"...außerordentlich lesenswert" (Frankfurter Allgemeine)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998Das Sternstundenglas
Jürgen Hamel erzählt von der Astronomie / Von Günter Paul
Schon in der Steinzeit gab es Kundige, die dank regelmäßiger Beobachtungen mit einigen Gesetzen des Kosmos vertraut waren. Insbesondere der Lauf der Sonne, der auch die Jahreszeiten bestimmt, muß damals bereits gut erforscht gewesen sein. Immerhin wurden vor fünftausend Jahren beim Bau des gewaltigen Ganggrabes von Newgrange nördlich von Dublin die Steine so gesetzt, daß ihre Strahlen einmal im Jahr - genau zur Wintersonnenwende - bis an das Ende des neunzehn Meter langen Ganges dieser Anlage vordrangen. Von der tatsächlichen Natur der Sonne, die damals wohl schon für göttlich gehalten wurde, wußten die Menschen naturgemäß nichts. Wie sich die heutigen Vorstellungen vom Universum allmählich entwickelten, hat Jürgen Hamel in seinem Buch über die "Geschichte der Astronomie" dargestellt.
Der Autor hat in seinem historischen Abriß gelegentlich bewußt die Proportionen verschoben, um Platz für Gelehrte und für Zeiten zu haben, die bei strenger Wahrung der Verhältnismäßigkeit sehr kurz weggekommen wären. Dadurch ist es ihm gelungen, einige Epochen aus astronomischer Sicht besser zu beleuchten, als es üblicherweise der Fall ist. Das Mittelalter zum Beispiel erscheint in dieser Hinsicht nicht mehr nur als die Zeit, in der die Wissenschaften verstaubten. Die aristotelische Physik wurde kritisch zur Kenntnis genommen. Allmählich setzte sich auch die Vorstellung von der Erde als einer Kugel durch. Die praktische Erforschung des Himmels allerdings beschränkte sich auf Gebiete, die für das christliche Leben von Bedeutung waren. Man benötigte einen guten Kalender auf der Grundlage der Bewegungen von Sonne und Mond, um das Osterdatum vorausberechnen zu können, und eine präzise Zeiteinteilung, nach der die Gebetsstunden festgelegt wurden.
Nicht erst im Mittelalter wurde die Astronomie von der Physik getrennt und als rein mathematische Wissenschaft ohne Wahrheitsanspruch behandelt. Diese Zweiteilung gab es schon in der griechischen Antike, in der sich Kreis und Kugel als ideale und somit göttliche Gebilde durchsetzten. Ohne diese Trennung von Astronomie und Physik hätte sich das ptolemäische - geozentrische - Weltbild nicht durchsetzen können, das der Hilfskonstruktion der Epizyklen (Kreise, deren Mittelpunkte sich wiederum auf anderen Kreisen bewegten) zur Erklärung der Planetenbahnen bedurfte. Nicht der mittelalterlichen Denkart allein ist es also anzulasten, daß Andreas Osiander in seinem Vorwort zu Nikolaus Kopernikus' Hauptwerk bezüglich des neuen heliozentrischen Weltbildes, "De revolutionibus orbium coelestium", schrieb: "Allerdings müssen seine Hypothesen nicht unbedingt wahr sein; sie brauchen nicht einmal wahrscheinlich zu sein. Es reicht schon vollkommen, wenn sie zu einer Berechnung führen, die den Himmelsbeobachtungen gemäß ist."
Der Autor schildert, wie seinerzeit die Astronomie von den Fürstenhöfen profitierte. Die Landesherren stellten Sternkundige ein, die ihnen Horoskope liefern sollten und daneben aber auch Zeit für die Erforschung des Himmels fanden. Im Jahr 1560 begründete der hessische Landgraf Wilhelm IV. das erste fest eingerichtete Observatorium der Neuzeit. Hundert Jahre später bauten etliche Landesherren Sternwarten, damit erlauchte Gäste bei ihnen die noch unverstandene Kuriosität namens Fernrohr bewundern konnten. Ludwig XIV. ließ 1667 das Königliche Observatorium von Paris errichten, ein repräsentatives Schloß, das Vorbild für die Sternwarten in Greenwich, Berlin und St. Petersburg wurde. Es zog aber auch die kundigsten Astronomen an, unter anderen Christiaan Huygens und Giovanni Domenico Cassini. Diese tauschten ihre Forschungsergebnisse mit anderen Astronomen in ausführlichen Briefen aus.
Zu jener Zeit hatte sich das heliozentrische Weltbild - nicht zuletzt dank der Arbeiten Johannes Keplers - längst durchgesetzt, wenngleich einige damit verbundene Fragen immer noch nicht beantwortet werden konnten. Wenn sich die Erde um die Sonne bewegte, mußte sich das in einer Positionsänderung der Sterne widerspiegeln. Eine solche Parallaxe fand man aber nicht. Sie ist wegen der riesigen Distanzen im Universum sehr klein und wurde erst 1838 von Friedrich Wilhelm Bessel entdeckt. Die kosmischen Dimensionen wurden lange Zeit unterschätzt. Auch andere Vorstellungen mußten im Lauf der Zeit revidiert werden. Nachdem die Sterne ihrer gemeinsamen Sphäre beraubt waren, der sie im ptolemäischen Weltbild zugeordnet wurden, setzte die Idee sich durch, alle Sterne seien gleich groß. Somit wären die lichtschwächer erscheinenden Himmelskörper weiter von der Erde entfernt als die helleren. Erst im Jahr 1785 wies Friedrich Wilhelm Herschel anhand von Doppelsternen nach, daß das nicht stimmte. In seiner Schrift "Über den Bau des Himmels" verkündete er, "die Sterne seyn von mancherley Größe".
Fortschritte in der Astronomie, die noch weit bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein fast ausschließlich als Positionsastronomie betrieben wurde, hingen damals wie heute wesentlich von der Weiterentwicklung des Fernrohrs ab. Auch damit beschäftigt sich Hamel in seinem Buch. Er beschreibt zum Beispiel, warum im siebzehnten Jahrhundert regelrechte Fernrohrgiganten entstanden - nämlich wegen einiger damals unvermeidlicher Linsenfehler. Man konnte diese Fehler nur ein wenig umgehen, indem man das Verhältnis von Objektivdurchmesser zu Brennweite verkleinerte. Dadurch wurden für gute Leistungen mit großen Objektiven riesige Brennweiten erforderlich. Johannes Hevelius baute vor den Toren Danzigs ein "Luftfernrohr", das eine Brennweite von etwa 45 Metern hatte. Es war an einem Mast aufgehängt und daran in der Höhe verstellbar.
Soweit Hamels Buch die Geschichte der Astronomie bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts betrifft, ist es außerordentlich lesenswert. Die Einbettung in die allgemeine Zeitgeschichte läßt manche Entwicklung in der Himmelskunde erst verständlich erscheinen. Auch wird deutlich, wie Optik und Mechanik von dieser Wissenschaft profitierten. Den Übergang zur astrophysikalischen Forschungsarbeit mit der Spektroskopie, der Photometrie und der Photographie hat der Autor noch ausführlich dargestellt. Die Zeit danach hingegen wird nur gestreift, was angesichts des Untertitels - "Von den Anfängen bis zur Gegenwart" - völlig unverständlich ist. Immer wieder geht der Autor auf die sich wandelnde Vorstellung von Kometen ein, erwähnt die moderne Forschung aber mit keinem Wort. Die Entdeckung des Universums wird recht stiefmütterlich behandelt, die Entdeckung von Planeten in anderen Sonnensystemen und vieles mehr gar nicht erwähnt. Hinzu kommen einige ärgerliche Fehler. Die Rechnung zur Neutronensternmasse ist falsch, die Natur des Großen Roten Flecks auf Jupiter ist nicht ganz so rätselhaft, wie der Autor behauptet, und die Datierung des mythischen Ausgangspunktes im Mayakalender ist längst nicht mehr umstritten. Die mittelalterliche Sonnenuhr, die auf einer der Abbildungen zu sehen ist, die sich im County Meath in Irland befinden soll, dürfte - wie die Symbole im oberen Teil vermuten lassen - eher in Schottland stehen.
Jürgen Hamel: "Geschichte der Astronomie". Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Birkhäuser Verlag, Basel, Berlin 1998. 352 S., 110 Farb- u. S/W-Abb., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jürgen Hamel erzählt von der Astronomie / Von Günter Paul
Schon in der Steinzeit gab es Kundige, die dank regelmäßiger Beobachtungen mit einigen Gesetzen des Kosmos vertraut waren. Insbesondere der Lauf der Sonne, der auch die Jahreszeiten bestimmt, muß damals bereits gut erforscht gewesen sein. Immerhin wurden vor fünftausend Jahren beim Bau des gewaltigen Ganggrabes von Newgrange nördlich von Dublin die Steine so gesetzt, daß ihre Strahlen einmal im Jahr - genau zur Wintersonnenwende - bis an das Ende des neunzehn Meter langen Ganges dieser Anlage vordrangen. Von der tatsächlichen Natur der Sonne, die damals wohl schon für göttlich gehalten wurde, wußten die Menschen naturgemäß nichts. Wie sich die heutigen Vorstellungen vom Universum allmählich entwickelten, hat Jürgen Hamel in seinem Buch über die "Geschichte der Astronomie" dargestellt.
Der Autor hat in seinem historischen Abriß gelegentlich bewußt die Proportionen verschoben, um Platz für Gelehrte und für Zeiten zu haben, die bei strenger Wahrung der Verhältnismäßigkeit sehr kurz weggekommen wären. Dadurch ist es ihm gelungen, einige Epochen aus astronomischer Sicht besser zu beleuchten, als es üblicherweise der Fall ist. Das Mittelalter zum Beispiel erscheint in dieser Hinsicht nicht mehr nur als die Zeit, in der die Wissenschaften verstaubten. Die aristotelische Physik wurde kritisch zur Kenntnis genommen. Allmählich setzte sich auch die Vorstellung von der Erde als einer Kugel durch. Die praktische Erforschung des Himmels allerdings beschränkte sich auf Gebiete, die für das christliche Leben von Bedeutung waren. Man benötigte einen guten Kalender auf der Grundlage der Bewegungen von Sonne und Mond, um das Osterdatum vorausberechnen zu können, und eine präzise Zeiteinteilung, nach der die Gebetsstunden festgelegt wurden.
Nicht erst im Mittelalter wurde die Astronomie von der Physik getrennt und als rein mathematische Wissenschaft ohne Wahrheitsanspruch behandelt. Diese Zweiteilung gab es schon in der griechischen Antike, in der sich Kreis und Kugel als ideale und somit göttliche Gebilde durchsetzten. Ohne diese Trennung von Astronomie und Physik hätte sich das ptolemäische - geozentrische - Weltbild nicht durchsetzen können, das der Hilfskonstruktion der Epizyklen (Kreise, deren Mittelpunkte sich wiederum auf anderen Kreisen bewegten) zur Erklärung der Planetenbahnen bedurfte. Nicht der mittelalterlichen Denkart allein ist es also anzulasten, daß Andreas Osiander in seinem Vorwort zu Nikolaus Kopernikus' Hauptwerk bezüglich des neuen heliozentrischen Weltbildes, "De revolutionibus orbium coelestium", schrieb: "Allerdings müssen seine Hypothesen nicht unbedingt wahr sein; sie brauchen nicht einmal wahrscheinlich zu sein. Es reicht schon vollkommen, wenn sie zu einer Berechnung führen, die den Himmelsbeobachtungen gemäß ist."
Der Autor schildert, wie seinerzeit die Astronomie von den Fürstenhöfen profitierte. Die Landesherren stellten Sternkundige ein, die ihnen Horoskope liefern sollten und daneben aber auch Zeit für die Erforschung des Himmels fanden. Im Jahr 1560 begründete der hessische Landgraf Wilhelm IV. das erste fest eingerichtete Observatorium der Neuzeit. Hundert Jahre später bauten etliche Landesherren Sternwarten, damit erlauchte Gäste bei ihnen die noch unverstandene Kuriosität namens Fernrohr bewundern konnten. Ludwig XIV. ließ 1667 das Königliche Observatorium von Paris errichten, ein repräsentatives Schloß, das Vorbild für die Sternwarten in Greenwich, Berlin und St. Petersburg wurde. Es zog aber auch die kundigsten Astronomen an, unter anderen Christiaan Huygens und Giovanni Domenico Cassini. Diese tauschten ihre Forschungsergebnisse mit anderen Astronomen in ausführlichen Briefen aus.
Zu jener Zeit hatte sich das heliozentrische Weltbild - nicht zuletzt dank der Arbeiten Johannes Keplers - längst durchgesetzt, wenngleich einige damit verbundene Fragen immer noch nicht beantwortet werden konnten. Wenn sich die Erde um die Sonne bewegte, mußte sich das in einer Positionsänderung der Sterne widerspiegeln. Eine solche Parallaxe fand man aber nicht. Sie ist wegen der riesigen Distanzen im Universum sehr klein und wurde erst 1838 von Friedrich Wilhelm Bessel entdeckt. Die kosmischen Dimensionen wurden lange Zeit unterschätzt. Auch andere Vorstellungen mußten im Lauf der Zeit revidiert werden. Nachdem die Sterne ihrer gemeinsamen Sphäre beraubt waren, der sie im ptolemäischen Weltbild zugeordnet wurden, setzte die Idee sich durch, alle Sterne seien gleich groß. Somit wären die lichtschwächer erscheinenden Himmelskörper weiter von der Erde entfernt als die helleren. Erst im Jahr 1785 wies Friedrich Wilhelm Herschel anhand von Doppelsternen nach, daß das nicht stimmte. In seiner Schrift "Über den Bau des Himmels" verkündete er, "die Sterne seyn von mancherley Größe".
Fortschritte in der Astronomie, die noch weit bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein fast ausschließlich als Positionsastronomie betrieben wurde, hingen damals wie heute wesentlich von der Weiterentwicklung des Fernrohrs ab. Auch damit beschäftigt sich Hamel in seinem Buch. Er beschreibt zum Beispiel, warum im siebzehnten Jahrhundert regelrechte Fernrohrgiganten entstanden - nämlich wegen einiger damals unvermeidlicher Linsenfehler. Man konnte diese Fehler nur ein wenig umgehen, indem man das Verhältnis von Objektivdurchmesser zu Brennweite verkleinerte. Dadurch wurden für gute Leistungen mit großen Objektiven riesige Brennweiten erforderlich. Johannes Hevelius baute vor den Toren Danzigs ein "Luftfernrohr", das eine Brennweite von etwa 45 Metern hatte. Es war an einem Mast aufgehängt und daran in der Höhe verstellbar.
Soweit Hamels Buch die Geschichte der Astronomie bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts betrifft, ist es außerordentlich lesenswert. Die Einbettung in die allgemeine Zeitgeschichte läßt manche Entwicklung in der Himmelskunde erst verständlich erscheinen. Auch wird deutlich, wie Optik und Mechanik von dieser Wissenschaft profitierten. Den Übergang zur astrophysikalischen Forschungsarbeit mit der Spektroskopie, der Photometrie und der Photographie hat der Autor noch ausführlich dargestellt. Die Zeit danach hingegen wird nur gestreift, was angesichts des Untertitels - "Von den Anfängen bis zur Gegenwart" - völlig unverständlich ist. Immer wieder geht der Autor auf die sich wandelnde Vorstellung von Kometen ein, erwähnt die moderne Forschung aber mit keinem Wort. Die Entdeckung des Universums wird recht stiefmütterlich behandelt, die Entdeckung von Planeten in anderen Sonnensystemen und vieles mehr gar nicht erwähnt. Hinzu kommen einige ärgerliche Fehler. Die Rechnung zur Neutronensternmasse ist falsch, die Natur des Großen Roten Flecks auf Jupiter ist nicht ganz so rätselhaft, wie der Autor behauptet, und die Datierung des mythischen Ausgangspunktes im Mayakalender ist längst nicht mehr umstritten. Die mittelalterliche Sonnenuhr, die auf einer der Abbildungen zu sehen ist, die sich im County Meath in Irland befinden soll, dürfte - wie die Symbole im oberen Teil vermuten lassen - eher in Schottland stehen.
Jürgen Hamel: "Geschichte der Astronomie". Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Birkhäuser Verlag, Basel, Berlin 1998. 352 S., 110 Farb- u. S/W-Abb., geb., 68,- DM.
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