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Zwei Jahrtausende deutscher Geschichte zeichnet Joseph Rovan in ihren großen Entwicklungen und Epochen nach und charakterisiert die Kräfte, die der Geschichte der Deutschen ihre eigentümliche Dynamik und Zielrichtung gegeben haben. Ein besonderes Merkmal dieser Geschichte ist der Föderalismus, die Einheit in der Vielfalt, die auch die Basis für ein zukünftiges gemeinsames Europa bilden muss.

Produktbeschreibung
Zwei Jahrtausende deutscher Geschichte zeichnet Joseph Rovan in ihren großen Entwicklungen und Epochen nach und charakterisiert die Kräfte, die der Geschichte der Deutschen ihre eigentümliche Dynamik und Zielrichtung gegeben haben. Ein besonderes Merkmal dieser Geschichte ist der Föderalismus, die Einheit in der Vielfalt, die auch die Basis für ein zukünftiges gemeinsames Europa bilden muss.
Autorenporträt
Rovan, Joseph
Joseph Rovan, geboren 1918 in München, Publizist, Mitarbeiter in vier französischen Ministerien, politischer Berater französischer und deutscher Regierungen, lehrte deutsche Geschichte an der Sorbonne.

Er ist Präsident des »Bureau International de Liaison et de Documentation« der Gesellschaft für deutsch-französische Zusammenarbeit. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter 'Geschichte der Deutschen' (dtv 30638) und 'Im Zentrum Europas' (dtv 24205).

Pfleiderer, Reiner
Reiner Pfleiderer wurde 1954 geboren. Er studierte Germanistik und Romanistik und hat sich mit seinen Übersetzungen auf Politik und Zeitgeschichte spezialisiert. Er hat unter anderem Simon Winchester und Patrick O'Brian sowie das Standardwerk zur historischen Piraterie, David Cordinglys Unter schwarzer Flagge, ins Deutsche übertragen. Er lebt in Tübingen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995

Die rettende Zunge
Deutsche Geschichte von Rovan / Von Michael Jeismann

Daß Geschichten mit Überleben zu tun haben können, in einem wörtlichen und in einem übertragenen Sinn, davon war in den Werken der jüngeren Geschichtsschreibung lange nichts zu spüren. Die Geschichten, die man erzählte, waren auf die beste, erfreulichste Weise nicht-existentiell. Der Historiker brauchte nicht erzählen zu können wie Schehrezâd, und niemand hatte mit seiner Kunstfertigkeit und Eingebung die Bestien der Barbarei zu bezwingen. Es muß eine glückliche Zeit gewesen sein, voller Erkenntnisreichtum und ungezwungener Neugierde.

Wenn sich die Anzeichen mehren, daß von der Geschichte heute anderes verlangt wird, so ist das beunruhigend. Beunruhigender noch ist es, wenn Leute, die ihn nie kennengelernt haben, vom "Ernst der Geschichte" schwärmen und im Gehäuse der Nation Gesänge singen auf die Idylle der geschlossenen Gesellschaft. Solchen kümmerlichen Existentialisten des Politischen schlägt nun eine Stimme entgegen, die ein anderes Gewicht und ein anderes Volumen hat. Sie gehört Joseph Rovan und erzählt die "Geschichte der Deutschen", und zwar von "ihren Ursprüngen bis heute". Dieses Buch, das im vergangenen Jahr in Frankreich erschien und nun in deutscher Ausgabe vorliegt, bedarf einer Empfehlung durch die außergewöhnliche Biographie seines Autors nicht. Dennoch sind einige Hinweise zur Lebensgeschichte Rovans nützlich, um zu erkennen, wie hier der biographische Überlebenswille historiographischen Mut erzeugt hat.

Statt zu dem bedeutenden Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich, der er geworden ist, hätte Rovan freilich auch zum Deutschenhasser werden können: 1918 in München als deutscher Jude geboren, emigriert er 1933 mit seinen Eltern nach Paris. Nach der französischen Kapitulation 1940 schließt er sich dem katholischen Widerstand an und wird nach Deutschland eingeschleust. Als er verhaftet wird, gelingt es ihm, sich eine andere, nicht-jüdische Biographie zu erfinden - wie zuvor schon angesichts der Verfolgungen des Pétain-Regimes. So rettet ihm eine Geschichte, eine umerzählte, das erste Mal das Leben. Das zweite Mal, erzählt Rovan in seinen 1992 erschienenen Erinnerungen "Geschichten aus Dachau", ist es im Konzentrationslager. Ein geschichtsbegeisterter Obersturmbannführer in der Schreibstube des Konzentrationslagers vereinbart mit dem jungen Häftling einen Handel: Rovan, der in der Zwischenzeit zum Katholizismus konvertiert, soll die Weltgeschichte in kleinen, faßlichen Kapiteln aufschreiben; für jedes Kapitel erhält er ein Kommißbrot, das er mit anderen Häftlingen teilt. Ein halbes Jahrhundert später hat er noch einmal ums Überleben geschrieben, diesmal ums Überleben Europas. Denn die "Geschichte der Deutschen" ist Europa und dem europäischen Einigungsprozeß gewidmet.

Als die "Histoire d'Allemagne" im vergangenen Jahr in Frankreich erschien, wurde sie in erster Linie als literarisches Verständigungswerk zwischen Deutschland und Frankreich gepriesen. Man hob hervor, daß Rovans Geschichte frei von nationalen Verzerrungen sei; so nennt er die Verwüstungen während des Pfälzischen Erbfolgekriegs beim Namen und weist nebenbei darauf hin, daß bis ins neunzehnte Jahrhundert Deutschland im besonderen Maß das Opfer europäischer Kriege gewesen sei. Faktische Richtigstellungen und eine Überprüfung nationaler Wahrnehmungsmuster sind nun allerdings im deutsch-französischen Verhältnis nicht neu; seit über vierzig Jahren wird zwischen beiden Ländern kontinuierlich eine Schulbuchrevision betrieben, die über die Korrektur faktischer Fehler längst hinaus ist und sich den tieferliegenden Strukturen historisch-politischer Wahrnehmung im nationalen Rahmen widmet. Die Gerechtigkeit gegenüber dem deutschen Nachbarn, die hier geübt wird, wird gewiß dankbar aufgenommen, aber sie bezeichnet nicht das, was uns das Buch interessant macht.

Rovans "Geschichte der Deutschen" ist wie eine klassische Nationalgeschichte aufgebaut. Große Männer, das Volk und die Kultur. In zweiundzwanzig Kapiteln geht es von geschichtlicher Vorzeit über die Völkerwanderung und Karl den Großen bis zum wiedervereinigten Deutschland. Am Ende jedes Kapitels findet sich eine kleine Moral. Manchmal glaubt man eine Fabel La Fontaines zu lesen, gelegentlich auch Voltaire - wenn es denn einen katholischen Voltaire geben könnte.

Es wird hierbei zwangsläufig die - wie immer beschaffene Einheit - eines historischen Subjekts über fast zweitausend Jahre zur Voraussetzung gemacht. Dabei spielt es keine große Rolle, ob man die "Geschichte Deutschlands" als Titel wählt oder die "Geschichte der Deutschen", für die sich der Verlag gegen den Willen des Autors entschieden hat. Tatsächlich schreibt Rovan von "Deutschen" so oft wie von "Deutschland". Eine Nationalgeschichte ist dies also, aber eine, in der Rovan systematisch Sprengsätze unter nationalen Mythen zündet.

Nicht der professionelle Historiker, dessen Elemententafel ohnedies anders aussieht, sondern das interessierte Publikum wird auf seine Kosten kommen, wenn Rovan mit beißender Ironie die Lunte historischer Kritik zündet und etwa noch einmal die Geschichte Hermann des Cheruskers erzählt oder den Mythos um Friedrich Barbarossa. Stets ist die Erzählung gegenwärtig, zeichnet die Linien der Nationalgeschichte in einer Art Mimikry nach und eröffnet dem Leser die Einsicht, daß Geschichte auch und vor allem so ist, wie und in welcher Absicht man sie erzählt.

Und an diesem Punkt zögert Rovan nicht, seine Karten offenzulegen. Die "Geschichte der Deutschen" ist Nationalgeschichte in europäischer Absicht - mit Weltökologie als Universalkorrektiv. Und die Pointe dieser Geschichte liegt darin, daß das, was "Deutschland" lange Zeit politisch ähnlich vage sein ließ wie der Begriff "Europa" und was eine nationale staatliche Einheit so schwer machte, nun in einem dialektischen Umschwung zu einer Stärke geworden ist, die nicht allein Deutschland, sondern Europa nutzen und verwandeln wird: der Föderalismus. In ihm sieht Rovan die prägende Kraft der deutschen Geschichte, von der verhinderten Erbfolge und dem raschen Wechsel der frühen Kaiserdynastien über das alte Reich bis zur Verfassung des Bismarckschen Reichs und der Bundesrepublik. In ihm auch sieht er eine Verfassungsstruktur, in der sich Europa einigen ließe.

Ist in politischer Hinsicht das föderale Deutschland das Medium Europas, so ist es in spiritueller Rücksicht das Christentum und Rom. Eine solche europäische Lehre aus der deutschen Geschichte zu ziehen ist in Frankreich nicht sehr geläufig. Man hängt zwar nicht mehr an seinen alten Feindbildern, aber Europa, Geist und Kultur, das lehren die Schulbücher noch heute, sind genuin französisch inspiriert und haben in Frankreich ihr eigentliches Heimatland.

In Rovans "Geschichte der Deutschen" zeichnet sich eine Art föderaler Nationalgeschichte Europas ab, eine Wiederholung des Nationalen auf der nächsthöheren Ebene. So nimmt es auch nicht wunder, daß Rovan nicht nur das europäische Vaterland, sondern auch seine Feinde im Auge hat: die Araber als nähere, China als fernere Gefahr. Die Analogie zur nationalen Geschichtsschreibung des neunzehnten Jahrhunderts ist in der Pointe Rovans unübersehbar. Erst sind die Dynastien der Bezugspunkt, dann werden diese ausgetauscht durch die Nation, die schließlich Bestandteil einer Chemie europäischer Wahlverwandtschaft wird. Die Frage ist, ob die Einsichten, die man mit solcher Historiographie erhält, mehr Vergangenheit oder mehr Zukunft enthalten. Es ist in jedem Fall das große Verdienst Rovans, daß er durch seine deutsche Geschichte zur Reflexion über die Grundlagen des politischen Selbstverständnisses Europas nötigt.

Der eminent politische Impuls durchzieht die gesamte Darstellung und sorgt dafür, daß die Spannkraft der Erzählung über die achthundert Seiten meistens erhalten bleibt. Allerdings entgeht der Autor nicht immer der Gefahr, von einer Ereignisgeschichte in eine Ergebnisgeschichte zu verfallen, in eine Auflistung von Zwischenstand und Resultat. Rovan erzählt mühelos, mitunter zugespitzt und häufig mit französischem Charme, der ihn ein waches Auge auf die Frauengestalten der deutschen Geschichte werfen läßt. So auf Judith, die zweite Frau Ludwigs des Frommen, "eine ausnehmend schöne und verführerische Frau. Mit ihren Reizen und Ambitionen trug sie dazu bei, daß das Reich schließlich geteilt wurde." Wer wünschte eine solche Geschichte zu widerlegen?

Im Kapitel "Wege und Wagnisse des deutschen Geistes", das nicht zu den stärksten des Buches zählt, findet sich folgende eigenwillig schillernde Charakterisierung: "Alle verwandten oder gegensätzlichen Strömungen des deutschen Geisteslebens münden in eine große Auseinandersetzung, bei der das Transzendente und das Immanente wie zwei graue Katzen sind, die ihre Jungen deshalb nicht finden, weil diese fort sind, um die Milch der anderen zu trinken." Rovan kann nicht nur charmant und brillant sein, sondern auch deutlich und erfrischend grob. So nennt er Hitler und Konsorten einfach eine Bande von Mördern, Folterknechten und Lügnern. Er adelt nichts durch das Beiwort politisch.

Wie es bei einer solch großen Synthese nicht anders sein kann, wird der Fachhistoriker eine ganze Reihe von Einwänden formulieren können und manches zu korrigieren haben. Gelegentlich finden sich selbst bei Rovan Schilderungen, die noch ganz in der Tradition der nationalen oder gar nationalistischen Historiographie Frankreichs stehen. So der Kurzschluß zwischen den vermeintlich dunklen, todessehnsüchtigen germanischen Mythen und dem deutschen Nationalismus im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert - nicht immer wird dies als Mythenkonstruktion, sondern zuweilen auch als Ausweis eines Nationalcharakters beschrieben. So auch die Mär von einem zivilisationsfeindlichen deutschen Utilitarismus. Und einmal tadelt Rovan das deutsche Volk in seiner Geschichte, weil es mehr und Besseres sein wollte als die anderen Völker. Gewiß, aber das wollte jedes Volk auf seine Weise. Merkwürdig schwach bleiben bei Rovan auch die Ausführungen zum Nationalismus.

Diese Kritik trifft freilich nicht den geradezu jugendlich zu nennenden und seltenen Mut, mit dem Joseph Rovan noch einmal die ganze "Geschichte der Deutschen" erzählt, um von der Zukunft Europas eine Idee zu geben.

Joseph Rovan: "Geschichte der Deutschen". Von ihren Ursprüngen bis heute. Carl Hanser Verlag, München/Wien 1995. 848 S., Karten, geb., 68,- DM.

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