Mit Band 6 „Von 1945 bis heute“ wird die Reclam-Reihe „Geschichte der deutschen Lyrik“ abgeschlossen. Sie vermittelt einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der deutschen Lyrik von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
Im Abschlussband beleuchtet der bekannte Literaturwissenschaftler Hermann
Korte ausführlich die deutsche Lyrik von 1945 bis zur Gegenwart. Dabei verweist er gleich am Anfang…mehrMit Band 6 „Von 1945 bis heute“ wird die Reclam-Reihe „Geschichte der deutschen Lyrik“ abgeschlossen. Sie vermittelt einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der deutschen Lyrik von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
Im Abschlussband beleuchtet der bekannte Literaturwissenschaftler Hermann Korte ausführlich die deutsche Lyrik von 1945 bis zur Gegenwart. Dabei verweist er gleich am Anfang darauf, dass 1945 keine echte Zäsur für die deutsche Lyrik war. Es gab weder einen Neubeginn noch eine „Stunde Null“.
Zunächst setzte sich die lyrische Tradition (z. B. Naturlyrik) der Weimarer Republik durch. Bis 1960 bestimmten in der BRD christlich geprägte Verse das Lyrikgenre. Allein in der DDR kamen die Exildichter wie Bertolt Brecht, Stefan Hermlin oder Johannes R. Becher zu Wort, die sich aber auch mit ihrer experimentierenden Lyrik kaum durchsetzen konnten.
Nach dieser Einführung betrachtet Korte die deutsche Lyrik der nachfolgenden Dekaden bis zum Jahrtausendwechsel. So waren die 60-er Jahre für die Lyrik ebenfalls eine Zeit der Umbrüche. Die Lyriker der unmittelbaren Nachkriegsjahre gerieten fast in Vergessenheit, jetzt bestimmten Grass, Enzensberger, Fried oder Rühmkorf das lyrische Terrain. Es entstanden neue lyrische Strömungen wie die konkrete und visuelle Poesie.
Nach der 68er-Bewegung entwickelte sich in den 70er- und 80er-Jahren eine von politischen Zwängen befreite Lyrik (Krolow, Celan, Ausländer oder Huchel). In der DDR-Lyrik traten mit Braun, Mickel, Kirsten, Kirsch oder Biermann gleichfalls neue Namen auf. Hier bestimmte später auch Szene-Poeten aus der Rock-Bewegung die lyrische Ausdrucksform.
Ähnlich wie 1945 war auch die politische Wende von 1990 kaum eine künstlerische Zäsur. Die letzte Dekade des 20. Jahrhunderts war durch keinen maßgeblichen Epochestil geprägt. Es gab zahlreiche Experimente mit Vers, Schrift und Sprache. Zum Abschluss gibt Korte einen Ausblick auf die Lyrik des 21. Jahrhunderts, die häufig mit medialen Prozessen verbunden ist, z. B. Netzliteratur oder digitale Lyrik. Erwähnt wird auch der Siegeszug des Poetry Slam als publikumsorientierte Lyrikform.
Die ausführliche Darstellung wird abgeschlossen mit einer umfangreichen Bibliographie zu den einzelnen Kapiteln und zu einzelnen Lyrikern/innen sowie mit einem Personenregister.
Fazit: Mit seinem detaillierten Überblickscharakter eignet sich der schmale Reclam-Band ausgezeichnet als Einführung in die deutsche Lyrik von 1945 bis zur Gegenwart.
Manfred Orlick