Bei der Vorlesung über Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie handelt es sich um die zweite Marburger Vorlesung Martin Heideggers, die er im Sommersemester 1924 vierstündig hielt. Nicht nur die Tatsache, dass Heidegger um 7 Uhr in der Frühe las, bedeutete damals eine unerhörte Provokation für den des Nachts seine Schüler um sich sammelnden Marburger Kollegen Nicolai Hartmann, sondern vor allem die gegen die neukantianische Fixierung auf erkenntnistheoretische Fragestellungen und diesseits aller neothomistischen Aneignung ernstgenommene ontologische Forschung des Aristoteles. Auf der Grundlage seiner seit 1922 im Hinblick auf ein Buchprojekt neu intensivierten und stets eng am griechischen Original erfolgenden Lektüre der aristotelischen Metaphysik, Physik, Nikomachischen Ethik, Politik, Rhetorik sowie der Schriften De anima und De partibus animalium unternimmt es Heidegger, eine beachtliche Anzahl der darin gebrauchten Grundbegriffe zur Auslegung zu bringen, so insbesondere die Begriffe logos, ousia, agathon, teleion, doxa, ethos, pathos, hexis, phobos, entelecheia, energeia, steresis, dynamis und kinesis. So sehr Heidegger sich dabei einerseits von der inneren Dynamik der Texte leiten und das heißt: von einem Begriff zum nächsten fortreißen lässt, so macht sich doch andererseits ein systematischer Impetus bemerkbar, der den Gang der Vorlesung zu einem klar erkennbaren hermeneutischen Doppelschritt fügt: In der Orientierung an aristotelischen Grundbegriffen wird das menschliche Dasein im Sinne des miteinandersprechenden In-der-Welt-Seins als des Bodens für alle Begrifflichkeit herausgestellt, um dann von diesem Boden aus den Begriff der kinesis als radikales Ergreifen der Ausgelegtheit des Daseins zu interpretieren. Was sich hierin ankündigt, ist nichts anderes als die fundamentalontologische Analytik des Daseins, wie sie zu jener Zeit im Denken Heideggers Gestalt annimmt und drei Jahre später in Sein und Zeit der weiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden wird.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Im Sommersemester 1924 hielt Heidegger seine Aristoteles-Vorlesung, die jedoch nur zu einem Drittel nach eigener Handschrift überliefert ist. Den Rest hat man nun nach Mitschriften seiner Studenten rekonstruiert. "Alle Einzelheiten" dazu liefert das Nachwort des Herausgebers. Den Zugang zu Aristoteles - und zwar als Einführung in sein Denken - sucht Heidegger in der Schrift zur "Rhetorik". Hier soll an Aristoteles das Philosophieren gelernt werden, das darin bestehe "die Sache in derselben Ursprünglichkeit und Echtheit zu sehen und zu bestimmen". So nimmt es nicht Wunder, meint der Rezensent Ansgar Kemman, dass in der Vorlesung nicht immer zu unterscheiden sei, wo Aristoteles spricht und wo Heidegger. Teile des Textes finden sich, aus dem unmittelbaren Aristoteles-Kontext gelöst, gar im ersten Teil von Heideggers "Sein und Zeit" wieder. Allerdings haben Begriffe wie der des "Man" oder die Auffassung von der "Sprache" in der Vorlesung noch nicht die eindeutige Negativität wie im späteren Werk.
© Perlentaucher Medien GmbH
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