»La vie est brève«: Chansonweisheit, nächtlich gesungen im Salon der Señora Mami in Buenos Aires. Doch »man kann viele Male leben, viele mehr oder minder lange Leben«. Juan María Brausen, illusionsloser Texter in einer Werbeagentur, macht nach einer schweren Operation seiner Frau die Erfahrung, daß er nicht zu einer einzigen Existenz verurteilt ist. Hinter der dünnen Wand der Nachbarwohnung hört er die Lebensäußerungen der Prostituierten Queca, und in Gedanken wird er zu Juan María Arce, ihrem brutalen Geliebten. Zugleich phantasiert er sich in die Gestalt des Arztes Díaz Grey, Hauptfigur eines Drehbuchs, an dem er schreibt. Als die Queca von ihrem Zuhälter ermordet wird, identifiziert Brausen sich mit dem Mörder und flieht, als Juan María Arce, nach Santa María, in die von ihm entworfene Stadt, wo sich sein Weg mit dem von Díaz Grey kreuzt.Das kurze Leben, 1950 erschienen, hat Onettis Ruhm begründet: ein herausforderndes, ebenso faszinierendes wie hartes Stück Literatur.Noch stärker verdichtet, enigmatisch bei erster Lektüre und immer leuchtender beim Wiederlesen, sind Onettis Kurzromane Abschiede und Für ein Grab ohne Namen von 1954 und 1959.Die Übersetzungen von Curt Meyer-Clason und Wilhelm Muster wurden von den Herausgebern für diese Ausgabe Satz für Satz revidiert, so daß Onetti, dieser nur scheinbar dunkle Jahrhundertautor, ganz neu zu lesen ist. Der Band enthält einen ausführlichen Anhang mit Anmerkungen, Zeittafel, Bibliographie und Nachwort.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Santa Maria war fünfzehn Jahre lang die lateinamerikanische Fantasie-Stadt schlechthin, schreibt Kersten Knipp, bis dann Gabriel Garcia Marquez mit Macondo kam. Juan Carlos Onetti hat sich mit der schon 1950 erschienen Titelgeschichte ganz nach vorn geschrieben, wenn es um "Metafiktion" geht, also um das literarische Nachdenken über die Betriebsmechanismen von Fiktion, Fantasie und Literatur, informiert Knipp. Onetti bewerkstelligt das mit seiner Figur des Juan Maria Brausen, der bei Bedarf immer in das von ihm imaginierte Santa Maria flüchtet, die mit ihren Bewohnern dann immer mehr zur Realität, zu Brausens Realität wird. "Kunstvoll" findet Knipp das, wie auch in den beiden anderen Stücken des Bandes Erinnerung und Vorstellung seiner Meinung nach auf "kühne" Weise verknüpft werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Juan Carlos Onetti ... ist einer der bedeutendsten Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts.« Richard Kämmerlings Frankfurter Allgemeine Zeitung 20090701