Walter Eucken (1891-1950) war einer der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Er begründete den Ordoliberalismus, eine neue Form des Liberalismus. Euckens Idee zufolge sollte der Staat mit einem starken Ordnungsrahmen dafür sorgen, dass in der Wirtschaft ein freier und fairer Wettbewerb stattfinden kann, den wirtschaftliche Machtkörper wie Kartelle und Monopole nicht zu ihren Gunsten aushebeln können. Die ausgewählten Briefe der Jahre 1907 bis 1932 werfen nicht nur ein erhellendes Licht auf viele bislang unbekannte Momente seiner Biographie und wichtige persönliche sowie wissenschaftliche Beziehungen. Sie belegen auch auf eindrucksvolle Weise, dass die Entwicklung der wissenschaftlichen Ansichten Euckens sowohl das Ergebnis einer gründlichen Auseinandersetzung mit den wirtschaftswissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Positionen seiner Zeit als auch einer tiefgehenden Analyse der jeweils aktuellen wirtschaftspolitischen Probleme war. Für den Zeitraum, den dieBriefe dieses Bandes abdecken, betrifft das die weltanschauliche Orientierungskrise nach dem Ersten Weltkrieg, die Sozialisierungsbestrebungen nach der Novemberrevolution, die Hyperinflation und die Währungsreform Ende 1923, das Reparationsproblem, die Kartell- und Zollfrage, den Kapitalmangel sowie die nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 akut werdenden sozialpolitischen Herausforderungen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Der erste Schritt zur Wiederentdeckung des Ökonomen Walter Eucken ist mit dieser Briefausgabe getan, freut sich Rezensent Gerald Braunberger. Auch wenn Eucken schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verstorben ist, kann Braunberger noch eine Menge aus dessen klugen Gedanken lernen: Von der Wirtschaftspolitik von Zentralbanken und vom Freihandel in der Weimarer Republik liest er ebenso gespannt wie die Passagen, die ein Licht auf die Persönlichkeit des Wirtschaftswissenschaftlers werfen, der so manches harte Urteil über Kollegen fällt, sich aber auch immer wieder verletzlich zeigt. Auch die sorgfältige Editionsarbeit fördert eine aufschlussreiche Lektüre, die der Kritiker in weiteren Bänden der Werkausgabe gerne fortsetzen möchte.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2023Der junge Eucken
Endlich kommt eine Werkausgabe
Seit Jahren, ja eigentlich seit Jahrzehnten, gab es Bestrebungen, das Werk Walter Euckens (1891 bis 1950) in gesammelter und aufbereiteter Form einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es hat lange gedauert, aber nun ist es so weit. Die mit Unterstützung des Eucken-Instituts, der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft sowie der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena vorbereitete Werkausgabe wird Monographien, kleinere Schriften sowie Briefe und Tagebücher enthalten.
Da Walter Eucken vor nahezu einem Dreivierteljahrhundert verstorben ist und der von ihm stark geprägte Ordoliberalismus zweifellos in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland ein größeres Echo fand als heute, darf die Frage gestellt werden: Was vermag uns Eucken heute noch zu sagen? Im ersten Band der Edition mit Briefen aus den Jahren 1907 bis 1932 findet sich an mehreren Stellen eine gerade für Skeptiker vielleicht überraschende Antwort.
So macht Eucken in Schreiben an den ihm nahestehenden Ökonomen Alexander Rüstow aus seiner regelrechten Verachtung des damaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht ("Also weg mit dem Schädling") keinerlei Hehl. Aus Schachts Einmischung in die Frage der Reparationen und der Auslandskredite nach 1924 zog Eucken drastische Schlüsse für die Verfassung einer Zentralbank: Im Falle einer staatlichen Zentralbank plädierte er dafür, sie der Regierung zu unterstellen, weil es nicht angehe, dass eine unabhängige Zentralbank neben einer gewählten Regierung eine Art Nebenwirtschaftspolitik betreibe.
Man könne zwar darüber streiten, ob eine solche Unterstellung praktisch sei, aber aus grundsätzlichen Gründen sei es unmöglich, wenn eine unabhängige staatliche Zentralbank Wirtschaftspolitik betreibe, betonte Eucken. In diesen Passagen klingen aktuelle Debatten über die demokratietheoretische Fundierung unabhängiger Zentralbanken an, die jenseits ihres gesetzlichen Auftrags der Währungssicherung in andere Politikbereiche vorstoßen.
An moderne Debatten über die Globalisierung erinnern Äußerungen Euckens zu Freihandelsfragen in der Spätphase der Weimarer Republik. Damals propagierten der nationalen Rechten nahestehende Ökonomen und Journalisten eine protektionistische Wirtschaftspolitik, die in Einzelfällen bis zu Autarkiegedanken reichte. Demgegenüber befürworteten andere Ökonomen ein Festhalten am Freihandel, den sie allerdings mit nationalen Spielräumen für Sozial-, Struktur- und Arbeitsmarktpolitik kombinieren wollten. Das entspricht in etwa der Position die in unserer Zeit ein Ökonom wie Dani Rodrik vertritt und die in vielen Ländern Beifall von Regierungen erhält.
Eucken war über diese Position geradezu entsetzt. Freihandel nach außen könne nicht mit einer regulierenden Sozial- und Strukturpolitik kombiniert werden. Sie nehme der Wirtschaft die notwendige Flexibilität, um auf Herausforderungen im internationalen Wettbewerb rasch und wirkungsvoll zu reagieren, betonte er. Auch wer damalige Übertreibungen wie Euckens Überzeugung, die Arbeitslosenversicherung sei ein wirksames Instrument zur Verelendung der Arbeiterschaft, ablehnt, benötigt auch heute eine Antwort auf die Frage: Wie viel strukturelle Verhärtungen kann sich eine in die internationale Arbeitsteilung eingebundene Volkswirtschaft leisten?
Über die Persönlichkeit des Ökonomen vermitteln die Briefe ebenfalls Interessantes. Als Sohn des Philosophen und Literatur-Nobelpreisträgers Rudolf Eucken (1846 bis 1926) war Walter Eucken auch mit der Bewahrung des geistigen Erbes seines Vaters befasst. Von der deutschen Volkswirtschaftslehre seiner Zeit ("teils Sinnhuberei, teils Stoffhuberei") hielt der junge Eucken nicht viel. Die Zeit der Historischen Schule, die er in seiner Jugend kennengelernt hatte, war abgelaufen: "Mit den Alten ist wenig anzufangen." Doch die eher theoretisch ausgerichteten Ökonomen der nachwachsenden Generation, zu der er sich zählte, taten sich nicht leicht, im Verein für Socialpolitik oder in Fachzeitschriften Gehör zu finden. Über Kollegen konnte Eucken vernichtende Urteile fällen: Der damals allerdings noch sehr junge Wilhelm Röpke, sei "eigentlich eine Journalistennatur, kein Gelehrter", denn Röpke bleibe "doch im Ganzen an der Oberfläche". Bernhard Harms, immerhin Gründer des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, sei "völlig unfähig, auch nur den bescheidensten theoretischen Gedanken zu verstehen".
Eine Mischung aus Überheblichkeit und Unsicherheit drücken Briefe an seine Frau Edith aus dem Jahre 1928 aus: "Je länger ich Professor bin, umso unnötiger und gleichgültiger erscheint mir die Lehrtätigkeit. Redet man populär, verstehen einen die Leute, aber es hat keinen Zweck. Redet man schwer und geht wirklich an die Probleme heran, dann versteht einen kein Mensch." Nur forschen wollte Eucken, aber das Schreiben fiel schwer: "Ich sitze Stunden um Stunden, formuliere einige Sätze und dann endlich habe ich eine adäquate Form, die aber noch keineswegs voll befriedigt. Du wirst verstehen, dass das eine schlimme Hemmung ist, mich auszudrücken. Sicher hätte ich schon viel mehr produziert, wenn diese Schwierigkeit nicht bestünde."
Uwe Dathe hat für das ansprechend editierte Buch eine sehr gelungene Einleitung verfasst. Diese Werkausgabe hat das Zeug zu einem großen Wurf. GERALD BRAUNBERGER
Walter Eucken: Briefe 1907-1932. Herausgegeben von Uwe Dathe und Walter Oswalt. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, 494 Seiten, 119 Euro.
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Endlich kommt eine Werkausgabe
Seit Jahren, ja eigentlich seit Jahrzehnten, gab es Bestrebungen, das Werk Walter Euckens (1891 bis 1950) in gesammelter und aufbereiteter Form einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es hat lange gedauert, aber nun ist es so weit. Die mit Unterstützung des Eucken-Instituts, der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft sowie der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena vorbereitete Werkausgabe wird Monographien, kleinere Schriften sowie Briefe und Tagebücher enthalten.
Da Walter Eucken vor nahezu einem Dreivierteljahrhundert verstorben ist und der von ihm stark geprägte Ordoliberalismus zweifellos in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland ein größeres Echo fand als heute, darf die Frage gestellt werden: Was vermag uns Eucken heute noch zu sagen? Im ersten Band der Edition mit Briefen aus den Jahren 1907 bis 1932 findet sich an mehreren Stellen eine gerade für Skeptiker vielleicht überraschende Antwort.
So macht Eucken in Schreiben an den ihm nahestehenden Ökonomen Alexander Rüstow aus seiner regelrechten Verachtung des damaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht ("Also weg mit dem Schädling") keinerlei Hehl. Aus Schachts Einmischung in die Frage der Reparationen und der Auslandskredite nach 1924 zog Eucken drastische Schlüsse für die Verfassung einer Zentralbank: Im Falle einer staatlichen Zentralbank plädierte er dafür, sie der Regierung zu unterstellen, weil es nicht angehe, dass eine unabhängige Zentralbank neben einer gewählten Regierung eine Art Nebenwirtschaftspolitik betreibe.
Man könne zwar darüber streiten, ob eine solche Unterstellung praktisch sei, aber aus grundsätzlichen Gründen sei es unmöglich, wenn eine unabhängige staatliche Zentralbank Wirtschaftspolitik betreibe, betonte Eucken. In diesen Passagen klingen aktuelle Debatten über die demokratietheoretische Fundierung unabhängiger Zentralbanken an, die jenseits ihres gesetzlichen Auftrags der Währungssicherung in andere Politikbereiche vorstoßen.
An moderne Debatten über die Globalisierung erinnern Äußerungen Euckens zu Freihandelsfragen in der Spätphase der Weimarer Republik. Damals propagierten der nationalen Rechten nahestehende Ökonomen und Journalisten eine protektionistische Wirtschaftspolitik, die in Einzelfällen bis zu Autarkiegedanken reichte. Demgegenüber befürworteten andere Ökonomen ein Festhalten am Freihandel, den sie allerdings mit nationalen Spielräumen für Sozial-, Struktur- und Arbeitsmarktpolitik kombinieren wollten. Das entspricht in etwa der Position die in unserer Zeit ein Ökonom wie Dani Rodrik vertritt und die in vielen Ländern Beifall von Regierungen erhält.
Eucken war über diese Position geradezu entsetzt. Freihandel nach außen könne nicht mit einer regulierenden Sozial- und Strukturpolitik kombiniert werden. Sie nehme der Wirtschaft die notwendige Flexibilität, um auf Herausforderungen im internationalen Wettbewerb rasch und wirkungsvoll zu reagieren, betonte er. Auch wer damalige Übertreibungen wie Euckens Überzeugung, die Arbeitslosenversicherung sei ein wirksames Instrument zur Verelendung der Arbeiterschaft, ablehnt, benötigt auch heute eine Antwort auf die Frage: Wie viel strukturelle Verhärtungen kann sich eine in die internationale Arbeitsteilung eingebundene Volkswirtschaft leisten?
Über die Persönlichkeit des Ökonomen vermitteln die Briefe ebenfalls Interessantes. Als Sohn des Philosophen und Literatur-Nobelpreisträgers Rudolf Eucken (1846 bis 1926) war Walter Eucken auch mit der Bewahrung des geistigen Erbes seines Vaters befasst. Von der deutschen Volkswirtschaftslehre seiner Zeit ("teils Sinnhuberei, teils Stoffhuberei") hielt der junge Eucken nicht viel. Die Zeit der Historischen Schule, die er in seiner Jugend kennengelernt hatte, war abgelaufen: "Mit den Alten ist wenig anzufangen." Doch die eher theoretisch ausgerichteten Ökonomen der nachwachsenden Generation, zu der er sich zählte, taten sich nicht leicht, im Verein für Socialpolitik oder in Fachzeitschriften Gehör zu finden. Über Kollegen konnte Eucken vernichtende Urteile fällen: Der damals allerdings noch sehr junge Wilhelm Röpke, sei "eigentlich eine Journalistennatur, kein Gelehrter", denn Röpke bleibe "doch im Ganzen an der Oberfläche". Bernhard Harms, immerhin Gründer des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, sei "völlig unfähig, auch nur den bescheidensten theoretischen Gedanken zu verstehen".
Eine Mischung aus Überheblichkeit und Unsicherheit drücken Briefe an seine Frau Edith aus dem Jahre 1928 aus: "Je länger ich Professor bin, umso unnötiger und gleichgültiger erscheint mir die Lehrtätigkeit. Redet man populär, verstehen einen die Leute, aber es hat keinen Zweck. Redet man schwer und geht wirklich an die Probleme heran, dann versteht einen kein Mensch." Nur forschen wollte Eucken, aber das Schreiben fiel schwer: "Ich sitze Stunden um Stunden, formuliere einige Sätze und dann endlich habe ich eine adäquate Form, die aber noch keineswegs voll befriedigt. Du wirst verstehen, dass das eine schlimme Hemmung ist, mich auszudrücken. Sicher hätte ich schon viel mehr produziert, wenn diese Schwierigkeit nicht bestünde."
Uwe Dathe hat für das ansprechend editierte Buch eine sehr gelungene Einleitung verfasst. Diese Werkausgabe hat das Zeug zu einem großen Wurf. GERALD BRAUNBERGER
Walter Eucken: Briefe 1907-1932. Herausgegeben von Uwe Dathe und Walter Oswalt. Mohr Siebeck, Tübingen 2023, 494 Seiten, 119 Euro.
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