Ob es um bürgerlichen Aufstieg oder Beobachtungen des Wanderers durch die Mark Brandenburg geht, um die sprechenden Namen im Stechlin oder um die Birnen des Herrn von Ribbeck. Wie ein roter Faden zieht sich die Fontane-Spur durch Hans Blumenbergs nachgelassenes Werk: Reflexionen zu einzelnen Werken, oft nur Sätzen Fontanes. Die Glossen zu Fontane sind gedankliche Meisterwerke voll sprachlicher Eleganz: Ein Vademekum für Literatur-Leser auf dem Weg über die nächste Jahrhundert-Schwelle.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.1998Umbau am Mythos
Blumenbergs Fontane Von Lorenz Jäger
Mit Dante, dem exemplarischen Fall eines Klassikers, beschäftigte sich einer der frühesten Essays von Hans Blumenberg: mit dem Dichter also, der den ptolemäischen Kosmos, die christliche Heilsgewißheit und die Urteile über die jüngere Geschichte seiner Heimat zusammendenken konnte. "Das Klassische", so hieß es damals, "ist nie das unangefochten Fertige, nur noch zu Rezipierende; vielmehr wird die Überzeugungskraft des klassischen Werks immer aufs neue ,erzeugt'".
Wie sich dieser Prozeß in den Antworten eines eigenwilligen Lesers vollzieht, der gegen den Kanon Neubewertungen zu setzen vermag, wird in Blumenbergs Glossen zu Fontane deutlich. Sie folgen der spontanen Reaktion, halten sich deshalb nicht unbedingt an das Bekannte, sondern vor allem an markante Prägungen, deren philosophische Herausforderung sodann entfaltet wird.
Unter den Romanen wird nur dem "Stechlin" ein eigener Abschnitt gewidmet - auf ihn allerdings kommt Blumenberg immer wieder gern zurück, und sei es nur, weil er als geborener Bürger Lübecks mit der Nachgeschichte des Romans in den "Buddenbrooks" auch ein wenig den Mythographen in eigener Sache spielen kann. Häufig werden die Gedichte und die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" zum Anlaß der Kommentierung; die prominenteste Gattung in diesem Buch ist die der Briefe.
Aus dem zuweilen launenhaften Reichtum der Motive und Themen fällt eines ins Auge, das als Angebinde für die "Berliner Republik" gelesen werden mag: Es ist der Umbau am Mythos "Preußen". Fontanes wie Blumenbergs Sympathien gelten Heinrich, dem Bruder Friedrichs des Großen, und seinem Schloß Rheinsberg, dem "Refugium eines Preußen, das bei Jena unterging und nur unter Unähnlichkeit mit sich selbst aus der Befreiung hervortrat, die sich als Abwendung von Frankreich und Selbstdefinition gegen allen französischen Anteil am Preußentum vollziehen sollte". Friedrich der Große und Bismarck dagegen werden mit der Methode der "anekdotischen Ausnüchterung" betrachtet. Schon Blumenbergs sarkastisches Referat von Hegels Vorlesungen, die Friedrich als Philosophen auf dem Thron dargestellt hatten, wies 1989 in dem Buch "Höhlenausgänge" in diese Richtung.
Vielleicht war der Vorbehalt gegen das Massive, gegen die Arroganz der Macht, der Grundaffekt Blumenbergs. Er würde erklären, warum auch dort, wo es um die Letzten Dinge geht, um Tod, Tröstung und Auferstehung, ein zivilisatorischer Takt regiert, der den Philosophen allererst für Fontane eingenommen haben mag. Nicht die ostentative Aufklärung von Friedrich und Voltaire ist es, die den Ton bestimmt, sondern der Geist des Späthumanismus von Schloß Tegel: "Es gibt kein Mausoleum, keine Krypta; nur ein Hain von Edeltannen friedigt die Stätte ein als Zeichen dafür, wie sicher man sich des Fortlebens im Geiste gewesen war."
Der geschichtsphilosophische Minimalismus führte Blumenberg zu einer fast mystischen "Vorliebe für Gleichzeitigkeiten", die auch hier wieder mannigfach begegnet. Die "glückliche Konjunktion jenes Tages", an dem Fontane die Korrekturfahnen des "Stechlin" erhält und zugleich ein Jugendgedicht wieder zur Hand nimmt, beschäftigt den Philosophen ebenso wie die "fatale Konjunktion", die das Schicksal des Torfproduzenten Alexander Gentz aus Ruppin an die Berliner Moden der Beheizung bindet. Wenn just am Todestag von Fontanes Sohn der Vater in der Kreuzzeitung die Nachricht von der erneuten Verlobung der Witwe des Sohnes liest und sie mit den Worten kommentiert: "Wenn die Todten noch lächeln könnten, würde George gelächelt haben", knüpft Blumenberg mit einer schönen Glosse über die Leistungen des Konjunktivs an.
Den Gedanken einer Verbindung von Ereignissen, die nicht mehr kausal zu fassen ist, hatte Blumenberg in früheren Studien an der Schwelle der Neuzeit bei Giordano Bruno gefunden: "Der Zusammenhang eines irdischen Naturphänomens mit einer bestimmten astronomischen Konstellation beruht nicht auf Abhängigkeit, sondern auf ,Synchronisation' immanent ablaufender Prozesse und den Kongruenzen der sie regelnden Gesetzmäßigkeiten." Zieht man von dieser Formulierung noch einmal den Rest von kosmologischem Sinnvertrauen ab, dann ist man dem Prinzip nahe, das Blumenbergs Glossen möglich macht. Dantes "Göttliche Komödie" beruhte auf der Harmonie zwischen dem einzelnen, erkennbaren Strahl der göttlichen Glorie und der Einzelperson, die ihr Antlitz dem Dichter zuwandte. Blumenbergs Welt ist aus einem flüchtigeren Stoff geschaffen: Hier entsprechen sich Konjunktion und Anekdote. Fontane ist "gerade noch Klassiker" in einer kopernikanischen Welt.
Hans Blumenberg. "Gerade noch Klassiker'. Glossen zu Fontane." Carl Hanser Verlag, München 1998. 160 S., geb., 28,- DM
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Blumenbergs Fontane Von Lorenz Jäger
Mit Dante, dem exemplarischen Fall eines Klassikers, beschäftigte sich einer der frühesten Essays von Hans Blumenberg: mit dem Dichter also, der den ptolemäischen Kosmos, die christliche Heilsgewißheit und die Urteile über die jüngere Geschichte seiner Heimat zusammendenken konnte. "Das Klassische", so hieß es damals, "ist nie das unangefochten Fertige, nur noch zu Rezipierende; vielmehr wird die Überzeugungskraft des klassischen Werks immer aufs neue ,erzeugt'".
Wie sich dieser Prozeß in den Antworten eines eigenwilligen Lesers vollzieht, der gegen den Kanon Neubewertungen zu setzen vermag, wird in Blumenbergs Glossen zu Fontane deutlich. Sie folgen der spontanen Reaktion, halten sich deshalb nicht unbedingt an das Bekannte, sondern vor allem an markante Prägungen, deren philosophische Herausforderung sodann entfaltet wird.
Unter den Romanen wird nur dem "Stechlin" ein eigener Abschnitt gewidmet - auf ihn allerdings kommt Blumenberg immer wieder gern zurück, und sei es nur, weil er als geborener Bürger Lübecks mit der Nachgeschichte des Romans in den "Buddenbrooks" auch ein wenig den Mythographen in eigener Sache spielen kann. Häufig werden die Gedichte und die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" zum Anlaß der Kommentierung; die prominenteste Gattung in diesem Buch ist die der Briefe.
Aus dem zuweilen launenhaften Reichtum der Motive und Themen fällt eines ins Auge, das als Angebinde für die "Berliner Republik" gelesen werden mag: Es ist der Umbau am Mythos "Preußen". Fontanes wie Blumenbergs Sympathien gelten Heinrich, dem Bruder Friedrichs des Großen, und seinem Schloß Rheinsberg, dem "Refugium eines Preußen, das bei Jena unterging und nur unter Unähnlichkeit mit sich selbst aus der Befreiung hervortrat, die sich als Abwendung von Frankreich und Selbstdefinition gegen allen französischen Anteil am Preußentum vollziehen sollte". Friedrich der Große und Bismarck dagegen werden mit der Methode der "anekdotischen Ausnüchterung" betrachtet. Schon Blumenbergs sarkastisches Referat von Hegels Vorlesungen, die Friedrich als Philosophen auf dem Thron dargestellt hatten, wies 1989 in dem Buch "Höhlenausgänge" in diese Richtung.
Vielleicht war der Vorbehalt gegen das Massive, gegen die Arroganz der Macht, der Grundaffekt Blumenbergs. Er würde erklären, warum auch dort, wo es um die Letzten Dinge geht, um Tod, Tröstung und Auferstehung, ein zivilisatorischer Takt regiert, der den Philosophen allererst für Fontane eingenommen haben mag. Nicht die ostentative Aufklärung von Friedrich und Voltaire ist es, die den Ton bestimmt, sondern der Geist des Späthumanismus von Schloß Tegel: "Es gibt kein Mausoleum, keine Krypta; nur ein Hain von Edeltannen friedigt die Stätte ein als Zeichen dafür, wie sicher man sich des Fortlebens im Geiste gewesen war."
Der geschichtsphilosophische Minimalismus führte Blumenberg zu einer fast mystischen "Vorliebe für Gleichzeitigkeiten", die auch hier wieder mannigfach begegnet. Die "glückliche Konjunktion jenes Tages", an dem Fontane die Korrekturfahnen des "Stechlin" erhält und zugleich ein Jugendgedicht wieder zur Hand nimmt, beschäftigt den Philosophen ebenso wie die "fatale Konjunktion", die das Schicksal des Torfproduzenten Alexander Gentz aus Ruppin an die Berliner Moden der Beheizung bindet. Wenn just am Todestag von Fontanes Sohn der Vater in der Kreuzzeitung die Nachricht von der erneuten Verlobung der Witwe des Sohnes liest und sie mit den Worten kommentiert: "Wenn die Todten noch lächeln könnten, würde George gelächelt haben", knüpft Blumenberg mit einer schönen Glosse über die Leistungen des Konjunktivs an.
Den Gedanken einer Verbindung von Ereignissen, die nicht mehr kausal zu fassen ist, hatte Blumenberg in früheren Studien an der Schwelle der Neuzeit bei Giordano Bruno gefunden: "Der Zusammenhang eines irdischen Naturphänomens mit einer bestimmten astronomischen Konstellation beruht nicht auf Abhängigkeit, sondern auf ,Synchronisation' immanent ablaufender Prozesse und den Kongruenzen der sie regelnden Gesetzmäßigkeiten." Zieht man von dieser Formulierung noch einmal den Rest von kosmologischem Sinnvertrauen ab, dann ist man dem Prinzip nahe, das Blumenbergs Glossen möglich macht. Dantes "Göttliche Komödie" beruhte auf der Harmonie zwischen dem einzelnen, erkennbaren Strahl der göttlichen Glorie und der Einzelperson, die ihr Antlitz dem Dichter zuwandte. Blumenbergs Welt ist aus einem flüchtigeren Stoff geschaffen: Hier entsprechen sich Konjunktion und Anekdote. Fontane ist "gerade noch Klassiker" in einer kopernikanischen Welt.
Hans Blumenberg. "Gerade noch Klassiker'. Glossen zu Fontane." Carl Hanser Verlag, München 1998. 160 S., geb., 28,- DM
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