Von Dante, Boccaccio und Ariosto bis Svevo, Eco und Ungaretti, von der sizilianischen Minnelyrik bis zur Neoavanguardia spannt Manfred Hardt, der einer der führenden Romanisten Deutschlands war, den Bogen in diesem enzyklopädischen und dennoch vergnüglich lesbaren Standardwerk und entwirft mit seiner repräsentativen Darstellung bei aller Detailfreude ein ausgewogenes Gesamtbild der Literatur Italiens von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ein unentbehrliches Nachschlagewerk und Lesebuch nicht nur für Fachleute, sondern auch für literarische Schatzsucher und Liebhaber der italienischen Literatur.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.05.2004Klassisch
Manfred Hardts italienische Literaturgeschichte in Neuauflage
Vor acht Jahren erschien Manfred Hardts "Geschichte der italienischen Literatur", die nun als beinahe tausendseitiges Suhrkamp-Taschenbuch neu aufgelegt und so einem größeren Publikum zugänglich gemacht wurde. Dieses Werk ist ganz von der Hinwendung an einen gebildeten Leser geprägt, und zugleich stellt es sich mit gelassener Entschiedenheit gegen die Konventionen gegenwärtiger Literaturwissenschaft. Unbelastet von den Amplituden der Kanonerweiterung und Kanonverengung, wie sie die akademische Debatte über "den Literaturbegriff" ausgelöst hat, schreibt Hardt von all jenen italienischen Texten seit dem 13. Jahrhundert, die für einen gebildeten Leser ganz selbstverständlich "Literatur" sind. Statt als Paradigmen zur Diskussion von theoretischen Fragen oder analytischen Methoden abgenutzt zu werden, erscheinen diese Texte bei Hardt ohne Ambivalenzen als Gegenstände intellektueller Verehrung und ästhetischer Bewunderung.
Nicht auf das Experiment eines aus bestimmter Perspektive konzipierten "Essays" hat er sich zurückgezogen; vielmehr nimmt er mit breiter Kompetenz und nie hinterfragtem Enthusiasmus genau jene Erwartungen auf, welche man an ein Standardwerk haben darf. Wer sich also gegen alle globalisierenden Entwicklungen unserer Zeit in die Literatur, Kultur und Geschichte der italienischen Nation vertiefen möchte - und vielleicht gibt es heute in Deutschland mehr potentielle Interessenten dieser Art als je zuvor -, der sollte Hardts Werk unbedingt lesen. Selbst auf die Frage nach der Individualität der italienischen Nationalliteratur wird er dort Antworten finden, und daß den Texten aus den letzten beiden Jahrhunderten mehr Seiten gewidmet sind als zum Beispiel denen des Mittelalters, wird den Gewohnheiten des gebildeten Lesers nur entgegenkommen.
In seinen besten Passagen erinnert Hardts Werk an die Literaturbetrachtungen seines Lehrers, des großen Romanisten Hugo Friedrich, der über klassische Texte nicht nur mit wissenschaftlicher Genauigkeit, sondern auch mit literarischer Eleganz zu schreiben wußte. Hardt, der vor drei Jahren verstorben ist, hat den Freunden der italienischen Literatur ein anderes Vermächtnis hinterlassen, das in einer anderen eigenen schriftstellerischen Welt seinesgleichen nicht hat. Er hat ein Buch verfaßt, in dem alle kanonisierten Texte, Autoren und Gattungen einer großen Nationalliteratur versammelt sind - versammelt als Elemente in einem komplexen Gleichgewicht, in einer Kohärenz und Prägnanz, welche manchmal an die kraftvolle Harmonie von Balzacs Romanen erinnern.
HANS ULRICH GUMBRECHT
Manfred Hardt: "Geschichte der italienischen Literatur". Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 960 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Manfred Hardts italienische Literaturgeschichte in Neuauflage
Vor acht Jahren erschien Manfred Hardts "Geschichte der italienischen Literatur", die nun als beinahe tausendseitiges Suhrkamp-Taschenbuch neu aufgelegt und so einem größeren Publikum zugänglich gemacht wurde. Dieses Werk ist ganz von der Hinwendung an einen gebildeten Leser geprägt, und zugleich stellt es sich mit gelassener Entschiedenheit gegen die Konventionen gegenwärtiger Literaturwissenschaft. Unbelastet von den Amplituden der Kanonerweiterung und Kanonverengung, wie sie die akademische Debatte über "den Literaturbegriff" ausgelöst hat, schreibt Hardt von all jenen italienischen Texten seit dem 13. Jahrhundert, die für einen gebildeten Leser ganz selbstverständlich "Literatur" sind. Statt als Paradigmen zur Diskussion von theoretischen Fragen oder analytischen Methoden abgenutzt zu werden, erscheinen diese Texte bei Hardt ohne Ambivalenzen als Gegenstände intellektueller Verehrung und ästhetischer Bewunderung.
Nicht auf das Experiment eines aus bestimmter Perspektive konzipierten "Essays" hat er sich zurückgezogen; vielmehr nimmt er mit breiter Kompetenz und nie hinterfragtem Enthusiasmus genau jene Erwartungen auf, welche man an ein Standardwerk haben darf. Wer sich also gegen alle globalisierenden Entwicklungen unserer Zeit in die Literatur, Kultur und Geschichte der italienischen Nation vertiefen möchte - und vielleicht gibt es heute in Deutschland mehr potentielle Interessenten dieser Art als je zuvor -, der sollte Hardts Werk unbedingt lesen. Selbst auf die Frage nach der Individualität der italienischen Nationalliteratur wird er dort Antworten finden, und daß den Texten aus den letzten beiden Jahrhunderten mehr Seiten gewidmet sind als zum Beispiel denen des Mittelalters, wird den Gewohnheiten des gebildeten Lesers nur entgegenkommen.
In seinen besten Passagen erinnert Hardts Werk an die Literaturbetrachtungen seines Lehrers, des großen Romanisten Hugo Friedrich, der über klassische Texte nicht nur mit wissenschaftlicher Genauigkeit, sondern auch mit literarischer Eleganz zu schreiben wußte. Hardt, der vor drei Jahren verstorben ist, hat den Freunden der italienischen Literatur ein anderes Vermächtnis hinterlassen, das in einer anderen eigenen schriftstellerischen Welt seinesgleichen nicht hat. Er hat ein Buch verfaßt, in dem alle kanonisierten Texte, Autoren und Gattungen einer großen Nationalliteratur versammelt sind - versammelt als Elemente in einem komplexen Gleichgewicht, in einer Kohärenz und Prägnanz, welche manchmal an die kraftvolle Harmonie von Balzacs Romanen erinnern.
HANS ULRICH GUMBRECHT
Manfred Hardt: "Geschichte der italienischen Literatur". Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. 960 S., br., 20,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als Vermächtnis des vor drei Jahren verstorbenen Autors und Standardwerk lobt Rezensent Hans Ulrich Gumbrecht diese italienische Literaturgeschichte, die seiner Ansicht nach "in einer anderen eigenen schriftstellerischen Welt ihresgleichen nicht hat". Gumbrecht fand darin alle kanonisierten Texte, Autoren und Gattungen der italienischen Nationalliteratur versammelt. Auch erfüllt Manfred Hardt "mit breiter Kompetenz und nie hinterfragtem Enthusiasmus" die Erwartungen, die der Rezensent an ein solches Werk hat, das er ganz von der Hinwendung an den gebildeten Leser geprägt sieht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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