Der umfangreiche Nachlaß Horkheimers aus der zeit nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil wurde von den Herausgebern der 'Gesammelten Schriften' unter fünf Rubriken geordnet: 1. Vorlesungs-Nachschriften, 2. Vorträge und Reden, 3. Gespräche, 4. Würdigungen, 5. Notizen. Die ersten vier Teile werden in Band 13 publiziert. Die Notizen - der weitaus größte Teil - erscheinen im vorliegenden Band 14. Bereits 1974 erschien im S. Fischer Verlag eine noch von Horkheimer selbst überwachte Auswahl der späten Notizen. Diejenigen Texte, die Horkheimer damals nicht mit aufnehmen wollte (überwiegend wegen der Vorläufigkeit ihrer Formulierung), bilden jetzt die erste Hälfte von Band 14. Die zweite Hälfte umfaßt Aufzeichnungen (»Späne«) Friedrich Pollocks, des lebenslangen Vertrauten, zu mündlichen Äußerungen Horkheimers - ein Konzentrat aus zahllosen nächtlichen Diskussionen.Die Form der Notiz ist für Horkheimers schriftstellerisches Werk insgesamt kennzeichnend; zeit seines Lebens bevorzugte er die kleine Form, die des Essays oder der Aufzeichnung. In den Jahren nach 1949 beziehen sie sich mehr denn je auf aktuelle Probleme, wie z.B. Wiederbewaffnung, »Vergangenheitsbewältigung«, Rolle Europas und der Supermächte, Erziehung, Hochschulpolitik, Einfluß der Medien, Emanzipation der Frau und anderes. Horkheimers Notizen reflektieren die Kultur der Nachkriegsgesellschaft im Spiegel philosophischen Denkens.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.09.1996Kleine Weltgeschichte der Kritischen Theorie
Max Horkheimers Briefwechsel aus den späten dreißiger und den vierziger Jahren
Wer heute die "Dialektik der Aufklärung" zur Hand nimmt, mag sich wundern, wie dieser philosophische Traktat zum Kultbuch einer Generation werden konnte. Die Prosa wirkt ungewöhnlich, um nicht zu sagen artifiziell, der Argumentationsfaden mäandert durch entlegenes Gelände, die Begrifflichkeit ist voraussetzungsreich, ja idiosynkratisch. Da die unablässig nebenher laufenden Polemiken äußerst anspielungsreich sind, muß der Leser neben den Hochtexten der abendländischen Tradition und ihren prominentesten Auslegungen auch die theoretischen Debatten gegenwärtig haben, mit denen die beiden Verfasser, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, während der Niederschrift Anfang der vierziger Jahre befaßt waren.
Es ist interessant zu beobachten, wie deutlich die Aneignungsbarrieren bereits von den Verfassern vorausgesehen wurden. Je mehr die Entwicklung des philosophischen Denkens aufs neue von kleinen Gruppen und Individuen abhänge, schrieb Horkheimer Anfang 1937 an Walter Benjamin, desto mehr erscheine Allgemeinverständlichkeit wieder als Qualität des Unwahren. Das Bekenntnis war ihm wichtig genug, binnen weniger Tage wiederholt zu werden. Die Zeitangaben geben zu erkennen, wie entschieden Horkheimer die Verweigerung als paradoxe und gleichwohl zeitgemäße Form theoretischer Gegenwartszuwendungen verstanden wissen wollte. Die Sprödigkeit der schuleigenen Darbietungen gehörte fortan zur corporate identity. "Kritische Theorie" - in ihrer besten Zeit war das nicht bloß irgendein philosophisch ambitionierter "Erklärungsansatz" für Phänomene der sozialen Welt, es war ein Synonym für den Bruch mit den von Horkheimer ausgemachten "Klischees des Anerkannten" und für die Reichweite seiner theoretischen Konsequenz.
Horkheimers Briefwechsel gibt vielfältige Auskunft über Verlauf und Schicksale dieser philosophischen Passion. Die Korrespondenz aus den Jahren 1937 bis 1948, der vielleicht kreativsten und theoretisch fruchtbarsten Zeit der später so genannten "Frankfurter Schule", füllt allein die Hälfte der für den Briefwechsel reservierten Briefbände der Horkheimer-Werkausgabe. Die Edition wirkt wie gehabt solide, auch wenn nicht einzusehen ist, weshalb Angaben wie der Vorname des Basler Verlegers Schwabe nicht ermittelt werden konnten. Im übrigen darf man gespannt sein, wie die Herausgeber im Abschlußband das verwirrende Netz der Querverweise und vor allem die verbliebenen Textlücken rechtfertigen werden, über deren Gewichtigkeit der Leser im ungewissen bleibt.
Daß neben der theoretischen Arbeit, den vielfältigen organisatorischen Belastungen und der aufwendigen Betreuung der "Zeitschrift für Sozialforschung" in dieser Zeit so viele Briefe gewechselt wurden, ist Ausdruck der Lage, in der sich das Institut gut zwei Jahrzehnte nach seiner Gründung am Ende der dreißiger Jahre befand. Während die Zentrale - Horkheimer selbst und Fritz Pollock, dazu Leo Löwenthal, Herbert Marcuse, Erich Fromm und Karl August Wittfogel - aus dem ersten Exil in Genf 1934 nach New York gewechselt war, blieben die nur lose angebundenen Mitarbeiter vorerst in Europa zurück: Hans Mayer in Genf, Walter Benjamin in Paris, Theodor W. Adorno in Oxford. Da mußte man Briefe schreiben. In den Briefen wurden Positionen und Strategien abgestimmt, wurde beraten, wurden Weisungen erteilt, wurde Klartext geredet. Die Briefe waren auch Lebenszeichen und gehörten, mit Horkheimers Worten, zu den wenigen Lichtblicken in schweren Monaten und Jahren.
Noch bis Ende der dreißiger Jahre ist in dieser Korrespondenz eine Zuversicht und Frische der Diktion zu spüren, die den theoretischen Arbeiten dieser Zeit bereits fremd ist. Für Kontraste und unverhoffte Einblicke sorgen vor allem die Briefe Adornos. Horkheimer, längst der unbestrittene Kopf des Instituts, reagiert auf dessen seitenlange, in kurzen Abständen folgende Mitteilungen geduldig, oft angeregt, zuweilen auch streng. Die Reaktion auf den Entwurf des Husserl-Aufsatzes - "die Husserlsche Philosophie ist eben nicht das, wofür sie von Ihnen scheinbar ausgegeben wird" - gleicht stellenweise einer Demontage. Adorno nimmt das klaglos hin. Er zeigt sich gelehrig, wenn auch keineswegs gefügig. Die Briefe, die er in den Jahren 1937 und 1938 an Horkheimer schreibt, bieten das faszinierende Bild einer institutionellen und theoretischen Integration.
Gewiß war Adorno gut beraten, einstweilen auf die Vorläufigkeit seiner Stellung und auf die Unberechenbarkeit des zu einsamen Entscheidungen neigenden Horkheimer Rücksicht zu nehmen. Das Interesse war jedoch keineswegs einseitig. Offensichtlich haben beide, Horkheimer und Adorno, ihre Begegnung als lebensentscheidenden Glücksfall empfunden. Schon bei der Niederschrift des Aufsatzes über "Vernunft und Selbsterhaltung", der 1941 auf englisch veröffentlicht wird, ist die Zusammenarbeit so eng, daß Horkheimer die Angabe einer doppelten Verfasserschaft ernsthaft erwägt. Die als Schlüsseltext konzipierte "Dialektik der Aufklärung" schließlich - die später als Buchtitel gewählte Formulierung erscheint wohl erstmals in einem Adorno-Brief aus dem November 1941 - entsteht in einer Atmosphäre geistigen Einvernehmens, deren Vertrautheit durch Horkheimers vorübergehend erwogenen Plan nicht beeinträchtigt wird, neben Adorno auch Felix Weil zu beteiligen. Weil sollte politische und ökonomische Partien beisteuern, um das Buch vor dem Anschein des "Raisonnements" zu bewahren.
Einmal abgesehen von einem kleinen Kant-Essay Horkheimers aus dem März 1937 und einer Kontroverse mit Paul Tillich über die Thesen von "Vernunft und Selbsterhaltung" (die Typoskriptabschrift aus dem Tillich-Nachlaß ist in der vorliegenden Ausgabe erstmals abgedruckt), verdankt der Briefwechsel die ergiebigsten Passagen der wachsenden Vertrautheit mit Adorno. Er verdankt ihr zugleich manches bizarre Stück. Ein schaurig schöner Fund ist der Bericht von der einstweilen letzten Deutschland-Reise, die Adorno im April 1937 auf das Reichsparteitagsgelände führte: "Das Ganze wirkt eher etwas verfallen und armselig, keineswegs aere perennius." Selbstbewußt, eifrig und zuversichtlich - so zeigt sich Adorno in dieser Zeit. Die Erinnerung an eine Schiffsreise von New York aus im Sommer desselben Jahres rundet sich zu einer Szene innigen Behagens. "Die Reise war völlig glatt und ereignislos, der fürstlich getippte Stewart wünschte mir immerzu zu dienen, ohne daß ich doch irgendwelche Aufträge an ihn gehabt hätte, da ich mich völlig wohl fühlte."
Für Spötter ist hier gleichwohl wenig zu holen. Im Fortgang des Briefwechsels verschwinden solche Szenen ganz. Statt dessen setzt sich die Tendenz durch, alles Persönliche den Bedrängnissen der äußeren Lage und ihrer theoretischen Bewältigung unterzuordnen. Daß der Nationalsozialismus den Verfall einer ganzen Kultur enthülle, ist für Horkheimer nicht nur eine diagnostische Hypothese zur Deutung der "Moderne" gewesen, sondern Ausdruck einer Katastrophe, die noch das Privateste aufzehrt. Im Mai 1942 gibt Horkheimer das Beispiel, wenn er einer Bekannten den neuen Alltag im kalifornischen Pacific Palisades schildert und von der Gartenarbeit spricht. "Blumen enthüllen erst dann ihre Beziehung zur Säuberung, wenn sie von Kindern in Sträuße gebunden den Führern überreicht werden, deren Hände noch vom Ausmisten triefen."
Solcher Bitterkeit, die nichts Argloses und keine Nebendinge mehr zu kennen scheint, entsprechen auf Institutsebene ungezählte Verdächtigungen, Eifersuchtsszenen und Querelen, die brieflich an Horkheimer herangetragen werden. Manches Zerwürfnis - so mit Wittfogel und Fromm - konnte er, manches - so mit Mannheim und Neurath - wollte er nicht vermeiden. Die Frankfurter Schule war kein Freundschaftsbund, die kritische Theorie kein Symphilosophieren. Während Horkheimer Pollocks und Löwenthals Loyalität weidlich ausnutzt, indem er sie zur Indiskretion auffordert ("Ihre langen Berichte sind mir erwünscht"), und Außenstehende wie Mitarbeiter nach Gutdünken abfertigt, kann er nach außen hin mit beträchtlichem Charme um Sympathien werben.
Tatsächlich waren Horkheimers diplomatische Fähigkeiten dringend gefordert. Die wissenschaftspolitischen Bedrängnisse und die Finanznöte des Instituts waren notorisch, und Anweisungen wie die, man solle Ausdrücke wie "materialistisch" bei öffentlichen Vorträgen unbedingt vermeiden und "schockierende Passagen entschärfen", erscheinen vor diesem Hintergrund nicht vollkommen unverständlich. Für Horkheimer standen solche Konzessionen im Dienst einer strikten Pflichterfüllung, für die er die Formel bereithielt: "Unsere Aufgabe im Leben ist die theoretische Arbeit."
Horkheimer schreibt diesen Satz Ende 1941, nach dem schmerzlichen Abschied von wichtigen Mitarbeitern, angesichts der Mutlosigkeit enger Vertrauter und nicht zuletzt nach dem Selbstmord Walter Benjamins, den er treffend mit dem Satz charakterisierte, er sei unfähig gewesen, mit der Sprache als einem Verkehrsmittel zu verfahren. Nach derlei Erfahrungen scheint Horkheimer die Trennung zwischen Persönlichem, Theoretischem und Politischem unmöglich geworden zu sein.
Dem entspricht sein Verhältnis zur Philosophie, das jederzeit emphatisch blieb. Während Adorno gelegentlich in die Gefilde der Musik, der Literatur oder auch der Sozialforschung auswich, blieb Horkheimer unter allen Umständen Philosoph. Kaum jemand hat nach Hegel mit solcher Eindringlichkeit die Frage nach der Aktualität des philosophischen Gedankens gestellt. Horkheimer konfrontierte die Philosophie mit der Aufgabe, sich der existentiellen Bedrohung in der Gegenwart zu erwehren - einer Bedrohung, die vielerorts nicht einmal erkannt werde. Man muß in seiner scharfen und gar nicht "dialektischen" Trennung zwischen "traditioneller" und "kritischer" Theorie den Versuch erkennen, aus der Defensive herauszukommen und die Energien zu bündeln. Dabei erlaubte er sich keinerlei Illusionen. "Es hat fast etwas Komisches, daß Menschen mit Kräften, die in jeder Hinsicht so schwach sind wie die unsrigen, ein Geschäft besorgen sollen, das unendlich viel größere und ganz andere Gaben zu erfordern scheint."
Parallel zur Niederschrift der "Dialektik der Aufklärung" drängen solche Einschätzungen allmählich in den Vordergrund. Daß man die Frankfurter Schule schon wenig später an die Seite der "Progressiven" stellte und - wie Hans Mayer bereits am 30. November 1937 - die kritische Theorie "wirklich weiter, und zwar nach vorwärts" marschieren sah, war ein Mißverständnis. Die Briefe zeigen, wie stark Horkheimer vom Totalausfall der begrifflichen und, im weitesten Sinne, der kulturellen Apparatur beeindruckt war, durch den er die Hoffnungen der anbrechenden Moderne widerrufen glaubte. "Egal vorwärts, immer voran und feste druff! Das ist nun aus der Figur der Liberté in Delacroix' Revolutionsgemälde geworden." Gemessen am Utopismus der nachfolgenden Generation sind seine Erwartungen eher bescheiden gewesen. Avantgardistische Attitüden lagen Horkheimer fern, eher verstand er sich als Außenseiter. Er glaubte das Mögliche zu erreichen, wenn es ihm gelänge, die Sprachlosigkeit der Menschen in einer einzigen Gedankenbewegung "kritisch" darzustellen und "theoretisch" zu überwinden. RALF KONERSMANN
Max Horkheimer: "Gesammelte Schriften". Hrsg. v. Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr. Bd. 16: "Briefwechsel 1937 bis 1940"; Bd. 17: "Briefwechsel 1941 bis 1948". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995 und 1996. 791 und 1055 S., geb., 98,- und 128,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Max Horkheimers Briefwechsel aus den späten dreißiger und den vierziger Jahren
Wer heute die "Dialektik der Aufklärung" zur Hand nimmt, mag sich wundern, wie dieser philosophische Traktat zum Kultbuch einer Generation werden konnte. Die Prosa wirkt ungewöhnlich, um nicht zu sagen artifiziell, der Argumentationsfaden mäandert durch entlegenes Gelände, die Begrifflichkeit ist voraussetzungsreich, ja idiosynkratisch. Da die unablässig nebenher laufenden Polemiken äußerst anspielungsreich sind, muß der Leser neben den Hochtexten der abendländischen Tradition und ihren prominentesten Auslegungen auch die theoretischen Debatten gegenwärtig haben, mit denen die beiden Verfasser, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, während der Niederschrift Anfang der vierziger Jahre befaßt waren.
Es ist interessant zu beobachten, wie deutlich die Aneignungsbarrieren bereits von den Verfassern vorausgesehen wurden. Je mehr die Entwicklung des philosophischen Denkens aufs neue von kleinen Gruppen und Individuen abhänge, schrieb Horkheimer Anfang 1937 an Walter Benjamin, desto mehr erscheine Allgemeinverständlichkeit wieder als Qualität des Unwahren. Das Bekenntnis war ihm wichtig genug, binnen weniger Tage wiederholt zu werden. Die Zeitangaben geben zu erkennen, wie entschieden Horkheimer die Verweigerung als paradoxe und gleichwohl zeitgemäße Form theoretischer Gegenwartszuwendungen verstanden wissen wollte. Die Sprödigkeit der schuleigenen Darbietungen gehörte fortan zur corporate identity. "Kritische Theorie" - in ihrer besten Zeit war das nicht bloß irgendein philosophisch ambitionierter "Erklärungsansatz" für Phänomene der sozialen Welt, es war ein Synonym für den Bruch mit den von Horkheimer ausgemachten "Klischees des Anerkannten" und für die Reichweite seiner theoretischen Konsequenz.
Horkheimers Briefwechsel gibt vielfältige Auskunft über Verlauf und Schicksale dieser philosophischen Passion. Die Korrespondenz aus den Jahren 1937 bis 1948, der vielleicht kreativsten und theoretisch fruchtbarsten Zeit der später so genannten "Frankfurter Schule", füllt allein die Hälfte der für den Briefwechsel reservierten Briefbände der Horkheimer-Werkausgabe. Die Edition wirkt wie gehabt solide, auch wenn nicht einzusehen ist, weshalb Angaben wie der Vorname des Basler Verlegers Schwabe nicht ermittelt werden konnten. Im übrigen darf man gespannt sein, wie die Herausgeber im Abschlußband das verwirrende Netz der Querverweise und vor allem die verbliebenen Textlücken rechtfertigen werden, über deren Gewichtigkeit der Leser im ungewissen bleibt.
Daß neben der theoretischen Arbeit, den vielfältigen organisatorischen Belastungen und der aufwendigen Betreuung der "Zeitschrift für Sozialforschung" in dieser Zeit so viele Briefe gewechselt wurden, ist Ausdruck der Lage, in der sich das Institut gut zwei Jahrzehnte nach seiner Gründung am Ende der dreißiger Jahre befand. Während die Zentrale - Horkheimer selbst und Fritz Pollock, dazu Leo Löwenthal, Herbert Marcuse, Erich Fromm und Karl August Wittfogel - aus dem ersten Exil in Genf 1934 nach New York gewechselt war, blieben die nur lose angebundenen Mitarbeiter vorerst in Europa zurück: Hans Mayer in Genf, Walter Benjamin in Paris, Theodor W. Adorno in Oxford. Da mußte man Briefe schreiben. In den Briefen wurden Positionen und Strategien abgestimmt, wurde beraten, wurden Weisungen erteilt, wurde Klartext geredet. Die Briefe waren auch Lebenszeichen und gehörten, mit Horkheimers Worten, zu den wenigen Lichtblicken in schweren Monaten und Jahren.
Noch bis Ende der dreißiger Jahre ist in dieser Korrespondenz eine Zuversicht und Frische der Diktion zu spüren, die den theoretischen Arbeiten dieser Zeit bereits fremd ist. Für Kontraste und unverhoffte Einblicke sorgen vor allem die Briefe Adornos. Horkheimer, längst der unbestrittene Kopf des Instituts, reagiert auf dessen seitenlange, in kurzen Abständen folgende Mitteilungen geduldig, oft angeregt, zuweilen auch streng. Die Reaktion auf den Entwurf des Husserl-Aufsatzes - "die Husserlsche Philosophie ist eben nicht das, wofür sie von Ihnen scheinbar ausgegeben wird" - gleicht stellenweise einer Demontage. Adorno nimmt das klaglos hin. Er zeigt sich gelehrig, wenn auch keineswegs gefügig. Die Briefe, die er in den Jahren 1937 und 1938 an Horkheimer schreibt, bieten das faszinierende Bild einer institutionellen und theoretischen Integration.
Gewiß war Adorno gut beraten, einstweilen auf die Vorläufigkeit seiner Stellung und auf die Unberechenbarkeit des zu einsamen Entscheidungen neigenden Horkheimer Rücksicht zu nehmen. Das Interesse war jedoch keineswegs einseitig. Offensichtlich haben beide, Horkheimer und Adorno, ihre Begegnung als lebensentscheidenden Glücksfall empfunden. Schon bei der Niederschrift des Aufsatzes über "Vernunft und Selbsterhaltung", der 1941 auf englisch veröffentlicht wird, ist die Zusammenarbeit so eng, daß Horkheimer die Angabe einer doppelten Verfasserschaft ernsthaft erwägt. Die als Schlüsseltext konzipierte "Dialektik der Aufklärung" schließlich - die später als Buchtitel gewählte Formulierung erscheint wohl erstmals in einem Adorno-Brief aus dem November 1941 - entsteht in einer Atmosphäre geistigen Einvernehmens, deren Vertrautheit durch Horkheimers vorübergehend erwogenen Plan nicht beeinträchtigt wird, neben Adorno auch Felix Weil zu beteiligen. Weil sollte politische und ökonomische Partien beisteuern, um das Buch vor dem Anschein des "Raisonnements" zu bewahren.
Einmal abgesehen von einem kleinen Kant-Essay Horkheimers aus dem März 1937 und einer Kontroverse mit Paul Tillich über die Thesen von "Vernunft und Selbsterhaltung" (die Typoskriptabschrift aus dem Tillich-Nachlaß ist in der vorliegenden Ausgabe erstmals abgedruckt), verdankt der Briefwechsel die ergiebigsten Passagen der wachsenden Vertrautheit mit Adorno. Er verdankt ihr zugleich manches bizarre Stück. Ein schaurig schöner Fund ist der Bericht von der einstweilen letzten Deutschland-Reise, die Adorno im April 1937 auf das Reichsparteitagsgelände führte: "Das Ganze wirkt eher etwas verfallen und armselig, keineswegs aere perennius." Selbstbewußt, eifrig und zuversichtlich - so zeigt sich Adorno in dieser Zeit. Die Erinnerung an eine Schiffsreise von New York aus im Sommer desselben Jahres rundet sich zu einer Szene innigen Behagens. "Die Reise war völlig glatt und ereignislos, der fürstlich getippte Stewart wünschte mir immerzu zu dienen, ohne daß ich doch irgendwelche Aufträge an ihn gehabt hätte, da ich mich völlig wohl fühlte."
Für Spötter ist hier gleichwohl wenig zu holen. Im Fortgang des Briefwechsels verschwinden solche Szenen ganz. Statt dessen setzt sich die Tendenz durch, alles Persönliche den Bedrängnissen der äußeren Lage und ihrer theoretischen Bewältigung unterzuordnen. Daß der Nationalsozialismus den Verfall einer ganzen Kultur enthülle, ist für Horkheimer nicht nur eine diagnostische Hypothese zur Deutung der "Moderne" gewesen, sondern Ausdruck einer Katastrophe, die noch das Privateste aufzehrt. Im Mai 1942 gibt Horkheimer das Beispiel, wenn er einer Bekannten den neuen Alltag im kalifornischen Pacific Palisades schildert und von der Gartenarbeit spricht. "Blumen enthüllen erst dann ihre Beziehung zur Säuberung, wenn sie von Kindern in Sträuße gebunden den Führern überreicht werden, deren Hände noch vom Ausmisten triefen."
Solcher Bitterkeit, die nichts Argloses und keine Nebendinge mehr zu kennen scheint, entsprechen auf Institutsebene ungezählte Verdächtigungen, Eifersuchtsszenen und Querelen, die brieflich an Horkheimer herangetragen werden. Manches Zerwürfnis - so mit Wittfogel und Fromm - konnte er, manches - so mit Mannheim und Neurath - wollte er nicht vermeiden. Die Frankfurter Schule war kein Freundschaftsbund, die kritische Theorie kein Symphilosophieren. Während Horkheimer Pollocks und Löwenthals Loyalität weidlich ausnutzt, indem er sie zur Indiskretion auffordert ("Ihre langen Berichte sind mir erwünscht"), und Außenstehende wie Mitarbeiter nach Gutdünken abfertigt, kann er nach außen hin mit beträchtlichem Charme um Sympathien werben.
Tatsächlich waren Horkheimers diplomatische Fähigkeiten dringend gefordert. Die wissenschaftspolitischen Bedrängnisse und die Finanznöte des Instituts waren notorisch, und Anweisungen wie die, man solle Ausdrücke wie "materialistisch" bei öffentlichen Vorträgen unbedingt vermeiden und "schockierende Passagen entschärfen", erscheinen vor diesem Hintergrund nicht vollkommen unverständlich. Für Horkheimer standen solche Konzessionen im Dienst einer strikten Pflichterfüllung, für die er die Formel bereithielt: "Unsere Aufgabe im Leben ist die theoretische Arbeit."
Horkheimer schreibt diesen Satz Ende 1941, nach dem schmerzlichen Abschied von wichtigen Mitarbeitern, angesichts der Mutlosigkeit enger Vertrauter und nicht zuletzt nach dem Selbstmord Walter Benjamins, den er treffend mit dem Satz charakterisierte, er sei unfähig gewesen, mit der Sprache als einem Verkehrsmittel zu verfahren. Nach derlei Erfahrungen scheint Horkheimer die Trennung zwischen Persönlichem, Theoretischem und Politischem unmöglich geworden zu sein.
Dem entspricht sein Verhältnis zur Philosophie, das jederzeit emphatisch blieb. Während Adorno gelegentlich in die Gefilde der Musik, der Literatur oder auch der Sozialforschung auswich, blieb Horkheimer unter allen Umständen Philosoph. Kaum jemand hat nach Hegel mit solcher Eindringlichkeit die Frage nach der Aktualität des philosophischen Gedankens gestellt. Horkheimer konfrontierte die Philosophie mit der Aufgabe, sich der existentiellen Bedrohung in der Gegenwart zu erwehren - einer Bedrohung, die vielerorts nicht einmal erkannt werde. Man muß in seiner scharfen und gar nicht "dialektischen" Trennung zwischen "traditioneller" und "kritischer" Theorie den Versuch erkennen, aus der Defensive herauszukommen und die Energien zu bündeln. Dabei erlaubte er sich keinerlei Illusionen. "Es hat fast etwas Komisches, daß Menschen mit Kräften, die in jeder Hinsicht so schwach sind wie die unsrigen, ein Geschäft besorgen sollen, das unendlich viel größere und ganz andere Gaben zu erfordern scheint."
Parallel zur Niederschrift der "Dialektik der Aufklärung" drängen solche Einschätzungen allmählich in den Vordergrund. Daß man die Frankfurter Schule schon wenig später an die Seite der "Progressiven" stellte und - wie Hans Mayer bereits am 30. November 1937 - die kritische Theorie "wirklich weiter, und zwar nach vorwärts" marschieren sah, war ein Mißverständnis. Die Briefe zeigen, wie stark Horkheimer vom Totalausfall der begrifflichen und, im weitesten Sinne, der kulturellen Apparatur beeindruckt war, durch den er die Hoffnungen der anbrechenden Moderne widerrufen glaubte. "Egal vorwärts, immer voran und feste druff! Das ist nun aus der Figur der Liberté in Delacroix' Revolutionsgemälde geworden." Gemessen am Utopismus der nachfolgenden Generation sind seine Erwartungen eher bescheiden gewesen. Avantgardistische Attitüden lagen Horkheimer fern, eher verstand er sich als Außenseiter. Er glaubte das Mögliche zu erreichen, wenn es ihm gelänge, die Sprachlosigkeit der Menschen in einer einzigen Gedankenbewegung "kritisch" darzustellen und "theoretisch" zu überwinden. RALF KONERSMANN
Max Horkheimer: "Gesammelte Schriften". Hrsg. v. Alfred Schmidt und Gunzelin Schmid Noerr. Bd. 16: "Briefwechsel 1937 bis 1940"; Bd. 17: "Briefwechsel 1941 bis 1948". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1995 und 1996. 791 und 1055 S., geb., 98,- und 128,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main