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H.C. Artmann ist mit großem Abstand der Allergrößte. Sven Regener Der Zauber wirkt noch immer unvermindert und nirgends stärker und überraschender und facettenreicher als in H. C. Artmanns Prosa. 1600 Seiten, und in jeder Zeile der sprühende Geist, der immense Reichtum an Formen und Einfällen, die subtile Komik einer Ausnahmeerscheinung der österreichischen Literatur. Es gibt nur wenige Wunder auf dieser Welt: H. C. Artmann ist eines davon.

Produktbeschreibung
H.C. Artmann ist mit großem Abstand der Allergrößte. Sven Regener Der Zauber wirkt noch immer unvermindert und nirgends stärker und überraschender und facettenreicher als in H. C. Artmanns Prosa. 1600 Seiten, und in jeder Zeile der sprühende Geist, der immense Reichtum an Formen und Einfällen, die subtile Komik einer Ausnahmeerscheinung der österreichischen Literatur. Es gibt nur wenige Wunder auf dieser Welt: H. C. Artmann ist eines davon.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997

Glitzernd schöner Stern der frühen Jahre
H. C. Artmanns Werke Von Rolf Vollmann

Artmann war für die meisten von uns ein glitzernd schöner Stern über den frühen Jahren, und fast alle Jahre seither hat jeder Satz von ihm, wenn er wieder zu uns gelangte, in jenen Sternschein zurück unserem Gefühl eine Bahn eröffnet, eine Bahn, die wir ohne jenen Satz verloren geglaubt hätten, vergessen samt dem Schein über jenen früheren Jahren. Aber ein Satz von ihm wieder, sagen wir: "während der pausen rauchen die lehrer filterzigaretten und denken sich noten aus", von 1967, und jetzt auch der Herausgeber Klaus Reichert rühmt dieses "Fleiß und Industrie" als eine der besten Sachen Artmanns - ein solcher Satz also nur: Und wir alle, glaube ich, sehen, mit Augen wie von Zauberhand aufgetan, wieder jene vor uns, die wir damals waren, wir und die anderen, und freuen uns unserer sogar, ob wir wollen oder nicht.

In solchen Artmannschen Sätzen, und es gibt Hunderte, ja man möchte sagen: Tausende, unendlich viele davon, die ganze Welt schien ein einziger rieselnd schöner Sommerschneefall solcher Sätze zu sein, in denen sie endlich einmal eingestand, wie einfach sie im Grunde war - in solchen Artmannschen Sätzen, und über eine Wurlitzer-Orgel konnte er ähnliche Sätze machen, oder ganze Szenen aus solchen Sätzen über die Frau seines Hauptmanns, mit der zu schlafen sich einer dann doch zufriedengibt, obwohl ihm die Fee erst noch viel lieber gewesen war, aber sie sagt dann, sei doch vernünftig - in solchen Sätzen war alles dorthin gerückt, wo es am charmantesten, am bezauberndsten, am belebtesten wirkte, wenn wir nun, jeder für sich, wie wir dachten, loszogen wohin auch immer. Es war aber so, daß wir inmitten dieser lustig möblierten Sprachwelt uns eigentlich gar nicht bewegten, außer dann eben später, als wir sie vergaßen. Damals, in unseren fröhlichen Zeiten, hätten wir, das war ja das Schöne, zehn solche Sätze selber jede Minute machen können, die wir zusammen waren, und ich glaube, wir haben sie auch gemacht, wie bald dann oder fast zur gleichen Zeit Sätze Arno Schmidts; das tat aber den Artmannschen Sätzen, wie dann den Schmidtschen, gar keinen Abbruch; sie hatten die Noten erfunden, wir sangen nur.

"ein zug um die lippen, ein zug um die augen, ein zug der zeit: etwas zog eben durch mich hindurch, es schien mir wie ein rieseln angenehmer erinnerung, wie die antwort auf eine unvorherbesprochene frage" - das ist eine von ungefähr zweihundert Prosaminiaturen, die Artmann allerjüngst, 1994, veröffentlicht hat: Der Ton ist unverkennbar, diese gleiche Nähe zu Kalauer und Träumerei, und dieses wie ungewollte Durchlässigwerden der Sprache für einen tieferen Sinn, den man aber ruhig auch belachen darf - ein bißchen zu kleiner Münze gemachter Kafka war bei dieser Generation auch dabei, bei beiden Generationen, der, die schrieb, der, die das las, sonst hätte das alles nicht funktioniert. Und anders nun als jenes Aperçu aus den siebziger Jahren, über die Lehrer, erinnert uns dieses Sätzlein von zwanzig Jahren später zwar auch an das, was wir waren damals, als dergleichen Sprache sich erfand, es erinnert uns aber eben zugleich an diese seither verflossenen zwanzig Jahre, und doch eben, das ist es ja, im selben Ton: Und zieht uns also durch die zwanzig Jahre und im Grunde mindestens noch einmal zehn oder fünfzehn Jahre zurück, eben ins Damals, als auch wir das alle sangen, singen konnten und mochten.

Und es ist gerade, als legte der alternde Artmann, wenn er so wundervoll den geraden Weg in die ewige Jugend geht, zurück in unser Herz, sich selber immer wieder die Rute aus mit dem süßen Seim und Leim der Tage von einst. Reichert sagt, Artmann habe sich immer gewandelt. Ja, gewandelt schon: nämlich so, wie einer das Glas immerzu wieder verstellen muß, wenn er, sich weiter und weiter entfernend von wo er herkommt, eben dies doch ewig in gleichbleibender Farbe sehn können will. Reichert geht ihm da in freundschaftlichster Unbefangenheit auf den süßen Leim, und wir fragen uns, sollen wir mit?

Natürlich weiß keiner, was er verraten darf von dem, was er einmal war, wenn er dann älter wird. Das ist ein großes Thema: Wie vergißt man am wenigstens das, was man einst hätte werden können. Immer ist dann das endliche Zusichkommen der sozusagen ohne Bewußtsein langsam erwachsen Gewordenen und jetzt Erwachsenen mit einem grausamen Schreck über den Verrat verbunden, den sie irgendwann einmal verübt haben müssen, wenn sie jetzt sehen, was sie alles nicht mitgenommen haben. Verraten werden mußte wohl; nur eben: was? Und was nicht? Und es hat nun etwas so Schönes, wenn wir mit einem Male zurücksehn dürfen ohne den Schmerz, zurücksehn dürfen nicht auf das, was wir damals hätten werden können, sondern bloß auf das, was wir damals rein waren, in dieser Lust, nun loszuziehn. Schmerzlos versetzen uns Artmanns Texte zurück, der Verrat liegt dazwischen, er ist uns vergessen, wir vergessen ihn uns, und wenn wir wollen, überkommt uns ganz wieder die kindliche Heiterkeit der alten gemeinsamen Tage. Wir müssen nun bloß noch wollen. Artmann ist da, ewig der Alte, der Junge.

Zu den vier Bänden: Die ersten drei sind identisch mit jenen, die Klaus Reichert im Jahre 1979 schon vorgelegt hat. Reichert hat für den neuen vierten Band auch jenes Nachwort übernommen, das er damals dem dritten Band beigegeben hatte unter dem Titel "Poetik des Einfalls. Zur Prosa Artmanns". Sicher ist das nicht ganz unproblematisch, denn gerade diese zwanzig Jahre zwischen 1979 und jetzt könnten ja entscheidend sein für unser Verhältnis zu Artmann, zu dem, was er uns bedeutet. Der jetzt dazugekommene vierte Band der Artmannschen Prosa, Anlaß des ganzen damit ergänzten Neudrucks, enthält kleinere Texte und selbständige Veröffentlichungen aus den Jahren 1978 und 1996, dazu kommen knapp fünfzig Seiten mit Ergänzungen zu früheren Sammlungen und älteren Veröffentlichungen, besonders schön darin aus dem Umkreis der "Wanderungen" "eine Erzählung über mich".

H. C. Artmann: "Gesammelte Prosa". Band I bis IV. Herausgegeben von Klaus Reichert. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1997. Zus. 1597 S., geb., 128,- DM.

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