Die Zeit zwischen der Juli-Revolution 1830 und der Gründung des Deutschen Reiches 1870/71 ist in der deutschsprachigen Literatur von scharfen Gegensätzen geprägt. Im Zentrum der Epoche steht die gescheiterte Revolution von 1848/49 als Höhepunkt einer exzeptionellen Politisierung und Wetterscheide zwischen Vor- und Nachmärz, Protest und Resignation. Peter Sprengel schildert in dieser fulminanten Literaturgeschichte den windungsreichen Weg vom Ende der klassisch-romantischen «Kunstperiode» über die Ära des Jungen Deutschland und der Krisenliteratur der vierziger Jahre bis hin zum Bürgerlichen oder Poetischen Realismus.
Büchners Dantons Tod und Stifters Nachsommer, Heines Harzreise und Fontanes Balladen - gerade in ihrer Unterschiedlichkeit bilden diese Werke Meilensteine einer oft unterschätzten, spannungsreichen Epoche. Peter Sprengel bettet die Entwicklung neuer literarischer Stile, Formen und Themen in ein weites kulturgeschichtliches Panorama ein, das von der Erschließung Amerikas bis zu Wagners Ring des Nibelungen reicht. Besonders aufmerksam verfolgt er die enge Verzahnung zwischen Literatur und Politik in Preußen, Österreich und den anderen Staaten des Deutschen Bundes sowie der Schweiz. Das literarische Leben der Zeit prägten Dichterkreise und Skandale ebenso wie die Strafverfolgung und das Exil zahlreicher Schriftsteller. Wichtige Stichworte waren Großstadt und Cholera, Historismus, Religion und Religionskritik, Naturbeschreibung und Naturwissenschaft. Insgesamt zeichnet Peter Sprengel das aufregende Bild einer Ära, die an den Widersprüchen zwischen «Biedermeier» und Revolution, Vergangenheitsbezug und Fortschrittlichkeit fast zu zerbrechen drohte und gleichzeitig wesentliche Fundamente für die Entwicklung der Moderne legte.
Büchners Dantons Tod und Stifters Nachsommer, Heines Harzreise und Fontanes Balladen - gerade in ihrer Unterschiedlichkeit bilden diese Werke Meilensteine einer oft unterschätzten, spannungsreichen Epoche. Peter Sprengel bettet die Entwicklung neuer literarischer Stile, Formen und Themen in ein weites kulturgeschichtliches Panorama ein, das von der Erschließung Amerikas bis zu Wagners Ring des Nibelungen reicht. Besonders aufmerksam verfolgt er die enge Verzahnung zwischen Literatur und Politik in Preußen, Österreich und den anderen Staaten des Deutschen Bundes sowie der Schweiz. Das literarische Leben der Zeit prägten Dichterkreise und Skandale ebenso wie die Strafverfolgung und das Exil zahlreicher Schriftsteller. Wichtige Stichworte waren Großstadt und Cholera, Historismus, Religion und Religionskritik, Naturbeschreibung und Naturwissenschaft. Insgesamt zeichnet Peter Sprengel das aufregende Bild einer Ära, die an den Widersprüchen zwischen «Biedermeier» und Revolution, Vergangenheitsbezug und Fortschrittlichkeit fast zu zerbrechen drohte und gleichzeitig wesentliche Fundamente für die Entwicklung der Moderne legte.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Wolfgang Schneider nimmt viele Lektüreanregungen mit aus Peter Sprengels umfangreicher Literaturgeschichte der Zeit von 1830-1870. Dass der Autor das Werk alleine stemmt, ist Schneider bereits Lob wert. Wie Sprengel den Band anlegt, frei von Fachjargon, lebendig, chronologisch und als Darstellung der Zusammenhänge zwischen Zeitdebatten und Literatur, findet Schneider höchst reizvoll. Die einander widersprechenden Strömungen der Epoche werden so für den Rezensenten sichtbar, der Weg zum Realismus in der Literatur, Autoren und Werke. Außer bekannten Namen wie Hebbel, Heine, Keller, Stifter kreuzen auch weniger bekannte wie Willibald Alexis oder Victor von Scheffel Schneiders Weg. Faszinierend, meint Schneider.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.12.2020Welch ein Abendrot
In seiner fulminanten Darstellung der deutschsprachigen Literatur zwischen 1830 und 1870
entzieht Peter Sprengel den Vorurteilen über die Autorinnen und Autoren dieser Zeit den Boden
VON JENS MALTE FISCHER
Was waren das für Zeiten, die goldenen Jahre der deutschsprachigen Germanistik, genauer gesagt: die Fünfziger- und Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Da herrschten über ihre Fürstentümer die Granden der Literaturgeschichtsschreibung: Helmut de Boor, Benno von Wiese, Friedrich Sengle, um nur diese zu nennen, befehligten einen Tross von Mitarbeitern und Schülern, verteilten mit vollen Händen Themen für Staatsexamensarbeiten und Dissertationen.
Zu Beginn dieser goldenen Zeit, um 1950, begann im Münchner Beck-Verlag eine Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart zu erscheinen, begründet von dem eben genannten de Boor und seinem Kollegen Richard Newald. Nun, 70 Jahre später, erscheint der vorletzte Band, die frühesten Bände sind teilweise durchgreifend überarbeitet worden. Der Verlag ist zu bewundern, dass er diesem Langzeitprojekt die Treue gehalten hat. Nur noch der Band über die Literatur des sogenannten Dritten Reiches steht aus, man darf gespannt sein.
Eben erschienen ist also Band VIII dieses Unternehmens, der die Epoche zwischen 1830 und 1870 behandelt. Der Berliner Germanist Peter Sprengel hat ihn verfasst, der schon die darauffolgende Periode von 1870 – 1918 in zwei rundum geglückten Bänden bearbeitet hatte. Wer diese Zeit der „deutschsprachigen“ (wie es nun etwas präziser heißt) Literatur als Literaturhistoriker bewältigen will, steht vor einer Grundsatzentscheidung über die Periodisierung einerseits, vor einem monumentalen Buchgebirge andererseits.
In den Siebzigerjahren erschienen drei Bände, die den Titel „Biedermeierzeit“ trugen und die deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815 bis 1848 behandelten. Verfasser war der bereits genannte Friedrich Sengle, der Umfang des Werks betrug mehr als 3000 Seiten. Sprengel geht in seinem Vorwort natürlich auf dieses Buch ein. Der Begriff „Biedermeier“ als Epochenprägung wurde mit all seiner verkleinernden und verniedlichenden Bedeutung (der Begriff hatte ursprünglich parodistisch-satirischen Charakter) in einer nicht wiederholbaren Materialfülle und von einer durchaus konservativ zu nennenden Grundhaltung aus behandelt. Sengle kam damals nicht umhin, knapp 50 Dissertationen aufzuführen, die unter seiner Anleitung zum Themenbereich entstanden und reichhaltige Materialzulieferung bedeuteten.
Peter Sprengel geht einen anderen Weg. Sein Untertitel lautet „Vormärz – Nachmärz“, und damit macht er sofort klar, dass für ihn nicht „Biedermeier“ und daran anschließend „Realismus“ die Leitbegriffe der literarischen Epoche sind, sondern zunächst die Zeit seit der Julirevolution von 1830 bis zur Märzrevolution, oder besser gesagt den Märzrevolutionen, von 1848/49 und dann die darauffolgende Zeit bis unmittelbar vor dem Deutsch-Französischen Krieg und der deutschen Reichsgründung. Dementsprechend sieht schon das Inhaltsverzeichnis dieser neuen Darstellung völlig anders aus: Es besteht aus zwei Hälften in drei Abschnitten.
Zunächst skizziert Sprengel das Porträt einer Epoche, dann breitet er Ereignisse und Debatten in Bezug auf Politik, Öffentlichkeit und Literatur aus. Damit ist bereits fast die Hälfte des immer noch durchaus umfangreichen Buches erreicht, die zweite Hälfte ist dann die in einem äußeren Sinne konventionelle Abteilung, nämlich eine Literaturgeschichte nach Gattungen. Was, um ein letztes Mal Bezug auf Sengles Darstellung zu nehmen, hier völlig fehlt, sind die 1000 Seiten, die dieser einzelnen Dichterporträts gewidmet hatte. Das heißt aber nicht, dass die wichtigsten Autoren dieser Epoche im Schneegestöber literaturhistorischer Fakten und Daten untergehen, nur versucht Sprengel nicht, seine Darstellung durch Monografien gefällig abzurunden. Für so etwas sind Literaturgeschichten dann doch nicht der richtige Ort. Dennoch werden die Großen der Zeit immer wieder sehr lebendig: Heinrich Heine, Friedrich Hebbel, Gottfried Keller, Wilhelm Raabe, Adalbert Stifter, Karl Immermann, Jeremias Gotthelf.
Einen Romancier der Zeit schätzt Peter Sprengel besonders und vermag auch zu belegen, warum er dies tut: Karl Gutzkow, heute nahezu vergessen, doch seinerzeit unter anderem mit zwei Riesenromanen von jeweils rund 3000 Seiten „Der Zauberer von Rom“ und „Die Ritter vom Geiste“ viel gelesen, hoch geschätzt. Sprengel kann überzeugend nachweisen, dass seine flagrante Vernachlässigung schon seit Langem einem über alles Zeittypische hinaus bedeutenden Autor unrecht tut.
In seinem Vorwort zitiert Sprengel den Autor Robert Prutz, der 1847 sich über die Literaturgeschichten seiner Zeit – das Genre erlebte eine erste Blüte – lustig machte mit ihren den Leser abschreckenden Dürreperioden und ödesten Steppen. Die Periode, die er selbst hier behandelt, gilt ja bis heute als eine eher dröge Phase des Übergangs, verdunkelt durch den überdimensionalen Schatten der Weimarer Klassik einerseits, ächzend unter den Verwerfungen politischer und sozialer Art und (noch) nicht fähig zu den großen Leistungen der gleichzeitigen französischen, englischen und russischen Literatur andererseits.
Es ist nicht die geringste Leistung des Buches, solchen Vorurteilen ein für allemal die Basis zu entziehen. Hinter diese ebenso farbige wie lektüreanregende Darstellung wird man vernünftigerweise nicht mehr zurückfallen können. Zu bewundern ist die Bewältigung der enormen Fülle der Literaturproduktion dieser Zeit, gegen sie wirkt die darauf folgende von 1870 bis 1918 geradezu wohlgeordnet und übersichtlich. Die Darstellung kennt nicht nur die Großen und auch heute noch Berühmten. Durch die souveräne Kenntnis der Verästelungen dieser Epoche von größter Mannigfaltigkeit, aber auch Zerrissenheit, geraten Autoren und Autorinnen (es sind viele Frauen dabei) in den Blick, die selbst den Spezialisten kaum noch vertraut sind.
Die ersten beiden der drei Abschnitte, das Epochenporträt und die Darstellung der Ereignisse und Debatten, sind überzeugende Beispiele für eine Literaturgeschichtsschreibung, die unseren heutigen Ansprüchen an eine Verzahnung von Literaturhistorie mit der Darstellung politischer und sozialer Verhältnisse und der dadurch bedingten Imprägnierung der literarischen Zeugnisse mehr als genügt. Ein besonderes Kabinettstück ist das Kapitel über den nationalen Mythos Nibelungen, der sich nicht nur mit Richard Wagner beschäftigt, sondern mit den weiteren zahlreichen Versuchen, diesen sehr besonderen Stoff zu bewältigen.
Die Literaturgeschichte nach Gattungen schließlich, die zweite Hälfte des Buches, kommt konventionell daher, aber dies nur äußerlich. Es gelingt der Darstellung hier etwa zwischen historischen Romanen, Novellen, Dorf- und Ghetto-Geschichten, Kriminalerzählungen und Abenteuerromanen, zwischen Märchen und Versepen den Bereich des Erzählens transparent zu machen. Innerhalb der Dramatik wird die zentrale Rolle des Geschichtsdramas – auf den Bühnen der Zeit außerordentlich erfolgreich – souverän dargestellt.
Peter Sprengel ist hier die gültige Darstellung der Epoche gelungen. Mit einer gewissen Wehmut legt man das Buch aus der Hand. Mit diesem und dem noch ausstehenden Band der Beck-Literaturgeschichte geht auch eine Epoche zu Ende, die der groß angelegten Geschichtsschreibung der deutschsprachigen Literatur. Hingewiesen werden muss bei dieser Gelegenheit auf das Parallelunternehmen, die gewaltige Anstrengung der DDR-Germanistik zwischen 1960 und 1990, die nicht zufällig exakt den gleichen Gesamttitel trug wie das bundesrepublikanische Projekt und unter einer weitgehend strengen marxistischen Observanz auf ihre spezielle Weise ebenfalls Großes geleistet hat – wer kennt sie, wer benutzt sie noch?
Eine längere Nachwirkung ist hoffentlich der Literaturgeschichte beschieden, deren vorletzter Band hier besprochen wird. Literaturgeschichten dieses umfassenden Anspruchs werden nicht mehr geschrieben werden, das muss man unumwunden feststellen. Im Abendrot dieser nun versinkenden Welt der Gelehrsamkeit bleibt die Darstellung Peter Sprengels hell und konturscharf sichtbar.
Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1830 – 1870. Vormärz – Nachmärz. Verlag C. H. Beck. München 2020. 781 Seiten, 49,95 Euro.
In dem Porträt einer Epoche
werden auch die Großen der Zeit
lebendig: Heine, Hebbel, Raabe
Literaturgeschichten dieses
umfassenden Anspruchs
werden nicht mehr geschrieben
Nicht nur Richard Wagner griff den Nibelungen-Stoff auf. Peter von Cornelius: Hagen versenkt den Nibelungenhort, 1859.
Foto: Art Collection 2/Alamy/mauritius images
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
In seiner fulminanten Darstellung der deutschsprachigen Literatur zwischen 1830 und 1870
entzieht Peter Sprengel den Vorurteilen über die Autorinnen und Autoren dieser Zeit den Boden
VON JENS MALTE FISCHER
Was waren das für Zeiten, die goldenen Jahre der deutschsprachigen Germanistik, genauer gesagt: die Fünfziger- und Sechzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Da herrschten über ihre Fürstentümer die Granden der Literaturgeschichtsschreibung: Helmut de Boor, Benno von Wiese, Friedrich Sengle, um nur diese zu nennen, befehligten einen Tross von Mitarbeitern und Schülern, verteilten mit vollen Händen Themen für Staatsexamensarbeiten und Dissertationen.
Zu Beginn dieser goldenen Zeit, um 1950, begann im Münchner Beck-Verlag eine Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart zu erscheinen, begründet von dem eben genannten de Boor und seinem Kollegen Richard Newald. Nun, 70 Jahre später, erscheint der vorletzte Band, die frühesten Bände sind teilweise durchgreifend überarbeitet worden. Der Verlag ist zu bewundern, dass er diesem Langzeitprojekt die Treue gehalten hat. Nur noch der Band über die Literatur des sogenannten Dritten Reiches steht aus, man darf gespannt sein.
Eben erschienen ist also Band VIII dieses Unternehmens, der die Epoche zwischen 1830 und 1870 behandelt. Der Berliner Germanist Peter Sprengel hat ihn verfasst, der schon die darauffolgende Periode von 1870 – 1918 in zwei rundum geglückten Bänden bearbeitet hatte. Wer diese Zeit der „deutschsprachigen“ (wie es nun etwas präziser heißt) Literatur als Literaturhistoriker bewältigen will, steht vor einer Grundsatzentscheidung über die Periodisierung einerseits, vor einem monumentalen Buchgebirge andererseits.
In den Siebzigerjahren erschienen drei Bände, die den Titel „Biedermeierzeit“ trugen und die deutsche Literatur im Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution 1815 bis 1848 behandelten. Verfasser war der bereits genannte Friedrich Sengle, der Umfang des Werks betrug mehr als 3000 Seiten. Sprengel geht in seinem Vorwort natürlich auf dieses Buch ein. Der Begriff „Biedermeier“ als Epochenprägung wurde mit all seiner verkleinernden und verniedlichenden Bedeutung (der Begriff hatte ursprünglich parodistisch-satirischen Charakter) in einer nicht wiederholbaren Materialfülle und von einer durchaus konservativ zu nennenden Grundhaltung aus behandelt. Sengle kam damals nicht umhin, knapp 50 Dissertationen aufzuführen, die unter seiner Anleitung zum Themenbereich entstanden und reichhaltige Materialzulieferung bedeuteten.
Peter Sprengel geht einen anderen Weg. Sein Untertitel lautet „Vormärz – Nachmärz“, und damit macht er sofort klar, dass für ihn nicht „Biedermeier“ und daran anschließend „Realismus“ die Leitbegriffe der literarischen Epoche sind, sondern zunächst die Zeit seit der Julirevolution von 1830 bis zur Märzrevolution, oder besser gesagt den Märzrevolutionen, von 1848/49 und dann die darauffolgende Zeit bis unmittelbar vor dem Deutsch-Französischen Krieg und der deutschen Reichsgründung. Dementsprechend sieht schon das Inhaltsverzeichnis dieser neuen Darstellung völlig anders aus: Es besteht aus zwei Hälften in drei Abschnitten.
Zunächst skizziert Sprengel das Porträt einer Epoche, dann breitet er Ereignisse und Debatten in Bezug auf Politik, Öffentlichkeit und Literatur aus. Damit ist bereits fast die Hälfte des immer noch durchaus umfangreichen Buches erreicht, die zweite Hälfte ist dann die in einem äußeren Sinne konventionelle Abteilung, nämlich eine Literaturgeschichte nach Gattungen. Was, um ein letztes Mal Bezug auf Sengles Darstellung zu nehmen, hier völlig fehlt, sind die 1000 Seiten, die dieser einzelnen Dichterporträts gewidmet hatte. Das heißt aber nicht, dass die wichtigsten Autoren dieser Epoche im Schneegestöber literaturhistorischer Fakten und Daten untergehen, nur versucht Sprengel nicht, seine Darstellung durch Monografien gefällig abzurunden. Für so etwas sind Literaturgeschichten dann doch nicht der richtige Ort. Dennoch werden die Großen der Zeit immer wieder sehr lebendig: Heinrich Heine, Friedrich Hebbel, Gottfried Keller, Wilhelm Raabe, Adalbert Stifter, Karl Immermann, Jeremias Gotthelf.
Einen Romancier der Zeit schätzt Peter Sprengel besonders und vermag auch zu belegen, warum er dies tut: Karl Gutzkow, heute nahezu vergessen, doch seinerzeit unter anderem mit zwei Riesenromanen von jeweils rund 3000 Seiten „Der Zauberer von Rom“ und „Die Ritter vom Geiste“ viel gelesen, hoch geschätzt. Sprengel kann überzeugend nachweisen, dass seine flagrante Vernachlässigung schon seit Langem einem über alles Zeittypische hinaus bedeutenden Autor unrecht tut.
In seinem Vorwort zitiert Sprengel den Autor Robert Prutz, der 1847 sich über die Literaturgeschichten seiner Zeit – das Genre erlebte eine erste Blüte – lustig machte mit ihren den Leser abschreckenden Dürreperioden und ödesten Steppen. Die Periode, die er selbst hier behandelt, gilt ja bis heute als eine eher dröge Phase des Übergangs, verdunkelt durch den überdimensionalen Schatten der Weimarer Klassik einerseits, ächzend unter den Verwerfungen politischer und sozialer Art und (noch) nicht fähig zu den großen Leistungen der gleichzeitigen französischen, englischen und russischen Literatur andererseits.
Es ist nicht die geringste Leistung des Buches, solchen Vorurteilen ein für allemal die Basis zu entziehen. Hinter diese ebenso farbige wie lektüreanregende Darstellung wird man vernünftigerweise nicht mehr zurückfallen können. Zu bewundern ist die Bewältigung der enormen Fülle der Literaturproduktion dieser Zeit, gegen sie wirkt die darauf folgende von 1870 bis 1918 geradezu wohlgeordnet und übersichtlich. Die Darstellung kennt nicht nur die Großen und auch heute noch Berühmten. Durch die souveräne Kenntnis der Verästelungen dieser Epoche von größter Mannigfaltigkeit, aber auch Zerrissenheit, geraten Autoren und Autorinnen (es sind viele Frauen dabei) in den Blick, die selbst den Spezialisten kaum noch vertraut sind.
Die ersten beiden der drei Abschnitte, das Epochenporträt und die Darstellung der Ereignisse und Debatten, sind überzeugende Beispiele für eine Literaturgeschichtsschreibung, die unseren heutigen Ansprüchen an eine Verzahnung von Literaturhistorie mit der Darstellung politischer und sozialer Verhältnisse und der dadurch bedingten Imprägnierung der literarischen Zeugnisse mehr als genügt. Ein besonderes Kabinettstück ist das Kapitel über den nationalen Mythos Nibelungen, der sich nicht nur mit Richard Wagner beschäftigt, sondern mit den weiteren zahlreichen Versuchen, diesen sehr besonderen Stoff zu bewältigen.
Die Literaturgeschichte nach Gattungen schließlich, die zweite Hälfte des Buches, kommt konventionell daher, aber dies nur äußerlich. Es gelingt der Darstellung hier etwa zwischen historischen Romanen, Novellen, Dorf- und Ghetto-Geschichten, Kriminalerzählungen und Abenteuerromanen, zwischen Märchen und Versepen den Bereich des Erzählens transparent zu machen. Innerhalb der Dramatik wird die zentrale Rolle des Geschichtsdramas – auf den Bühnen der Zeit außerordentlich erfolgreich – souverän dargestellt.
Peter Sprengel ist hier die gültige Darstellung der Epoche gelungen. Mit einer gewissen Wehmut legt man das Buch aus der Hand. Mit diesem und dem noch ausstehenden Band der Beck-Literaturgeschichte geht auch eine Epoche zu Ende, die der groß angelegten Geschichtsschreibung der deutschsprachigen Literatur. Hingewiesen werden muss bei dieser Gelegenheit auf das Parallelunternehmen, die gewaltige Anstrengung der DDR-Germanistik zwischen 1960 und 1990, die nicht zufällig exakt den gleichen Gesamttitel trug wie das bundesrepublikanische Projekt und unter einer weitgehend strengen marxistischen Observanz auf ihre spezielle Weise ebenfalls Großes geleistet hat – wer kennt sie, wer benutzt sie noch?
Eine längere Nachwirkung ist hoffentlich der Literaturgeschichte beschieden, deren vorletzter Band hier besprochen wird. Literaturgeschichten dieses umfassenden Anspruchs werden nicht mehr geschrieben werden, das muss man unumwunden feststellen. Im Abendrot dieser nun versinkenden Welt der Gelehrsamkeit bleibt die Darstellung Peter Sprengels hell und konturscharf sichtbar.
Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1830 – 1870. Vormärz – Nachmärz. Verlag C. H. Beck. München 2020. 781 Seiten, 49,95 Euro.
In dem Porträt einer Epoche
werden auch die Großen der Zeit
lebendig: Heine, Hebbel, Raabe
Literaturgeschichten dieses
umfassenden Anspruchs
werden nicht mehr geschrieben
Nicht nur Richard Wagner griff den Nibelungen-Stoff auf. Peter von Cornelius: Hagen versenkt den Nibelungenhort, 1859.
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"Es dürfte kaum einen lebenden Germanisten geben, der das neunzehnte Jahrhundert weiträumiger erkundet hat als Peter Sprengel (...) Dass man von dieser faszinierenden und hintergründigen Darstellung (...) mitnimmt, versteht sich von selbst."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wolfgang Schneider
"Fulminante Darstellung (...) Mit diesem und dem noch ausstehenden Band der Beck-Literaturgeschichte geht auch eine Epoche zu Ende, die der groß angelegten Geschichtsschreibung der deutschsprachigen Literatur."
Süddeutsche Zeitung, Jens Malte Fischer
"Ein von mehreren Wissenschaftler-Generationen immer weiter perfektioniertes Mammutwerk. (...) Jeder Band gleicht einer Fundgrube."
Rhein-Neckar-Zeitung, Volker Oesterreich
"Peter Sprengel bettet die Entwicklung neuer literarischer Stile, Formen und Themen in ein weites kulturgeschichtliches Panorama ein."
Passauer Neue Presse
"Wer sich einen wirklichen Überblick über gattungs- und formgeschichtliche Zusammenhänge einer literarhistorischen Epoche verschaffen möchte, wird in der Geschichte der deutschen Literatur einen hervorragenden Ausgangspunkt für eigene Fragen und Studien finden (...) (Sie) kann in ihrer Klarheit und Übersichtlichkeit, aber auch als schreibökonomische Leistung kaum hoch genug gewürdigt werden." Zeitschrift für Germanistik, Timm Reimers
"Der Verlag hat das große Projekt mit einer wahrhaft bewundernswerten Ausdauer gefördert."
Arbitrium, Hartmut Reinhardt
"Besonders Menschen, die einen Einstieg zu einer Beschäftigung mit der Zeit von Biedermeier und Vormärz suchen, kann man dieses anschauliche und wissenschaftlich solide Buch herzlich empfehlen: Es ist eine Lust zu lesen!"
Forum Vormärz Forschung, Hermann-Peter Eberlein
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Wolfgang Schneider
"Fulminante Darstellung (...) Mit diesem und dem noch ausstehenden Band der Beck-Literaturgeschichte geht auch eine Epoche zu Ende, die der groß angelegten Geschichtsschreibung der deutschsprachigen Literatur."
Süddeutsche Zeitung, Jens Malte Fischer
"Ein von mehreren Wissenschaftler-Generationen immer weiter perfektioniertes Mammutwerk. (...) Jeder Band gleicht einer Fundgrube."
Rhein-Neckar-Zeitung, Volker Oesterreich
"Peter Sprengel bettet die Entwicklung neuer literarischer Stile, Formen und Themen in ein weites kulturgeschichtliches Panorama ein."
Passauer Neue Presse
"Wer sich einen wirklichen Überblick über gattungs- und formgeschichtliche Zusammenhänge einer literarhistorischen Epoche verschaffen möchte, wird in der Geschichte der deutschen Literatur einen hervorragenden Ausgangspunkt für eigene Fragen und Studien finden (...) (Sie) kann in ihrer Klarheit und Übersichtlichkeit, aber auch als schreibökonomische Leistung kaum hoch genug gewürdigt werden." Zeitschrift für Germanistik, Timm Reimers
"Der Verlag hat das große Projekt mit einer wahrhaft bewundernswerten Ausdauer gefördert."
Arbitrium, Hartmut Reinhardt
"Besonders Menschen, die einen Einstieg zu einer Beschäftigung mit der Zeit von Biedermeier und Vormärz suchen, kann man dieses anschauliche und wissenschaftlich solide Buch herzlich empfehlen: Es ist eine Lust zu lesen!"
Forum Vormärz Forschung, Hermann-Peter Eberlein