Für Gerhart Hauptmann, den großen deutschen Dichter und Nobelpreisträger, gehörten sommerliche Aufenthalte auf der Ost-seeinsel Hiddensee zum festen Jahresrhythmus. Seit Hauptmanns erstem Buch 1885 galt der Insel seine Sehnsucht. Nachdem er anfangs in unterschiedlichen Pensionen gewohnt hatte, unter anderem 1924 gemeinsam mit Thomas Mann und dessen Familie, kaufte er 1930 Haus Seedorn, das bis heute Wallfahrtsort aller Freunde Hauptmannscher Dichtung ist. Hiddensee inspirierte Hauptmann zu mehreren Werken und war häufig ihr Entstehungsort. Die Insel bei Rügen aufgrund ihrer landschaftlichen Schönheit auch Capri der Ostsee genannt war für ihn aber nicht nur ein Ort der Nachdenklichkeit, sondern auch Schauplatz von Familienfeiern und ausschweifenden Vergnügungen. Hauptmann blieb Hiddensee über den Tod hinaus verbunden: Auf dem Inselfriedhof liegt er begraben, bei seinen Schlucks und Jaus, wie eines seiner Stücke nach typisch Hiddenseer Namen heißt. Rüdiger Bernhardts kenntnisreicher Text, in dem sich manches Überraschende zu Hauptmanns Biographie findet, geht den Aufenthalten des Dichters auf dem Eiland nach, erläutert, wie Hiddensee zur Verwirklichung seines Traumes von der Insel wurde und spürt die Einflüsse in seinem dichterischen Werken auf. Die Spurensuche wird begleitet durch zahlreiche, teils wenig bekannte historische Fotos. Farbaufnahmen vom heutigen Hiddensee zeigen die ungebrochene Faszination des Inselparadieses.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.1997Deutschland
"Gerhart Hauptmanns Hiddensee" von Rüdiger Bernhardt. Ellert und Richter Verlag, Hamburg 1996. 144 Seiten, 54 Abbildungen. Broschiert, 16,60 Mark. ISBN 3-89234-598-8.
Rüdiger Bernhardts Buch verzaubert Hiddensee. Die kleine Ostseeinsel erscheint darin als literarische Erfindung des Dichters Gerhart Hauptmann. In der Tat läßt sich die Geschichte der Insel in den Jahren 1885 bis 1946 und darüber hinaus nicht ohne Hauptmann denken. Sein langjähriges Domizil "Haus Seedorn" war ein geistiges Zentrum, um das sich Freunde und Kollegen gruppierten. Hiddensee ist ein literarischer Ort, den Bernhardts Buch für den Leser meisterlich aufspürt. Der Vorsitzende der Gerhart-Hauptmann-Stiftung in Kloster auf Hiddensee hat das zusammengetragen, was die Insel mit dem Dichter verbindet. Doch trotz breiter Quellenbasis enthält das "Doppelporträt" Unschärfen. Die politische Verstrickung Hauptmanns in den Jahren nach 1933, seine "Unterwürfigkeit" den nationalsozialistischen Machthabern gegenüber, seine Sympathie für deren zerstörerisches Gedankengut und sein umstrittenes Verbleiben in Deutschland, das alles wird nur am Rande erwähnt. Hiddensee war nicht nur ein Ort stiller Zurückgezogenheit. Hauptmanns Anwesenheit hat die Insel in den starken Strom der Geschichte geworfen. Nur aus dieser Perspektive gewinnen die letzten Seiten des Buches eine atemberaubende Spannung. Wie nämlich 1946 Wilhelm Pieck und der sowjetische Oberst Tjulpanow den toten Hauptmann als "weisen Patriarchen" in Stralsund ehrten und wie Johannes R. Becher, erster Kulturminister der DDR, an der Seite von Hauptmanns Witwe den Sarg nach Hiddensee überführte, diese "Vereinnahmungen" des Dichters durch die neuen Machthaber gehören auch zur Chronik der Insel. Das macht Hiddensee nicht weniger zauberhaft, aber die Beschäftigung damit ein Stück weit ehrlicher und wahrhaftiger. (sti)
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"Gerhart Hauptmanns Hiddensee" von Rüdiger Bernhardt. Ellert und Richter Verlag, Hamburg 1996. 144 Seiten, 54 Abbildungen. Broschiert, 16,60 Mark. ISBN 3-89234-598-8.
Rüdiger Bernhardts Buch verzaubert Hiddensee. Die kleine Ostseeinsel erscheint darin als literarische Erfindung des Dichters Gerhart Hauptmann. In der Tat läßt sich die Geschichte der Insel in den Jahren 1885 bis 1946 und darüber hinaus nicht ohne Hauptmann denken. Sein langjähriges Domizil "Haus Seedorn" war ein geistiges Zentrum, um das sich Freunde und Kollegen gruppierten. Hiddensee ist ein literarischer Ort, den Bernhardts Buch für den Leser meisterlich aufspürt. Der Vorsitzende der Gerhart-Hauptmann-Stiftung in Kloster auf Hiddensee hat das zusammengetragen, was die Insel mit dem Dichter verbindet. Doch trotz breiter Quellenbasis enthält das "Doppelporträt" Unschärfen. Die politische Verstrickung Hauptmanns in den Jahren nach 1933, seine "Unterwürfigkeit" den nationalsozialistischen Machthabern gegenüber, seine Sympathie für deren zerstörerisches Gedankengut und sein umstrittenes Verbleiben in Deutschland, das alles wird nur am Rande erwähnt. Hiddensee war nicht nur ein Ort stiller Zurückgezogenheit. Hauptmanns Anwesenheit hat die Insel in den starken Strom der Geschichte geworfen. Nur aus dieser Perspektive gewinnen die letzten Seiten des Buches eine atemberaubende Spannung. Wie nämlich 1946 Wilhelm Pieck und der sowjetische Oberst Tjulpanow den toten Hauptmann als "weisen Patriarchen" in Stralsund ehrten und wie Johannes R. Becher, erster Kulturminister der DDR, an der Seite von Hauptmanns Witwe den Sarg nach Hiddensee überführte, diese "Vereinnahmungen" des Dichters durch die neuen Machthaber gehören auch zur Chronik der Insel. Das macht Hiddensee nicht weniger zauberhaft, aber die Beschäftigung damit ein Stück weit ehrlicher und wahrhaftiger. (sti)
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