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Mankind is governed by names. Dieses Wort von Edward Gibbon gilt noch heute, in der Politik genauso wie in Kultur und Wissenschaft. Darum empfiehlt es sich nicht zuletzt für den Historiker, dem Namenszauber auch in seinem eigenen Fach nachzuspüren. Wissenschaftsgeschichte, die das versucht, ist eine vergleichsweise junge Disziplin, die, je nach Zielrichtung, einerseits erbaulich-beschaulich als Bestandsaufnahme, andererseits als fachbezogene Sach- und Selbstkritik beschrieben werden kann. In den hier vorliegenden Essays dominiert das kritisch-praktische Bemühen, von den großen Historikern und…mehr

Produktbeschreibung
Mankind is governed by names. Dieses Wort von Edward Gibbon gilt noch heute, in der Politik genauso wie in Kultur und Wissenschaft. Darum empfiehlt es sich nicht zuletzt für den Historiker, dem Namenszauber auch in seinem eigenen Fach nachzuspüren. Wissenschaftsgeschichte, die das versucht, ist eine vergleichsweise junge Disziplin, die, je nach Zielrichtung, einerseits erbaulich-beschaulich als Bestandsaufnahme, andererseits als fachbezogene Sach- und Selbstkritik beschrieben werden kann. In den hier vorliegenden Essays dominiert das kritisch-praktische Bemühen, von den großen Historikern und Geschichtsdenkern etwas für das Verständnis der Vergangenheit zu lernen. Dabei geht es überwiegend um Autoren, deren Perspektive das Altertum einschließt.
Autorenporträt
Demandt, Alexander
Dr. Alexander Demandt lehrte bis zu seiner Emeritierung als Professor für Alte Geschichte an der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.1997

Ton, Steine, Scherben
Was vom Reiche übrigblieb: Alexander Demandt findet goldene Worte im Schutt der universalgeschichtlichen Deutungen

Krisen, Niedergänge, Zusammenbrüche von Reichen und Zivilisationen faszinieren Alexander Demandt. Weniger der Ereignisse wegen, die dabei "wirklich" stattfanden - obwohl der Berliner Althistoriker 1989 ein Handbuch zur späten römischen Kaiserzeit vorgelegt hat -, erst recht nicht aus Pessimismus (gegen den ihn fröhliche Skepsis feit), sondern eher aus Freude an der Vielfalt der Diagnosen, mit denen Zeitgenossen und Nachgeborene sich das Geschehen zurechtlegten und zu Gesamtdeutungen fügten.

Von solchen Bemühungen handeln Demandts zahlreiche Bücher: "Metaphern für Geschichte" (1978) untersucht, wie sich Ideen über historische Prozesse zu Wortbildern verdinglichen. "Der Fall Roms" (1984) läßt enzyklopädisch die ganze Fülle von Erklärungsversuchen des Phänomens seit der Spätantike Revue passieren. Sammelbände über Eduard Meyer (1990) und Oswald Spengler (1994) sondieren deren Modelle vom zyklischen Wechsel der Weltkulturen. Nicht minder aufmerksam nämlich analysiert Demandt die Gegenbilder der Verfallsvisionen.

Er befragt die Zeitgenossen (in seiner Studie über antike Idealstaats-Entwürfe [1993]), und er fordert den modernen Historiker auf, seine Skrupel abzulegen und jeweils auch über das "Ungeschehene" nachzudenken, das im Bereich "des grundsätzlich Realisierbaren" gelegen habe und nur durch Zufall nicht eingetreten sei. "Ungeschehene Geschichte. Ein Traktat über die Frage: Was wäre geschehen, wenn . . .?" (1984), eine provokante Antwort auf ein ebenso heftiges wie verschämtes, weil als unwissenschaftlich gescholtenes Interesse vieler Geschichtsleser, machte Demandt weit über die Grenzen seines Spezialgebietes hinaus bekannt.

Die siebzehn zumeist schon andernorts gedruckten Essays, die Demandts Schüler zu seinem sechzigsten Geburtstag zusammengestellt haben, bilden eine gute Einführung in diese Lieblingsthemen. Durchwegs sind es kongreßgeborene Kurzfassungen seiner größeren Schriften oder Detailstudien dazu. Schon sein Konstanzer Habilitationsvortrag (1970) über die Deutungen Alexanders des Großen seit dem neunzehnten Jahrhundert führt geradewegs zu den Fragen und Themen von "Der Fall Roms", über den die meisten Aufsätze handeln.

Im Mittelpunkt der biographischen Studien steht Theodor Mommsen. 1980 hatte Demandt in einem Nürnberger Antiquariat einen Glücksfund gemacht, den er 1992 in einer vorbildlichen Edition publizierte: die Hörernachschrift einer Mommsenschen Vorlesung über die römische Kaiserzeit, also über jene Epoche, die Mommsens Hauptarbeitsgebiet war, deren Darstellung als vierter Band seiner "Römischen Geschichte" angekündigt, jedoch nie geschrieben wurde - vielleicht deshalb nicht, so vermutete einst Alfred Heuß, weil die Schilderung des Niedergangs nach der Apotheose des Revolutionshelden Caesar dem überzeugten Achtundvierziger allzu schmerzlich geworden wäre.

Eine leise Ironie der Historiographiegeschichte also, daß ausgerechnet der Niedergangsspezialist und Achtundsechziger Alexander Demandt diesen Text zu entdecken und zu edieren ausersehen war. Von 1968 nämlich, als man allenthalben "Krisen" konstatierte, in wissenschaftlichen Urteilen "Ideologie" und "falsches Bewußtsein" witterte und darüber diskutierte, wie man trotzdem zu "objektiven" Befunden gelangen und diese für die "Praxis" fruchtbar machen könne - aus diesen akademischen Sturm-und-Drang-Jahren seiner Generation stammen zwar nicht Demandts politische Optionen, aber doch seine Fragen und Methoden.

Denn um "Geschichte der Geschichte", darum also, das Schaffen früherer Historiker als Reflex ihrer Welt- und Wirklichkeitssicht zu beschreiben, geht es ihm keineswegs in erster Linie. Kein Zufall, daß der einzige Beitrag, in dem er dergleichen bieten müßte, eine Festrede über die Entwicklung der Altertumswissenschaft in Berlin, zur langweiligen Namensliste mißrät. Nicht als historische Figuren betrachtet Demandt die Mommsen, Burckhardt, Nietzsche, Meyer oder Spengler. Er schätzt sie vielmehr als akademische Vorarbeiter, die den "einen, unveränderten Vorgang", an den er glaubt und über den er selbst die Wahrheit wissen will, beispielhaft interpretiert haben - weshalb man gerade aus ihren Irrtümern nur lernen könne.

Dies tut Demandt systematisch, mit der generationsspezifischen Begeisterung für Statistik und quantitative Methoden. Zunächst werden Zitate gesammelt. "Ich habe alle einschlägigen Stellungnahmen, die mir während meines dreijährigen Sammelns bekannt geworden sind, aufgenommen", erfuhr einst der Leser von "Der Fall Roms". "Ihre Zahl beträgt etwa 400, doch liegt die der behandelten Urteile höher, weil mehrere Autoren ihre Ansicht gewechselt haben. Ich schätze, zwei Drittel aller und fünf Sechstel aller wesentlichen Äußerungen zum Thema beisammen zu haben." Dann werden die Funde säuberlich gebündelt, zu Typen und Gruppen formiert, aneinander gemessen und auf Schnittmengen untersucht. Doch wozu?

"Wer Geschichte schreibt, hat die Pflicht politischer Pädagogik", antwortet Demandt mit Mommsens Worten. So münden seine historischen Statistiken in moralische Lektionen. Sie klingen sympathisch (wenngleich mitunter etwas hemdsärmlig nach soviel methodischer Materialbewegung), wie väterliche Mahnungen zu vernünftiger Besonnenheit. Die erste Lehre, die "wir" aus dem Chaos der Doktrinen ziehen sollten, ist die, keine allzu ernst zu nehmen. Jede nämlich ist "aus gesiebten Beobachtungen gewonnen", jede "deformiert" die Historie durch persönliche Einseitigkeiten und wird daher "zu Unrecht verallgemeinert". Deshalb sollten wir uns - zweitens - über die Zeitgebundenheit auch der eigenen Urteile klarwerden.

Gelingt es, "unsere Emotionen" zu "kontrollieren", "Ängste und Wünsche" aus unseren Kalkulationen fernzuhalten, so erlaubt die Geschichte zumindest im "Generellen" durchaus realistische Prognosen: "Die Zukunft erscheint im Spiegel der Vergangenheit nur, sofern wir uns selbst durchschauen." Man sollte also Aufgeregtheit meiden und - drittens - Mittelwege wählen. Besonders empfiehlt Demandt den dritten Weg zwischen Burckhardt und Nietzsche, von denen der eine für den "Dienst an der Tradition", der andere "für eine Arbeit an der Zukunft" geworben habe.

So gestärkt, dürfen Demandts Leser Schwarzmalern gelassen ins Auge sehen. Bisher jedenfalls, so schließt der unerschütterliche Verfalls-Forscher seine Parallele zwischen Eduard Meyer und Oswald Spengler, "haben wir die von Meyer befürchtete Amerikanisierung Europas und den von Spengler befürchteten Untergang des Abendlandes ganz gut überstanden". Und ein zweiter Band ist in Vorbereitung. GERRIT WALTHER

Alexander Demandt: "Geschichte der Geschichte". Wissenschaftshistorische Essays. Historica Minora, Band 1. Böhlau Verlag, Köln 1997. 303 S., geb., 58,- DM.

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