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Der arabische Frühling sieht anders aus als die iranische grüne Revolution, und in Ägypten hat er eine andere Farbe als in Syrien. Auch wenn es schwerfällt, mehr denn je sollte man unterscheiden zwischen der islamischen Geschichte, also der Geschichte aller Muslime weltweit, von Marokko bis Indonesien, und der Geschichte von Staaten, Herrschaftsgebilden und Kulturen, die nicht darin aufgehen, dass sie sich einer islamischen Weltreligion zugehörig fühlen. Die arabischsprachige Kultur verbreitete sich zwar mit den ersten Expansionswellen des Islam, blieb dann aber doch auf Kernländer (bis…mehr

Produktbeschreibung
Der arabische Frühling sieht anders aus als die iranische grüne Revolution, und in Ägypten hat er eine andere Farbe als in Syrien. Auch wenn es schwerfällt, mehr denn je sollte man unterscheiden zwischen der islamischen Geschichte, also der Geschichte aller Muslime weltweit, von Marokko bis Indonesien, und der Geschichte von Staaten, Herrschaftsgebilden und Kulturen, die nicht darin aufgehen, dass sie sich einer islamischen Weltreligion zugehörig fühlen. Die arabischsprachige Kultur verbreitete sich zwar mit den ersten Expansionswellen des Islam, blieb dann aber doch auf Kernländer (bis ungefähr zur Nord- und Ostgrenze des Irak) konzentriert, die heute noch eine Staatengruppe bilden, die Arabische Liga. Die säkulare Geschichte dieser Länder und Staaten zu schreiben und dezidiert als politische und kulturelle Geschichte zu verstehen, nicht als religiöse Heilsgeschichte, das unternimmt dieses Buch, auch um das Verständnis ganz aktueller Entwicklungen in Ägypten oder Syrien mit einem historischen Fundament zu unterbauen.
Autorenporträt
Alfred Schlicht ging nach einer orientalistischen Promotion und wissenschaftlicher Tätigkeit an Forschungsinstituten und Universitäten in Deutschland und im Nahen Osten in den diplomatischen Dienst. Er war Stellvertreter des deutschen Botschafters in Jordanien und amtiert derzeit als stellvertretender Generalkonsul in Atlanta/USA. Alfred Schlicht ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur Geschichte und Gegenwart des Nahen Ostens.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2013

Was vor und nach dem Zeitalter der Kreuzzüge geschah
Vom Nomadentum zum Islamismus: Die dreitausendjährige Geschichte der Araber kann auch weltlich geschrieben werden, wie Alfred Schlicht beweist

Seit zweieinhalb Jahren befindet sich ein Teil der arabischen Welt in einem Aufbruch, dessen Ziel und Ende niemand vorhersagen kann. Manche sprechen von einer neuen Epoche der arabischen Geschichte, obwohl die blutigen Ereignisse in Syrien, aber auch der in den Augen westlicher Beobachter schleppende Fortgang des "Arabischen Frühlings" in Tunesien, Libyen, Ägypten und anderswo längst auch viele Skeptiker auf den Plan gerufen haben. Sie befürchten, am Ende werde sich wieder ein - kosmetisch leicht verändertes - Autokratentum etablieren, das zur Genüge bekannt ist.

Auch der Ausblick, den Alfred Schlicht im letzten Kapitel seiner jüngst erschienenen "Geschichte der arabischen Welt" gibt, ist von großer Nüchternheit getragen: Der Autor, ein orientalistisch ausgebildeter Diplomat, lehnte von Beginn der tunesischen Revolution im Dezember 2010 an die hochgespannten Erwartungen ab, die damals viele hegten. Sie waren unrealistisch und entsprachen westlichem Wunschdenken. Mit der Demokratie haben die Araber keine, mit dem modernen Pluralismus nur geringe Erfahrung.

Man muss bewundern, wie Schlicht die dreitausend Jahre währende Geschichte der Araber auf 363 Seiten Text kompakt zusammenfasst. In neuerer Zeit gibt es nicht wenige Gesamtdarstellungen des Themas - von Francesco Gabrieli und Franz Taeschner angefangen bis zu den umfassenderen Arbeiten Ulrich Haarmanns, Albert Houranis und, zuletzt, Eugene Rogans. Schlicht möchte sich von diesen Darstellungen dadurch abheben, dass er - trotz der enormen Bedeutung, die der Islam ohne jeden Zweifel für die Araber hatte und hat - eine auch weltlich orientierte Geschichte der Araber bietet.

Zwar treten die Araber mit dem Wirken des Propheten Mohammed, der Religionsstifter, Feldherr und Politiker in einem war, in die Weltgeschichte ein. Doch ist ihre historische Rolle damit keineswegs erschöpft. In mesopotamischen Keilschriften werden die Araber als Wüstennomaden erstmals 853 vor Christus erwähnt, die Antike kennt altarabische und altsüdarabische Reiche, die bei uns fast unbekannt sind - obwohl darüber nicht unerheblich geforscht wird. Minäer und Sabäer, Nabatäer, Lakhmiden, Ghassaniden und viele andere haben ihre Spuren in der vorderasiatischen Geschichte hinterlassen.

Der Islam ist eine genuin arabische Erscheinung und hat als solche auch alle jene Völker und Kulturen geprägt, die ihn annahmen, vornehmlich Perser und Türken, aber auch Inder und Malaien. Heute lebt die Mehrzahl der Muslime längst außerhalb der arabischen Welt, deren Siedlungsraum immerhin von Marokko im Westen bis zum Irak und den Ufern des persisch-arabischen Golfs reicht. Die meisten Anhänger des Propheten gibt es in den südlichen und südöstlichen Regionen Asiens, nicht mehr im klassischen Kernraum seiner Entstehung und ursprünglichen Ausbreitung in den Jahrzehnten nach dem Tode Mohammeds.

Solche Fakten bewirken, dass man eine arabische Geschichte gar nicht schreiben kann, ohne zumindest die Rolle hervorzuheben, die etwa auch die vierhundertjährige Herrschaft der Osmanen - nach solch glanzvollen Höhepunkten wie der Omajjaden- und Abbasiden-Herrschaft, der Fatimiden- und Mamluken-Dynastien - für die arabische Geschichte bedeutete; oder auch die Interaktion zwischen Arabern und Iranern, die nicht immer reibungslos verlief und es auch heute noch nicht ist. Dies ist nicht allein eine Geschichte von Sunniten und Schiiten, sondern auch - in einem stärker weltlichen Kontext - ein Miteinander und Gegeneinander von iranischer (indoeuropäischer) und arabischer (semitischer) Kultur und Sprache. Ähnliches gilt für die Türken.

Das Verhältnis zwischen Europa und den Arabern ist dem Autor ein besonderes Anliegen. Er hat darüber schon einmal ein Buch geschrieben ("Die Araber und Europa", Stuttgart 2008). So zeigt er, wie beide Welten, das christliche Abendland und der islamische Orient, viele Jahrhunderte lang sich nicht allein feindselig gegenüberstanden, sondern auch miteinander interagiert haben. Als die berbero-arabischen Heere, durch den jungen Islam geeint, Nordafrika und kurz danach auch die Iberische Halbinsel eroberten, war es um die Einheit des mare nostrum geschehen, wie der belgische Historiker Henri Pirenne in seinem Werk "Mahomet et Charlemagne" gezeigt hat. Der Autor stimmt dem im Grundsatz zu, verweist allerdings mit Recht darauf, dass die Grenze zwischen dem Islam und der Christenheit, der arabischen Welt und Europa noch lange Zeit sehr volatil, jedenfalls nicht festgefügt gewesen sei.

Erst als der Islam endgültig aus Spanien (1492) und - durch die Normannen und ihre Nachfolger - aus Sizilien und Unteritalien vertrieben worden sei, könne man von einer festen Grenze zwischen Arabern und Europäern reden. Das Zeitalter der Kreuzzüge fügt Schlicht ein in eine Front politisch-kriegerischer Auseinandersetzungen, die - wie in Spanien die Conquista und die Reconquista - insgesamt achthundert Jahre gedauert habe und auch danach nicht zu Ende gewesen sei. Die Kreuzzüge waren kein einmaliges, isoliertes Ereignis. Auch während der Türkenkriege war der Kreuzzugsgedanke noch virulent. Bezogen auf die arabische Geschichte, blieben die zweihundert Jahre der "bewaffneten Wallfahrten nach Jerusalem" eine Episode, im Unterschied zu Napoleons Invasion in Ägypten, der die Araber nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Der Autor dekliniert der Reihe nach alle arabischen Länder, die der Reihe nach Kolonien oder Protektorate der Europäer wurden, durch, von Marokko bis zum Irak.

Damit beginnt ihre Moderne - ein Zeitalter der Fremdbestimmung durch die Kolonialmächte, aber auch der Selbstbesinnung und des Widerstandes unter dem Zeichen zunächst des Panislamismus, dann des arabischen Nationalismus. Im Erstarken des Islamismus und Dschihadismus unserer Tage sieht Schlicht einen kulturellen und politischen Reflex auf das Scheitern aller nationalistischen, teilweise säkularen Reformbemühungen der vergangenen hundert Jahre, eingeschlossen die "Nakba", die große "Katastrophe", die von der arabischen Welt bis heute als politische Vergewaltigung durch den Westen empfundene Gründung des Staates Israel und das damit verbundene Unrecht an den Palästinensern.

Schlichts Bilanz ist wirklichkeitsnah. Die arabische Welt, bewohnt von zweihundert Millionen Menschen, die keineswegs nur Muslime sind, ist heute weitgehend identisch mit den zweiundzwanzig Staaten der Arabischen Liga. Deren Reichtümer und Ressourcen sind ungleich verteilt. Während im Westen nach den amerikanischen Abenteuern der letzten Jahre Vorsicht und Zurückhaltung wachsen, sehen die Araber die westliche Politik immer noch in der Kontinuität vergangener Epochen.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

Alfred Schlicht: "Geschichte der arabischen Welt".

Reclam Verlag, Stuttgart 2013. 400 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lesenswert fand Rezensent Wolfgang Günter Lerch diese Geschichte der arabischen Welt, der er "große Nüchternheit" bescheinigt. Er bewundert die Fähigkeit des Autors, dreitausend Jahre Geschichte komprimiert auf vierhundert Seiten zusammenfassen zu können und hebt hervor, dass der Autor Alfred Schlicht sich um Absetzung von anderen Geschichtsdarstellungen bemühe, indem er vor allem eine "weltlich orientierte" Geschichte der arabischen Staaten zu schreiben versuche. Dabei spiele auch das Verhältnis zu Europa eine große Rolle. Die kolonialisierten Länder werden ebenso betrachtet wie der arabische Frühling, den Schlicht von Anfang nicht sehr optimistisch beurteilt hat, informiert uns Lerch. Insgesamt so Lerch in seiner überaus trockenen Kritik, ist Schlichts Darstellung "wirklichkeitsnah".

© Perlentaucher Medien GmbH