Diese Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert bietet eine Einführung in alle wichtigen politischen, sozialen und kulturellen Entwicklungen des Islam vom Beginn der Entkolonialisierung bis zur Gegenwart. Das Standardwerk wurde für die Sonderausgabe vom Autor aktualisiert und um ein Kapitel für die Zeit von 1994 bis Oktober 2001 erweitert.
"Mit der Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert hat [...] Reinhard Schulze eine theoretisch wie inhaltlich ausgesprochen anspruchsvolle Analyse vorgelegt."
Ulrike Freitag, Frankfurter Rundschau
"Das zahlen- und faktenreiche Buch, mit hilfreichen Karten und Tabellen gut ausgestattet, sollte zum Handbuch für jeden werden, der sich mit der Politik in der islamischen Welt beschäftigt."
Heinz Halm, DIE ZEIT
Schulze legt "in diesem nach Vorgehensweise und Informationsdichte im deutschsprachigen Raum einzigartigen Buch zweierlei eindringlich nahe: Zum einen, wie schillernd die Bezeichnung 'Islamische Welt' für die Gesamtheit der Länder und Gesellschaften ist, in denen Muslime mehrheitlich zusammenleben. Zum andern, daß die Vision von einer Restauration des islamischen Kosmopolitismus zumindest auf absehbare Zeit ein Traum bleiben muß."
Mir A. Ferdowsi, Süddeutsche Zeitung
"Mit der Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert hat [...] Reinhard Schulze eine theoretisch wie inhaltlich ausgesprochen anspruchsvolle Analyse vorgelegt."
Ulrike Freitag, Frankfurter Rundschau
"Das zahlen- und faktenreiche Buch, mit hilfreichen Karten und Tabellen gut ausgestattet, sollte zum Handbuch für jeden werden, der sich mit der Politik in der islamischen Welt beschäftigt."
Heinz Halm, DIE ZEIT
Schulze legt "in diesem nach Vorgehensweise und Informationsdichte im deutschsprachigen Raum einzigartigen Buch zweierlei eindringlich nahe: Zum einen, wie schillernd die Bezeichnung 'Islamische Welt' für die Gesamtheit der Länder und Gesellschaften ist, in denen Muslime mehrheitlich zusammenleben. Zum andern, daß die Vision von einer Restauration des islamischen Kosmopolitismus zumindest auf absehbare Zeit ein Traum bleiben muß."
Mir A. Ferdowsi, Süddeutsche Zeitung
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.07.2002Blinde Flecken
Reinhard Schulzes Geschichte
des modernen Islam
Eine „Geschichte der christlichen Welt im 20. Jahrhundert” – sie käme uns seltsam vor. Die der islamischen Welt, vorgelegt von Reinhard Schulze, hat es nun zur aktualisierten Sonderausgabe gebracht: erweitert um ein Kapitel zum „Postislamismus” des letzten Jahrzehnts, doch leider nicht revidiert – selbst das alte Enddatum 1993 blieb versehentlich stehen; das entzückend willkürliche Anfangsdatum 1900 ohnehin.
Selbstredend weiß der Berner Islamwissenschaftler, dass auch in der islamischen Welt Nationalstaaten das Handeln bestimmen. Aber ihn interessiert gerade das, was Grenzen überschreitet: der Beitrag islamischer Diskurse zur Politik. Schulze erzählt also vor allem die Geschichte der Re-Islamisierung seit 1973 und ihre Vorgeschichte in Zeiten der De-Islamisierung. Damit füllt er den blinden Fleck in früheren Darstellungen.
Das ist gut und hat seinen Preis: Die vom Titel versprochene allgemeine Geschichte der islamischen Welt ist hier trotz vieler Fakten und atemraubender Szenenwechsel von Marokko bis Indonesien nur Kulisse für die Geschichte derer, die ein Dreivierteljahrhundert wenig oder nichts zu sagen hatten. Das führt zu neuen blinden Flecken. So tritt die Türkei, unser wichtigster Partner, nach der Auflösung des Osmanischen Reichs und radikalen De-Islamisierung der Politik durch Atatürk von Schulzes Bühne auf Nimmerwiedersehen ab, weil sie für seine Geschichte nichts mehr abwirft. Andere wichtige islamische Akteure treten gar nicht erst auf. Besonders misslich ist das bei der größten transnationalen Bewegung, der 1927 gegründeten Tablighi Jama’at. Diese weltweite Missionsbewegung bleibt nur darum außen vor, weil sie sich von der Politik fern hält. Kurz, die oft beschwerliche Fülle diese Werks ist von tückischer Selektivität.
Immerhin schlägt Schulze einige Schneisen ins Dickicht: Europäische und islamische Diskurse konkurrieren in der islamischen Welt seit der Spaltung in einen kolonialen und einen traditionalen Sektor der Gesellschaft. Dabei „übersetzen” letztere oft nur die uns vertrauten säkularen Ideologien des Liberalismus, Nationalismus und später Sozialismus in eine islamische Sprache. Dieses Modell von Öffentlichkeit untertreibt den Grad der Umdeutung – etwa von Freiheit in islamische Gerechtigkeit. Aber es betont zu Recht die Modernität islamischer Diskurse und bereitet eine paradoxe Pointe vor: Die Islamisierung von Politik erscheint zunächst als Entsäkularisierung, doch führt die Politisierung von Religion leicht zu einem Verlust von Religiosität und säkularisiert – siehe Iran.
Dosierte Restauration
Schulze möchte möglichst alle islamischen Politiken auf den Begriff von „Salafiya” bringen, um den entschieden antitraditionalistischen Reformeifer derer herauszustreichen, die im Rückgriff auf den Ur-Islam der „Altvorderen” um eine eigene, islamische Moderne ringen. Das trifft zu und unterschlägt doch das restaurative Moment, das es dabei auch gibt und das kulturvergleichend sehr wohl als Fundamentalismus bezeichnet werden darf. Indigenisierung, Entwestlichung und folglich dosierte Restauration gehören zum Prozess der Dekolonisation.
Der neo-salafitische Islamismus der Muslimbrüder und ihrer Enkel ist für Schulze ein Produkt von Wirtschaftskrisen: Die Neustädter der Mischgebiete, die im Berufsleben bereits im kolonialen Sektor standen und privat noch im traditionalen, ziehen sich nach dem Ausschluss aus dem Kolonialsektor diskursiv auf ihre Herkunft zurück. Das klingt plausibel, nur kann bei dem angeführten Beispiel Sayyid Qutb von Ausschluss nicht die Rede sein.
Tatsächlich rekrutieren sich Führer und Anhänger islamistischer Bewegungen auch aus anderen Bereichen der Gesellschaft. Am besten hat das der Religionssoziologe Martin Riesebrodt erfasst: Islamismus mobilisiert ein klassenheterogenes, doch – mit Schulze gesprochen – zumindest im Lebenswandel traditional geprägtes Kulturmilieu. Die neuesten Akteure etwa in der Türkei sind allerdings aufstrebende Gewinner, nicht Verlierer des Modernisierungsprozesses.
Die sensationelle islamische Wende in der Politik, der nicht zuletzt durch Petrodollars geförderte Durchbruch der islamischen Öffentlichkeit in den siebziger Jahren ist gut dargestellt, und das neue Kapitel über „Post islamismus” trifft in vielen Punkten den Nagel auf den Kopf: Jawohl, die islamischen Utopien schwinden dahin, die Bewegungen entideologisieren sich – wogegen sich eine militante Opposition formiert. Im globalen Kontext scheint Islam zu einem ethnischen Merkmal zu werden, passend zur allgemeinen Ethnifizierung der Politik.
Reinhard Schulzes Ideologiegeschichte ist so anregend wie zwiespältig. Widersprüche, Begriffsunschärfen und ein erschreckend naiver Umgang mit scheinpräzisen Zahlen können einem die Lektüre vergällen. Einsteiger sollten darum unbedingt zwei von Schulze unterschlagene Publikationen hinzuziehen: Gudrun Krämers souveräne Kurzdarstellung „Die islamische Welt im 20. Jahrhundert” in dem von Albrecht Nothund Jürgen Paul herausgegebenen Buch „Der islamische Orient” (1998) und Andreas Meiers kommentierte Textsammlung „Der politische Auftrag des Islam” (1994), die hoffentlich auch bald neu aufgelegt wird.
LUDWIG AMMANN
REINHARD SCHULZE: Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert. Aktualisierte Sonderausgabe. C.H. Beck, München 2002. 477 Seiten, 19,90 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Reinhard Schulzes Geschichte
des modernen Islam
Eine „Geschichte der christlichen Welt im 20. Jahrhundert” – sie käme uns seltsam vor. Die der islamischen Welt, vorgelegt von Reinhard Schulze, hat es nun zur aktualisierten Sonderausgabe gebracht: erweitert um ein Kapitel zum „Postislamismus” des letzten Jahrzehnts, doch leider nicht revidiert – selbst das alte Enddatum 1993 blieb versehentlich stehen; das entzückend willkürliche Anfangsdatum 1900 ohnehin.
Selbstredend weiß der Berner Islamwissenschaftler, dass auch in der islamischen Welt Nationalstaaten das Handeln bestimmen. Aber ihn interessiert gerade das, was Grenzen überschreitet: der Beitrag islamischer Diskurse zur Politik. Schulze erzählt also vor allem die Geschichte der Re-Islamisierung seit 1973 und ihre Vorgeschichte in Zeiten der De-Islamisierung. Damit füllt er den blinden Fleck in früheren Darstellungen.
Das ist gut und hat seinen Preis: Die vom Titel versprochene allgemeine Geschichte der islamischen Welt ist hier trotz vieler Fakten und atemraubender Szenenwechsel von Marokko bis Indonesien nur Kulisse für die Geschichte derer, die ein Dreivierteljahrhundert wenig oder nichts zu sagen hatten. Das führt zu neuen blinden Flecken. So tritt die Türkei, unser wichtigster Partner, nach der Auflösung des Osmanischen Reichs und radikalen De-Islamisierung der Politik durch Atatürk von Schulzes Bühne auf Nimmerwiedersehen ab, weil sie für seine Geschichte nichts mehr abwirft. Andere wichtige islamische Akteure treten gar nicht erst auf. Besonders misslich ist das bei der größten transnationalen Bewegung, der 1927 gegründeten Tablighi Jama’at. Diese weltweite Missionsbewegung bleibt nur darum außen vor, weil sie sich von der Politik fern hält. Kurz, die oft beschwerliche Fülle diese Werks ist von tückischer Selektivität.
Immerhin schlägt Schulze einige Schneisen ins Dickicht: Europäische und islamische Diskurse konkurrieren in der islamischen Welt seit der Spaltung in einen kolonialen und einen traditionalen Sektor der Gesellschaft. Dabei „übersetzen” letztere oft nur die uns vertrauten säkularen Ideologien des Liberalismus, Nationalismus und später Sozialismus in eine islamische Sprache. Dieses Modell von Öffentlichkeit untertreibt den Grad der Umdeutung – etwa von Freiheit in islamische Gerechtigkeit. Aber es betont zu Recht die Modernität islamischer Diskurse und bereitet eine paradoxe Pointe vor: Die Islamisierung von Politik erscheint zunächst als Entsäkularisierung, doch führt die Politisierung von Religion leicht zu einem Verlust von Religiosität und säkularisiert – siehe Iran.
Dosierte Restauration
Schulze möchte möglichst alle islamischen Politiken auf den Begriff von „Salafiya” bringen, um den entschieden antitraditionalistischen Reformeifer derer herauszustreichen, die im Rückgriff auf den Ur-Islam der „Altvorderen” um eine eigene, islamische Moderne ringen. Das trifft zu und unterschlägt doch das restaurative Moment, das es dabei auch gibt und das kulturvergleichend sehr wohl als Fundamentalismus bezeichnet werden darf. Indigenisierung, Entwestlichung und folglich dosierte Restauration gehören zum Prozess der Dekolonisation.
Der neo-salafitische Islamismus der Muslimbrüder und ihrer Enkel ist für Schulze ein Produkt von Wirtschaftskrisen: Die Neustädter der Mischgebiete, die im Berufsleben bereits im kolonialen Sektor standen und privat noch im traditionalen, ziehen sich nach dem Ausschluss aus dem Kolonialsektor diskursiv auf ihre Herkunft zurück. Das klingt plausibel, nur kann bei dem angeführten Beispiel Sayyid Qutb von Ausschluss nicht die Rede sein.
Tatsächlich rekrutieren sich Führer und Anhänger islamistischer Bewegungen auch aus anderen Bereichen der Gesellschaft. Am besten hat das der Religionssoziologe Martin Riesebrodt erfasst: Islamismus mobilisiert ein klassenheterogenes, doch – mit Schulze gesprochen – zumindest im Lebenswandel traditional geprägtes Kulturmilieu. Die neuesten Akteure etwa in der Türkei sind allerdings aufstrebende Gewinner, nicht Verlierer des Modernisierungsprozesses.
Die sensationelle islamische Wende in der Politik, der nicht zuletzt durch Petrodollars geförderte Durchbruch der islamischen Öffentlichkeit in den siebziger Jahren ist gut dargestellt, und das neue Kapitel über „Post islamismus” trifft in vielen Punkten den Nagel auf den Kopf: Jawohl, die islamischen Utopien schwinden dahin, die Bewegungen entideologisieren sich – wogegen sich eine militante Opposition formiert. Im globalen Kontext scheint Islam zu einem ethnischen Merkmal zu werden, passend zur allgemeinen Ethnifizierung der Politik.
Reinhard Schulzes Ideologiegeschichte ist so anregend wie zwiespältig. Widersprüche, Begriffsunschärfen und ein erschreckend naiver Umgang mit scheinpräzisen Zahlen können einem die Lektüre vergällen. Einsteiger sollten darum unbedingt zwei von Schulze unterschlagene Publikationen hinzuziehen: Gudrun Krämers souveräne Kurzdarstellung „Die islamische Welt im 20. Jahrhundert” in dem von Albrecht Nothund Jürgen Paul herausgegebenen Buch „Der islamische Orient” (1998) und Andreas Meiers kommentierte Textsammlung „Der politische Auftrag des Islam” (1994), die hoffentlich auch bald neu aufgelegt wird.
LUDWIG AMMANN
REINHARD SCHULZE: Geschichte der islamischen Welt im 20. Jahrhundert. Aktualisierte Sonderausgabe. C.H. Beck, München 2002. 477 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ludwig Ammann hält Reinhard Schulzes islamische Ideologiegeschichte für eine ebenso anregende wie zwiespältige Angelegenheit. In seiner ausgesprochen kenntnisreichen, manchmal allerdings schwer nachvollziehbaren Besprechung lobt Ammann, dass der Berner Islamwissenschaftler Schulze mit vielen Fakten und atemberaubenden Szenenwechseln (von Marokko bis Indonesien) einige "blinde Flecken" fülle. So findet der Rezensent vor allem die islamische Wende in der Politik und den nicht zuletzt durch Petrodollars geförderte Durchbruch der islamischen Öffentlichkeit in den siebziger Jahren gut dargestellt. Auch das in der aktualisierten Fassung hinzugefügte Kapitel über "Post-Islamismus" trifft Ammanns Meinung nach in vielen Punkten den Nagel auf den Kopf. Doch insgesamt erscheint dem Rezensenten die "beschwerliche Fülle des Werkes von tückischer Selektivität". Die säkulare Türkei etwa tauche überhaupt nicht auf. So schließt Ammann: "Widersprüche, Begriffsunschärfen und ein erschreckend naiver Umgang mit scheinpräzisen Zahlen können einem die Lektüre vergällen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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