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Gut sechzig Texte Vladimir Nabokovs aus der gesamten Zeit eines russisch-amerikanischen Schriftstellerlebens in fünf Ländern, entstanden zwischen 1921 und 1977, hat Dieter E. Zimmer versammelt: Interviews, Feuilletons, Vorträge, Rezensionen, Nachrufe, Umfrageantworten, Leserbriefe. Sie stammen aus vierzig verschiedenen Quellen, die meisten entlegen und einige nahezu verschollen. Mehrere sind Erstdrucke aus dem Nachlaß. So verschieden die Anlässe dieser Texte, ihr Umfeld, ihr Ton, durchzieht sie dennoch ein roter Faden. Es ist Nabokovs emphatische und unbedingte Liebe zur konkreten Einzelheit…mehr

Produktbeschreibung
Gut sechzig Texte Vladimir Nabokovs aus der gesamten Zeit eines russisch-amerikanischen Schriftstellerlebens in fünf Ländern, entstanden zwischen 1921 und 1977, hat Dieter E. Zimmer versammelt: Interviews, Feuilletons, Vorträge, Rezensionen, Nachrufe, Umfrageantworten, Leserbriefe. Sie stammen aus vierzig verschiedenen Quellen, die meisten entlegen und einige nahezu verschollen. Mehrere sind Erstdrucke aus dem Nachlaß.
So verschieden die Anlässe dieser Texte, ihr Umfeld, ihr Ton, durchzieht sie dennoch ein roter Faden. Es ist Nabokovs emphatische und unbedingte Liebe zur konkreten Einzelheit und seine Abneigung gegen Verallgemeinerungen, Allgemeinbegriffe, Klischees. "Eigensinnige Anisichten" ergänz Nabokovs eigene Sammlung "Deutliche Worte" (1973) und weitet gleichzeitig deren zeitlichen, räumlichen und thematischen Rahmen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Vladimir Nabokov wird am 22. April 1899 in St. Petersburg geboren. Nach der Oktoberrevolution flieht die Familie 1919 nach Westeuropa. 1919-1922 in Cambridge Studium der russischen und französischen Literatur. 1922-1937 in Berlin, erste Veröffentlichungen, meist unter dem Pseudonym W. Sirin. 1937-1940 nach der Flucht aus Nazideutschland in Südfrankreich und in Paris, seit 1940 in den USA. 1961-1977 wohnt Nabokov im Palace Hotel in Montreux. Er stirbt am 2. Juli 1977.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Immer die Männchen!
Nabokov spricht: Mandarins Selbstauskünfte / Von Michael Maar

Endlich hört man Nabokov reden. Man hört ihn scherzen, wenn er auf der Jagd in Arizona der Maultierpisse gedenkt, über der sich die Schmetterlinge in Europas Bergen versammeln, Blumenteppichen gleich. ("Und es sind immer die Männchen. Immer die Männchen.") Man hört ihn schnauben, wenn ihm der Novize, der ihn auf der Jagd begleiten darf, begeistert seinen ersten Fang präsentiert: "Ein geflügeltes Klischee". Und man hört ihn jubeln, aber auch milde tadeln, wenn er gleich zwei auf einen Schlag erwischt, das Weibchen von einem Lygdamus-Bläuling und ein Bläulingsmännchen, die zusammen ausgeflogen waren: "Das ist Ehebruch. Oder ein Schritt hin zum Ehebruch."

Nicht nur bei der Schmetterlingsjagd kann man Nabokov in dem neuen Prachtband "Eigensinnige Ansichten" verfolgen. Kostbares Material, fast zwanzig kaum oder gar nicht bekannte Interviews und fast fünfzig ebensowenig bekannte andere Texte von 1921 bis 1977, einige davon Erstdrucke, hat sein Herausgeber Dieter E. Zimmer in ihm versammelt - Rezensionen, Vorträge, Nachrufe, Feuilletons, Entomologica und ein nachgelassenes Kapitel der "Gabe" (mit gewagten Thesen über die Evolution, an deren darwinistische Erklärung Nabokov und sein Held nicht recht glauben können). Es ist der Pendantband zu der von Nabokov selbst besorgten Auswahl seiner Interviews und Gelegenheitsarbeiten "Strong Opinions" ("Deutliche Worte"), die sein öffentliches Bild bis heute bestimmt - vor allem durch die Maske des grimmen Mandarins, die er sich darin aufzusetzen pflegte. Dieses Bild wird durch den neuen Auswahlband nicht grundlegend verändert, aber die Maske wird, wie im afrikanischen Volksglauben, lebendig. Man hört ihn reden, man hört ihn klagen, wie schwer ihm das Schreiben falle - für eine Postkarte braucht er eine Stunde; man hört, daß er Fellini mag und Godard nicht kennt, daß er Bizets "Carmen" schätzt und mehr noch "Pelléas et Mélisande". Man erfährt, daß auch er, wie sein Konkurrent Borges, ein Freund der Geschichte vom chinesischen Philosophen ist, der träumt, er sei ein Schmetterling, und danach nicht mehr entscheiden kann, ob er nicht doch ein Schmetterling sei, der geträumt habe, er sei ein Philosoph.

Man hört und erfährt hunderterlei, und man hört es gern. Klischees waren Nabokov nicht nur in fliegender Gestalt zuwider - genau daran liegt es, daß man sich in diesem Buch festliest, wo immer man es aufschlägt. Sirin-Nabokov kann über alles plaudern: über die Schönheit des Boxsports oder über die Poesie Bunins, über die Oper als natürliche Kunstform oder die eine, entscheidende Grundregel des Theaters; über Schachgroßmeister oder die Heldinnen der sowjetischen Literatur, über die Unmöglichkeit, Puschkin in Versform zu übertragen, übers Eierkochen oder über das Wunder des Bewußtseins, dieses plötzlichen Fensters, das sich in der Nacht des Nichtseins auf eine sonnenhelle Landschaft auftut. Ob er immer recht hat, ist dabei gar nicht die Frage, aber immer hat er den frischen, vom Klischee unverklebten Blick.

Natürlich ist auch etwas für die Philologen dabei. Über seine Frühwerke sagt Nabokov, sie seien wie Schmetterlingspuppen, in denen sich kurz vor dem Schlüpfen schon die Flügel als Miniaturen abzeichneten. Genauso zeichnen sich in diesen Nebenarbeiten hier und dort schon spätere, große Passagen ab: der ironische Schluß seines Streifzugs durch die sowjetische Literatur - "Vor dem Hintergrund der aufziehenden Dämmerung vereinen sich die Lippen eines einfachen Mädchens mit denen eines strenggläubigen Jünglings zum Kuß" - nimmt das Ende des fünften Kapitels in "Pnin" vorweg; ein Programmtext fürs Cabaret von 1922, der von geflügelten Seraphim auf prähistorische Tierbilder kommt, enthält schon verpuppt das berühmte Finale "Lolitas": "Ich denke an Auerochsen und an Engel, an das Geheimnis zeitbeständiger Pigmente . . ." Das Schönste in diesem Band bleiben die frühen, ungeschliffenen Interviews, in denen Nabokov noch nicht das Ritual der vorgelegten Fragen und schriftlich präparierten Antworten pflegte. Fast rührend, wie er bekennt, worin die Tragik "Lolitas" liege und daß sie ihn blutige Tränen gekostet habe; später sollte er nie mehr so offen aus sich herausgehen. Von einiger Komik ist das Gespräch mit Robbe-Grillet, einem der nicht allzu zahlreichen zeitgenössischen Autoren, die er gelten ließ. Robbe-Grillet erkundigt sich nach den nationalen Eigentümlichkeiten der "Lolita"-Reaktionen, und Nabokov erläutert sie ihm: In Indien und der Türkei habe man keinen Anlaß gesehen, so viel Tralala um Dinge zu machen, die so normal, so natürlich seien. In Japan habe man auf den Umschlag eine üppige blonde Frau gesetzt, "Lolita Monroe sozusagen". Besonders überrascht hätten ihn die Schweden, da sei das Buch so platt gewesen wie eine Laus: "Sie hatten offenbar nur die ein wenig gewagten Szenen stehenlassen, alles andere hatten sie gestrichen."

Leichten Ärger über das Stockholmer Komitee, das statt seiner so viele Nieten auszeichnet, läßt ein Interview von 1972 durchschimmern. Der Mandarin war ein Mensch mit dem Gefühlsspektrum anderer Menschen auch, in dem das Giftgelb des Neids und das Purpur des Ressentiments nicht fehlen. "In Rußland lebt der recht begabte Dichter Pasternak", beginnt eine Sirin-Rezension aus dem Jahr 1927, in dem noch nicht abzusehen war, daß der begabte Poet Jahrzehnte später mit einem dicken Roman Nabokovs zartes Nymphchen vom ersten Platz der Bestsellerlisten verdrängen und, noch unverzeihlicher, als erster Russe nach Bunin den Nobelpreis erhalten würde. Der Lohn war die Aufnahme in Nabokovs Liste der liebsten Haßobjekte: "Die vier Doktoren: Dr. Freud, Dr. Schweitzer, Dr. Shiwago, Dr. Castro".

Von Freud, dem er 1931 eine Kurzsatire widmet, sagt er immerhin auch, er schätze ihn als komischen Autor ("Man muß ihn übrigens im Original lesen" - Nabokovs Deutsch war offenbar besser als später zugegeben). Einem andereren verachteten Nobelpreisträger, Thomas Mann, widmet er in den Fünzigern einen Vorlesungsentwurf. Darin zerpflückt er die Erzählung "Das Eisenbahnunglück", wobei er er es schafft, die Pointe der Geschichte (Schriftsteller glaubt sein Manuskript zerstört) nicht einmal zu erwähnen. Der gute englische Grundsatz jeden Streits: Man suche den Gegner da, wo er stark ist, man treffe ihn auf seiner Höhe - dieser goldene Grundsatz ging im polemischen Furor Nabokovs oft unter. Seine Souveränität war nicht gemacht, aber hart erkämpft; die Maske blieb lebendig und zuckte bis zum Schluß.

Dieter E. Zimmer hat diesen Band, in dem es keine langweilige Seite gibt, mit der gewohnten größten Sorgfalt kommentiert. Einmal, in der Frage, ob Purpur mehr rot oder mehr blau ist, behält er sogar gegen den Meister recht. Es gibt nicht einmal eine Handvoll Nabokovianer, die den entomologischen Part mit dieser Akribie hätte abdecken können. Aber auch auf lyrischem Gebiet entgeht Zimmer kein Halbvers; er entdeckt sogar ein winziges Fehlzitat bei Nabokov, eine Zeile aus Blake, in die sich unvermittelt T. S. Eliot einschleicht (Ausgerechnet! Ein anderer von Nabokovs Lieblingsfeinden). Der Kommentar, diese mühsamste Arbeit im Weinberg der Literatur, ist nicht Zimmers einziges Verdienst. Seine Werkausgabe ist überhaupt ein Monument der Hingabe und Akuratesse, wie es nicht viele vergleichbare gibt. Ohne einen Stab von Hilfskräften, ohne Absicherung durch Forschungsfonds, ohne die Pfründe der Institutionen, deren Klassikerausgaben im trägen Rhythmus der Gezeiten alle fünf Jahre einen aufgeblähten Kommentarband ans Land zu schwemmen pflegen, hat Zimmer single-handedly inzwischen neunzehn stattliche Bände vorgelegt - die beste Nabokov-Edition weltweit. Einziger Makel - der kleine Larvenfraß auf dem Blatt, als das sich der Schmetterling nach Ansicht Nabokovs allzu perfekt tarnt : Warum mußte seit dem letzten Band die Einheitlichkeit der so weit fortgeschrittenen Ausgabe den Regeln der neuen Rechtschreibung geopfert werden? Siebzehn Bände lang ging alles gut, warum müssen wir jetzt von einem "auf die Flamme zu fliegenden" Nachtfalter lesen? Unweigerlich liest man diesen Satz beim ersten Mal falsch, so unweigerlich wie die Motte dem Licht zufliegt. Was wird man uns noch alles zu muten? - Winziger Makel und Larvenfraß, der nichts mindert am Gewicht dieses großen Geschenks, das Zimmer nicht nur den Nabokovianern gemacht hat.

Vladimir Nabokov: "Eigensinnige Ansichten". Werkausgabe Band XXI. Hrsg. von Dieter E. Zimmer. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004. 654 Seiten, geb., 38,- [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.10.2004

Die Mondkarte sticht
Unwissen und Einbildungskraft, Ich und Nicht-Ich: Neue Nachrichten aus der Nabokov-Welt
Was darf ein moderner Romancier eigentlich erfinden? Außerhalb der reinen Science-Fiction oder der Fantasy wohl doch nur das Wahrscheinliche oder noch ein wenig präziser formuliert: das Mögliche. Auch die namenlose, erfundene Großstadt eines Romans muss so viele Züge mit den bekannten realen Städten dieser Welt teilen, dass die Einbildungskraft des Lesers nicht überfordert ist. Vladimir Nabokov, dieser mit szientifischer Präzision arbeitende Erzähler, war stolz darauf, in seinem späten Roman „Ada” zum ersten Mal „wissenschaftlich mögliche Schmetterlinge” erfunden zu haben (allerdings nur Arten, nicht Gattungen, „das ist das Hübsche daran”).
Das Hübsche, aber auch ein wenig Verstörende für uns Leser besteht freilich darin, dass 99 Prozent von uns sich dieses Umstands wohl gar nicht bewusst werden. Wir nehmen die von Nabokov kreierten Arten für bare Münze und müssten erst mühsam blättern, um ihre reale Nichtexistenz festzustellen. Er nutze dabei ein wenig die Unwissenheit des Lesers in Sachen Schmetterlingen aus, erklärte Nabokov voller Behagen, „denn hätten Sie für die Schlossherren des Buches einen neuen Typ Hund oder Katze erfunden, hätte der Betrug den Leser lediglich verärgert, der jedes Mal, wenn Ada das Tier auf den Arm nimmt, sich einen kleinen mythologischen Vierbeiner vorstellen müsste.” Doch „immerhin habe ich einen Baum erfunden, das ist doch schon etwas”.
Unwissenheit als Voraussetzung für Erfindungen, die Parallelwelt entlegenen Expertenwissens als Zufluchtsraum für poetische Einbildung: Dieses Theorem sagt mehr als tausend Seiten über die zwei oder drei Kulturen, wie es mit dem Schicksal von Dichtung und Wissenschaft bestellt ist. Unbekannte mythologische Vierbeiner, einäugige Menschen oder Menschen mit Vogelköpfen waren so wahrscheinlich wie Nabokovs ausgedachte Schmetterlinge, solange die Erdkarten noch weiße Flecken mit der Inschrift „hic sunt leones” aufwiesen. Ist also die Poesie aus der Welt verschwunden, seit wir so viel von ihr wissen?
Der neue, von Dieter E. Zimmer wiederum mit bewundernswürdiger Akribie betreute Band der Nabokov-Werkausgabe enthält eine Nachlese von Interviews und literarischen Essays. Es sind Nebenwerke, viele anlassgebunden und zuweilen durchaus von geringerem Gewicht. Die Interviews, fast durchweg nach dem Nabokovschen System erstellt - vorher eingereichte Fragen, werden von Karteikarten gravitätisch abgelesen, mal vor Kameras, mal nur für den Stift des Reporters -, sind weniger geschliffen als die im Band „Deutliche Worte” versammelten Stücke. Im Großen erfährt der Nabokovien wenig, was ihm nicht schon bewusst gewesen wäre. Doch wird er an einigen Stellen durch eine Offenherzigkeit belohnt, die Grundmotive dieses gern in schimmernden Rätseln sprechenden Autors einfacher zur Geltung bringt als gewohnt.
Traurig wäre es ja um eine Literatur bestellt, der für die Entfaltung ihrer Erfindungskraft nur Randgebiete des Expertenwissens wie die Schmetterlingskunde verblieben. Nabokov hasste große Ideen, engagierte Literatur, sozialen Realismus, die vorgestanzte Kommunikation, das ist bekannt. Mit bösartigem Sarkasmus mustert er eine in der Tat ungewöhnlich schwache Erzählung Thomas Manns durch („Das Eisenbahnunglück” - nur die „Schwere Stunde” dürfte einen ähnlichen Tiefpunkt im Werk dieses Autors darstellen), um sie als Anhäufung trivialer Klischees zu entlarven. Ideologie besteht geradezu im Klischee, denn aus der vorgestanzten Poesie lugt die verlogene soziale Weltanschauung, so wenn das arme Weiblein vom Beginn nach dem Eisenbahnmalheur in der Ersten Klasse landet und nun neben einem schnarrenden adeligen Offizier Platz nehmen darf.
Was Nabokov dieser Art von Literatur - zum Beispiel auch dem sowjetischen Roman, dessen Langeweile er mit steinerweichender Komik vorführt - so übel nimmt, ist, dass sie die Wunder dieses Jahrhunderts nicht sieht, „die kleinen Dinge - die Lässigkeit der Männerkleidung, das Badezimmer, das den widerlichen Waschtisch ablöst, die großen Dinge, wie die herrliche Freiheit des Denkens ins unserem doppelten Okzident”, oder auch den Mond, dessen Eroberung durch den Menschen Nabokov mit klopfendem Herzen am Fernsehschirm verfolgte. Hier ist die eigentliche, sich immer erneuernde Schmetterlingswelt seiner Kunst, und sie liegt vor aller Augen, auch der ungelehrtesten.
Das glückhaft gesteigerte Wirklichkeitsgefühl der Nabokovschen Romane kommt aus der Empfindung der Unwahrscheinlichkeit von Wirklichkeit, also dem Bewusstsein. Die Schmetterlinge seiner Worte schwirren immer wieder gegen die unsichtbare Glaswand, die Ich von Nicht-Ich trennt. Was es mit dieser Trennung, die für Nabokovs Denken grundlegend ist, auf sich hat, erläutern die gewichtigsten Abhandlungen dieses Bandes auf überraschende und anschauliche Weise. Sie gelten dem Theater, einer Kunst, die in Nabokovs Schaffen einen untergeordneten Rang einnimmt, an der er aber als Zuschauer leidenschaftlich Anteil nahm.
Den Witz dieser Kunstform beschreibt Nabokov als Grenze, als strikte Scheidung zwischen Bühne und Zuschauern: Diese haben keinerlei Einfluss aufs Bühnengeschehen, doch umgekehrt vermag die unerreichbare Handlung uns Zuschauer auf heftigste zu bewegen. Ich und Nicht-Ich oder Ich und Welt erscheinen diesem Dichter also wie Zuschauer und Bühne: Alle Wirklichkeit ist zum Greifen nah, doch gleichzeitig vollkommen unerreichbar. Diese Weltsicht ist mehr als ästhetisch, sie ist erkenntnistheoretisch.
Vladimir Nabokov
Eigensinnige Ansichten
Herausgegeben von Dieter E. Zimmer. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 655 Seiten, 38 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Vladimir Nabokov hat riesiges Glück gehabt, dass er in Dieter E. Zimmer einen derart hingebungsvollen und genauen Herausgeber seiner deutschen Werkausgabe gefunden hat, die zwar langsam, aber prächtig gedeiht, schwärmt Eberhard Falcke fast ein wenig neidisch. Nun sei der 21. Band der gesammelten Werke erschienen und beinhalte Texte von 1921 bis zu Nabokovs Todesjahr 1977, darunter etliche Erstdrucke. In den ganz frühen Beiträgen kann man schon die Basis für die Nabokovsche Eigenwilligkeit erkennen, "aus der sowohl seine Ansichten als auch seine stilistischen Finessen" hervorgingen, erklärt Falcke. Die "archivalische Logik" des Bandes ermögliche einen Einblick in die "allmähliche Verfertigung der Autorenposition und des Autorenimages". Außerdem werde deutlich, mit welcher Entschiedenheit der Autor der Geschichte des Jahrhunderts seine Aufmerksamkeit verweigerte und wie sehr er "mit dem Rücken zum Zeitgeschehen" schrieb. Der Band, stellt der Kritiker zufrieden fest, macht den "allseits bekannten Nabokov auf erhellende und unterhaltsame Weise noch ein bisschen bekannter".

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