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Die spannungsreiche Beziehung zwischen Einheit und Vielfalt steht im Zentrum dieser "Geschichte Chinas". Der Hamburger Sinologe Kai Vogelsang beschreibt die ganze Fülle der chinesischen Kultur, ihren Reichtum und ihre Diversität, er schildert chinesische Lebensformen und Wunderlichkeiten. Und er verfolgt die Versuche der chinesischen Kultur, die wuchernde Vielfalt zu bändigen, etwa durch die erfundene Tradition des Konfuzianismus, die Schaffung eines Einheitsreiches, den Totalitarismus mit seinen Gewaltexzessen, den Nationalismus der Gegenwart. In diesem großartig differenzierten…mehr

Produktbeschreibung
Die spannungsreiche Beziehung zwischen Einheit und Vielfalt steht im Zentrum dieser "Geschichte Chinas". Der Hamburger Sinologe Kai Vogelsang beschreibt die ganze Fülle der chinesischen Kultur, ihren Reichtum und ihre Diversität, er schildert chinesische Lebensformen und Wunderlichkeiten. Und er verfolgt die Versuche der chinesischen Kultur, die wuchernde Vielfalt zu bändigen, etwa durch die erfundene Tradition des Konfuzianismus, die Schaffung eines Einheitsreiches, den Totalitarismus mit seinen Gewaltexzessen, den Nationalismus der Gegenwart.
In diesem großartig differenzierten Gesamtüberblick werden nicht Kaiser und Dynastien abgehaspelt, hier wird erzählt von Menschen, Dingen, Ereignissen und Entwicklungen. Die chronologische Darstellung der 10.000-jährigen Geschichte wird ergänzt durch kurze Überblicke zu Anfang jedes Kapitels, die auf größere Zusammenhänge eingehen und etwa 60 knappe Exkurse, die einzelne Themen zeitenübergreifend und in sich geschlossen veranschaulichen (von "Seidenstraße" bis "Mao-Kult"). Zeittafeln und Karten vermitteln einen zeitlichen und räumlichen Überblick, weiterführende Literaturhinweise runden den Band ab.
Autorenporträt
Kai Vogelsang ist Professor für Sinologie an der Universität Hamburg und Leiter der dortigen Abteilung für Sprache und Kultur Chinas.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2012

Von fernöstlicher Harmonie keine Spur

Gegen ein Dickicht von Mythen und mit souveränem Überblick: Kai Vogelsang hat eine exzellente Geschichte Chinas von den Anfängen bis heute vorgelegt.

Von Jürgen Osterhammel

Seit langem hat sich kein Autor in deutscher Sprache an eine Gesamtdarstellung der Geschichte Chinas vom Neolithikum bis zur jeweiligen Gegenwart gewagt. Was es an Überblickswerken aus der letzten Jahrzehnten gibt, endet entweder mit dem Untergang des Kaiserreichs 1911 oder der kommunistischen Machteroberung 1949; manche Übersichten sind schlichtweg zu knapp, um Material und Interpretation entfalten zu können. Das gültige Standardwerk ist Jacques Gernets "Die chinesische Welt" (erste deutsche Ausgabe 1979) geblieben. Dem Buch des Altmeisters vom Collège de France stellt Kai Vogelsang, ein halbes Jahrhundert jünger, nun eine gleichrangige Alternative an die Seite.

Selbstverständlich beherrscht der Hamburger Sinologieprofessor sein Metier. Er kennt die Quellen, überblickt die verzweigte internationale Forschung, insofern ein Einzelner eine Übersicht über eine Vielzahl von Spezialfeldern gewinnen kann. Was aber will uns Vogelsang sagen? Diese Frage ist weniger naiv, als sie zunächst klingen mag. Denn der Zugang zur chinesischen Geschichte ist durch ein Dickicht von Mythen verbaut, Mythen zumeist chinesischen Ursprungs, die aber auch westlichen Beobachtern spätestens seit der Jesuitenmission des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts die Komplexität Chinas immer wieder bequem reduziert haben.

Zu diesen Mythen gehört heute die regierungsamtliche Auffassung, mit der chinesische Politiker gerne ihre ausländischen Staatsgäste traktieren, China habe bereits in frühen Zeiten das Ideal einer "harmonischen" Gesellschaft erreicht und es seither bewahrt, während die Europäer sich in Kriegen und Klassenkämpfen gegenseitig umbrachten. Nach der Lektüre dieser neuen Geschichte Chinas bleibt für solche Soft-Power-Propaganda ebenso ein sardonisches Lächeln wie für die offiziellen Versuche, mit immensem wissenschaftlichem Aufwand eine ungebrochene Geschichte der chinesischen Nation über viertausend Jahre hinweg zu konstruieren.

Kai Vogelsang seziert solche Phantasmen mit Eleganz und Scharfsinn und erklärt dabei, wie sie zustande kommen und kamen. Sein China ist kein "monolithisches Einheitsreich", keine "homogene Zivilisation", sondern ein in sich vielfältig differenzierter Geschichtsraum mit Grenzen, die sich, wenn überhaupt erkennbar, in ständiger Metamorphose befanden. Zwischen den großen Dynastien zersplitterte das 221 vor Christus erstmals geschaffene Imperium immer wieder: In den knapp tausendsiebenhundert Jahren zwischen dem Ende der Han-Dynastie (220) und dem Sturz des letzten Kaiserhauses (1911) zerfiel der chinesische Kulturraum etwa sienbenhundertfünfzig Jahre lang in Teilstaaten. Das Imperium war stets ein ethnisch plurales Vielvölkerreich, niemals völlig konkurrenzlos von einer einzigen geistigen Orthodoxie - Hauptkandidat: der "Konfuzianismus" - beherrscht. Daher die Kernthese des Buches: "Die Geschichte Chinas erscheint als Abfolge ehrgeiziger, aber letztlich erfolgloser Versuche der Eliten, die Vielfalt der Kulturen in China einer einheitlichen Ordnung zu unterwerfen."

Wie schafft man es, bei einem solch betonten Sinn für Diversität, der zudem darstellerisch durch zahlreiche epochenübergreifende Exkurse über lexikalische Stichworte zum Ausdruck kommt, einen lesbaren Zusammenhang herzustellen? Vogelsang meistert diese Aufgabe durch die Verbindung von drei Kunstgriffen: Erstens schlägt er eine neue Periodisierung jenseits der Standard-Dynastientafel vor. Dabei verwendet er mit sorgfältiger Begründung europäische Kategorien auf eine Weise, die man als "perversely original" bezeichnen könnte: ein chinesisches "Mittelalter" beginnt 25 n. Chr., eine "Neuzeit" 755, nicht mit einem Dynastienwechsel, sondern mitten in der Tang-Zeit. Darüber lässt sich reden.

Zweitens stellt er mit diskreter Beharrlichkeit und mehr als einem Hauch von Luhmannismus die durchgängige Leitfrage, welche Integrationsprinzipien, Ordnungsmuster und Kommunikationsweisen in den neun hier unterschiedenen Epochen jeweils auf dominante Weise Kohärenz stifteten. In der einen Epoche trat Gewalt in den Vordergrund, in einer anderen Religion, dann wieder Bürokratie, Nationalismus oder - die heutige Situation - eine Anlehnung an die "Weltgesellschaft", allerdings erkauft durch den Ausschluss großer Teile der Bevölkerung. Es lässt sich darüber streiten, ob alle diese ordnungsstiftenden Prinzipien logisch auf derselben Ebene liegen, aber das Schema bewährt sich zunächst einmal bei der Formgebung der historischen Erzählung. Diese wird, drittens, durch die schöne Profilierung von Epochenschwellen in sich strukturiert, etwa eine im neunten vorchristlichen Jahrhundert beginnende "rituelle Revolution", eine "Rationalisierung der Welt" ab dem achten Jahrhundert nach Christus, die Entstehung einer hinfort langlebigen "Gentrygesellschaft" unter der Song-Dynastie, die "kommerzielle Revolution" der späten Ming-Zeit (fünfzehntes und sechzehntes Jahrhundert) oder die "Entdeckung der Gesellschaft" und, damit verbunden, die "Erfindung der Nation" unter dem Druck des westlichen und japanischen Imperialismus um 1900. Zur Deutung der Republikzeit (1912 bis 1949) fehlen solche Begriffe, und die Darstellung wird uncharakteristisch konventionell: "Moderne" und "Massengesellschaft" sind zu ungriffig: Was war chinesisch unter den "multiple modernities" der damaligen Zeit?

Für die letzten sechs Jahrzehnte bleiben achtzig Seiten: eine unanfechtbare Proportionierung. Vogelsang sagt alles Nötige. Er lässt keinen Schrecken des kommunistischen Regimes aus. Die Zahlen der Opfer der "Landreform" der Machteroberungszeit, die des Koreakriegs, des Großen Hungers der Jahre 1959 bis 1962, die der "Kulturrevolution" bis hin zu denen der Zwangsumsiedlungen der Gegenwart, bei denen Millionen von Menschen gigantischen Bauprojekten weichen müssen, sind bekannt. Man liest sie jedoch stets erneut mit Fassungslosigkeit. Vogelsang nennt die wichtigsten strukturellen Probleme der heutigen Volksrepublik; den Zynismus und die Brutalität der Kommunistischen Partei verharmlost er ebenso wenig wie den Opportunismus westlicher Politiker. Niemand sollte fortan die deutsche Sinologie pauschal der Leisetreterei bezichtigen.

Unter welchen Umständen und aus welchen Ursachen aber nach 1978 - einer Zäsur, die hier für wichtiger gehalten wird als die Gründung der Volksrepublik 1949 - "Chinas zweite Moderne" entstand, wird nicht so recht deutlich. Wie kam es zu Chinas heutiger Gestalt als Großmacht und Wirtschaftsriese mit einer riesigen Kluft zwischen Luxuskonsum und "archaischem Elend"? An einem taktisch motivierten Sinneswandel des Altrevolutionärs Deng Xiaoping allein kann es nicht gelegen haben. In einem Exkurs zur Sinologie bemerkt Kai Vogelsang zu Recht, das heutige China lasse sich nicht so leicht aus "der Tradition" erklären, wie eine klischeesüchtige Öffentlichkeit dies von den Experten naiv erwarte.

Aber ökonomische Dynamik - und das Entwicklungstempo Chinas übertrifft bei weitem das der europäischen industriellen Revolution - ist ohne längerfristig angesammelte Potentiale, etwa an Knowhow und Erwerbsorientierung, unmöglich. Hier wartet auf die Sinologie eine neue Herausforderung: die "zweite" Moderne mit der "ersten", vor allem den zwanziger und frühen dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, zusammenzuschließen, etwa in einer Geschichte des Kapitalismus in China. Mit seiner kunstvollen Verbindung von Analyse und Erzählung hat Kai Vogelsang in diesem herausragenden Buch dafür die Maßstäbe neu definiert.

Kai Vogelsang: "Geschichte Chinas".

Reclam Verlag, Stuttgart 2012. 645 S., Abb., geb., 39,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für Maßstäbe setzend hält Rezensent Jürgen Osterhammel diese Gesamtdarstellung der Geschichte Chinas von Kai Vogelsang. Nicht nur bietet das Buch laut Rezensent eine echte Alternative zum letzten großen Standardwerk von Jacques Gernets aus dem Jahr 1979. Osterhammel attestiert dem Autor auch, mit allen Wassern der wissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiet gewaschen zu sein. Was leistet das Buch? Für Osterhammel liegt das Verdienst zunächst darin, die Geschichte Chinas so elegant wie scharfsinnig zu entmythifizieren und einen differenzierten Geschichtsraum im Wandel sichtbar zu machen. Doch auch die hier aufgestellten (europäischen) Kategorien (Mittelalter, Neuzeit), die Ordnungsmuster (Gewalt, Religion, Bürokratie etc.) mit denen der Autor diesen Raum strukturiert, findet Osterhammel überzeugend. Einmal mehr fassungslos über die andauernden Greueltaten der kommunistischen Herrschaft, die Vogelsang ferner auflistet, und staunend über die Probleme des heutigen China, vermisst Osterhammel in diesem Buch höchstens eines: die eingehende Kennzeichnung der Schwelle zur zweiten Moderne, mit der die Geschichte des Kapitalismus in China beginnt. Über diese, meint der Rezensent, wäre ähnlich hervorragend ohnehin noch zu schreiben.

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