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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.1999Zwischen Brotarbeit und Musenkuss
Walter Benjamin, übersetzend Von Gert Mattenklott
Die Übersetzungen ins Deutsche durch jüdische Autoren deutscher Sprache sind im ersten Drittel dieses Jahrhunderts durch steil formulierte Programme umstellt. Ein Grund für ihre anspruchsvolle Exzentrik ist, dass der neu erwachte Antisemitismus dazu nötigt, Übersetzungen ins Deutsche nicht nur pragmatisch zu begründen, sondern allererst zu rechtfertigen. Für einen Juden gibt es aber zu dieser Zeit kein Argument, das dafür sprechen könnte, irgendeine europäische Sprache als Zielsprache besonders hervorzuheben. Zwischen der alltäglichen Situation, als freier Mitarbeiter von Verlagen durch Übersetzungen ein Zubrot verdienen, und den zeitgenössischen Theorien des Übersetzens klafft deshalb ein Abgrund. Während der Alltag dazu nötigt, im Auftrag eines beliebigen Verlegers Brotarbeit zu verrichten, verlangt zumindest die Selbstachtung, wenn nicht auch die kulturphilosophische Strategie, nach einer Begründung sub specie aeternitatis.
Bei Gustav Landauer und Fritz Mauthner, Eugen Rosenstock-Huessy und Franz Rosenzweig, Martin Buber und Walter Benjamin ist deshalb die Zielsprache nicht irgendein nationales Idiom, sondern ein säkulares Äquivalent der Sprache Gottes, ein innerweltlich transzendentes Esperanto jenseits von Staatsvolk, Staatsraum und Nationalsprache. "Übersetzbarkeit eignet gewissen Werken wesentlich" hat in diesem Sinn Walter Benjamin in einem frühen Aufsatz von 1921 über "Die Aufgabe des Übersetzers" behauptet, den er seinen eigenen Baudelaire-Übertragungen vorangestellt sehen wollte. Die Verwandtschaft der Sprachen bekunde sich in ihrer Übersetzbarkeit. Sprache in einem emphatischen Sinn ist "reine Sprache", "Sprache der Wahrheit oder der Lehre". Martin Buber und Franz Rosenzweig überbieten diese kryptotheologische Erwartung, als sie seit 1925 mit Aufsätzen und Artikeln an die Öffentlichkeit treten, um eine Neuübersetzung der Heiligen Schriften ins Deutsche zu begründen. Nicht die Übersetzung vom Hebräischen oder Lateinischen ins Deutsche steht hier mehr im Zentrum, sondern eine angemessene Übertragung der vermeintlich "lebendigen" Sprache des atmenden Wortes, die in den bisherigen (schriftlichen) Fixierungen um ihren Geist und ihre Wahrheit gebracht worden sei. "Alles Wort ist gesprochenes Wort. Das Buch steht ursprünglich nur in seinem, des gelauteten, gesungenen, gesprochenen, Dienst; so wie noch heute beim theaterlebendigen Drama oder gar bei der Oper."
Während hier also alles darauf gerichtet ist, den lebendigen Atem durch die Bleiwüsten des verschriftlichten Textes zu retten - völlig indifferent gegenüber der Übertragung von einer Sprache in die andere -, handelt es sich im Alltag darum, Tristan Tzara und D'Annunzio, Aragon und Léon Bloy Adrienne Monnier, Saint-John Perse, Balzac und Jouhandeau für ein bescheidenes Honorar vom Französischen ins Deutsche zu übersetzen. Proust und Baudelaire, früher in dieser Ausgabe erschienen, sind Sonderfälle, dem Autor in jeder Hinsicht besonders nahe. Im Übrigen aber gehören Benjamins Verdeutschungen zum problematischsten Teil seines Werks. Sie lassen die Probe aufs Exempel seiner so anspruchsvollen Theorie erwarten und sind damit doch bis auf Ausnahmen völlig überfordert. Kaum einen der entsprechenden Aufträge hat er selbst initiiert, so wie auch seine kritischen Arbeiten selten durch eigene Wahl des Autors oder Werks bestimmt sind. Das ist, wie sonst, so auch hier nicht immer nachteilig. Immerhin gibt es nun eine Übertragung von "Anabase" des Saint-John Perse durch Walter Benjamin, die dieser - eine "kuriose französische Dichtung" - ausgesprochen abschätzig qualifiziert: "Ich halte das Ding für unbeträchtlich." Rilke hatte den Auftrag weitergegeben, nicht gerade eine Empfehlung für Benjamin.
Fast sämtliche Übersetzungen dieses letzten Bandes der Werksausgabe von Schriften Walter Benjamins gelten der Prosa. Es sind Auftrags- und Gelegenheitsarbeiten und als solche allenfalls für die devote philologische Industrie der Universitäten der Rede wert. Eine Ausnahme in derselben Gattung sind die Verdeutschungen einiger Erzählungen von Jouhandeau, wie der Herausgeber zu Recht bemerkt. Die Übertragungen von Versen Gabriele D'Annunzios ("Alla Divina Eleonora Duse") - dem Herausgeber Rolf Tiedemann ist es ziemlich peinlich, dass das nun ans Licht kommt, so dass er auf die Parallele zu Hofmannsthal hinweist - entbehren nicht einer gewissen Komik: Die Verse des Italieners: "Tale nel cor profondo io vedo e voglio / la beatrice, quando al suo richiamo / risfavilla di me l'ottima parte" übersetzt Benjamin - wohl unfreiwillig - pornografisch: "In meinem Innern steht dies Bild gegründet / der Herrlichen, und ihrer Rede Weihe, / entflammt mein bestes Teil zu neuer Brunst". Einige der Texte sind, wie sogar der zitierte, zweisprachig wiedergegeben.
Der Druck dieser Übersetzungen, mit dem die Ausgabe der "Gesammelten Schriften" nun "definitiv" zum Abschluss kommt, war vielleicht entbehrlich. Immerhin muss sich der Herausgeber nun nicht sagen lassen, er habe manipuliert. Es ist trotzdem schade, dass ein derart bedeutendes OEuvre, das die Kulturwissenschaften des letzten Jahrhundertdrittels wie kein zweites geprägt hat - Benjamin ist derzeit der weltweit meistzitierte Kunstphilosoph -, am Ende dieses Säkulums mit einem derart melancholisch stimmenden Band präsentiert wird.
Walter Benjamin: "Gesammelte Schriften. Kleinere Übersetzungen". Hrsg. von Rolf Tiedemann. Gesammelte Schriften, Supplement L. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999, 457 S., geb., 64,- DM, br., 54,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Walter Benjamin, übersetzend Von Gert Mattenklott
Die Übersetzungen ins Deutsche durch jüdische Autoren deutscher Sprache sind im ersten Drittel dieses Jahrhunderts durch steil formulierte Programme umstellt. Ein Grund für ihre anspruchsvolle Exzentrik ist, dass der neu erwachte Antisemitismus dazu nötigt, Übersetzungen ins Deutsche nicht nur pragmatisch zu begründen, sondern allererst zu rechtfertigen. Für einen Juden gibt es aber zu dieser Zeit kein Argument, das dafür sprechen könnte, irgendeine europäische Sprache als Zielsprache besonders hervorzuheben. Zwischen der alltäglichen Situation, als freier Mitarbeiter von Verlagen durch Übersetzungen ein Zubrot verdienen, und den zeitgenössischen Theorien des Übersetzens klafft deshalb ein Abgrund. Während der Alltag dazu nötigt, im Auftrag eines beliebigen Verlegers Brotarbeit zu verrichten, verlangt zumindest die Selbstachtung, wenn nicht auch die kulturphilosophische Strategie, nach einer Begründung sub specie aeternitatis.
Bei Gustav Landauer und Fritz Mauthner, Eugen Rosenstock-Huessy und Franz Rosenzweig, Martin Buber und Walter Benjamin ist deshalb die Zielsprache nicht irgendein nationales Idiom, sondern ein säkulares Äquivalent der Sprache Gottes, ein innerweltlich transzendentes Esperanto jenseits von Staatsvolk, Staatsraum und Nationalsprache. "Übersetzbarkeit eignet gewissen Werken wesentlich" hat in diesem Sinn Walter Benjamin in einem frühen Aufsatz von 1921 über "Die Aufgabe des Übersetzers" behauptet, den er seinen eigenen Baudelaire-Übertragungen vorangestellt sehen wollte. Die Verwandtschaft der Sprachen bekunde sich in ihrer Übersetzbarkeit. Sprache in einem emphatischen Sinn ist "reine Sprache", "Sprache der Wahrheit oder der Lehre". Martin Buber und Franz Rosenzweig überbieten diese kryptotheologische Erwartung, als sie seit 1925 mit Aufsätzen und Artikeln an die Öffentlichkeit treten, um eine Neuübersetzung der Heiligen Schriften ins Deutsche zu begründen. Nicht die Übersetzung vom Hebräischen oder Lateinischen ins Deutsche steht hier mehr im Zentrum, sondern eine angemessene Übertragung der vermeintlich "lebendigen" Sprache des atmenden Wortes, die in den bisherigen (schriftlichen) Fixierungen um ihren Geist und ihre Wahrheit gebracht worden sei. "Alles Wort ist gesprochenes Wort. Das Buch steht ursprünglich nur in seinem, des gelauteten, gesungenen, gesprochenen, Dienst; so wie noch heute beim theaterlebendigen Drama oder gar bei der Oper."
Während hier also alles darauf gerichtet ist, den lebendigen Atem durch die Bleiwüsten des verschriftlichten Textes zu retten - völlig indifferent gegenüber der Übertragung von einer Sprache in die andere -, handelt es sich im Alltag darum, Tristan Tzara und D'Annunzio, Aragon und Léon Bloy Adrienne Monnier, Saint-John Perse, Balzac und Jouhandeau für ein bescheidenes Honorar vom Französischen ins Deutsche zu übersetzen. Proust und Baudelaire, früher in dieser Ausgabe erschienen, sind Sonderfälle, dem Autor in jeder Hinsicht besonders nahe. Im Übrigen aber gehören Benjamins Verdeutschungen zum problematischsten Teil seines Werks. Sie lassen die Probe aufs Exempel seiner so anspruchsvollen Theorie erwarten und sind damit doch bis auf Ausnahmen völlig überfordert. Kaum einen der entsprechenden Aufträge hat er selbst initiiert, so wie auch seine kritischen Arbeiten selten durch eigene Wahl des Autors oder Werks bestimmt sind. Das ist, wie sonst, so auch hier nicht immer nachteilig. Immerhin gibt es nun eine Übertragung von "Anabase" des Saint-John Perse durch Walter Benjamin, die dieser - eine "kuriose französische Dichtung" - ausgesprochen abschätzig qualifiziert: "Ich halte das Ding für unbeträchtlich." Rilke hatte den Auftrag weitergegeben, nicht gerade eine Empfehlung für Benjamin.
Fast sämtliche Übersetzungen dieses letzten Bandes der Werksausgabe von Schriften Walter Benjamins gelten der Prosa. Es sind Auftrags- und Gelegenheitsarbeiten und als solche allenfalls für die devote philologische Industrie der Universitäten der Rede wert. Eine Ausnahme in derselben Gattung sind die Verdeutschungen einiger Erzählungen von Jouhandeau, wie der Herausgeber zu Recht bemerkt. Die Übertragungen von Versen Gabriele D'Annunzios ("Alla Divina Eleonora Duse") - dem Herausgeber Rolf Tiedemann ist es ziemlich peinlich, dass das nun ans Licht kommt, so dass er auf die Parallele zu Hofmannsthal hinweist - entbehren nicht einer gewissen Komik: Die Verse des Italieners: "Tale nel cor profondo io vedo e voglio / la beatrice, quando al suo richiamo / risfavilla di me l'ottima parte" übersetzt Benjamin - wohl unfreiwillig - pornografisch: "In meinem Innern steht dies Bild gegründet / der Herrlichen, und ihrer Rede Weihe, / entflammt mein bestes Teil zu neuer Brunst". Einige der Texte sind, wie sogar der zitierte, zweisprachig wiedergegeben.
Der Druck dieser Übersetzungen, mit dem die Ausgabe der "Gesammelten Schriften" nun "definitiv" zum Abschluss kommt, war vielleicht entbehrlich. Immerhin muss sich der Herausgeber nun nicht sagen lassen, er habe manipuliert. Es ist trotzdem schade, dass ein derart bedeutendes OEuvre, das die Kulturwissenschaften des letzten Jahrhundertdrittels wie kein zweites geprägt hat - Benjamin ist derzeit der weltweit meistzitierte Kunstphilosoph -, am Ende dieses Säkulums mit einem derart melancholisch stimmenden Band präsentiert wird.
Walter Benjamin: "Gesammelte Schriften. Kleinere Übersetzungen". Hrsg. von Rolf Tiedemann. Gesammelte Schriften, Supplement L. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999, 457 S., geb., 64,- DM, br., 54,- DM.
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