Am 22. Februar 1998 kam Clemens Eich, noch nicht einmal 45-jährig, bei einem Unfall ums Leben. Er hinterließ ein schmales, in seiner traumwandlerischen Klarheit erstaunliches Werk: Gedichte, Prosaerzählungen, ein Theaterstück, den Roman "Das steinerne Meer" und die unvollendet gebliebenen "Aufzeichnungen aus Georgien", die ein Jahr nach seinem Tod erschienen. Immer lotet Clemens Eich Grenzen aus - ob in der felsigen Gebirgslandschaft des Steinernen Meers, des gewaltigen Gebirgszuges zwischen Deutschland und Österreich, oder in Georgien, diesem "hellschwarzen, strahlend finsteren Traum".
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2008Verlorener Sohn
Hoffnungsvoll abgebrochen: Clemens Eichs Werke
Bewundernswert ist, wie sich dieser Autor gegen den doppelten Erwartungsdruck behauptet hat, dem sich der Sohn des Schriftsteller-Ehepaars Ilse Aichinger/Günter Eich ausgesetzt sah, zumal, nachdem er 1979 vom Beruf des Schauspielers zu dem des freien Schriftstellers gewechselt war. Am 22. Februar 1998 an den Folgen eines Unfalls in Wien verstorben, konnte Clemens Eich viele Pläne nicht verwirklichen; sein Werk blieb überschaubar, es füllt zwei Bände. Und es scheint, als wollte der Verlag mit der Gesamtausgabe nicht nur den Autor, sondern auch sich selbst ehren.
Als jemanden, "der im Begriff stand, in die erste Reihe der deutschen Autoren zu treten", kennzeichnet ihn Ulrich Greiner in seinem lesenswerten Nachwort. Der kleine Vorbehalt ist nötig, denn anders als im Falle Georg Büchners war das Fragment seines Lebenswerks noch nicht ausgereift. Mit einem Gedichtband, "Aufstehn und gehn", debütierte der 1954 geborene Eich 1980. Im Nachlass fand man auch Verse des Dreizehnjährigen, die sich sehen lassen können. "Sechs Gedichte für Papa", dann den Fünfzeiler "Schreibübung". Im Debütband deutet das Gedicht "Selbstporträt" auf eine Eichsche Grundkonstellation: Das Ich entwirft sich selbst als ein Gegenüber, das Übelkeit verursacht, mit dem es zu kämpfen gilt. Wo etwas belacht wird, ist es eigentlich eine "vertrackte Commedia dell'Arte", ein Anlass zum Weinen. In "Großgmainer Nacht" - in Großgmain, zwischen Salzburger Land und Bayern, lebte die Familie lange - signalisiert der "Schlagbaum" ein anderes Grundmotiv: "Grenze" als Bild für eine existentielle Erfahrung. Rhythmisch und musikalisch noch stärker durchformt als die frühen sind die "Gedichte aus dem Nachlass" (1967 bis 1996). Vielleicht das schönste, "Zwischentage", fasst die Unmöglichkeit, Haltepunkte in der Zeit zu finden, in den Bildern des "dem Sand Preisgegebenen" und der schon im Heute "verschollenen Tage".
Fünf Jahre lang konnte Eich als Schauspieler Erfahrungen für bühnengerechte Texte sammeln. Aber den einzigen, im Typoskript erhaltenen dramatischen Text, "So", möchte man für ein Nebenprodukt des Schriftstellers halten. Nach dem Beispiel des Grazer Stückeschreibers Wolfgang Bauer schockiert er mit einer ereignisreichen, aber konfusen Story das Publikum. Die Zeit gerät in Unordnung, die Katastrophenfarce löst sich in eine Kriminalgroteske auf. Eich selbst scheint zu seinem Text nicht mehr voll gestanden zu haben. So wird er uns wohl nur als Lyriker und Erzähler in Erinnerung bleiben. Mit den frühen Gedichten korrespondieren die 1987 erschienenen Erzählungen unter dem Titel "Zwanzig nach drei". Wirklichkeit, Traum und Halluzination werden oft ununterscheidbar. Die Figuren bewegen sich auf unsicherem Gelände, steigen in den falschen Zug, verlieren die Orientierung oder gleiten in eine Todesstille, kommen um den Verstand oder verschwinden einfach. Lebensberater haben Konjunktur, aber können nicht einmal sich selbst von Angst befreien - Menschen am Abgrund.
Dieses Leitmotiv der "Grenze" durchzieht auch das Hauptwerk, den Roman des Einundvierzigjährigen "Das Steinerne Meer" (1995). Der Ort Muna, Schauplatz des fiktiven Geschehens, verschlüsselt den Namen des salzburgischen Großgmain, an den Umgebung und Landschaften erinnern, die hier Stätten der Schönheit, aber auch der Zerstörung sind. Erzählt wird von den Träumen und Wahrnehmungen zweier Figuren, des jungen elternlosen Valentin Hader und seines Großvaters. Die Gegenwartshandlung spielt im Winter 1963, unmittelbar vor der Olympiade in Innsbruck. Den Mittelteil nimmt die Geschichte des Großvaters ein, der einen unaufgedeckten Mord begangen hat. Nach seinem Tod wandert Valentin zum Steinernen Meer, dem Hochplateau südlich des Königssees, über das die österreichisch-deutsche Grenze verläuft. Der Aufbruch wird nur ein Aufbruch von einer Einsamkeit in eine neue Einsamkeit und wohl auch in ein frühes Sterben sein. Mit großer Empfänglichkeit für die Ich-Gefühle von Menschen, denen der Lebenswille abhandenkam, ist dieser Roman erzählt.
Zu einem anderen Prosastil fand Eich in seinen "Aufzeichnungen aus Georgien", dem Protokoll dreier Reisen nach Georgien zwischen 1995 und 1997. Minutiöse Darstellung der Lebensverhältnisse, Bruch mit gewissen Klischeevorstellungen von der legendären georgischen Gastfreundschaft und schonungslose politische Urteile kennzeichnen diese Prosa. War Clemens Eich auf dem Weg von einer mehr existentialistischen Blickweise zu einer neuen Wahrnehmung? Der Autor selbst konnte die Antwort nicht mehr geben.
WALTER HINCK
Clemens Eich: "Gesammelte Werke". Herausgegeben von Elisabeth Eich und Ulrich Greiner. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 2 Bde. 399 und 362 S., geb., 28,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hoffnungsvoll abgebrochen: Clemens Eichs Werke
Bewundernswert ist, wie sich dieser Autor gegen den doppelten Erwartungsdruck behauptet hat, dem sich der Sohn des Schriftsteller-Ehepaars Ilse Aichinger/Günter Eich ausgesetzt sah, zumal, nachdem er 1979 vom Beruf des Schauspielers zu dem des freien Schriftstellers gewechselt war. Am 22. Februar 1998 an den Folgen eines Unfalls in Wien verstorben, konnte Clemens Eich viele Pläne nicht verwirklichen; sein Werk blieb überschaubar, es füllt zwei Bände. Und es scheint, als wollte der Verlag mit der Gesamtausgabe nicht nur den Autor, sondern auch sich selbst ehren.
Als jemanden, "der im Begriff stand, in die erste Reihe der deutschen Autoren zu treten", kennzeichnet ihn Ulrich Greiner in seinem lesenswerten Nachwort. Der kleine Vorbehalt ist nötig, denn anders als im Falle Georg Büchners war das Fragment seines Lebenswerks noch nicht ausgereift. Mit einem Gedichtband, "Aufstehn und gehn", debütierte der 1954 geborene Eich 1980. Im Nachlass fand man auch Verse des Dreizehnjährigen, die sich sehen lassen können. "Sechs Gedichte für Papa", dann den Fünfzeiler "Schreibübung". Im Debütband deutet das Gedicht "Selbstporträt" auf eine Eichsche Grundkonstellation: Das Ich entwirft sich selbst als ein Gegenüber, das Übelkeit verursacht, mit dem es zu kämpfen gilt. Wo etwas belacht wird, ist es eigentlich eine "vertrackte Commedia dell'Arte", ein Anlass zum Weinen. In "Großgmainer Nacht" - in Großgmain, zwischen Salzburger Land und Bayern, lebte die Familie lange - signalisiert der "Schlagbaum" ein anderes Grundmotiv: "Grenze" als Bild für eine existentielle Erfahrung. Rhythmisch und musikalisch noch stärker durchformt als die frühen sind die "Gedichte aus dem Nachlass" (1967 bis 1996). Vielleicht das schönste, "Zwischentage", fasst die Unmöglichkeit, Haltepunkte in der Zeit zu finden, in den Bildern des "dem Sand Preisgegebenen" und der schon im Heute "verschollenen Tage".
Fünf Jahre lang konnte Eich als Schauspieler Erfahrungen für bühnengerechte Texte sammeln. Aber den einzigen, im Typoskript erhaltenen dramatischen Text, "So", möchte man für ein Nebenprodukt des Schriftstellers halten. Nach dem Beispiel des Grazer Stückeschreibers Wolfgang Bauer schockiert er mit einer ereignisreichen, aber konfusen Story das Publikum. Die Zeit gerät in Unordnung, die Katastrophenfarce löst sich in eine Kriminalgroteske auf. Eich selbst scheint zu seinem Text nicht mehr voll gestanden zu haben. So wird er uns wohl nur als Lyriker und Erzähler in Erinnerung bleiben. Mit den frühen Gedichten korrespondieren die 1987 erschienenen Erzählungen unter dem Titel "Zwanzig nach drei". Wirklichkeit, Traum und Halluzination werden oft ununterscheidbar. Die Figuren bewegen sich auf unsicherem Gelände, steigen in den falschen Zug, verlieren die Orientierung oder gleiten in eine Todesstille, kommen um den Verstand oder verschwinden einfach. Lebensberater haben Konjunktur, aber können nicht einmal sich selbst von Angst befreien - Menschen am Abgrund.
Dieses Leitmotiv der "Grenze" durchzieht auch das Hauptwerk, den Roman des Einundvierzigjährigen "Das Steinerne Meer" (1995). Der Ort Muna, Schauplatz des fiktiven Geschehens, verschlüsselt den Namen des salzburgischen Großgmain, an den Umgebung und Landschaften erinnern, die hier Stätten der Schönheit, aber auch der Zerstörung sind. Erzählt wird von den Träumen und Wahrnehmungen zweier Figuren, des jungen elternlosen Valentin Hader und seines Großvaters. Die Gegenwartshandlung spielt im Winter 1963, unmittelbar vor der Olympiade in Innsbruck. Den Mittelteil nimmt die Geschichte des Großvaters ein, der einen unaufgedeckten Mord begangen hat. Nach seinem Tod wandert Valentin zum Steinernen Meer, dem Hochplateau südlich des Königssees, über das die österreichisch-deutsche Grenze verläuft. Der Aufbruch wird nur ein Aufbruch von einer Einsamkeit in eine neue Einsamkeit und wohl auch in ein frühes Sterben sein. Mit großer Empfänglichkeit für die Ich-Gefühle von Menschen, denen der Lebenswille abhandenkam, ist dieser Roman erzählt.
Zu einem anderen Prosastil fand Eich in seinen "Aufzeichnungen aus Georgien", dem Protokoll dreier Reisen nach Georgien zwischen 1995 und 1997. Minutiöse Darstellung der Lebensverhältnisse, Bruch mit gewissen Klischeevorstellungen von der legendären georgischen Gastfreundschaft und schonungslose politische Urteile kennzeichnen diese Prosa. War Clemens Eich auf dem Weg von einer mehr existentialistischen Blickweise zu einer neuen Wahrnehmung? Der Autor selbst konnte die Antwort nicht mehr geben.
WALTER HINCK
Clemens Eich: "Gesammelte Werke". Herausgegeben von Elisabeth Eich und Ulrich Greiner. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 2 Bde. 399 und 362 S., geb., 28,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Helmut Böttiger begrüßt die "Gesammelten Werke" von Clemens Eich, die zum zehnten Todestag des Schriftstellers in zwei Bänden erschienen sind. Er wirft einen genauen Blick auf das überschaubare Werk des 1954 als Sohn von Günter Eich und Ilse Aichinger geborenen Autors, der 1998 durch einen Unfall ums Leben kam. Generell konstatiert er eine Suche nach Eigenständigkeit, sprachlich wie inhaltlich. Gleichwohl scheint ihm Eich nicht immer frei zu sein vom Einfluss der Eltern. So mutet ihn manches Gedicht wie eine "Collage aus Günther Eich-Zitaten" an und bei den Erzählungen "Zwanzig nach drei" spürt er "überdeutlich" den Einfluss von Aichingers "fragiler Traumprosa". Andererseits attestiert er vielen Gedichten aus der Sammlung "Aufstehn und gehn" von 1980, einen eigenen Weg zu suchen. Am stärksten findet er den Roman "Das steinerne Meer", der für ihn trotz seiner existenziellen Düsternis etwas Befreiendes hat, sowie die "Aufzeichnungen aus Georgien".
© Perlentaucher Medien GmbH
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