Produktdetails
- Verlag: Turia & Kant
- Seitenzahl: 413
- Erscheinungstermin: Oktober 2006
- Deutsch
- Abmessung: 240mm
- Gewicht: 772g
- ISBN-13: 9783851324631
- ISBN-10: 3851324633
- Artikelnr.: 20847160
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine ZeitungVerfolgt, beraubt und ins Exil getrieben
Gerettete Kultur: Waltraud Bayer würdigt in einer umfassenden Studie die privaten russischen Kunstsammler unter der Sowjetmacht
Was russischen Kunstsammlern zur Sowjetzeit an Glanz fehlte, das glichen sie aus durch Heroismus. Nach dem Oktoberumsturz wurde wie die Volkswirtschaft auch der Kunstbesitz verstaatlicht und hatte dem kommunistischen Projekt zu dienen. Frühe "proletarische Museen" waren enteignete Villen, deren ehemalige Besitzer Museumsführer und Volksaufklärer spielen durften. Die revolutionäre Umwertung der Werte verwandelte aber auch Meisterwerke in Makulatur. Die Sowjetmacht verscherbelte Rembrandts und Rubens aus der Eremitage, weil angeblich Traktoren wertvoller waren. Aber auch die revolutionäre Kunst der Avantgarde war, als Stalin zum industriellen Aufbau blies, nichts mehr wert. Kunstsammler, von der Obrigkeit oft als Spekulanten beargwöhnt, bewahrten große Mengen vor allem russischer Kunst vor dem Untergang. Welche Risiken sie eingingen, wie sich ihr Geschmack wandelte und was aus ihren Schätzen geworden ist, hat die Soziologin Waltraud Bayer, um die Geschichte des Kunstsammelns in Russland hoch verdient, jetzt in einer umfassenden Studie zusammengefasst.
Ihrem Brotberuf nach waren viele sowjetische Sammler Ingenieure, eine Berufsgruppe, der Frau Bayer eine vergleichbare gesellschaftstragende Rolle zuschreibt wie den westlichen Juristen. Zu ihnen gehört der legendäre Felix Wischnewski (1902 bis 1978) der sich als Spross einer adligen Unternehmerfamilie zu einem roten Kunstsammler wandelte. Mehrere Angehörige des Wischnewski-Klans solidarisierten sich mit den Bolschewiken, sobald diese den Familienbesitz verstaatlicht hatten. Als Lohn erhielten sie die Schutzurkunde für ihre Kunstkollektion, was gegen die Requirierungskommandos immunisierte. Beim Volkskommissariat für Aufklärung verdingte sich der siebzehn Jahre alte Felix Wischnewski als Experte, der Kunstgüter in privatem Besitz aufspürt. Ein ideales Amt, um eigene Bestände aufzustocken. Nichtgewendete Ex-Adlige erlebten Überläufer wie Wischnewski als Aasgeier, die ihnen für einen Hungerlohn das Familiensilber und ihre Ahnenporträts wegnahmen.
Unter Stalin kam Felix Wischnewski ins Gefängnis, seine Sammlung wurde konfisziert. Doch nach der Rehabilitierung konnte er sie dank guter Verbindungen zurückgewinnen.
Während sich die alten Eliten vor allem für Ikonen, Modernes und internationale Kunst begeisterten, schwärmten die aus dem Bauernstand aufgestiegenen Kader für russischen Realismus. Beispielsweise die Starsängerin der Sowjetfolklore Lidia Ruslanowa, die sich am liebsten mit russischen Landschaften von Schischkin und Seestücken von Aiwasowski umgab. Während des Zweiten Weltkrieges betreute Frau Ruslanowa als Frontkünstlerin die kämpfende Truppe. Doch dann bedienten sich sie und ihr Mann, ein hochdekorierter General, aus Kunsttransporten, die, von den Nationalsozialisten aus sowjetischen Museen geraubt, nach Hause unterwegs waren. Lidia Ruslanowa musste fünf Jahre ins Straflager.
Die berühmteste private Kollektion von Beutekunst aus Deutschland, jene 365 Bremer Zeichnungen, die der Restaurator Viktor Baldin aus Schloss Karnzow bei Berlin nach Moskau mitbrachte, erwähnt Waltraud Bayer nur am Rand. Das heute in der Eremitage lagernde Konvolut, das seinem Retter vor allem Schwierigkeiten einbrachte, veranschaulicht die Nöte eigenmächtiger Kunstliebhaber in verschärfter Form. Baldin, technisch ein Marodeur, hielt, im Unterschied zu andern Privatplünderern, seine Sammlung zusammen, und bemühte sich im Alter, sie nach Bremen zurückzuschicken. Nachdem der russische Staat zwei Anläufe unternahm, Baldins letzten Willen zu erfüllen, liegen die Zeichnungen noch immer in Russland. Ihren Hüter aber schmähen russische Kulturbürokraten postum als gemeinen Dieb.
Auch beim "eisernen" Felix, wie Zeitgenossen Wischnewski nannten, landete Plünderkunst von Frontsoldaten. Neben Bremer Blättern besaß er Werke von Schinkel, Cranach, und Klinger aus den Berliner Museen. Nach Stalins Tod verlieh Wischnewski seine Schätze für Ausstellungen und beschenkte die Museen in Rjasan, Kursk und Irkutsk. Ein Denkmal setzte Wischnewski sich mit seinem Museum des Moskauer Biedermeier-Malers Wassili Tropinin. Die adretten Bürger in häuslicher Idylle, Tropinins Markenzeichen, passten so gut zur Chruschtschow-Zeit, da privates Glück höchstes Gut wurde.
Damals entstand die Dissidentenkunstszene der Nonkonformisten, deren bewusst karge Meditationsbilder die abstrakte Bildsprache der Avantgarde reanimierten. Ein Liebhaber dieser Strömung wurde George Costakis, der wohl berühmteste Kunstsammler in Russland, dessen teils buchstäblich vom Müll aufgelesene Avantgarde-Werke heute den Stolz der Tretjakow-Galerie darstellen. Costakis, der als Botschaftsangestellter Devisen verdiente, war einheimischen Konkurrenten wirtschaftlich überlegen. Russische Nonkonformisten-Sammler waren oft passive Geschenkverwalter, die ihrer Untergrundmission zuliebe auf eine Berufskarriere bewusst verzichteten.
Sowjetrussische Kunstsammler, verfolgt, beraubt, ins Exil getrieben, werden heute im Moskauer Museum für Privatsammlungen, das sich nach amerikanischem Prinzip in Stiftergalerien gliedert, endlich gewürdigt. Und durch ihre Auktionserlöse haben die Nonkonformisten offiziöse Salonmaler wie Schilow und Glasunow überflügelt, stellt Frau Bayer befriedigt fest, vergisst dabei aber, dass ebendiese Kitschkünstler persönliche Privatmuseen unmittelbar neben dem Haus der Privatsammlung besitzen. Ansonsten verdient die Autorin Bewunderung für die Stofffülle, mit der sie ihr Panorama webt, und die sie sorgfältig nach Epochen, Sammlerfiguren, Kunstrichtungen, gesellschaftlichen Gruppen auffächert. Der Anhang des Standardwerkes verzeichnet übersichtlich Sammlerkurzbiographien. Frau Bayers pergamentene Soziologensprache, die Kunst nur nach dem Kriterium ihrer Anerkennung bewertet, kann man verschmerzen.
KERSTIN HOLM
Waltraud Bayer: "Gerettete Kultur". Private Kunstsammler in der Sowjetunion 1917-1991. Turia + Kant Verlag, Wien 2006. 415 S., br., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gerettete Kultur: Waltraud Bayer würdigt in einer umfassenden Studie die privaten russischen Kunstsammler unter der Sowjetmacht
Was russischen Kunstsammlern zur Sowjetzeit an Glanz fehlte, das glichen sie aus durch Heroismus. Nach dem Oktoberumsturz wurde wie die Volkswirtschaft auch der Kunstbesitz verstaatlicht und hatte dem kommunistischen Projekt zu dienen. Frühe "proletarische Museen" waren enteignete Villen, deren ehemalige Besitzer Museumsführer und Volksaufklärer spielen durften. Die revolutionäre Umwertung der Werte verwandelte aber auch Meisterwerke in Makulatur. Die Sowjetmacht verscherbelte Rembrandts und Rubens aus der Eremitage, weil angeblich Traktoren wertvoller waren. Aber auch die revolutionäre Kunst der Avantgarde war, als Stalin zum industriellen Aufbau blies, nichts mehr wert. Kunstsammler, von der Obrigkeit oft als Spekulanten beargwöhnt, bewahrten große Mengen vor allem russischer Kunst vor dem Untergang. Welche Risiken sie eingingen, wie sich ihr Geschmack wandelte und was aus ihren Schätzen geworden ist, hat die Soziologin Waltraud Bayer, um die Geschichte des Kunstsammelns in Russland hoch verdient, jetzt in einer umfassenden Studie zusammengefasst.
Ihrem Brotberuf nach waren viele sowjetische Sammler Ingenieure, eine Berufsgruppe, der Frau Bayer eine vergleichbare gesellschaftstragende Rolle zuschreibt wie den westlichen Juristen. Zu ihnen gehört der legendäre Felix Wischnewski (1902 bis 1978) der sich als Spross einer adligen Unternehmerfamilie zu einem roten Kunstsammler wandelte. Mehrere Angehörige des Wischnewski-Klans solidarisierten sich mit den Bolschewiken, sobald diese den Familienbesitz verstaatlicht hatten. Als Lohn erhielten sie die Schutzurkunde für ihre Kunstkollektion, was gegen die Requirierungskommandos immunisierte. Beim Volkskommissariat für Aufklärung verdingte sich der siebzehn Jahre alte Felix Wischnewski als Experte, der Kunstgüter in privatem Besitz aufspürt. Ein ideales Amt, um eigene Bestände aufzustocken. Nichtgewendete Ex-Adlige erlebten Überläufer wie Wischnewski als Aasgeier, die ihnen für einen Hungerlohn das Familiensilber und ihre Ahnenporträts wegnahmen.
Unter Stalin kam Felix Wischnewski ins Gefängnis, seine Sammlung wurde konfisziert. Doch nach der Rehabilitierung konnte er sie dank guter Verbindungen zurückgewinnen.
Während sich die alten Eliten vor allem für Ikonen, Modernes und internationale Kunst begeisterten, schwärmten die aus dem Bauernstand aufgestiegenen Kader für russischen Realismus. Beispielsweise die Starsängerin der Sowjetfolklore Lidia Ruslanowa, die sich am liebsten mit russischen Landschaften von Schischkin und Seestücken von Aiwasowski umgab. Während des Zweiten Weltkrieges betreute Frau Ruslanowa als Frontkünstlerin die kämpfende Truppe. Doch dann bedienten sich sie und ihr Mann, ein hochdekorierter General, aus Kunsttransporten, die, von den Nationalsozialisten aus sowjetischen Museen geraubt, nach Hause unterwegs waren. Lidia Ruslanowa musste fünf Jahre ins Straflager.
Die berühmteste private Kollektion von Beutekunst aus Deutschland, jene 365 Bremer Zeichnungen, die der Restaurator Viktor Baldin aus Schloss Karnzow bei Berlin nach Moskau mitbrachte, erwähnt Waltraud Bayer nur am Rand. Das heute in der Eremitage lagernde Konvolut, das seinem Retter vor allem Schwierigkeiten einbrachte, veranschaulicht die Nöte eigenmächtiger Kunstliebhaber in verschärfter Form. Baldin, technisch ein Marodeur, hielt, im Unterschied zu andern Privatplünderern, seine Sammlung zusammen, und bemühte sich im Alter, sie nach Bremen zurückzuschicken. Nachdem der russische Staat zwei Anläufe unternahm, Baldins letzten Willen zu erfüllen, liegen die Zeichnungen noch immer in Russland. Ihren Hüter aber schmähen russische Kulturbürokraten postum als gemeinen Dieb.
Auch beim "eisernen" Felix, wie Zeitgenossen Wischnewski nannten, landete Plünderkunst von Frontsoldaten. Neben Bremer Blättern besaß er Werke von Schinkel, Cranach, und Klinger aus den Berliner Museen. Nach Stalins Tod verlieh Wischnewski seine Schätze für Ausstellungen und beschenkte die Museen in Rjasan, Kursk und Irkutsk. Ein Denkmal setzte Wischnewski sich mit seinem Museum des Moskauer Biedermeier-Malers Wassili Tropinin. Die adretten Bürger in häuslicher Idylle, Tropinins Markenzeichen, passten so gut zur Chruschtschow-Zeit, da privates Glück höchstes Gut wurde.
Damals entstand die Dissidentenkunstszene der Nonkonformisten, deren bewusst karge Meditationsbilder die abstrakte Bildsprache der Avantgarde reanimierten. Ein Liebhaber dieser Strömung wurde George Costakis, der wohl berühmteste Kunstsammler in Russland, dessen teils buchstäblich vom Müll aufgelesene Avantgarde-Werke heute den Stolz der Tretjakow-Galerie darstellen. Costakis, der als Botschaftsangestellter Devisen verdiente, war einheimischen Konkurrenten wirtschaftlich überlegen. Russische Nonkonformisten-Sammler waren oft passive Geschenkverwalter, die ihrer Untergrundmission zuliebe auf eine Berufskarriere bewusst verzichteten.
Sowjetrussische Kunstsammler, verfolgt, beraubt, ins Exil getrieben, werden heute im Moskauer Museum für Privatsammlungen, das sich nach amerikanischem Prinzip in Stiftergalerien gliedert, endlich gewürdigt. Und durch ihre Auktionserlöse haben die Nonkonformisten offiziöse Salonmaler wie Schilow und Glasunow überflügelt, stellt Frau Bayer befriedigt fest, vergisst dabei aber, dass ebendiese Kitschkünstler persönliche Privatmuseen unmittelbar neben dem Haus der Privatsammlung besitzen. Ansonsten verdient die Autorin Bewunderung für die Stofffülle, mit der sie ihr Panorama webt, und die sie sorgfältig nach Epochen, Sammlerfiguren, Kunstrichtungen, gesellschaftlichen Gruppen auffächert. Der Anhang des Standardwerkes verzeichnet übersichtlich Sammlerkurzbiographien. Frau Bayers pergamentene Soziologensprache, die Kunst nur nach dem Kriterium ihrer Anerkennung bewertet, kann man verschmerzen.
KERSTIN HOLM
Waltraud Bayer: "Gerettete Kultur". Private Kunstsammler in der Sowjetunion 1917-1991. Turia + Kant Verlag, Wien 2006. 415 S., br., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Umfassend" ist das stärkste Lobeswort das Kerstin Holm für diese Studie über private Kunstsammler in der Sowjetunion von 1917-1991 findet. Zwar nennt sie die Autorin Waltraud Bayer "hoch verdient" um die Geschichte des Kunstsammelns in Russland, staunt über die sorgfältige Gliederung und den übersichtlichen Anhang dieses "Standardwerkes", entdeckt aber auch Mängel. Die wichtige Kollektion Viktor Baldins etwa findet sie bei Bayer nur beiläufig erwähnt. Bayers Freude über das Überwiegen nonkonformistischer Kunst im Moskauer Museum für Privatsammlungen kann sie nicht teilen: Kitschkünstler wie Schilow hätten schließlich ihre eigenen Museen. Und die "Soziologensprache" der Autorin findet sie "pergamenten".
© Perlentaucher Medien GmbH
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