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Die Geschichte der DDR hat - ungeachtet der immer wieder bestehenden Möglichkeit alternativer Entwicklungen - ihre innere Folgerichtigkeit. Diese wird im vorliegenden Band vor dem Hintergrund der zentralen innen- und außenpolitischen Entscheidungen und Prozesse erfaßt.

Produktbeschreibung
Die Geschichte der DDR hat - ungeachtet der immer wieder bestehenden Möglichkeit alternativer Entwicklungen - ihre innere Folgerichtigkeit. Diese wird im vorliegenden Band vor dem Hintergrund der zentralen innen- und außenpolitischen Entscheidungen und Prozesse erfaßt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.1996

"Bruch mit verhängnisvollen Traditionen"?
DDR-Geschichte schöngeschrieben: Staritz gießt bei Suhrkamp kalten Kaffee auf

Dietrich Staritz: Geschichte der DDR. 1949-1989. Erweiterte Neuausgabe. Neue Historische Bibliothek, Edition Suhrkamp 1260. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996. 350 Seiten, 24,80 Mark.

Die bis 1989 dominierende Richtung der westdeutschen DDR-Forschung, die sich einer systemimmanenten und modernisierungstheoretischen Betrachtungsweise verpflichtet fühlte, hat sich inzwischen von ihrem Schock über den Zusammenbruch des realsozialistischen Systems erholt. Im Zuge der von ihr inszenierten "Selbstkritik" wurden einige vermeintlich quellenbedingte Unzulänglichkeiten zugestanden, für den überwiegenden Teil ihrer Forschung aber ein hoher Erkenntniswert beansprucht. Nun hat mit Dietrich Staritz einer der einst Renommiertesten dieser beharrungskräftigen DDR-Forscherriege eine erweiterte Neuausgabe seiner 1985 in der "Neuen Historischen Bibliothek" der Edition Suhrkamp herausgegebenen "Geschichte der DDR" vorgelegt. Staritz war Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, "Spiegel"-Redakteur, Mitarbeiter der MfS und des Verfassungsschutzes in den sechziger und frühen siebziger Jahren, später Geschäftsführender Leiter des Arbeitsbereichs "Geschichte und Politik der DDR" der Universität Mannheim.

Zwei entscheidende Versäumnisse - die Überschätzung der DDR-Wirtschaft und des Reformwillens der SED-Führung - gesteht der Autor in seinem Vorwort ein, doch die bedeutendste Unterlassungssünde, das Ausblenden des diktatorischen Charakters der SED-Herrschaft sowie des flächendeckenden Kontroll- und Unterdrückungsapparates von SED und MfS, setzt er aus verständlichen und noch zu erörternden Gründen nahezu ungebrochen fort.

In der Erstauflage des Buches vom März 1985 bedauerte Staritz noch die unzulängliche Quellenlage und forderte "politische Phantasie", die sich allerdings "immer wieder von neuem am Material zu bewähren" habe. Heute, wo weniger die Phantasie als die Einordnung und Interpretation neu erschlossener Quellen auf der Tagesordnung stehen, klagt er über die "zuweilen irritierend vielfältigen Akten". So überstrapaziert er weder Phantasie noch Akten und hält sich an seinen alten, um einige Kapitel ergänzten Text. Besonders an Stellen, wo jetzt zugängliche Quellen seine damaligen Einschätzungen bestätigen, werden diese als Beleg angeführt, andere, etwa zu den Aktivitäten des MfS oder zum deutsch-deutschen Verhältnis, finden keine oder nur selektive Erwähnung. Kleinere Korrekturen schaffen semantische Eingriffe: Zum Beispiel gelang es der SED in der Erstausgabe noch, "eine politische Kultur auszuprägen, welche zwar die gesellschaftlichen Verkehrsformen des terroristischen Obrigkeitsstaates überwand, zugleich aber die neue autoritäre Obrigkeit akzeptieren half", während in der Neuausgabe dieselbe Politik nur noch "akzeptieren helfen sollte". Stärker und durchgängiger als in der ersten Fassung wird nun die beherrschende Rolle der SED herausgestrichen. Waren früher noch "Ministerien" oder die "Finanzbürokratie" verantwortlich, setzt Staritz jetzt die Partei oder die SED-Führung an ihre Stelle. Das sind kleine Kursveränderungen. Die große Linie bleibt.

Hiernach war die DDR eine unter dem Schutz der Roten Armee entstandene moderne Industriegesellschaft, die von der SED zu einer sozialistischen Gesellschaft in einem deutschen Teilstaat ausgebaut wurde. Dabei wird der SED-Führung zugebilligt, nach Jahren der Unterdrückung schließlich durch ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik und ihren gefälligen Umgang mit Kritik die Zustimmung großer Teile der Bevölkerung erreicht zu haben. Der Sachzwang einer modernen Industriegesellschaft habe auch im kommunistischen System zu Reformen geführt. Staritz sprach 1985 von einem "Trend zur Modernisierung . . . auch im politischen System", die SED habe versucht, "neue Formen einer funktionalen, das heißt stabilisierenden Partizipation in Städten und Gemeinden zu finden und mit den Bürgern einen Dialog zu führen". Durch "Bürgernähe und die Aktivierung der örtlichen Staatsorgane" habe die SED dafür sorgen wollen, daß sich die DDR-Bewohner wohl und geborgen fühlten. Nach Staritz konnten sich dem auch die Massenorganisationen nicht entziehen, sie seien Vertreter partikularer Interessen geworden. Diese Bewertung stellte schon damals die Wirklichkeit auf den Kopf.

Von Modernisierung der DDR ist in der Neuausgabe - ohne weitere Begründung - keine Rede mehr.

Im Jahre 1985 bescheinigte Staritz der SED-Führung noch eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Seine Erkenntnis, die westdeutsche DDR-Forschung habe ebenso wie die SED-Führung die Lage "zu optimistisch beurteilt", bleibt indes ohne nennenswerte Konsequenz für seine Darstellung der DDR-Geschichte.

Eine Kennzeichnung der DDR als Diktatur geht ihm auch jetzt nicht aus der Feder. Das Ministerium für Staatssicherheit findet weiterhin wenig Beachtung, zitiert werden von Staritz nur einige Lageberichte des MfS über die Stimmung in der Bevölkerung. Der flächendeckende Aufbau des Kontroll- und Unterdrückungsapparates, seine bis 1989 anhaltende gigantische personelle Aufstockung oder auch die geplanten Isolierungslager für Oppositionelle werden nicht beschrieben. Im Gegenteil: Staritz bescheinigt SED und MfS den "Versuch, einen Teil des Repressionssystems durch seine ,Vergesellschaftung' zu entpolarisieren". Die "entpolarisierte" Opposition der achtziger Jahre wird in der Neuausgabe zwar erwähnt, aber nicht in dem Umfang wie die alte reformkommunistische und innerparteiliche Opposition, der offensichtlich Staritz' Sympathie gilt.

Zweifel an der Stabilität der DDR waren Staritz Mitte der achtziger Jahre nicht gekommen, im Gegenteil, hoffnungsfroh stellte er fest: "Es scheint, als habe der vom Weltmarkt geförderte Genosse Sachzwang die DDR-Gesellschaft in eine neue Bewegung gebracht. Setzt sich der Modernisierungstrend tatsächlich durch, sind selbst in den ,Nischen' Konsequenzen zu erwarten." Für Bundesrepublik und DDR beschrieb Staritz damals ähnliche Probleme und Lösungen. Noch im Oktober 1989 hielt er einen "Sozialismus in den Farben der DDR" für eine realistische Perspektive, das Fortbestehen der deutschen Teilung wertete er positiv als "Bruch mit verhängnisvollen Traditionen".

Nach dem Ende der DDR beobachtet Staritz erstaunt einen "Erosionsprozeß" in der Bevölkerung, aber auch in der SED: "Statt auf Kampfbereitschaft stießen die Funktionäre überall auf Lethargie oder Kritik." Selbst der SED-Basis war anscheinend der drohende Niedergang der DDR früher bekannt als Staritz und seinen DDR-Forscherkollegen: für die brach die DDR unvermittelt und unverhofft 1989/90 zusammen. Wie aber konnte es dazu kommen?

Wer nun in der erweiterten Neuausgabe eine, gegebenenfalls auch nur unterhaltsame, Variante zur Erklärung der erstaunlichen Fehleinschätzung erwartet, soll alle Hoffnung fahrenlassen: SED und DDR brechen einfach zusammen. Auf einmal hat niemand mehr diesen Staat gewollt. Und auf einmal ist Honecker für Staritz der einzige, der die DDR, so wie sie war, noch für lebensfähig hielt. Dieser erklärte den Untergang der DDR mit der Aufkündigung der Solidarität innerhalb der sozialistischen Länder, sprich: dem Verzicht auf den Einsatz sowjetischer Truppen. In einem Nebensatz teilt uns Staritz dann doch mit, daß für das Ende der DDR vor allem "das Volk" verantwortlich war. Es entschied sich, als es nach 45 Jahren zum erstenmal gefragt wurde, für ein demokratisches Deutschland. Eine tiefergehende Erklärung für den Zusammenbruch der DDR kann oder will Staritz nicht geben, müßte er doch ansonsten die vierhundert Seiten seiner vorgelegten "Geschichte der DDR" weitgehend neu schreiben.

Die von der systemimmanenten DDR-Forschung so wortgewaltig und zeilenträchtig beschriebene Modernisierung der DDR-Gesellschaft erwies sich als Wunschbild. Dabei hätten auch modernisierungstheoretisch argumentierende Sozialwissenschaftler das Dilemma der DDR beschreiben können: Eine ihren totalitären Anspruch nie aufgebende Monopolpartei erwies sich als unfähig, den Modernisierungsanforderungen einer Industriegesellschaft Rechnung zu tragen, ja sie überhaupt zu erkennen. Der in über vierzig Jahren aufgestaute Reformdruck ließ das totalitäre System in genau dem Augenblick zusammenbrechen, als es wirkliche Zugeständnisse machte. So hätte man argumentieren können. Aber da die DDR-Forscher die DDR schon längst nicht mehr für ein totalitäres System hielten, sie vielmehr auf dem Weg zu einem konsultativ-autoritativen Staat oder einer autoritär-technokratischen Gesellschaftsformation wähnten, blieb ihnen dieser Zusammenhang bis zum bitteren Ende verschlossen.

Dietrich Staritz war nach Hermann Weber, der im Gegensatz zu ihm den diktatorischen Charakter der DDR immer wieder betonte, einer der einflußreichsten DDR-Forscher der achtziger Jahre und hat mit seinen vielfältigen Beiträgen vor allem die Interpretation der DDR-Geschichte im linken und linksliberalen intellektuellen Milieu der Bundesrepublik geprägt. Von 1961 bis 1972 lieferte er als Inoffizieller Mitarbeiter "Erich" Berichte an das Ministerium für Staatssicherheit. Nach eigenen Angaben hat er gleichzeitig für den Verfassungsschutz der Bundesrepublik gearbeitet. Dem MfS teilte er schon frühzeitig den neuen, später auch von ihm geprägten Trend in der westlichen DDR-Forschung mit: "Ludz (der Mentor der systemimmanenten Forschungsrichtung, K. S.) betont, im Gegensatz zu den anderen Theoretikern des Totalitarismus, den Wandel der sozialen Ordnung der sozialistischen Staaten und weigert sich daher, diese an sich dynamische Gesellschaft mit starren Begriffen zu belegen oder zu umschreiben . . . die Ludzsche Kritik ist in vieler Hinsicht positiv und progressiv." Der Vorschlag an das MfS, den "Kampf" der Modernisierungstheorie gegen den Totalitarismusansatz zu unterstützen, deckte sich durchaus mit den politischen Motiven von Staritz. Er erhoffte sich über einen reformierten Sozialismus in der DDR für den Westen eine Vorbildfunktion für einen "dritten Weg". Selbst seine Rolle als Doppelagent wertete er in diesem Sinne.

War es nun für Staritz ratsam, angesichts dieser Befangenheit eine erweiterte Neuausgabe seiner DDR-Geschichte vorzulegen? Warum nicht, werden seine mit ähnlichen Ergebnissen aufwartenden DDR-Forscherkollegen sagen, schließlich sagt die Spitzeltätigkeit eines Geiteswissenschaftlers noch nichts über die Qualität seiner Arbeit aus. Aber hätte man nicht erwarten können, daß Dietrich Staritz seine Verstrickungen dem Leser offenlegt und über eine Fußnote hinaus seine nebenberufliche Motivation erläutert? Wie auch immer man seine MfS-Tätigkeit bewerten mag, für die wissenschaftliche Arbeit von Staritz hat sie vermutlich keine allzu große Rolle gespielt. Das DDR-Bild entspringt seiner wissenschaftlichen Methode, vielleicht auch seinen politischen Wunschvorstellungen, nicht aber seiner MfS-Verbindung.

Offen bleibt auch nach diesem Buch die Frage, ob sich ein sozialgeschichtlicher Zugang zur Erschließung der DDR-Geschichte einem totalitarismustheoretisch begründeten als überlegen erweisen wird. Für die weitere DDR-Forschung wird es darauf ankommen, den widersprüchlichen Zusammenhang zwischen der aufgrund der Systemkonkurrenz notwendigen industriellen Entwicklung und dem fortwirkenden totalitären Machtanspruch darzustellen und aufzulösen. Entgegen der Annahme von Staritz und anderen scheint es in der DDR zu keiner Zeit ein ausreichendes Potential für eine Erneuerung der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage gegeben zu haben.

Staritz zeichnet abermals trotz im Detail zutreffender oder zumindest diskussionswerter Einschätzungen ein verharmlosendes Bild der DDR. Die Diktatur wird in gewohnter Weise der industriegesellschaftlichen Entwicklung untergeordnet oder verschwindet in der Chronologie der Ereignisse. Unverständlich bleibt, warum der Suhrkamp-Verlag und der Herausgeber der "Neuen Historischen Bibliothek", Hans-Ulrich Wehler, diese überarbeitete Version eines zehn Jahre alten Fehlversuchs zur DDR-Geschichte in die Reihe aufgenommen haben. KLAUS SCHROEDER

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