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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997

Sie sind das Volk
Afrikas demographische Revolutionen / Von Udo Ulfkotte

Als 1979 die "Geschichte Schwarzafrikas" von Joseph Ki-Zerbo auch in deutscher Sprache erschien, hieß es in der "Zeit": "Da ist sie nun endlich, die große populärwissenschaftliche Gesamtgeschichte Afrikas in deutscher Sprache, zum erstenmal und auf nahezu 800 Seiten von einem Afrikaner niedergeschrieben." Joseph Ki-Zerbo verstand es auf eindrucksvolle Weise, die Mauer der Mythen über Afrika zu durchbrechen. Der Professor aus Ouagadugu zeigte, daß sein Kontinent - im Gegensatz zu einem beliebten Vorurteil - durchaus schon lange vor David Livingstone eine eigene Geschichte und Kultur hatte. Vergleicht man die nun auch in deutscher Sprache erschienene "Geschichte Afrikas" des Cambridger Gelehrten John Iliffe mit dem inzwischen weltberühmten Lebenswerk des Afrikaners Joseph Ki-Zerbo, so könnte ein oberflächlicher Betrachter geneigt sein, Iliffes Arbeit schon aufgrund des überschaubaren Umfanges - 384 Seiten Text - für eine Anmaßung zu halten; acht Bände umfaßt allein die "Cambridge History of Africa" und weitere acht Bände beansprucht auch die "Unesco General History of Africa". Doch Iliffe bewältigt mit erstaunlicher Leichtigkeit die intellektuelle Herkulesaufgabe, die wichtigsten historischen Grunddaten eines ganzen Kontinents nicht nur für Afrika-Kenner verständlich in einem handlichen Buch zusammenzufassen, ohne dabei den Leser mit Daten zu übermüden.

Iliffe spannt den Bogen von der Entstehung der Menschheit in Ostafrika bis hin zur Überwindung der Apartheid in Südafrika. Zu Recht nannte die "Times" das Buch unlängst "die beste einbändige Geschichte Afrikas", hat der Autor doch nicht nur das Leben in den sehr heterogenen afrikanischen Gesellschaften in den jeweiligen Jahrhunderten rekonstruiert, sondern auch den geglückten Versuch unternommen, seine Analyse nicht primär auf politische, ökonomische oder imperialistische Prozesse zu konzentrieren, sondern unter die Prämisse zu stellen, "eine moderne Geschichtsschreibung der Dritte-Welt-Länder" müsse "die Bevölkerungsentwicklungen in den Mittelpunkt rücken". Die Bevölkerungsgeschichte ist für Iliffe der Indikator des Wandels in Afrika schlechthin. Bevölkerungszunahme habe den Zusammenbruch sowohl der Kolonialherrschaft als auch der Apartheid bewirkt und die Instabilität der nachkolonialen afrikanischen Staatenwelt bestimmt.

Iliffe erinnert uns daran, daß nicht die Europäer den Sklavenhandel nach Afrika brachten, sondern Sklavenhandel von Schwarzen mit Schwarzen auf dem Kontinent schon zuvor üblich war: "Die Unterbevölkerung und die damit verbundene Schwierigkeit, Arbeitskräfte durch rein wirtschaftliche Mittel an sich zu binden, hatten Sklaverei und Sklavenhandel bereits bei vielen, wenngleich nicht bei allen afrikanischen Völkern entstehen lassen." Provozierend vertritt er auch die These, daß der Sklavenhandel Afrika weitaus weniger geschadet habe, als in der westlichen Afrika-Forschung bislang behauptet: "Die Unterbevölkerung, die der Sklavenhandel in der afrikanischen Geschichte verursacht hatte, war, demographisch gesehen, zwar ein Unglück, jedoch durchaus keine Katastrophe." Iliffe erinnert uns aber auch an die Geißeln der Menschheit, Krankheiten und widrige Umweltbedingungen, die mehr als auf allen anderen Kontinenten in Afrika den Überlebenskampf der Menschen bestimmen: Syphilis, Schlafkrankheit, Malaria und Parasiten haben in vergangenen Jahrhunderten immer wieder die Bevölkerungen dezimiert.

Aus vielen Facetten ergibt sich ein Bild, das dem afrikanischen Kontinent gerecht wird. Man spürt, daß der Autor jahrelang in Afrika gelebt hat, und freut sich beim Lesen, daß Iliffe sein gesammeltes Wissen nicht lehrbuchhaft weitergibt. Die "Geschichte Afrikas" wird auch über den Kreis der Afrikanistik-Studenten hinaus auf Interesse stoßen und hat das Zeug, auf ihrem Gebiet ein Klassiker zu werden.

John Iliffe: "Geschichte Afrikas". Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Rita Seuß. Verlag C. H. Beck, München 1997. 435 S., Karten, geb., 68,- DM.

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