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Nabokovs vierzehnter Roman - der erste aus der Zeit nach «Lolita» - gibt sich als die kommentierte Ausgabe eines 999 Zeilen langen Gedichts mit dem Titel «Fahles Feuer», verfasst von John Shade, einem bedächtigen neuenglischen Lyriker und Professor, der von einem Mörder erschossen wurde, ehe er die letzte, die tausendste Zeile zu Papier bringen konnte. Der Herausgeber ist sein Kollege, Nachbar und angeblicher Freund Charles Kinbote. Dessen Kommentar verfehlt jedoch Shades ernstes Poem, in dem es um den Selbstmord der schwierigen und hässlichen Tochter, um den Tod und die Wahrscheinlichkeit…mehr

Produktbeschreibung
Nabokovs vierzehnter Roman - der erste aus der Zeit nach «Lolita» - gibt sich als die kommentierte Ausgabe eines 999 Zeilen langen Gedichts mit dem Titel «Fahles Feuer», verfasst von John Shade, einem bedächtigen neuenglischen Lyriker und Professor, der von einem Mörder erschossen wurde, ehe er die letzte, die tausendste Zeile zu Papier bringen konnte. Der Herausgeber ist sein Kollege, Nachbar und angeblicher Freund Charles Kinbote. Dessen Kommentar verfehlt jedoch Shades ernstes Poem, in dem es um den Selbstmord der schwierigen und hässlichen Tochter, um den Tod und die Wahrscheinlichkeit eines Lebens danach geht, auf eine so dreiste wie groteske Weise.
Kinbote gibt sich nämlich als der exilierte König von Zembla zu erkennen, Carl der Vielgeliebte, der Shade nicht dazu bringen konnte, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und der es nun in Form von Anmerkungen zu «Fahles Feuer» selber tut. Ihm galt, so meint er, auch die Kugel, die Shade tötete. Freilich ist zweifelhaft, ob es sich so verhält. Nabokov lockt den Leser auf Rätselgänge, Licht des fahlen Feuers flackert von Spiegel zu Spiegel, Echos erklingen: ein Virtuosenstück, «eine Amalgamierung von Ernst und Spiel, einer anrührenden menschlichen Geschichte mit dem kühlen Kalkül einer Problemschachaufgabe». Dieter E. Zimmer
Autorenporträt
Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2008

Das Rätsel des pädophilen Exilkönigs
Für Literaturproblemknacker: Nabokovs "Fahles Feuer" / Von Jürgen Kaube

Als das grandioseste Schachproblem aller Zeiten komponiert wurde, lebte Vladimir Nabokov schon nicht mehr; aber es hätte ihm, der selber im Problemschach aktiv war, gefallen. Das Rätsel stammt von Nikita Plaksin und lautet "Weiß am Zug hält remis" (Shakhmaty v SSSR, Juli 1980). Der holländische Romancier und Schachspieler Tim Krabbé hat gewarnt, es koste die Gesundheit, über die Lösung länger nachzudenken. Sie ist phantastisch: Man vermag aus der Stellung durch eine sagenhaft komplizierte Rückwärtsanalyse herauszufinden, dass in ihr aufgrund umständlicher Manöver, die allein erklären, weshalb die Figuren jetzt da stehen, wo sie stehen, seit fünfzig Zügen kein Bauer mehr geschlagen worden sein kann. Eine Schachpartie aber ist remis, wenn in ihr mehr als fünfzig Züge lang kein Bauer geschlagen wurde. Doch nicht irgendein 51. Zug von Weiß beweist, dass dem hier tatsächlich so war, sondern nur die lange Rochade des weißen Königs - der Lösungszug! Sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen, eines der größten Kunstwerke menschlicher Kombinatorik.

Der Roman "Fahles Feuer" ähnelt diesem Problem. Zunächst darin, dass er ein absichtsvoll konstruiertes Rätsel ist, und zwar eines für Leute, die ein bisschen Zeit haben. Von Nabokov stammt der Satz, man könne Romane nicht lesen, sondern nur wiederlesen. Für diesen hier ist das eine Untertreibung. Die Bemerkung des Herausgebers, es lasse sich "Fahles Feuer" auch genießen, ohne an ihm herumzurätseln, ist gut gemeint, aber irreführend. Entsprechend war bis vor kurzem auch noch die deutsche Erstausgabe erhältlich; nicht einmal sechstausend Exemplare wurden seit 1969 verkauft. Und das, obwohl "Fahles Feuer" der Roman Nabokovs war, der auf "Lolita" folgte, die ja weit herumgekommen ist. Insofern ist es anlässlich der Neuedition nicht überflüssig, an den Inhalt dieses merkwürdigen Buches zu erinnern.

Im Vorwort kündigt ein Dr. Charles Kinbote an, das letzte Gedicht des gerade, am 21. Juli 1959, verstorbenen, genauer: irrtümlich ermordeten Schriftstellers John Francis Shade, 999 Zeilen lang und auf achtzig Karteikarten überliefert, kommentiert herauszugeben. Schon dieses Vorwort enthält irritierende Zeilen, unverständliche Vorgriffe, befremdliche Ausführlichkeit. Hier scheint etwas nicht zu stimmen. Es folgt das Gedicht, das in vier Gesängen von Shades Leben, dem Selbstmord seiner Tochter, der Trauer und der Frage handelt, was von der Entschwundenen bleibt. "Ich war der Schatten eines Seidenschwanzes / erschlagen vom falschen Blau der Fensterscheibe" - der Schmetterling, der gegen das Glas fliegt, als Bild des Menschen, der nicht auf die Seite dessen kommt, was vergangen ist. Das Gedicht ist ergreifend.

Dann aber kommen die Anmerkungen. Kinbote kommentiert philologisch lausig, aufgeblasen, dafür umso phantasievoller, was die Behauptung angeht, in den Versen gehe es eigentlich um seine, Kinbotes, Geschichte. Und die ist haarsträubend. Er selber ist, muss man annehmen, der sexuell extravagante König Carl II., "der Vielgeliebte" des Landes Zembla, irgendwo in Nordosteuropa nahe Russland - Sprachprobe: "belwif ivurkumpf wid snewebanumpf" -, der sich, durch eine Revolution ins Exil vertrieben, in der kleinen amerikanischen Universitätsstadt New Wye zufällig in der Nachbarschaft John Shades niedergelasssen hat. Die irre Logik des Kommentars: Kinbote hat Shade offenbar wieder und wieder von Zembla erzählt. Im Gedicht findet sich zwar kein Wort von diesem "großartigen Material", aber das müsse auf einer Säuberung von Vorfassungen beruhen. Ein "zur Hälfte getilgter Entwurf", in dem stehe: "Ah, ich darf nicht vergessen, noch zu sagen, / Was mir mein Freund erzählt von 'nem gewissen König hat", wird zweihundert Kommentarseiten später von Kinbote als die einzige Fälschung zugegeben, deren er sich schuldig gemacht habe. Wer's bis dahin geglaubt hat, tut es nun nicht mehr.

Meistens kümmert sich Kinbote aber gar nicht um das Gedicht, sondern assoziiert einfach, wonach ihm der Sinn steht, und erklärt launig: "Ich möchte meinen, der Leser hatte Spaß an dieser Anmerkung." Wenn er beispielsweise in einem Vers das Wort "Gipfel" findet, genügt ihm das, um seitenlang von der großen Rochade des pädophilen Exilkönigs durch die Berge seiner Heimat bis nach Amerika zu palavern. Dabei fließen aber immer wieder Informationen ein, die doch irgendwie einen Bezug zu Shade zu haben scheinen. Der Kommentator weiß darüber zu berichten, wann beim Nachbarn das Licht im Arbeitszimmer anging, beobachtet dessen Partys - ein eifersüchtiger Stalker.

Was wie eine Groteske klingt, hat ernste Aspekte. Nabokov variiert ein Leitmotiv seines Werks: die Frage des Nachlebens. Den Exilanten treibt um, was sich an Erfahrung aus dem Untergang einer ganzen Welt retten lässt. Die Satire über den falschen Gelehrten Kinbote, in dessen Händen Hermeneutik zu einer Art geisteskranker Selbstermächtigung des Überlebenden wird, der alles besser als der Text weiß, dem er zu dienen vorgibt, diese Satire weitet sich aus zu einer metaphysischen Abhandlung über die Macht der Überlieferung. Es handelt sich um einen krassen Fall strategischen Edierens. Man müsste die rückwärts analysierenden Fähigkeiten eines Schachproblemknackers haben, um herauszufinden, wo die Figuren des Dichters wirklich einmal gestanden haben.

Doch hier ist der Herausgeber selber eine Erfindung des Dichters. Nabokov spielt mit dem Leser, dem er endlos Material für Spekulationen darüber liefert, ob nicht der Editor selber dafür gesorgt hat, dass es zum Nachlass kam, ob nicht der Kommentator selber der Autor des Gedichts ist oder umgekehrt der Dichter seinen verqueren Deuter gleich miterfunden hat. "Andere Menschen sterben, aber ich bin niemand anderes; also sterb' ich nicht", heißt es im Gedicht. Die Nabokov-Philologie, ein Haufen teils religiös, teils sexualhermeneutisch gestimmter Pilze-, Analogien- und Parallelstellensammler, hat das Ihre zur Bekräftigung solcher Möglichkeiten getan und tauscht sich seit Jahren darüber aus, wer in "Fahles Feuer" wen erfunden hat und ob es statt um Homosexualität um Inzest geht oder doch mehr um Schopenhauer, Metempsychose und Spiritismus. Kinbote, so immerhin der Stand der Forschung, ist gar nicht Carl II., aber er ist auch nicht Kinbote, sondern der beiläufig erwähnte Professor Botkin, ein verrückter Exilrusse, der es als einziger Bewohner New Wyes neben der Familie Shade und Kinbote ins Register der Edition geschafft hat.

Mit dem Problemschach hat dies auch insofern zu tun, als das Fragen sind, die nicht auf wirklichen Kämpfen beruhen. In allen anderen Romanen Nabokovs hat der Autor seine Rätsel mitsamt seiner unausdrücklichen Seelenlehre im Griff. In diesem Roman haben beide ihn im Griff und überwuchern die Geschichte. Das ist nicht schlimm, das ist nur anstrengend. Was auch den Lesestil betrifft, den dieses Buch abverlangt. Dieter E. Zimmer, vor dessen Leistung in Sachen Nabokov man sich nur verneigen kann, hat es sorgfältig kommentiert. Darum sind mindestens vier Lesezeichen nötig: Eines im Gedicht, eines im grotesken Kommentar sowie je eines im Gedicht- und Kommentarkommentar Zimmers. Wer Schachprobleme mag, kommt hier auf seine Kosten. Aber die Partie zwischen Leser und Autor geht eben doch bestenfalls unentschieden aus, weil man dieses Buch eigentlich nicht lesen, sondern nur nachspielen kann.

Vladimir Nabokov: "Fahles Feuer". Roman.

Neuausgabe, Gesammelte Werke, Band 10. Hrsg. und aus dem Amerikanischen übersetzt von

Dieter E. Zimmer. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008.

416 S., geb., 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ulrich M. Schmid ist Nabokov-Fan, kein Zweifel. Die Rätselkunst des Autors, die in diesem so genannten Roman einen Höhepunkt erreicht, macht ihm Spaß. Schmid widerspricht der vermeintlichen Unlesbarkeit des Textes zwar nicht, gibt uns aber genügend Hinweise, um die Schachtelkonstruktion des Buches aus Gedicht und Kommentar, angesiedelt auf zwei verschiedenen Handlungsebenen, nachzuvollziehen. Weiter sei die Kombinationslust des Lesers gefragt, erklärt Schmid, weist aber zugleich darauf hin, dass sich Nabokov, indem er die Interpretation und ihre Verfahrensweisen thematisiert, gegen eine reduktionistische Auslegung verwahrt. Für Schmid geht das in Ordnung, hält er dafür doch ein Buch in Händen, das nicht nur in höchstem Maß die Literatur, sondern auch den Autor Nabokov stilisiert, indem es ihn gleich in beiden Hauptfiguren, dem Dichter und dem Interpreten spiegelt, und das jede Menge Lesegenuss bietet. Den Herausgeber Dieter E. Zimmer lobt Schmid als jemanden, der Buch und Leser akribisch genau und mit weiser Zurückhaltung begleitet.

© Perlentaucher Medien GmbH