In the first single-author account of German history from the Reformation to the early nineteenth century since Hajo Holborn's study written in the 1950s, Dr Whaley provides a full account of the history of the Holy Roman Empire. Volume I extends from Maximilian I to the Peace of Westphalia.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.2012So tiefgründig kann deutsche Geschichte sein
Ein Muster historischer Gelehrsamkeit - und ein Lesevergnügen: Joachim Whaley legt den ersten Teil seiner Geschichte des Heiligen Römischen Reiches vor.
Seit Jahren wurde in der Fachwelt gemunkelt, dass Joachim Whaley an einem Opus magnum arbeite, deutsche Archive besuche und immer wieder längere Forschungsaufenthalte, zum Beispiel in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, absolviere. Das stimmte. Sein Buch "Germany and the Holy Roman Empire" ist die erste moderne englischsprachige Gesamtdarstellung der frühneuzeitlichen deutschen Geschichte, die aus einer Hand stammt. Das Werk ist mit mehr als 1400 Seiten das umfänglichste, das in jüngerer Zeit zu diesem Abschnitt der deutschen Geschichte erschienen ist, und wird, aller Wahrscheinlichkeit nach, den Rang eines Standardwerkes behaupten - nicht nur in der anglophonen Welt.
Im Mittelpunkt steht das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Die Darstellung widerlegt die tradierte Annahme eines Mangels deutscher nationaler Identität vor Ausbruch der Revolutionskriege. Whaley folgt damit der neueren deutschen Geschichtsschreibung, knüpft unter anderem an Georg Schmidt an und entkräftet zudem die traditionelle Vorstellung, dass die Frühe Neuzeit für das Reich eine Periode des Niedergangs gewesen sei. Der erste Band, um den es hier geht, beginnt mit dem Regierungsantritt des späteren Kaisers Maximilian I. als Erzherzog von Österreich 1493 und führt bis zum Westfälischen Frieden 1648. Der zweite Band reicht bis zum Untergang des Reiches 1806. Womit soll man dieses erratische Monument angelsächsischer Gelehrsamkeit vergleichen?
Vielleicht mit Peter H. Wilsons 2009 bei Penguin erschienenen "Europe's Tragedy", der knapp tausendseitigen neuen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges? Seit der vierbändigen Darstellung Karl Otmar von Aretins "Das Alte Reich 1648 bis 1806", die zwischen 1993 und 2000 erschien, gibt es nichts, was der Leistung Wilsons oder Whaleys entspräche. Wilson ist Professor an der University of Hull, Whaley Senior Lecturer für deutsche Geschichte in Cambridge. Angesichts der Lehr- und Verwaltungsbelastung deutscher Hochschullehrer ist es unwahrscheinlich, dass ein deutscher Historiker in absehbarer Zeit ein vergleichbares Werk zu dieser Schlüsselepoche der deutschen Geschichte vorlegen wird.
Im ersten Band von Wahleys Werk stehen die Spannungen im Vordergrund, welche zur Reformation führten, die Aufspaltung der reformatorischen Bewegung in verschiedene Zentren und Richtungen sowie ihre Auswirkungen auf das Alte Reich und die deutsche Gesellschaft. Whaley zeigt, wie sich die Institutionen des Reiches infolge von Krisen herausbildeten. Die Etablierung der höchsten Gerichtsbarkeit, des Reichskammergerichts und später des Reichshofrats, beendeten mit Hilfe der Reichsexekutionsordnung sowie der 1500 beziehungsweise 1512 geschaffenen, erst sechs, dann zehn Reichskreise die feudale Anarchie in all jenen Teilen des Reiches, in denen die Landesherren dies nicht selbst leisten konnten.
Joachim Whaley demonstriert, wie das Reich als Ganzes die Reformation "meisterte", durch die Einführung einer neuen, nicht konfessionsneutralen, aber der konfessionellen Differenz angepassten Geschäftsordnung, dem Augsburger Religionsfrieden von 1555. Die Leser erfahren, wie die Verfassung des Reiches und die kaiserlichen Wahlkapitulationen ständig umkämpft waren und sich so stetig weiterbildeten. So entstand ein funktionierendes politisches System eigener Art. Den Dreißigjährigen Krieg betrachtet der Verfasser unter Berücksichtigung einer Vielzahl zusätzlich intervenierender Variablen im Grunde als einen deutschen Verfassungskonflikt. Ähnlich hatte Johannes Burkhardt 1992 diese blutige Scheitelepoche der Frühen Neuzeit als einen Staatsgründungskrieg charakterisiert und diese Bewertung 2006 im "Gebhardt", dem klassischen Handbuch der deutschen Geschichte, bekräftigt.
Der Aufbau von Whaleys Werk ist chronologisch, behandelt aber nicht nur politik-, verfassungs-, und religionsgeschichtliche Aspekte, sondern immer wieder auch kulturgeschichtliche Fragen, wie die "Revolution des Buchdruckes" und deren Auswirkung auf die öffentliche Sphäre. Schließlich galt Whaley bereits vor Erscheinen seines Monumentalwerkes als Experte für die Geschichte der politischen Ideen, für deutsche Sozial-, Kultur- und Philosophiegeschichte. So wird auch der kulturalistische Ansatz der Erforschung der Reichsgeschichte rezipiert, für den Werke wie Barbara Stollberg-Rilingers "Des Kaisers alte Kleider" von 2008 stehen, welche die Bedeutung des Zeremoniells für die Reichspolitik betonen.
Whaley analysiert die Wirkungen von religiösen und geistigen Bewegungen auf die Regierung der Territorien und des Reiches. Gewicht legt der Verfasser dabei auf die Entwicklungsdynamik, die sich aus der permanenten Spannung zwischen der Territorialherrschaft einerseits und den Reichsinstitutionen sowie dem Kaisertum andererseits ergab, aber auch auf die Einwirkungen gesamteuropäischer Entwicklungen und äußerer Mächte. Der dynastischen Krise, dem "Bruderzwist im Hause Habsburg", den Franz Grillparzer dramatisierte, räumt Whaley einen etwas größeren Raum als Wilson ein. Kontingenz erscheint hier als ein wesentlicher Faktor aller Geschichte. Der Cambridger Gelehrte zeichnet auch die jüngeren historiographischen Debatten nach und bezieht selbst Stellung. So interpretiert er das Reich als politisches Gemeinwesen in einem organisierten Staat. Einem Staat, der gleichwohl im Aufbau begriffen und vom heutigem Wortverständnis her, wie alle frühneuzeitlichen Staaten, defizitär war.
Das bei Oxford University Press erschienene Werk ist handwerklich solide gefertigt. Der Schutzumschlag zeigt eine kolorierte Karte des alten Reiches, und neben einem Glossar, das die wichtigsten Begriffe aus dem fremd gewordenen Jus publicum imperii, dem Staatsrecht des Alten Reiches, erläutert, verfügt es über eine umfängliche Bibliographie und ein ausgiebiges Sach- und Personenregister. Die Lektüre sei nicht nur Fachhistorikern, sondern auch Studenten und geschichtlich Interessierten empfohlen. Whaleys Art zu schreiben macht das Lesen zum Vergnügen.
"Germany and the Holy Roman Empire" ist nicht zuletzt geschrieben worden, um angelsächsischen Lesern angesichts der gegenwärtigen Krise, in der viele nach Deutschland schauen und von Deutschland Orientierung oder gar Lösungen erwarten, Deutschland näherzubringen, ein Deutschland tiefgründiger zu erklären, dessen Geschichte sich nicht in zwölf Jahren Zeitgeschichte erschöpft. Whaley geht vielmehr davon aus, dass gerade auch frühneuzeitliche Entwicklungen der deutschen Geschichte bis in die Gegenwart hinein nachwirken und auch über Deutschland hinaus von Interesse sind.
Das Buch ist ein Plädoyer für die historische Fernerinnerung, und somit ist ihm auch in Deutschland eine möglichst breite Rezeption zu wünschen. Ob der englische Gelehrte, der bereits 1984 eine im vergangenen Jahr erneut edierte "Sozialgeschichte des Todes" herausgegeben hat, diesen Reichsstaat als einen siechen zwangsläufig dem Tod geweihten Staat sieht, wird die Lektüre des zweiten Bandes zeigen.
WOLFGANG BURGDORF
Joachim Whaley: "Germany and the Holy Roman Empire". Volume I: MaximilianI to the Peace of Westphalia 1493-1648.
Oxford University Press, Oxford 2012. 722 S., geb., 82,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Muster historischer Gelehrsamkeit - und ein Lesevergnügen: Joachim Whaley legt den ersten Teil seiner Geschichte des Heiligen Römischen Reiches vor.
Seit Jahren wurde in der Fachwelt gemunkelt, dass Joachim Whaley an einem Opus magnum arbeite, deutsche Archive besuche und immer wieder längere Forschungsaufenthalte, zum Beispiel in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel, absolviere. Das stimmte. Sein Buch "Germany and the Holy Roman Empire" ist die erste moderne englischsprachige Gesamtdarstellung der frühneuzeitlichen deutschen Geschichte, die aus einer Hand stammt. Das Werk ist mit mehr als 1400 Seiten das umfänglichste, das in jüngerer Zeit zu diesem Abschnitt der deutschen Geschichte erschienen ist, und wird, aller Wahrscheinlichkeit nach, den Rang eines Standardwerkes behaupten - nicht nur in der anglophonen Welt.
Im Mittelpunkt steht das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Die Darstellung widerlegt die tradierte Annahme eines Mangels deutscher nationaler Identität vor Ausbruch der Revolutionskriege. Whaley folgt damit der neueren deutschen Geschichtsschreibung, knüpft unter anderem an Georg Schmidt an und entkräftet zudem die traditionelle Vorstellung, dass die Frühe Neuzeit für das Reich eine Periode des Niedergangs gewesen sei. Der erste Band, um den es hier geht, beginnt mit dem Regierungsantritt des späteren Kaisers Maximilian I. als Erzherzog von Österreich 1493 und führt bis zum Westfälischen Frieden 1648. Der zweite Band reicht bis zum Untergang des Reiches 1806. Womit soll man dieses erratische Monument angelsächsischer Gelehrsamkeit vergleichen?
Vielleicht mit Peter H. Wilsons 2009 bei Penguin erschienenen "Europe's Tragedy", der knapp tausendseitigen neuen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges? Seit der vierbändigen Darstellung Karl Otmar von Aretins "Das Alte Reich 1648 bis 1806", die zwischen 1993 und 2000 erschien, gibt es nichts, was der Leistung Wilsons oder Whaleys entspräche. Wilson ist Professor an der University of Hull, Whaley Senior Lecturer für deutsche Geschichte in Cambridge. Angesichts der Lehr- und Verwaltungsbelastung deutscher Hochschullehrer ist es unwahrscheinlich, dass ein deutscher Historiker in absehbarer Zeit ein vergleichbares Werk zu dieser Schlüsselepoche der deutschen Geschichte vorlegen wird.
Im ersten Band von Wahleys Werk stehen die Spannungen im Vordergrund, welche zur Reformation führten, die Aufspaltung der reformatorischen Bewegung in verschiedene Zentren und Richtungen sowie ihre Auswirkungen auf das Alte Reich und die deutsche Gesellschaft. Whaley zeigt, wie sich die Institutionen des Reiches infolge von Krisen herausbildeten. Die Etablierung der höchsten Gerichtsbarkeit, des Reichskammergerichts und später des Reichshofrats, beendeten mit Hilfe der Reichsexekutionsordnung sowie der 1500 beziehungsweise 1512 geschaffenen, erst sechs, dann zehn Reichskreise die feudale Anarchie in all jenen Teilen des Reiches, in denen die Landesherren dies nicht selbst leisten konnten.
Joachim Whaley demonstriert, wie das Reich als Ganzes die Reformation "meisterte", durch die Einführung einer neuen, nicht konfessionsneutralen, aber der konfessionellen Differenz angepassten Geschäftsordnung, dem Augsburger Religionsfrieden von 1555. Die Leser erfahren, wie die Verfassung des Reiches und die kaiserlichen Wahlkapitulationen ständig umkämpft waren und sich so stetig weiterbildeten. So entstand ein funktionierendes politisches System eigener Art. Den Dreißigjährigen Krieg betrachtet der Verfasser unter Berücksichtigung einer Vielzahl zusätzlich intervenierender Variablen im Grunde als einen deutschen Verfassungskonflikt. Ähnlich hatte Johannes Burkhardt 1992 diese blutige Scheitelepoche der Frühen Neuzeit als einen Staatsgründungskrieg charakterisiert und diese Bewertung 2006 im "Gebhardt", dem klassischen Handbuch der deutschen Geschichte, bekräftigt.
Der Aufbau von Whaleys Werk ist chronologisch, behandelt aber nicht nur politik-, verfassungs-, und religionsgeschichtliche Aspekte, sondern immer wieder auch kulturgeschichtliche Fragen, wie die "Revolution des Buchdruckes" und deren Auswirkung auf die öffentliche Sphäre. Schließlich galt Whaley bereits vor Erscheinen seines Monumentalwerkes als Experte für die Geschichte der politischen Ideen, für deutsche Sozial-, Kultur- und Philosophiegeschichte. So wird auch der kulturalistische Ansatz der Erforschung der Reichsgeschichte rezipiert, für den Werke wie Barbara Stollberg-Rilingers "Des Kaisers alte Kleider" von 2008 stehen, welche die Bedeutung des Zeremoniells für die Reichspolitik betonen.
Whaley analysiert die Wirkungen von religiösen und geistigen Bewegungen auf die Regierung der Territorien und des Reiches. Gewicht legt der Verfasser dabei auf die Entwicklungsdynamik, die sich aus der permanenten Spannung zwischen der Territorialherrschaft einerseits und den Reichsinstitutionen sowie dem Kaisertum andererseits ergab, aber auch auf die Einwirkungen gesamteuropäischer Entwicklungen und äußerer Mächte. Der dynastischen Krise, dem "Bruderzwist im Hause Habsburg", den Franz Grillparzer dramatisierte, räumt Whaley einen etwas größeren Raum als Wilson ein. Kontingenz erscheint hier als ein wesentlicher Faktor aller Geschichte. Der Cambridger Gelehrte zeichnet auch die jüngeren historiographischen Debatten nach und bezieht selbst Stellung. So interpretiert er das Reich als politisches Gemeinwesen in einem organisierten Staat. Einem Staat, der gleichwohl im Aufbau begriffen und vom heutigem Wortverständnis her, wie alle frühneuzeitlichen Staaten, defizitär war.
Das bei Oxford University Press erschienene Werk ist handwerklich solide gefertigt. Der Schutzumschlag zeigt eine kolorierte Karte des alten Reiches, und neben einem Glossar, das die wichtigsten Begriffe aus dem fremd gewordenen Jus publicum imperii, dem Staatsrecht des Alten Reiches, erläutert, verfügt es über eine umfängliche Bibliographie und ein ausgiebiges Sach- und Personenregister. Die Lektüre sei nicht nur Fachhistorikern, sondern auch Studenten und geschichtlich Interessierten empfohlen. Whaleys Art zu schreiben macht das Lesen zum Vergnügen.
"Germany and the Holy Roman Empire" ist nicht zuletzt geschrieben worden, um angelsächsischen Lesern angesichts der gegenwärtigen Krise, in der viele nach Deutschland schauen und von Deutschland Orientierung oder gar Lösungen erwarten, Deutschland näherzubringen, ein Deutschland tiefgründiger zu erklären, dessen Geschichte sich nicht in zwölf Jahren Zeitgeschichte erschöpft. Whaley geht vielmehr davon aus, dass gerade auch frühneuzeitliche Entwicklungen der deutschen Geschichte bis in die Gegenwart hinein nachwirken und auch über Deutschland hinaus von Interesse sind.
Das Buch ist ein Plädoyer für die historische Fernerinnerung, und somit ist ihm auch in Deutschland eine möglichst breite Rezeption zu wünschen. Ob der englische Gelehrte, der bereits 1984 eine im vergangenen Jahr erneut edierte "Sozialgeschichte des Todes" herausgegeben hat, diesen Reichsstaat als einen siechen zwangsläufig dem Tod geweihten Staat sieht, wird die Lektüre des zweiten Bandes zeigen.
WOLFGANG BURGDORF
Joachim Whaley: "Germany and the Holy Roman Empire". Volume I: MaximilianI to the Peace of Westphalia 1493-1648.
Oxford University Press, Oxford 2012. 722 S., geb., 82,95 [Euro].
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