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»Dieses Buch«, schreibt Norbert Elias in seinem Vorwort, »beschäftigt sich mit dem, worauf sich die Begriffe 'Individuum' und 'Gesellschaft' in ihrer gegenwärtigen Form beziehen, also mit bestimmten Aspekten von Menschen. Es bietet Werkzeuge zum Nachdenken und zu Beobachtungen über Menschen an. Einige von ihnen sind recht neu.« Seine Grundthese besagt, daß man zwischen der Gesellschaft und den Individuen nicht sinnvoll trennen kann. In drei Beiträgen aus den 30er, 50er und 80er Jahren bietet Elias mit seiner prozeßorientierten Theorie eine Gesamtperspektive, bei der die Gesellschaft aus…mehr

Produktbeschreibung
»Dieses Buch«, schreibt Norbert Elias in seinem Vorwort, »beschäftigt sich mit dem, worauf sich die Begriffe 'Individuum' und 'Gesellschaft' in ihrer gegenwärtigen Form beziehen, also mit bestimmten Aspekten von Menschen. Es bietet Werkzeuge zum Nachdenken und zu Beobachtungen über Menschen an. Einige von ihnen sind recht neu.« Seine Grundthese besagt, daß man zwischen der Gesellschaft und den Individuen nicht sinnvoll trennen kann. In drei Beiträgen aus den 30er, 50er und 80er Jahren bietet Elias mit seiner prozeßorientierten Theorie eine Gesamtperspektive, bei der die Gesellschaft aus Individuen gebildet wird und die Persönlichkeit des einzelnen im Verlauf der lebensgeschichtlichen Erfahrungen entsteht.

Autorenporträt
Elias, NorbertNorbert Elias (1897-1990) wurde am 22. Juni 1897 in Breslau geboren, wo er auch seine Kindheit verbrachte und nach dem 1. Weltkrieg Medizin und Philosophie studierte. Er promovierte bei Richard Hönigswald, wechselte bald zur Soziologie und wurde »inoffizieller Assistent« bei Karl Mannheim. 1933 floh er aus Deutschland über Paris nach England. Von 1954 bis 1962 war er Dozent für Soziologie an der Universität von Leicester, ab 1965 nahm er verschiedene Gastprofessuren unter anderem in Deutschland wahr; größere Anerkennung setzte hier aber erst mit der breiten Rezeption von Über den Prozeß der Zivilisation ein. 1977 erhielt er den Theodor W. Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Ab 1984 ließ er sich dauerhaft in Amsterdam nieder, wo er am 1. August 1990 starb.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.05.2002

Nur ohne Apriori
Rebellion gegen Kant – die
frühen Schriften des Norbert Elias
Das Urteil ist eindeutig, auch wenn man einen Unterton darin ahnen mag von Ironie und Scherz: „Für Zeiten, welche die Wahrheit von Gegenständen allein in der Form des Allgemeinen suchen, welche die Allgemeingültigkeit der Erkenntnisse von ihrer Allgemeinheit erwarten, hat die Geschichtsforschung den Terminus der Aufklärung geprägt.” So wird der große Begriff Aufklärung entzaubert, gleich auf den ersten Seiten von „Idee und Individuum”, der Dissertation, die Norbert Elias einreichte bei Richard Hönigswald, dem Philosophieprofessor in seiner Heimatstadt Breslau, im Jahr 1922.
Das Allgemeine war Elias von früh an suspekt, dem es vor allem um den Menschen ging, seine Erfahrungen und Erkenntisse. Der sich deshalb gegen jeden Anflug von Dogmatischem wehrte. Selbst die die Aufklärung aber, die „das Recht ihres Verstandes mit Stolz gegenüber Dogmen verteidigte, die nicht als Erkenntnisse zu begründen waren”, mündet, so seine wehmütige Erkenntnis, immer wieder selbst in Dogmatismus.
Eine Ironie der Geschichte ist das in der Tat, und mit einem fast komischen Dilemma begann auch die wissenschaftliche Karriere des Norbert Elias – es war ihm bestimmt bei einem Kantianer mit einer Arbeit zu promovieren, die sich eigentlich gegen Kants Vorstellung von den Ideen wandte. „Ich hatte”, erinnert sich Elias in einer biografischen Skizze, „im Laufe meiner Dissertation entdeckt, daß das Kantsche Apriori eine Fiktion ist ... Es ist gar keine Rede davon, daß das Apriori den Menschen gegeben ist. Das habe ich versucht, auch in meiner Dissertation zu sagen und mein guter und wirklich sehr verehrter Lehrer (Richard) Hönigswald hat dann darauf bestanden, daß die letzten drei Seiten meiner Dissertation herausgerissen werden. Sie sind nicht mehr vorhanden. Schon die Dissertation stellte eine Rebellion gegen die Kantische Philosophie dar. Ich betrachte es als ein Unglück, daß Exemplare der Dissertation noch erhalten geblieben wurden. Denn ich kann es heute kaum noch lesen.”
Natürlich kann man das dennoch immer noch lesen, denn wie jede echte Literatur oder Poesie kann auch Wissenschaft, wenn sie mit Leidenschaft gestaltet ist, von Wissenschaftszensur nicht wirklich kaputt gemacht werden. Souverän und ohne Duckmäuserei entwickelt Elias die Dialektik seiner Geschichtsbetrachtung – man merkt beim Lesen, dies ist die Arbeit eines ehemaligen Medizinstudenten, der sich eben entschieden zum Soziologen wandelt, weshalb er dann bald nach Heidelberg gehen wird, zu Karl Mannheim und Alfred Weber. Mit Philosophie, das signalisiert der Text freilich unverblümt, hat der Autor nichts am Hut. Für ihn hat die Geschichte immer mit Erfahren und Erleben zu tun, braucht die Individuen und die Iche. Eine Bewegung weg von der etablierten Philosophie, die eine reine Prinzipienwissenschaft ist, hin in jenen Bereich, wo „jene Scheidung zwischen Erfahrungswissenschaft und Prinzipienwissenschaft fällt” und wo seit den Zwanzigern andere große Individualisten reflektierten, von Simmel bis Benjamin.
Die Dissertation ist das zentrale Stück dieser Sammlung von Frühschriften, wichtiger aber sind die Neben-, die Begleitstücke. Der Band, der erste der Gesammelten Schriften, enthält alles, was Norbert Elias vor der Fertigstellung seines großen Werkes „Über den Prozeß der Zivilisation” publizierte – das ergibt natürlich einen lockeren Genremix, von Naturbetrachtungen aus der Zeit beim jüdischen Wanderbund Blau-Weiß Breslau, und Anekdoten in der Tradition des Plutarch, hin zu einer Aristophanes- Persiflage und den ersten Studien zur höfischen Gesellschaft oder zum Phänomen des Kitsches.
Absolut echte Gefühlsnot
Es geht schon beim frühen Elias nie um die Sachen an sich, die Ereignisse und Entitäten, und sicher nicht um die Ideen – es geht immer um die Beziehungen zwischen ihnen, zwischen den Individuen. Um die Mannigfaltigkeit also und um jenen Index „Jetzt”, den alles Gedachte an irgendeinem Punkt des dialektischen Prozesses gehabt haben muss. Man muss die menschliche Psyche, die Geschichte und die Gesellschaft immer zusammen sehen und studieren, das bedeutet Weltbeschreibung als Filigranarbeit – „jeder Pinselstrich eines Bildes muss auf Gründe zurückgehen, die ihrerseits aus Gründen und aus deren Gründen wiederum folgen.” Und wenn, im konkreten Fall, Elias den Kitsch beschreibt, sieht er ihn als Dienstmädchengefühl, dessen Ausdruck „so unwahr und fast lächerlich wirkt, obgleich die Gefühlsnot dahinter ... absolut echt ist”.
Die Melancholie, die hier wirkt, macht auch vor der Reflexion der eigenen Arbeit nicht Halt. „Und so”, schließt Norbert Elias den Entwurf zu seiner geplanten Habilschrift – Thema die Entstehung der modernen Naturwissenschaften zu Beginn der Neuzeit –, die durch die politische Entwicklung nach 1933 nie zustande gekommen ist, „und so wuchs in der Menschheit, wie immer nach einer geistigen Revolution, ein neues Glück und ein neues Leid heran. Das neue Glück, das das Bewusstsein der eigenen Erkenntniskraft dem Menschen gab, und das neue Leid, das Leiden an seiner eigenen Bewußtheit, an der Kühle der eigenen Erkenntniskraft oder Rationalität. ”
FRITZ GÖTTLER
NORBERT ELIAS: Gesammelte Schriften. Band 1: Frühschriften. Hrsg. von Reinhard Blomert. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2002. 192 Seiten, 28 Euro.
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