werden darf. Ein Buch, das in Perecs Identifizierung mit den Unfertigen, Unvollendeten dieser Welt einfühlen lässt, so das Resümee.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.2023

Vom Pfarrhausgarten ins Marxistenparadies
Alles eine Frage der literarischen Technik: David Bellos' materialreiche Biographie zu Georges Perec

"Ich bin geboren." Diesen Satz schreibt Georges Perec immer wieder auf ein Blatt Papier. Der französische Schriftsteller möchte seine Lebensgeschichte erzählen, kommt aber nicht weiter. Er weiß, dass er Antworten auf ein paar Fragen finden muss. Wo ist er geboren? Woher kommen die Eltern? Wie war die Kindheit? Perec kann das nicht beantworten, zumindest nicht direkt. In seinem 1975 erschienenen Roman "W oder eine Kindheitserinnerung" ringt er sich schließlich die traurige Erklärung ab: "Ich habe keine Kindheitserinnerungen."

Dafür gibt es Gründe. Perec wurde 1936 als Kind jüdischer Eltern geboren. Als er vier Jahre alt ist, besetzen die Nationalsozialisten Frankreich. Perecs Mutter wird auf dem Weg ins oder im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ermordet, sein Vater fällt kurz vorher als Soldat der Fremdenlegion. Der verwaiste Perec entkommt auf abenteuerliche Weise in die unbesetzte Zone Frankreichs und wächst unter der Obhut seiner Tante auf. Perecs Kindheit ist traumatisch. Er leidet nicht an schlimmen Erinnerungen, sondern an überlebensnotwendigen Verdrängungen.

Als Schriftsteller bleibt Perec sein Leben lang auf der Suche nach einer Zeit, die nicht wiederzufinden ist. Er recherchiert, rekonstruiert und entwirft Schreibprojekte, die ihn dazu zwingen sollen, sein Leben zu erzählen. Das beeindruckendste Vorhaben ist das unabgeschlossene Monumentalprojekt "Lieux", "Orte". Erst 2022 sind im französischen Verlag Seuil die Fragmente dieser Unternehmung publiziert worden. Perec hatte sich vorgenommen, über zwölf Jahre hinweg zwölf für ihn bedeutende Orte in Paris aufzusuchen. Offensichtlich versucht er, sich gegen alle Widerstände einen Zugang zur Vergangenheit zu verschaffen, sein Gedächtnis zu trainieren.

Nachdem der Literaturwissenschaftler David Bellos bereits vier Bücher von Perec übersetzt hatte, nahm er sich Ende der Achtzigerjahre dessen Lebensgeschichte vor. Er ist nur neun Jahre jünger als Perec und hat gute Verbindungen zur Pariser Literaturszene, nimmt zu vielen Freunden Perecs Kontakt auf und entlockt ihnen alle möglichen Anekdoten. Daraus ist eine imposante Perec-Biographie hervorgegangen, die mit dem "Prix Goncourt de la biographie" ausgezeichnet und unter anderem ins Hebräische und Japanische übersetzt wurde.

Dreißig Jahre nach ihrem Erscheinen ist Bellos' "Georges Perec. Ein Leben in Wörtern" nun endlich auch auf Deutsch erschienen. Die Übersetzerin Sabine Schulz ist auch Lektorin des Verlages Diaphanes, der die deutschsprachige Leserschaft zuverlässig mit der Neuauflage von Perecs Büchern versorgt. Die deutsche Übersetzung folgt dem englischen Original in seiner anspruchsvollen Gestaltung. So sind beispielsweise die Absätze mit Piktogrammen markiert, die einen Baum oder ein Ahornblatt darstellen, eine Anspielung auf Perecs nie vollendetes Buchprojekt "Der Baum". Der Autor wollte eine Art Stammbaum der eigenen Familie erzählen. Dafür unternahm er umfangreiche Recherchen, interviewte seine Tante, suchte seinen Geburtsort auf und fertigte unzählige Notizen an, die ihm als Materialsammlung dienen sollten. Das Buch wurde nie geschrieben, die gesammelten Informationen haben aber doch noch Eingang in eine Lebensgeschichte Perecs gefunden, nämlich in Bellos' Biographie.

Bellos erzählt nicht nur Perecs Leben, sondern skizziert auch bis zur Urgroßvatergeneration die Schicksalswege der Familie. Perecs Vorfahren waren polnische Juden, die über Spanien nach Frankreich kamen. Bei jedem Grenzübertritt veränderte sich die Schreibweise von "Perec". Bellos betreibt dazu eine verwirrende Namensgenealogie, die Perec ähnlich sieht. Dem philologischen Kenntnisdrang ist auch das erschöpfende Werkverzeichnis zu verdanken, das sich im Anhang des Buches findet. Bellos ist aber nicht nur ein ausgezeichneter Kenner von Perecs Texten, er hat auch ein erstaunliches Detailwissen über dessen Leben. Eine Begegnung mit Perec deutet Bellos allerdings an keiner Stelle an. Die Nahsicht auf den Schriftsteller ergibt sich aus den vielen Erinnerungen von Freunden und Verwandten, die der Biograph zu einem engmaschigen Netz verwoben hat.

Mit Anfang zwanzig beginnt Perec ein Studium der Geschichte, bricht es aber bald ab und verfällt in Depressionen. Allein der Wunsch, Schriftsteller zu werden, gibt ihm Halt. Im Paris der Sechziger- und Siebzigerjahre schreibt jeder, der intellektuell auf sich hält. Im linken Milieu, in dem sich auch Perec bewegt, lesen alle Sartre und Marx, um danach selbst sozialistische Essays oder engagierte Literatur zu schreiben. In diesem Soziotop trifft Perec auf den glamourösen Theoretiker Roland Barthes. Von ihm lernt er, wie Sprache und Gesellschaftskritik miteinander zusammenhängen. Er beginnt Kleidungsstile, politische Sprechweisen oder Essgewohnheiten als ideologische Ausdrucksformen zu entziffern. Seine kritischen Beobachtungen schlagen sich in dem ersten publizierten Roman, "Die Dinge", nieder. Ohne Herablassung beschreibt er das Leben eines jungen Paares, dessen Wünsche dem Warenfetischismus verfallen sind. Das Buch wird ein großer Erfolg und mit einem der renommiertesten französischen Literaturpreise, dem Prix Renaudot, ausgezeichnet.

Nun nimmt Perecs Leben als Schriftsteller Schwung auf. Innerhalb von zwei Jahren erscheinen zwei weitere Romane. Außerdem veranstaltet Perec wöchentliche Dienstagsfeiern, auf denen es Brettspiele, Armagnac und experimentelle Literatur gibt. Für Letztere trifft Perec sich mit seinem Freund Marcel Bénabou bereits am Vormittag. Mit verschiedenen Wörterbüchern ausgestattet, wollen sie zeigen, dass jede Äußerung in eine beliebige andere übersetzt werden kann. Dafür tauschen sie ein Wort so oft durch seine enzyklopädische Definition aus, bis der ursprüngliche Text eine neue Bedeutung erhält. Sie schreiben zum Beispiel Gaston Leroux' Satz "Das Pfarrhaus hat nichts von seinem Zauber und der Garten nichts von seinem Glanz verloren" so lange um, bis die marxistische Parole "Arbeiter aller Länder, vereinigt euch" rauskommt.

Hiervon bekommen die Mitglieder der Schriftstellervereinigung "Oulipo" - die Abkürzung steht für "Ouvroir de littérature potentielle" - Wind und laden Perec zu ihren Treffen ein. Oulipoten halten sich an formale Regeln, um Sprachgewohnheiten auszuhebeln und Spielraum für neue Ausdrucksweisen zu schaffen. Auch wenn die oulipotische Praxis auf den ersten Blick nach bloßer Spielerei aussieht, gehe es dabei vor allem, so Bellos, um "die bewusste Kontrolle und tiefreichende Kenntnisse über die 'Produktionsmittel' verschiedener Arten von Texten".

Mit seinem Beitritt zu Oulipo verabschiedet Perec sich also nicht davon, ein gesellschaftskritischer Autor zu sein. Er analysiert vielmehr seine eigene Arbeit und fragt nach den Bedingungen und Mitteln literarischen Schreibens. Als Erstes wendet er sich von der Idee des genialen Künstlers ab. Er ist überzeugt, dass Ideen nicht vom Himmel fallen, sondern das Ergebnis von bestimmten Techniken sind. Eine solche kann etwa in dem Verzicht auf einen Buchstaben bestehen. Das berühmteste Beispiel ist Perecs Roman "La disparition", auf Deutsch "Anton Voyls Fortgang". In ihm wird kein einziges Mal der Vokal e verwendet.

Mit 45 Jahren erfährt Perec, dass er unheilbar an Krebs erkrankt ist. Zu diesem Zeitpunkt warten eine Handvoll Pläne auf ihre Vollendung. Doch der Autor hat keine Zeit mehr. Er stirbt innerhalb weniger Wochen.

Immer wieder hat Perec versucht, den kurzen Satz "Ich bin geboren" zu erweitern. Einmal stellt er sich vor, seine Familie wäre nicht nach Frankreich, sondern stattdessen in die USA emigriert. Wie alle Einwanderer wären seine Vorfahren auf Ellis Island angekommen. Sie hätten Gesundheitsprüfungen über sich ergehen lassen müssen. Je nach körperlichem Zustand hätten sie einreisen dürfen oder nicht. Ellis Island, die kleine Insel vor Manhattan, wurde auch Tränen-Insel genannt. Viele weinten hier bitterlich über geplatzte Hoffnungen. Diesen Schicksalen fühlte Perec sich verwandt. Wer Bellos' Biographie liest, begreift, warum. CHARLOTTE HORST

David Bellos: "Georges Perec". Ein Leben in Wörtern.

Aus dem Englischen von Sabine Schulz. diaphanes Verlag, Zürich 2023. 704 S., geb., 45,- Euro.

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