Medienhysterie, politische Machtspiele und Ausländerhass: ein ungeschminktes Bild unserer Gegenwart, eine aufschlussreiche Darstellung der dubiosen Angst vor dem Fremden, eine hervorragend recherchierte, unter die Haut gehende Geschichte mit einprägsamen Charakteren und einem atmosphärischen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Der Nigerianer Christoph Arano wird mit seiner Tochter Lucy nicht mehr fertig. Seit dem Tod seiner Frau zettelt sie Schlägereien an, attackiert Mitschüler, begeht eine Straftat nach der anderen. Reaktion der Behörden: Beide sollen ausgewiesen werden. Die Wellen der öffentlichen Meinung schlagen hoch. Da verschwindet plötzlich Aranos deutsche Verlobte. Rechtsradikale haben sie entführt, um die Ausweisung des Schwarzen zu erpressen. Das Schicksal der drei wird zum Spielball von Politik und Meinungsmache.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.01.2001Arme Lucy, böses Kind
München kalt, Herz heiß: Ein Krimi gegen rechts von Friedrich Ani
Erschiene ein Angeklagter, noch bevor das Urteil über ihn gesprochen ist, zum Strafantritt in einer Justizvollzugsanstalt, bekäme er ja auch keine Zelle zugewiesen. So gesehen, kann man den Staatsanwalt Dr. Niklas Ronfeld verstehen, wenn er auf Einhaltung des Verfahrensweges besteht und die Pläne Christoph Aranos ablehnt. Der gebürtige Nigerianer nämlich will sich und seine vierzehnjährige Tochter Lucy quasi selbst aus Deutschland abschieben, noch bevor über die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung verhandelt und diese - wie absehbar - versagt worden ist. Dabei kämpft der Münchner Beamte Ronfeld mit allen Mitteln und voller Überzeugung für eine solche Abschiebung. Er weiß dabei, daß Arano als Sechsjähriger nur durch glückliche Umstände einem Bürgerkrieg in Nigeria entkam und seine in Deutschland geborene Tochter des Vaters Geburtsland nur aus dessen Erzählungen kennt. Von Rückkehr ins Heimatland kann also nur sehr bedingt gesprochen werden. Gleichwohl besteht eine übergroße implizite Abschiebungskoalition. Sie reicht vom Münchner Oberbürgermeister, einem SPD-Mitglied, über den CSU-Ministerpräsidenten Bayerns bis hin zu einer "Aktion D", dem neu aufgetauchten terroristischen Arm der "Deutschen Republikaner".
Der Kitt zwischen den Koalitionären besteht aus Lucys Lebenswandel in den vergangenen vier Jahren und/oder dem, was darüber öffentlich und reichlich berichtet wurde. Lucy hat sich, wie man meint, durchaus als Horror-Mädel positioniert. Das begann damit, daß sie nach dem Tod ihrer Mutter, die an den Folgen eines Zimmerbrandes ungeklärter Ursache in einem Krankenhaus starb, das Schwesternzimmer zertrümmerte. Da war das Kind zehn. Es folgte eine Serie bizarrer Angriffe auf Personen, wobei dann auch das Springmesser und die Schuhe mit Stahlkappen eingesetzt wurden. Die Polizei zählt bis zu Lucys vierzehntem Geburtstag achtundsechzig solcher Straftaten, die für sie aber ohne Konsequenzen bleiben, weil sie als Kind strafunmündig ist. Von Menschen wie Staatsanwalt Ronfeld wird nun Lucys vierzehnter Geburtstag fast sehnsüchtig erwartet, weil man ihr dann die Rechnung für diese delinquente Karriere präsentieren will. Lucy unterstützt das Projekt dadurch, daß sie am Geburtstagsabend standesgemäß eine Körperverletzung und einen Überfall begeht, diesmal mit der Konsequenz sofortiger Untersuchungshaft.
Bald darauf tritt nun eine bis dato unbekannte rechtsradikale Terrorgruppe auf den Plan und entführt kurz vor der Sonnenfinsternis des 11. August 1999 Vater Aranos Verlobte, die Kosmetikerin Natalia Horn. Was damit bezweckt werden soll, schreibt die völkische Kraft in einem Brief an die ermittelnde "SoKo Natalie"; "Sobald Christoph und Lucy Arano das Land mit dem Flugzeug in Richtung Nigeria verlassen haben, lassen wir Frau Horn unverzüglich frei. Unser Wort gilt. Mit besten Grüßen - Aktion D." Mit dem Ziel haben die Entführer voll die Volks- und Beamtenseele getroffen, vom Mittel der Erpressung aber muß sich die Politik zumindest rhetorisch distanzieren. Für die Entkoppelung von Ziel und Mittel soll die Polizei sorgen, durch die Befreiung Natalia Horns, bei anschließender Entfernung der Aranos im geregelten Verfahren. Dieser Stufenplan wird durch den schon erwähnten Entschluß von Vater und Tochter, sich selbst zu entfernen, obsolet. Sie besteigen einen Sonderflug nach Lagos. Die erhoffte Wiedervereinigung mit Natalia Horn aber wird es nicht geben, sie kommt in München tragisch-theatralisch zu Tode, Christoph Arano in der Hauptstadt Nigerias. Vorhang zu und alle betroffen.
Friedrich Anis Versuch der engagierten literarischen Intervention in das herrschende Gerede über den Umgang mit Ausländern und Rechtsradikalen erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem die Debatte eine Intensität erreicht hat wie kaum zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Ob er ihr, bei allem humanen Anliegen, etwas hinzufügen kann, ist fraglich. Denn "German Angst" (die Wiederaufnahme eines gut 20 Jahre alten Titels des "Time"-Magazins) ist im Kern ein politisches Pamphlet mit Mitteln des umfangreichen psychologischen (Kriminal-)Romans, eine Anklage gegen eine gemutmaßte Mehrheit von fanatisierten oder fanatisierbaren Spießern und politischen Opportunisten bei einigen Aufrechten auf ziemlich verlorenen Posten. Eine dichotomische Welt, bei der nur ganz wenige auf die - richtige - Seite wechseln. Nur die, die sich dort aufhalten, haben Tiefe, Entwicklung, Gefühle.
"Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen sind nicht immer zufällig", schreibt Friedrich Ani im Nachsatz - das hat man schon geahnt. Der "Fall Lucy" ist verwandt mit dem juristisch noch immer unabgeschlossenen "Fall Mehmet", und für Dr. Voss, den Chef der Deutschen Republikaner und Drahtzieher der Entführung, stand deutlich der DVU-Vorsitzende Dr. Gerhard Frey Pate. Die Realitätsnähe, die für die über weite Strecken spannende Geschichte positiv zu Buche schlägt, wird aber regelmäßig durch bombastische Rätselsätze aufgehoben, die diese Realität zu deuten vorgeben, etwa wenn dem Entführer-Quintett der "Aktion D", als ein Haufen verklemmter Sadisten gezeichnet, gleich das ganze Land übereignet wird: "Sie gehörten zu den mittleren Millionen, die der Bauch, das Herz, die Physiognomie und die Psyche des Staates waren, dessen Stimme, Wut und Macht." Friedrich Ani hat cum ira et studio geschrieben, mit so heißem Herzen, daß sich schließlich - und leider - der ganze Text daran verbrannt hat.
BURKHARD SCHERER
Friedrich Ani: "German Angst". Roman. Droemersche Verlagsanstalt, München 2000. 488 S., geb., 44,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
München kalt, Herz heiß: Ein Krimi gegen rechts von Friedrich Ani
Erschiene ein Angeklagter, noch bevor das Urteil über ihn gesprochen ist, zum Strafantritt in einer Justizvollzugsanstalt, bekäme er ja auch keine Zelle zugewiesen. So gesehen, kann man den Staatsanwalt Dr. Niklas Ronfeld verstehen, wenn er auf Einhaltung des Verfahrensweges besteht und die Pläne Christoph Aranos ablehnt. Der gebürtige Nigerianer nämlich will sich und seine vierzehnjährige Tochter Lucy quasi selbst aus Deutschland abschieben, noch bevor über die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung verhandelt und diese - wie absehbar - versagt worden ist. Dabei kämpft der Münchner Beamte Ronfeld mit allen Mitteln und voller Überzeugung für eine solche Abschiebung. Er weiß dabei, daß Arano als Sechsjähriger nur durch glückliche Umstände einem Bürgerkrieg in Nigeria entkam und seine in Deutschland geborene Tochter des Vaters Geburtsland nur aus dessen Erzählungen kennt. Von Rückkehr ins Heimatland kann also nur sehr bedingt gesprochen werden. Gleichwohl besteht eine übergroße implizite Abschiebungskoalition. Sie reicht vom Münchner Oberbürgermeister, einem SPD-Mitglied, über den CSU-Ministerpräsidenten Bayerns bis hin zu einer "Aktion D", dem neu aufgetauchten terroristischen Arm der "Deutschen Republikaner".
Der Kitt zwischen den Koalitionären besteht aus Lucys Lebenswandel in den vergangenen vier Jahren und/oder dem, was darüber öffentlich und reichlich berichtet wurde. Lucy hat sich, wie man meint, durchaus als Horror-Mädel positioniert. Das begann damit, daß sie nach dem Tod ihrer Mutter, die an den Folgen eines Zimmerbrandes ungeklärter Ursache in einem Krankenhaus starb, das Schwesternzimmer zertrümmerte. Da war das Kind zehn. Es folgte eine Serie bizarrer Angriffe auf Personen, wobei dann auch das Springmesser und die Schuhe mit Stahlkappen eingesetzt wurden. Die Polizei zählt bis zu Lucys vierzehntem Geburtstag achtundsechzig solcher Straftaten, die für sie aber ohne Konsequenzen bleiben, weil sie als Kind strafunmündig ist. Von Menschen wie Staatsanwalt Ronfeld wird nun Lucys vierzehnter Geburtstag fast sehnsüchtig erwartet, weil man ihr dann die Rechnung für diese delinquente Karriere präsentieren will. Lucy unterstützt das Projekt dadurch, daß sie am Geburtstagsabend standesgemäß eine Körperverletzung und einen Überfall begeht, diesmal mit der Konsequenz sofortiger Untersuchungshaft.
Bald darauf tritt nun eine bis dato unbekannte rechtsradikale Terrorgruppe auf den Plan und entführt kurz vor der Sonnenfinsternis des 11. August 1999 Vater Aranos Verlobte, die Kosmetikerin Natalia Horn. Was damit bezweckt werden soll, schreibt die völkische Kraft in einem Brief an die ermittelnde "SoKo Natalie"; "Sobald Christoph und Lucy Arano das Land mit dem Flugzeug in Richtung Nigeria verlassen haben, lassen wir Frau Horn unverzüglich frei. Unser Wort gilt. Mit besten Grüßen - Aktion D." Mit dem Ziel haben die Entführer voll die Volks- und Beamtenseele getroffen, vom Mittel der Erpressung aber muß sich die Politik zumindest rhetorisch distanzieren. Für die Entkoppelung von Ziel und Mittel soll die Polizei sorgen, durch die Befreiung Natalia Horns, bei anschließender Entfernung der Aranos im geregelten Verfahren. Dieser Stufenplan wird durch den schon erwähnten Entschluß von Vater und Tochter, sich selbst zu entfernen, obsolet. Sie besteigen einen Sonderflug nach Lagos. Die erhoffte Wiedervereinigung mit Natalia Horn aber wird es nicht geben, sie kommt in München tragisch-theatralisch zu Tode, Christoph Arano in der Hauptstadt Nigerias. Vorhang zu und alle betroffen.
Friedrich Anis Versuch der engagierten literarischen Intervention in das herrschende Gerede über den Umgang mit Ausländern und Rechtsradikalen erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem die Debatte eine Intensität erreicht hat wie kaum zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Ob er ihr, bei allem humanen Anliegen, etwas hinzufügen kann, ist fraglich. Denn "German Angst" (die Wiederaufnahme eines gut 20 Jahre alten Titels des "Time"-Magazins) ist im Kern ein politisches Pamphlet mit Mitteln des umfangreichen psychologischen (Kriminal-)Romans, eine Anklage gegen eine gemutmaßte Mehrheit von fanatisierten oder fanatisierbaren Spießern und politischen Opportunisten bei einigen Aufrechten auf ziemlich verlorenen Posten. Eine dichotomische Welt, bei der nur ganz wenige auf die - richtige - Seite wechseln. Nur die, die sich dort aufhalten, haben Tiefe, Entwicklung, Gefühle.
"Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen sind nicht immer zufällig", schreibt Friedrich Ani im Nachsatz - das hat man schon geahnt. Der "Fall Lucy" ist verwandt mit dem juristisch noch immer unabgeschlossenen "Fall Mehmet", und für Dr. Voss, den Chef der Deutschen Republikaner und Drahtzieher der Entführung, stand deutlich der DVU-Vorsitzende Dr. Gerhard Frey Pate. Die Realitätsnähe, die für die über weite Strecken spannende Geschichte positiv zu Buche schlägt, wird aber regelmäßig durch bombastische Rätselsätze aufgehoben, die diese Realität zu deuten vorgeben, etwa wenn dem Entführer-Quintett der "Aktion D", als ein Haufen verklemmter Sadisten gezeichnet, gleich das ganze Land übereignet wird: "Sie gehörten zu den mittleren Millionen, die der Bauch, das Herz, die Physiognomie und die Psyche des Staates waren, dessen Stimme, Wut und Macht." Friedrich Ani hat cum ira et studio geschrieben, mit so heißem Herzen, daß sich schließlich - und leider - der ganze Text daran verbrannt hat.
BURKHARD SCHERER
Friedrich Ani: "German Angst". Roman. Droemersche Verlagsanstalt, München 2000. 488 S., geb., 44,90 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Antje Weber ist sehr angetan von diesem Kriminalroman, auch wenn sie manches zu bemängeln hat. Der Autor verstehe es meisterhaft, Spannung aufzubauen und zu halten und das Ende des Buches sei ebenso dramatisch wie unvermutet, lobt die Rezensentin. Des weiteren preist sie seine Fähigkeit, "lebensechte Dialoge" zu erzeugen und stellt erschüttert fest, dass der Autor mit seinem Krimi aus dem rechtsradikalen Milieu nicht zuletzt eine "eindrucksvolle Collage der Gemütslage der Nation" erstellt hat. Sie moniert allerdings, dass die Geschichte mit zu vielen Personen und Nebenhandlungen überfrachtet sei. Trotzdem rechnet sie es dem Autor hoch an, keinen "Betroffenheitsroman" geschrieben zu haben, sondern eine Schilderung der Gesellschaft, wie sie drastischer und dabei realer kaum sein könne.
© Perlentaucher Medien GmbH
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