Dieses Buch beschreibt die Entwicklung der deutschsprachigen Lyrik vom 10. bis ins 21. Jahrhundert. Es ordnet Gedichte allgemeinen historischen Prozessen zu, berücksichtigt aber genauso die Individualität der Autoren, die in ihren Texten die Suche nach Lebenssinn betreiben. Repräsentative Gedichte werden in ihrer Formsprache und ihrem Inhalt eingehender besprochen. Neben aller Information möchte dieses Buch auch das Vergnügen an den großen Leistungen der deutschen Lyrik wecken oder steigern.
Die Geschichte der deutschsprachigen Lyrik beginnt im 10. Jahrhundert mit kurzen Texten für den Gebrauch: mit dem Petruslied und den Merseburger Zaubersprüchen. Von hier spannt sich ein weiter Bogen bis zur Gegenwart: über die hinreißenden und witzigen Liebesgedichte des Hochmittelalters, über die Sonette, in denen Andreas Gryphius um eine Ordnung der Welt ringt bis zu Klopstocks freien Rhythmen, in denen er ein neues Lebensgefühl feiert; von Goethes zahlreichen, in ihrer Fülle kaum glaublichen Formen der Ich-Aussprache über Hölderlins prophetische Rede bis zu Heines ironischen Scherzen; von Droste- Hülshoffs schmerzhaft-genauem Blick über Georges Machtsprüche und seine traurigen Lieder bis zu Benns Aufschwüngen und Lakonien; von Celans magischen Klängen über Enzensbergers Furor bis zu Rühmkorfs schönen Melancholien. Immer wieder wird in den Gedichten um ein Selbstverständnis gerungen, um die Frage, wie sich der einzelne Mensch in der ihn umgebenden Welt beschreiben und bestimmen kann; was gibt ihm Halt, wovon wendet er sich ab, was glaubt, und woran zweifelt er? Dabei entstehen ganz verschiedene Gedichttypen und höchst unterschiedliche Rhythmen. Diese Formen sind kein Zufall, sondern stehen in einem Verhältnis zur historischen Situation, aus der sie hervorgehen, verkörpern eine Weltdeutung.
Die Geschichte der deutschen Lyrik als Zusammenhang darzustellen und gleichzeitig die Besonderheit ihrer vielen Stimmen zu entdecken - das ist Aufgabe dieses Buches.
Die Geschichte der deutschsprachigen Lyrik beginnt im 10. Jahrhundert mit kurzen Texten für den Gebrauch: mit dem Petruslied und den Merseburger Zaubersprüchen. Von hier spannt sich ein weiter Bogen bis zur Gegenwart: über die hinreißenden und witzigen Liebesgedichte des Hochmittelalters, über die Sonette, in denen Andreas Gryphius um eine Ordnung der Welt ringt bis zu Klopstocks freien Rhythmen, in denen er ein neues Lebensgefühl feiert; von Goethes zahlreichen, in ihrer Fülle kaum glaublichen Formen der Ich-Aussprache über Hölderlins prophetische Rede bis zu Heines ironischen Scherzen; von Droste- Hülshoffs schmerzhaft-genauem Blick über Georges Machtsprüche und seine traurigen Lieder bis zu Benns Aufschwüngen und Lakonien; von Celans magischen Klängen über Enzensbergers Furor bis zu Rühmkorfs schönen Melancholien. Immer wieder wird in den Gedichten um ein Selbstverständnis gerungen, um die Frage, wie sich der einzelne Mensch in der ihn umgebenden Welt beschreiben und bestimmen kann; was gibt ihm Halt, wovon wendet er sich ab, was glaubt, und woran zweifelt er? Dabei entstehen ganz verschiedene Gedichttypen und höchst unterschiedliche Rhythmen. Diese Formen sind kein Zufall, sondern stehen in einem Verhältnis zur historischen Situation, aus der sie hervorgehen, verkörpern eine Weltdeutung.
Die Geschichte der deutschen Lyrik als Zusammenhang darzustellen und gleichzeitig die Besonderheit ihrer vielen Stimmen zu entdecken - das ist Aufgabe dieses Buches.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.03.2008Lyrikverführer
Die Frage, ob man zwölf Jahrhunderte Lyrikgeschichte auf 120 Seiten darstellen kann, wird Dirk von Petersdorff wohl zuerst verneint haben. Doch als Dichter und professioneller Literaturvermittler an der Universität spielt er dann mit sichtlichem Vergnügen den Verführer zur Poesie. Sein Ziel, Lust auf Gedichte zu machen, hat er jedenfalls glänzend erreicht: durch Prägnanz und kluge Auswahl, didaktische Leichtigkeit und schwungvolle Pointen ohne Effekthascherei. So führt er etwa den Daktylus als Antidepressivum, Klopstock als ersten Popautor und Enzensberger als den Jürgen Habermas der deutschen Lyrik ein. Besonders erhellend sind Kontinuitäten und Traditionsbrüche. Man sieht: wie Hofmannsthal und Trakl das Barocksonett weiterführen, während Gernhardt es formstreng sprengt; wie vor Grünbein schon Brockes und Haller mit der naturwissenschaftlichen Lupe hantieren; wie Goethes Traditionsbefreiung durch Jandls Lautexperimente überboten wird; wie Brecht die Bibel und Luthers "Hauß Postill" in frechere Erbauungsbücher verwandelt oder wie Rühmkorf an Walther von der Vogelweide anschließt. So bewährt sich dieser Lektürekompass als ideale Ergänzung zu einer guten Gedichtanthologie. (Dirk von Petersdorff: "Geschichte der deutschen Lyrik". Verlag C. H. Beck, München 2008. 124 S., br., 7,90 [Euro].) kos
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Frage, ob man zwölf Jahrhunderte Lyrikgeschichte auf 120 Seiten darstellen kann, wird Dirk von Petersdorff wohl zuerst verneint haben. Doch als Dichter und professioneller Literaturvermittler an der Universität spielt er dann mit sichtlichem Vergnügen den Verführer zur Poesie. Sein Ziel, Lust auf Gedichte zu machen, hat er jedenfalls glänzend erreicht: durch Prägnanz und kluge Auswahl, didaktische Leichtigkeit und schwungvolle Pointen ohne Effekthascherei. So führt er etwa den Daktylus als Antidepressivum, Klopstock als ersten Popautor und Enzensberger als den Jürgen Habermas der deutschen Lyrik ein. Besonders erhellend sind Kontinuitäten und Traditionsbrüche. Man sieht: wie Hofmannsthal und Trakl das Barocksonett weiterführen, während Gernhardt es formstreng sprengt; wie vor Grünbein schon Brockes und Haller mit der naturwissenschaftlichen Lupe hantieren; wie Goethes Traditionsbefreiung durch Jandls Lautexperimente überboten wird; wie Brecht die Bibel und Luthers "Hauß Postill" in frechere Erbauungsbücher verwandelt oder wie Rühmkorf an Walther von der Vogelweide anschließt. So bewährt sich dieser Lektürekompass als ideale Ergänzung zu einer guten Gedichtanthologie. (Dirk von Petersdorff: "Geschichte der deutschen Lyrik". Verlag C. H. Beck, München 2008. 124 S., br., 7,90 [Euro].) kos
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.09.2008Schädel und fingernde Hand
Eine sehr kurze Geschichte der deutschen Lyrik
„Darauf muss man erst einmal kommen”, schreibt mit unverhohlener Bewunderung einer, der selber dichtet, über Goethe, der in einer seiner „Römischen Elegien” verriet, wie er „leise, mit fingernder Hand” in den Liebespausen seine Hexameter auf den Rücken seines Mädchens gezählt habe. Dirk von Petersdorff, der für seine Lyrik 1998 den Kleist-Preis erhalten hat, ist auch ein mutiger Germanist, der das Wagnis eingeht, eine Geschichte der deutschen Lyrik in einem Buch von gerade mal 124 Seiten zu veröffentlichen. Das Bändchen verzichtet denn auch auf Zeittafeln, Werklisten, Merkdaten und spart an Sacherklärungen, um seinen Lesern die bekanntesten Dichter deutscher Sprache durchaus persönlich vorzustellen: Man denkt an Abiturientinnen und Abiturienten sowie Germanisten im Grundstudium oder an alle jene sympathischen Zeitgenossen, die irgendwann finden, dass sie in ihrer Jugend nicht genug gelernt haben, aber nun auch nicht mehr alles wissen wollen.
Sie werden hier nicht enttäuscht und sogar gut bedient. Die Gliederung folgt den üblichen Epochengrenzen (Barock, Aufklärung, Sturm und Drang, Klassik und Romantik, Vormärz, Realismus, spätes 19. und frühes 20. Jahrhundert, 1945 bis zur Gegenwart), die Zurückhaltung des Autors ist wohltuend, und es gelingt ihm, so manchem Dichter mit wenigen Worten Leben einzuhauchen, beispielsweise dem so lange unterschätzten Barthold Heinrich Brockes in seinem Hamburg des 18. Jahrhunderts oder dem nur scheinbar marginalen Oskar Loerke im zwanzigsten Jahrhundert. Eine Skizze wie die knappe Seite über Goethes Gedicht „Bei Betrachtung von Schillers Schädel” darf man meisterhaft nennen in ihrer Engführung von Leben, Geschichte, poetischer Form und Aussage.
Man spürt, dass den Autor mehr mit den Dichtern verbindet als das literaturgeschichtliche Wissen. Nur mit den Dichtern des ersten Kapitels („Von den Anfängen bis ins 16. Jahrhundert”) scheint ihn nicht viel zu verbinden, und sein Blick zurück ins Mittelalter führt schnurstracks wieder in unsere Gegenwart: Am Schluss steht eine Übersetzung, mit der sich der jüngst verstorbene Peter Rühmkorf an Walther von der Vogelweides Elegie („Owê war sint verswunden alliu mîniu jâr” . . . ) versucht hat. „Neben allen historischen Veränderungen” kommt hier eine Lieblingsidee des Büchleins ins Spiel, die „Gemeinsamkeiten über Jahrhunderte”: „Die Lyrik stellt einen Kosmos dar, in dem Töne, Bilder und Ideen immer wieder aufgegriffen werden.”
Was daran immerhin noch richtig sein könnte, desavouiert Rühmkorf leider so selbstbewusst wie naiv: Sein „Wohin sind sie geflogen alle meine Jahr?” ist für ihn nicht typisch und für Walther grotesk. De mortuis nil nisi bene: Wer diese Geschichte der deutschen Lyrik bis zum Schluss gelesen hat, muss Rühmkorf dafür dankbar sein, auf seine Kosten schließlich noch zu lernen, dass es in der Lyrik auch Qualitätsunterschiede gibt. HANS-HERBERT RÄKEL
DIRK VON PETERSDORFF: Geschichte der deutschen Lyrik. C. H. Beck Verlag, München 2008. 124 Seiten, 7,90 Euro.
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Eine sehr kurze Geschichte der deutschen Lyrik
„Darauf muss man erst einmal kommen”, schreibt mit unverhohlener Bewunderung einer, der selber dichtet, über Goethe, der in einer seiner „Römischen Elegien” verriet, wie er „leise, mit fingernder Hand” in den Liebespausen seine Hexameter auf den Rücken seines Mädchens gezählt habe. Dirk von Petersdorff, der für seine Lyrik 1998 den Kleist-Preis erhalten hat, ist auch ein mutiger Germanist, der das Wagnis eingeht, eine Geschichte der deutschen Lyrik in einem Buch von gerade mal 124 Seiten zu veröffentlichen. Das Bändchen verzichtet denn auch auf Zeittafeln, Werklisten, Merkdaten und spart an Sacherklärungen, um seinen Lesern die bekanntesten Dichter deutscher Sprache durchaus persönlich vorzustellen: Man denkt an Abiturientinnen und Abiturienten sowie Germanisten im Grundstudium oder an alle jene sympathischen Zeitgenossen, die irgendwann finden, dass sie in ihrer Jugend nicht genug gelernt haben, aber nun auch nicht mehr alles wissen wollen.
Sie werden hier nicht enttäuscht und sogar gut bedient. Die Gliederung folgt den üblichen Epochengrenzen (Barock, Aufklärung, Sturm und Drang, Klassik und Romantik, Vormärz, Realismus, spätes 19. und frühes 20. Jahrhundert, 1945 bis zur Gegenwart), die Zurückhaltung des Autors ist wohltuend, und es gelingt ihm, so manchem Dichter mit wenigen Worten Leben einzuhauchen, beispielsweise dem so lange unterschätzten Barthold Heinrich Brockes in seinem Hamburg des 18. Jahrhunderts oder dem nur scheinbar marginalen Oskar Loerke im zwanzigsten Jahrhundert. Eine Skizze wie die knappe Seite über Goethes Gedicht „Bei Betrachtung von Schillers Schädel” darf man meisterhaft nennen in ihrer Engführung von Leben, Geschichte, poetischer Form und Aussage.
Man spürt, dass den Autor mehr mit den Dichtern verbindet als das literaturgeschichtliche Wissen. Nur mit den Dichtern des ersten Kapitels („Von den Anfängen bis ins 16. Jahrhundert”) scheint ihn nicht viel zu verbinden, und sein Blick zurück ins Mittelalter führt schnurstracks wieder in unsere Gegenwart: Am Schluss steht eine Übersetzung, mit der sich der jüngst verstorbene Peter Rühmkorf an Walther von der Vogelweides Elegie („Owê war sint verswunden alliu mîniu jâr” . . . ) versucht hat. „Neben allen historischen Veränderungen” kommt hier eine Lieblingsidee des Büchleins ins Spiel, die „Gemeinsamkeiten über Jahrhunderte”: „Die Lyrik stellt einen Kosmos dar, in dem Töne, Bilder und Ideen immer wieder aufgegriffen werden.”
Was daran immerhin noch richtig sein könnte, desavouiert Rühmkorf leider so selbstbewusst wie naiv: Sein „Wohin sind sie geflogen alle meine Jahr?” ist für ihn nicht typisch und für Walther grotesk. De mortuis nil nisi bene: Wer diese Geschichte der deutschen Lyrik bis zum Schluss gelesen hat, muss Rühmkorf dafür dankbar sein, auf seine Kosten schließlich noch zu lernen, dass es in der Lyrik auch Qualitätsunterschiede gibt. HANS-HERBERT RÄKEL
DIRK VON PETERSDORFF: Geschichte der deutschen Lyrik. C. H. Beck Verlag, München 2008. 124 Seiten, 7,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Obwohl eine 124 Seiten kurze "Geschichte der deutschen Lyrik" am ehesten geeignet sei für Leute, "die in ihrer Jugend nicht genug gelernt haben, aber nun auch nicht mehr alles wissen wollen", gibt sich Hans-Herbert Räkel zufrieden mit Dirk von Petersdorff's Werk. Der Germanist und Kleist-Preisträger von 1998 schaffe es, den Leser auf sehr persönliche Art an die bekanntesten Dichter heranzuführen. Auch weniger geläufigen Autoren wie Barthold Heinrich Brockes oder Oskar Loerke widme Petersdorff viel Begeisterung und Interesse. Neben zum Teil als meisterhaft eingschätzten Interpretationen, wie zum Beispiel der Skizze von Goethes "Bei Betrachtung von Schillers Schädel" fühlte sich der Rezensent nur im ersten Kapitel nicht gut aufgehoben: Bei der Lyrik von den Anfängen bis ins 16. Jahrhundert fehle dem Autor die Affinität.
© Perlentaucher Medien GmbH
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