Produktdetails
- Verlag: Stuttgart • Berlin • Köln, W. Kohlhammer Verlag 1997
- ISBN-13: 9783170120952
- Artikelnr.: 24848606
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.1997Alle Mann über Bord
Im trüben Wasser der Überlieferung fischt Dieter Geuenich nach den Spuren der Alemannen
Selbst eingefleischte Fans des einst recht erfolgreichen Fußballvereins Alemannia Aachen dürften kaum eine kompetente Antwort auf die Frage parat haben, warum ihr Klub den Namen "Alemannia" trägt. Sollte jedoch ein schlagfertiger Anhänger vermuten, mit diesem Namen sollten "alle Mannen" auf ihren Verein eingeschworen werden, so erlangte er beinahe schon wissenschaftliches Niveau, denn die moderne Sprachwissenschaft führt den Terminus "Alemannen" auf die Ethnogenese dieser germanischen Völkerschaft aus verschiedenen ethnischen Gruppen zurück - der Begriff bezeichne "Menschen oder Männer insgesamt, im Gesamten genommen".
Dem frohsinnigen Fußballfan wird man zur näheren Aufklärung über die vor allem im rheinischen und schwäbischen Raum greifbaren Alemannen die neueste historische Darstellung des Mediävisten Dieter Geuenich nur mit gewissen Skrupeln empfehlen können. Denn die zweifellos lehrreiche Lektüre des nüchternen, stets um Quellennähe bemühten und stark ereignisgeschichtlich orientierten Buches verlangt den historisch vorgebildeten und geduldigen, nicht den an Kurzweil interessierten Leser.
In sympathischer Offenheit konfrontiert der Verfasser gleich zu Beginn sein Publikum mit den Problemen seines Gegenstandes: Unklar ist, wer die Alemannen waren, seit wann es sie gab, woher sie kamen. Daß es sie gab, steht freilich außer Frage - vor allem lateinische Autoren der Spätantike (in erster Linie Ammianus Marcellinus) und des frühen Mittelalters bezeugen ihre Existenz seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert. Anhand der schriftlichen Quellen, jedoch unter nur schwer nachvollziehbarem Verzicht auf die wichtigen archäologischen Forschungen beschreibt Geuenich die Geschichte der Alemannen: die konfliktreichen Beziehungen mit den Römern zwischen dem dritten und dem fünften Jahrhundert, ihre Unterwerfung unter fränkische Herrschaft im sechsten Jahrhundert und die fränkische Provinz "Alamannia". Das Jahr 746 markiert mit dem Ende des "älteren" alemannischen Herzogtums auch den sinnvollen Schlußpunkt des Buches.
Den Fachmann freuen die differenzierte Präsentation der Forschungskontroversen und vor allem die detaillierten Textinterpretationen, auch wenn nicht jede einzelne überzeugt. So insistiert Geuenich auf der erstmaligen Nennung der Alemannen im Jahr 289 - die Berichte aus späteren Jahrhunderten über alemannische Vorstöße nach Italien schon 259/260 sind jedoch durchaus glaubwürdig und werden durch Martin Jehnes Überlegungen zu dem aufsehenerregenden Augsburger Inschriftenfund vom August 1992 nachdrücklich bestätigt. Ferner wird man den zweifellos fiktiven Bericht in der Probus-Vita der Historia Augusta über die Niederwerfung ganz Germaniens kaum auf Verhältnisse des dritten Jahrhunderts beziehen dürfen.
Gleichwohl hat Geuenich insgesamt viel Licht in das Dunkel der Geschichte der Alemannen gebracht und manchen modernen Mythos (zum Beispiel hinsichtlich der vermeintlich epochalen "Entscheidungsschlacht" zwischen den Franken unter Chlodwig und den Alemannen) nachhaltig erschüttert. Obwohl wir nicht sehr viele gesicherte Erkenntnisse über diese Völkerschaft besitzen, hat der launische Weltgeist erkennbar auch mit ihr sein Spiel getrieben, denn (so Geuenich): "Erst als die Alemannen zu Beginn des sechsten Jahrhunderts ihre Selbständigkeit und Freiheit verloren, haben sie innerhalb der merowingischen Reichsorganisation ihre Einheit und Identität gefunden." HARTWIN BRANDT
Dieter Geuenich: "Geschichte der Alemannen". Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1997. 168 S., Karten, br., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im trüben Wasser der Überlieferung fischt Dieter Geuenich nach den Spuren der Alemannen
Selbst eingefleischte Fans des einst recht erfolgreichen Fußballvereins Alemannia Aachen dürften kaum eine kompetente Antwort auf die Frage parat haben, warum ihr Klub den Namen "Alemannia" trägt. Sollte jedoch ein schlagfertiger Anhänger vermuten, mit diesem Namen sollten "alle Mannen" auf ihren Verein eingeschworen werden, so erlangte er beinahe schon wissenschaftliches Niveau, denn die moderne Sprachwissenschaft führt den Terminus "Alemannen" auf die Ethnogenese dieser germanischen Völkerschaft aus verschiedenen ethnischen Gruppen zurück - der Begriff bezeichne "Menschen oder Männer insgesamt, im Gesamten genommen".
Dem frohsinnigen Fußballfan wird man zur näheren Aufklärung über die vor allem im rheinischen und schwäbischen Raum greifbaren Alemannen die neueste historische Darstellung des Mediävisten Dieter Geuenich nur mit gewissen Skrupeln empfehlen können. Denn die zweifellos lehrreiche Lektüre des nüchternen, stets um Quellennähe bemühten und stark ereignisgeschichtlich orientierten Buches verlangt den historisch vorgebildeten und geduldigen, nicht den an Kurzweil interessierten Leser.
In sympathischer Offenheit konfrontiert der Verfasser gleich zu Beginn sein Publikum mit den Problemen seines Gegenstandes: Unklar ist, wer die Alemannen waren, seit wann es sie gab, woher sie kamen. Daß es sie gab, steht freilich außer Frage - vor allem lateinische Autoren der Spätantike (in erster Linie Ammianus Marcellinus) und des frühen Mittelalters bezeugen ihre Existenz seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert. Anhand der schriftlichen Quellen, jedoch unter nur schwer nachvollziehbarem Verzicht auf die wichtigen archäologischen Forschungen beschreibt Geuenich die Geschichte der Alemannen: die konfliktreichen Beziehungen mit den Römern zwischen dem dritten und dem fünften Jahrhundert, ihre Unterwerfung unter fränkische Herrschaft im sechsten Jahrhundert und die fränkische Provinz "Alamannia". Das Jahr 746 markiert mit dem Ende des "älteren" alemannischen Herzogtums auch den sinnvollen Schlußpunkt des Buches.
Den Fachmann freuen die differenzierte Präsentation der Forschungskontroversen und vor allem die detaillierten Textinterpretationen, auch wenn nicht jede einzelne überzeugt. So insistiert Geuenich auf der erstmaligen Nennung der Alemannen im Jahr 289 - die Berichte aus späteren Jahrhunderten über alemannische Vorstöße nach Italien schon 259/260 sind jedoch durchaus glaubwürdig und werden durch Martin Jehnes Überlegungen zu dem aufsehenerregenden Augsburger Inschriftenfund vom August 1992 nachdrücklich bestätigt. Ferner wird man den zweifellos fiktiven Bericht in der Probus-Vita der Historia Augusta über die Niederwerfung ganz Germaniens kaum auf Verhältnisse des dritten Jahrhunderts beziehen dürfen.
Gleichwohl hat Geuenich insgesamt viel Licht in das Dunkel der Geschichte der Alemannen gebracht und manchen modernen Mythos (zum Beispiel hinsichtlich der vermeintlich epochalen "Entscheidungsschlacht" zwischen den Franken unter Chlodwig und den Alemannen) nachhaltig erschüttert. Obwohl wir nicht sehr viele gesicherte Erkenntnisse über diese Völkerschaft besitzen, hat der launische Weltgeist erkennbar auch mit ihr sein Spiel getrieben, denn (so Geuenich): "Erst als die Alemannen zu Beginn des sechsten Jahrhunderts ihre Selbständigkeit und Freiheit verloren, haben sie innerhalb der merowingischen Reichsorganisation ihre Einheit und Identität gefunden." HARTWIN BRANDT
Dieter Geuenich: "Geschichte der Alemannen". Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1997. 168 S., Karten, br., 28,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main