Ruanda und Burundi sind ein kolonialgeschichtlicher Sonderfall. Sie fielen dem Deutschen Reich im Zuge der Aufteilung Afrikas in europäische Einflussgebiete auf der »Kongo-Konferenz« 1884/85 zu. Anders als in den übrigen Teilen Deutsch-Ostafrikas blieben die Bewohner des Hochplateaus zunächst von der deutschen Kolonialherrschaft unberührt. Erst 1898 wurde ein deutscher Militärposten in Ruanda errichtet. Im Unterschied zu ihren anderen Kolonien setzten die Deutschen hier auf Kooperation und etablierten ein Residentursystem zur Ausübung einer »indirekten Herrschaft«. Das Buch beschreibt die Kolonialherrschaft von den Anfängen bis zum Rückzug der Deutschen 1916. Abgerundet wird die Darstellung durch einen Essay, der einen Bogen schlägt über die belgischen Mandatsjahre, die UN-Treuhandverwaltung bis zur Gründung selbständiger Staaten. Diskutiert wird auch, inwieweit der Völkermord 1994 auf die Kolonialpolitik zurückgeführt werden kann.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.12.2006Ungenaue Karten
Kolonien Ruanda und Burundi
"Ein Land, wo Milch und Honig fließt, wo Vieh- und Bienenzucht blüht und der kultivierte Boden reiche Erträge bringt. Ein Bergland, dicht bewohnt, von hoher landschaftlicher Schönheit, mit unvergleichlich frischem und gesundem Klima." Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg war begeistert, als er 1907 eine Forschungsexpedition in das weitgehend unbekannte Ruanda führte. Noch heute zieht das Land deutsche Beamte, die dort Dienst taten, in seinen Bann. Der frühere Botschafter in Kigali, Reinhard Bindseil, hat zahlreiche Untersuchungen zur deutschen Kolonialherrschaft in Ruanda verfaßt. Eine neue Studie gibt es nun von Helmut Strizek, der im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit für Projekte in Ruanda und Burundi verantwortlich war.
Beide Königreiche gelangten eher zufällig unter deutsche Herrschaft. Auf der Berliner Kongo-Konferenz 1884/1885 regelten die Mächte Europas ihre kolonialen Ansprüche in Afrika. Dank ungenauer Karten fiel das Gebiet zwischen Belgisch-Kongo und Deutsch-Ostafrika an das Deutsche Reich, das erst Jahre später begann, diese "geschenkten Kolonien" in Besitz zu nehmen. Materialgesättigt schildert Strizek auf der Basis der einschlägigen Literatur die Erkundungsmissionen seit 1894 und den dann folgenden Aufbau der eher indirekten deutschen Kolonialverwaltung. Knapp besetzte Residenturen nutzten die überlieferten Strukturen aus vorkolonialer Zeit. Die sozialen Spannungen zwischen den Ackerbau treibenden Hutu und den herrschenden Tutsi, deren Reichtum auf Rinderherden gründete, stellt Strizek eindringlich dar. Sie wirkten unvermindert fort bis zu den wechselseitigen Völkermorden an den Hutu 1972 und an den Tutsi 1994.
Das nüchterne Resümee der deutschen Herrschaft lautet: In Ruanda führten die Deutschen den Kaffeeanbau ein, für Jahrzehnte wichtigstes Exportmittel und Devisenbringer; in Burundi gab es "außer einigen Gebäuden, einigen Krankenstationen und einigen Grundschulen . . . nichts zu erwähnen". 1916 endete die deutsche Herrschaft mit dem Sieg Belgiens, das dann als Mandat des Völkerbundes und seit 1947 als UN-Treuhandgebiet die Verantwortung für beide Länder bis zu deren Unabhängigkeit 1962 übernahm. Die sich in vielen Details verlierende Darstellung hätte ein strafferes Lektorat verdient. Prägnant ist der Essay über Ruanda und Burundi vom Ende der deutschen Kolonialzeit bis zur Gegenwart.
HANS JOCHEN PRETSCH
Helmut Strizek: Geschenkte Kolonien. Ruanda und Burundi unter deutscher Herrschaft. Mit einem Essay über die Entwicklung bis zur Gegenwart. Ch. Links Verlag, Berlin 2006. 224 S., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kolonien Ruanda und Burundi
"Ein Land, wo Milch und Honig fließt, wo Vieh- und Bienenzucht blüht und der kultivierte Boden reiche Erträge bringt. Ein Bergland, dicht bewohnt, von hoher landschaftlicher Schönheit, mit unvergleichlich frischem und gesundem Klima." Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg war begeistert, als er 1907 eine Forschungsexpedition in das weitgehend unbekannte Ruanda führte. Noch heute zieht das Land deutsche Beamte, die dort Dienst taten, in seinen Bann. Der frühere Botschafter in Kigali, Reinhard Bindseil, hat zahlreiche Untersuchungen zur deutschen Kolonialherrschaft in Ruanda verfaßt. Eine neue Studie gibt es nun von Helmut Strizek, der im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit für Projekte in Ruanda und Burundi verantwortlich war.
Beide Königreiche gelangten eher zufällig unter deutsche Herrschaft. Auf der Berliner Kongo-Konferenz 1884/1885 regelten die Mächte Europas ihre kolonialen Ansprüche in Afrika. Dank ungenauer Karten fiel das Gebiet zwischen Belgisch-Kongo und Deutsch-Ostafrika an das Deutsche Reich, das erst Jahre später begann, diese "geschenkten Kolonien" in Besitz zu nehmen. Materialgesättigt schildert Strizek auf der Basis der einschlägigen Literatur die Erkundungsmissionen seit 1894 und den dann folgenden Aufbau der eher indirekten deutschen Kolonialverwaltung. Knapp besetzte Residenturen nutzten die überlieferten Strukturen aus vorkolonialer Zeit. Die sozialen Spannungen zwischen den Ackerbau treibenden Hutu und den herrschenden Tutsi, deren Reichtum auf Rinderherden gründete, stellt Strizek eindringlich dar. Sie wirkten unvermindert fort bis zu den wechselseitigen Völkermorden an den Hutu 1972 und an den Tutsi 1994.
Das nüchterne Resümee der deutschen Herrschaft lautet: In Ruanda führten die Deutschen den Kaffeeanbau ein, für Jahrzehnte wichtigstes Exportmittel und Devisenbringer; in Burundi gab es "außer einigen Gebäuden, einigen Krankenstationen und einigen Grundschulen . . . nichts zu erwähnen". 1916 endete die deutsche Herrschaft mit dem Sieg Belgiens, das dann als Mandat des Völkerbundes und seit 1947 als UN-Treuhandgebiet die Verantwortung für beide Länder bis zu deren Unabhängigkeit 1962 übernahm. Die sich in vielen Details verlierende Darstellung hätte ein strafferes Lektorat verdient. Prägnant ist der Essay über Ruanda und Burundi vom Ende der deutschen Kolonialzeit bis zur Gegenwart.
HANS JOCHEN PRETSCH
Helmut Strizek: Geschenkte Kolonien. Ruanda und Burundi unter deutscher Herrschaft. Mit einem Essay über die Entwicklung bis zur Gegenwart. Ch. Links Verlag, Berlin 2006. 224 S., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Um den Völkermord an den Tutsi in Ruanda und Burundi von 1994 begreifbar zu machen, hilft es, die Studie von Helmut Strizek über die Zeit deutscher Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert zu lesen, meint Gaby Mayr. Darin werde die Vorgeschichte des bis heute andauernden Konflikts zwischen der Tutsi-Minderheit und den Hutu dargelegt und zudem eine eindrückliche Schilderung der früheren Machtverhältnisse in dem afrikanischen Land geboten, wobei das Thema des Buches sinnvoller Weise bis in die Gegenwart ausgeweitet wird. Lediglich die große Faktendichte überfordert manchmal und auch auf stilistischem Gebiet hat der Autor nicht immer ein glückliches Händchen, merkt Mayer an, die aber ansonsten zufrieden wirkt. Zu bemängeln hat sie allerdings, dass der Autor in seinem verständlichen Bemühen, die großen Opfer der Hutu im 19. Jahrhundert darzustellen, die Tendenz aufweise, die Gewalt an den Tutsi von 1994 zu "verharmlosen".
© Perlentaucher Medien GmbH
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