49,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

»Jenseits des Ichs des Künstlers erstreckt sich eine schwere, dunkle, aber reale Welt. Man darf nicht aufhören zu glauben, dass wir diese Welt in Worte fassen, ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen können.« Zbigniew Herbert hat Lyrik nie als bloße Wortkunst verstanden. Von der »nackten Poesie«, den kargen Versen des Debütbandes Lichtsaite (1956), bis zum Bericht über eine belagerte Stadt (1983) spricht er von der Zerbrechlichkeit des Menschen und der Übermacht einer gewaltverfallenen Geschichte. Doch nicht die Klage bestimmt den Ton, denn Herbert verfügt über eine Vielzahl von Tonlagen und…mehr

Produktbeschreibung
»Jenseits des Ichs des Künstlers erstreckt sich eine schwere, dunkle, aber reale Welt. Man darf nicht aufhören zu glauben, dass wir diese Welt in Worte fassen, ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen können.« Zbigniew Herbert hat Lyrik nie als bloße Wortkunst verstanden. Von der »nackten Poesie«, den kargen Versen des Debütbandes Lichtsaite (1956), bis zum Bericht über eine belagerte Stadt (1983) spricht er von der Zerbrechlichkeit des Menschen und der Übermacht einer gewaltverfallenen Geschichte. Doch nicht die Klage bestimmt den Ton, denn Herbert verfügt über eine Vielzahl von Tonlagen und Formen, vom ironischen Epigramm bis zum erzählenden Poem. Unter den Gestalten, die in seinen Rollengedichten auftreten, ist auch »Herr Cogito«, ein Verwandter von Valérys »Monsieur Teste«, der sich auf die Kunst versteht, Schmerz und Ratio miteinander zu verschmelzen. Hermes, Hund und Stern, Studium des Gegenstandes, Inschrift und weitere sechs Gedichtsammlungen, die Zbigniew Herbert zwischen 1956 und 1998 veröffentlicht hat, erscheinen hier erstmals vollständig und in ihrer ursprünglichen Gestalt und Reihenfolge. Mehr als hundert Gedichte wurden noch nie ins Deutsche übersetzt. Ein neuer Flügel im Museum der modernen Poesie ist eröffnet.
Autorenporträt
Zbigniew Herbert, geboren 1924 in Lemberg, erlebte als Schüler die sowjetische, dann die deutsche Okkupation und schloss sich 1943 dem polnischen Widerstand an. Seit 1956 veröffentlichte er Gedichte und Essays. Jahrelang bereiste er Italien, Frankreich und Griechenland. Herbert, der 1998 in Warschau starb, zählt zu den großen europäischen Dichtern des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2016

Eine Antwort geben auf die Einflüsterungen der Angst
Dichten unter der Cogito-Maske: Das Gesamtwerk des großen polnischen Lyrikers Zbigniew Herbert liegt nun in einer vorzüglichen Edition auch auf deutsch vor

In einem späten Gedicht schreibt Zbigniew Herbert über "das Buch": "Dieses Buch mahnt mich sanft es erlaubt mir nicht /schnell zu laufen im Takt der rollenden Phrase / es heißt mich zum Anfang zurückkehren immer von neuem beginnen." Ein solches Buch hat man mit Herberts "Gesammelten Gedichten" vor sich. Es ist ein wahrhaft bedeutendes Buch, die deutsche Version eines großen Lebenswerks. Es umfasst fast 700 Seiten mit 402 Gedichten, die von fünf namhaften Übersetzern übertragen wurden. Aus ihnen spricht die deutsche Stimme eines Dichters, dessen Traum ein anonymes Schaffen war und der dennoch die Versuchung des Ruhms kannte. Auch wenn er seinem Herrn Cogito eines seiner Bücher überließ, stand doch immer der Name Zbigniew Herbert auf dem Cover. Auf dem dicken Block des Sammelbandes zündet er sich eine Zigarette an - die anachronistische Geste des alten Meisters, der Herbert geworden war.

Die polnische Ausgabe der Gedichte erschien 2008, zehn Jahre nach Herberts Tod. Der Lyriker Ryszard Krynicki, der sie besorgte, hat nun auch die deutsche Edition herausgegeben. Sie enthält die Texte des lyrischen Werks vollständig und in ursprünglicher Reihenfolge, darunter 144 Gedichte, die noch nicht auf Deutsch vorlagen, vor allem frühe Gedichte in der Übersetzung Renate Schmidgalls.

Man muss das erwähnen, weil sich erweist, dass die deutschen Leser bislang oft unvollständige oder redigierte Bände in Händen hatten. Der hochverdiente Karl Dedecius etwa hatte als Übersetzer eigenen gestalterischen Ehrgeiz. So wählte er aus "Herr Cogito" fünfzig Gedichte aus und ordnete sie in Zehnergruppen an: "als Bauwerk (wie er dem Dichter schrieb), das sich symmetrisch auf die zehn Säulen der musischen und der philosophischen Weisheit stützt". Das war gut gemeint, nur Herberts Bauwerk war es nicht. Ähnlich folgte Dedecius seiner Zahlensymbolik bei der Sammlung "Inschrift", die Herbert in Deutschland berühmt machte. Andererseits konnte der polnische Leser manche Gedichte, die Herbert in keines seiner Bücher aufnahm, nur in deutscher Übersetzung lesen. Mit den beiden Ausgaben Ryszard Krynickis gibt es nun endlich ein verlässliches Corpus für beide Sprachen.

Die Musen waren dem Dichter zeitlebens günstig. Herbert war ein so passionierter wie verlässlicher Dichter, doch publizierte er nie um jeden Preis. 1924 in Lemberg als Sohn eines Bankiers geboren, war der junge Herbert im Krieg im antifaschistischen Untergrund aktiv. Seit seiner Jugend schrieb er Gedichte. In der Stalinzeit veröffentlichte er nichts, weil er keine Kompromisse eingehen wollte. Im Tauwetter von 1956 aber war Herbert - wie dem Haupt Apolls entsprungen - die große literarische Entdeckung. Seine ersten drei Bände erschienen in rascher Folge: "Lichtsaite" (1956), "Hermes, Hund und Stern" (1957) und "Studium des Gegenstands" (1961). Die polnische Kritik rühmte Herberts "Poetik der ausgewogenen Waagschalen" und nannte den Dichter den Klassiker unter den jungen Poeten.

Herberts Ruhm überschritt sehr bald die Grenzen seines Heimatlands. Der eben Vierzigjährige erhielt 1965 als Erster den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur. Karl Dedecius brachte 1964 eine deutsche Auswahl seiner Gedichte, und Walter Höllerer gewann Herbert und seinen Landsmann Tadeusz Rózewic für seine internationale Lesereihe "Ein Gedicht und sein Autor." Damals, im Berliner Winter 1966/67, gab Herbert erstmals Auskunft über seine poetischen Intentionen. Er fand die bloße Wortkunst langweilig und schlug den Lyrikern vor, sich in der Welt umzusehen. Aus der Philosophie könne man lernen, einen Gedankenprozess zu offenbaren, und der Künstler müsse sich in seinem Schaffen verstecken wie der Schöpfer in der Natur. Maximen, die für Herbert wichtig blieben.

Die wichtigste Frucht seiner Poetik war die Erfindung des Herrn Cogito, einer Persona, die bereits in einem Notizbuch von 1962 auftaucht: "Herr Cogito - ein Gedichtzyklus über die Abenteuer des Bewusstseins". Diesem Alter Ego widmete Herbert 1974 einen Band und ließ ihn bis zuletzt in seiner Lyrik auftreten. Herr Cogito, dem Denken Descartes' entsprungen, ist ein Geschöpf eigenen Rechts. Er ist Skeptiker und Moralist, ein Melancholiker, der beten kann. Anders als Valérys Monsieur Teste darf Herr Cogito sich um den Zustand der Welt bekümmern.

Unter der Cogito-Maske konnte Herbert die Probleme mit dem Vaterland abhandeln. Herbert, der Reisende und Reisebuch-Schreiber, war von dem Emigranten Herbert kaum zu unterscheiden. Er widerstand der Macht, indem er auf den Wechsel der Tauwetter und Kältewellen reagierte. Er hatte Stipendien in Griechenland und West-Berlin, lehrte in Los Angeles und lebte in Paris. 1981 kehrte er mit seiner Frau Kasia nach Polen zurück.

Eines der späteren Cogito-Gedichte beginnt so: "Herr Cogito / beschloss die Heimkehr / auf den steinernen Schoß / des Vaterlandes." Am Schluss heißt es quasi prophetisch: "Vielleicht kehrt Herr Cogito heim / um Antwort zu geben // auf die Einflüsterungen der Angst / auf ein unmögliches Glück / einen unerwarteten Hieb / eine tückische Frage." Dieses Gedicht findet sich in dem Band "Bericht aus einer belagerten Stadt und andere Gedichte" (1983). Er musste, wegen des polnischen Kriegsrechts, in einem Pariser Exil-Verlag erscheinen. Herbert spricht hier aus der Perspektive dessen, der zu alt ist, "um Waffen zu tragen zu kämpfen wie die andern", und dem man "gnadenhalber den minderen Part des Chronisten" bestimmte. Doch eben der mindere Part ermöglicht eine Perspektive, in der die Wahrheit sichtbar wird. Sie erscheint als die Grunderfahrung der polnischen Geschichte: "die Belagerung dauert lange die Feinde lösen einander ab / nichts verbindet sie außer dem Trachten nach unsrem Untergang." Wie aktuell! Auch aktuell, ja zeitlos möchte man den Schluss des Gedichts nennen: "und nur unsre Träume sind nicht gedemütigt worden." Der zurückgekehrte Dichter, damals ein Mann von Anfang sechzig, hatte sein Alterswerk noch vor sich, die Bände "Elegie auf den Fortgang" (1990), "Rovigo" (1992) und - in seinem Todesjahr - "Gewitter Epilog". Schon früher hatte er geschrieben: "Ich rufe euch Alte Meister"/ macht mich ertauben / für die Versuchung des Ruhms." Nun war er selbst ein alter Meister, und der Ruhm hatte ihn längst ereilt - wenn auch nicht der Nobelpreis. Die Kollegin Wislawa Szymborska erhielt ihn 1996, zwei Jahre vor Herberts Tod. Im Frühjahr 1998 litt Herbert einige Wochen unter dem Verlust seines Sprechvermögens, doch Anfang Mai kam ihm wundersamerweise noch einmal die Sprache zurück.

In seinen letzten Jahren schrieb der Autor noch einige Gedichte, die nicht mehr zur Publikation bestimmt waren. Sie stehen in dieser Edition am Schluss des Bandes. In ihnen waltet eine Frömmigkeit, die sich in alltäglichen Paradoxen ausspricht, im Kleinkram, in täglichen Problemen, zum Beispiel im Lob der Schlaflosigkeit. Herbert kommt in diesen Texten nun ohne Cogito aus, wenn er dem Herrn für das Wunder der Schlaflosigkeit dankt, "ohne dass ich den Schlaf der Gerechten schliefe". Im Nachwort dieses schönen Bandes lenkt Michael Krüger, der den Dichter seit 1968 kannte, den Blick auf den Menschen Herbert, auf dessen unverkrampfte Herzlichkeit und Höflichkeit: "Mit anderen Worten, er war nicht zu übersehen und hat alle, die in seine Nähe kamen, mit seiner Aura bezaubert."

HARALD HARTUNG

Zbigniew Herbert: "Gesammelte Gedichte".

Hrsg. von Ryszard Krynicki. Mit einem Nachwort von Michael Krüger. Aus dem Polnischen von Henryk Bereska, Karl Dedecius, Renate Schmidgall, Klaus Staemmler und Oskar Jan Tauschinsky.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 678 S., geb., 49,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Zbigniew Herberts Gedichte haben nichts eingebüßt von ihrer Gedankenklarheit und Grazie, ihrer Anschauungskraft und ihrer Menschen- und Weltzugewandtheit.« Peter Hamm DIE ZEIT 20170412