Das Bildnis ist eine der ältesten Möglichkeiten gestalterischen Tuns des Menschen überhaupt. Seine Spuren reichen weit vor die Hochkulturen, weit vor deren Schriftlichkeit und weit vor die Geschichte des repräsentational kompetenten Bildes zurück. Aus der Fülle des vorliegenden Materials haben die Autoren für die zu Studienzwecken verfaßte Quellenanthologie beispielhaft erscheinende Texte ausgewählt, die in Original und Übersetzung vorgestellt und in einem ausführlichen Kommentar erläutert und eingeordnet werden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.2000Das soll ich sein?
Schlagende Ähnlichkeit ist nicht mehr Ideal: Am Porträt beweist sich die Meisterschaft der Malerei
Unter den klassischen Gemäldeaufgaben ist die grundlegende das Porträt, denn der Wahrheitsanspruch ist groß und der Spielraum gering. Viele Wege führen zum Ziel, die Fotografie hat nur wenige abgeschnitten. Die alte Grundvorstellung vom Gottesbild und seiner Fortsetzung im menschlichen Ebenbild besteht als Verabredung nach wechselnden Normen. Ihre schriftliche Überlieferung bereichert den lückenhaften Bestand der Bilder. Man kann nicht auf sie verzichten, mag sie auch in praktischer Beziehung von wechselndem Gewicht gewesen sein. Dabei hat die Betrachtung vom Menschenbild auszugehen, das nach jüdischer und christlicher Tradition aus dem Schatten des Gottesbildes gewachsen ist. Das Bildnis ist sein Sonderfall.
Wer widmet sich noch dem Porträt? Die einmal von Jan van Eyck begründete und von nachfolgenden Meistern gesteigerte Linie hat bis zu Alberto Giacometti und Francis Bacon Bestand gehabt. Über der letzten Zeit liegt der Schatten von Einsichten, die deutlich in den Worten von Georges Braque aus dem Jahr 1908 zum Ausdruck gebracht sind: "Ich könnte eine Frau in all ihrer natürlichen Schönheit nicht porträtieren. Die Fertigkeit habe ich nicht. Niemand hat sie. Ich muss deshalb eine neue Art Schönheit schaffen, eine Schönheit, die sich mir zeigt im Sinne von Volumen, Linie, Masse, Schwere." Es war die bildnishafte Bindung, die auf jede Berührung mit einer Art von Schmerz reagierte, früher bereits bei anamorphotischen Bildern, jetzt bei der Befragung von Volumen, Linie, Masse und Schwere der konkreten Figur. Die Arbeiten von Giacometti und Bacon haben daraus ihre Unerbittlichkeit bezogen.
Unabhängig von diesem Stand ist die Klage über den unbewältigten Porträtauftrag ein Gemeinplatz. Unzählige Beischriften von Bildern variieren den Gedanken, mögen im Einzelnen auch vorauseilende Rechtfertigung und lauernde Lobeserwartung darin eingeschlossen gewesen sein. Beim Porträt liegen unersättliche Ansprüche vor. Das Publikum wird von ihnen bedrängt, und die Maler haben nach haltbaren Lösungen geforscht. Der seit frühen Zeiten geübte Abguss in Wachs oder Gips mag den Wunsch nach Belebung gesteigert haben. Für eine gewisse Zeit mochte die farbige Behandlung ausgereicht haben, man verdankt ihr die Mumienbilder Ägyptens. Doch der Sinn richtete sich bereits früh auf die Unwägbarkeiten der Repräsentation. "Warum ahmt ihr nicht auch die seelischen Eigenschaften nach, das Überzeugendste, das Angenehmste, das Holdeste, das Begehrenswerteste und Entzückendste?" So soll schon Sokrates auf den Maler Parrhasios eingedrungen sein, der ihm geduldig Rede und Antwort stand. An dem Dialog fällt auf, dass es Parrhasios, der vom Bildhauer Polyklet den Sinn für Körperproportionen übernommen hatte, nicht in den Sinn kam, Gleichmaß und Farbe in den Dienst der Seelenmalerei zu stellen. Man einigte sich auf die Mittel von Mimik und Gestik, die das Problem nur im oberflächlichen Sinne lösen konnten.
Einen scharfen Geist wie Erasmus von Rotterdam hat der Kult von "Porträts des Geistes", die auf solche Überlegungen zurückgehen, nicht daran gehindert, die geringe Porträtähnlichkeit des ihm von Dürer gewidmeten Kupferstichs zu vermerken. Massys und Holbein, leicht lassen sich Cranach und Burgkmair hinzufügen, haben dem Sinn der Auftraggeber offenbar besser entsprochen. Das betraf nicht nur Dürers Erasmusbildnis. Auch beim Melanchthonbild, das von knappem Zuschnitt ist, hat ein Beobachter wie Georg Dehio gefunden, dass die Charakterschilderung "bis an die Grenze der Verzerrung" reiche. Ob Vernachlässigung oder Verzerrung, das Bildnis in seiner Vergleichbarkeit verhalf dem Betrachter bereits in der frühen Zeit zu einem höchst differenzierten, vielleicht gelegentlich über den Anlass hinausschießenden Urteil. Wer hält die Forderung des Dichters Joost van den Vondel nicht für überzogen, Rembrandt hätte die Stimme des Predigers in das großartige Bildnis des Cornelis Claesz Anslo von 1641 einbringen müssen: "Wer Anslo sehen will, muss ihn hören?" Der Dichter scheint sich dabei doch nur auf eine alte Rhetoriker-Forderung zu beziehen; wäre er wohl zufrieden gestellt gewesen von den mit malerischen Mitteln zum Brüllen gebrachten Köpfen des Francis Bacon?
Geistesgrößen sind früher als Verkörperung von bestimmten Charakteren gemalt worden. Nach dem Bericht Lomazzos haben etwa das Bildnis Dantes für den Tiefsinn, Petrarcas für Mühelosigkeit, Sannazaros für Klugheit, Ariosts für Fruchtbarkeit und Schmuck und Bembos für Größe und Genauigkeit gestanden. Es mag Reihen solcher Darstellungen gegeben haben. In den Kreis ähnlicher Idealvorstellungen gehören ohne Zweifel Dürers so genannte vier Apostel, die im strengen Sinne freilich keine Porträts sind.
Rudolf Preimesberger ist in Zusammenarbeit mit Nicola Suthor und Hannah Baader eine neue Anthologie zum Porträt zu verdanken. Er betont, dass von einer zusammenhängenden Geschichte, selbst auch nur von einer "als kohärent interpretierbaren Geschichte der Reflexe des Porträts und der Reflexion über das Porträt" beim vorliegenden Buch nicht die Rede sein kann. In sechsundvierzig Textbeispielen werden Einzelfälle behandelt. Überschneidungen sind unvermeidlich. Sie ergeben sich aus manchem gemeinsamen Bezug auf älteres Schriftgut. Von Sokrates über Alberti bis zu Vasari, Diderot, Hegel und Deleuze reichen die Bezüge. Besonders sorgfältig sind die frühen Texte zum Menschenbild nach christlicher Tradition ausgebreitet. Sie bilden die Modellfälle der Untersuchung, an der außer den Herausgebern vier weitere Autoren beteiligt waren. Mit dem allmächtigen Vaterbild in seiner religiösen Verankerung aus dem ersten Buch Moses werden Fundamente für die Betrachtung gelegt. Wer einen Begriff von der Dichte der sprachlichen Verknüpfungen erhalten will, dem öffnet Preimesberger glänzende Zugänge. In ähnlichem Sinne erhalten die klassischen griechischen Vorstellungen vom Ursprung des Bildnisses in Schatten- und Spiegelbild ihre Interpretationen. Es zeigt sich, dass im Falle der Bildniskunst ein überschaubarer Kreis von Begründungen über die Jahrhunderte wirksam gewesen ist.
Mit Michelangelo erscheint der Typus des Künstlers, der sich der Porträtähnlichkeit nicht beugt und sich auf das Urteil der Nachwelt als Maßstab berief. Nach Preimesberger verlief der Prozess vom "Konzept eines Übergangs vom Darstellen des Sichtbaren zum darstellenden Sichtbarmachen des Unsichtbaren". Dabei gewann der Anteil des Künstlers an Gewicht: "Damit Manet sein Porträt Clémenceaus malen kann, muss er das Wagnis auf sich genommen haben, dass er selbst darin alles sei und Clémenceau nichts", hat schon Malraux festgestellt.
Immer ist der Bildnisauftrag in Gefahr, auf schlagende Ähnlichkeit reduziert zu werden. Die eigentliche Leistung des Künstlers, die darin besteht, das Bild zu bauen und zu halten, tritt in den Hintergrund und wird auch in den Quellen kaum berührt. Der Maler hat zu wägen und Ketten von Beobachtungen aneinander zu reihen. Er hat zu häufen und auszuscheiden. Fotografien irritieren ihn nicht, sie ermöglichen, etwa im Falle von Bacon und Baselitz, einen erwünschten Abstand. Es mag ein Rest von Rätselhaftigkeit genügen, um die porträtierte Person zu bezeichnen, manchmal in stärkerem Maße, als es der vollständige Katalog aller Züge zusammen vermag. Das Bildnis scheint die Fratze zu berühren, ein wenig auch die Karikatur, was bereits Ingres für legitim angesehen hat.
Das Porträt ist kaum die früheste Bildaufgabe der Menschen gewesen. Es setzt innerhalb der menschlichen Gemeinschaft gewachsene Normen voraus. Man kann es sich erst nach Abklingen urtümlicher Naturbeschwörungen und nach der Installation von Herrschaftsbezügen vorstellen. Zu den Beschränkungen gehört noch in später Zeit, dass das Bildnis der Frau in ritueller Bannung auf der linken Seite des Mannes zu verharren hatte; dieser Sachverhalt muss übrigens dem spanischen Maler Francisco Pacheco im siebzehnten Jahrhundert so wenig gegenwärtig gewesen sein, dass er glaubte, die "Schönheit und Weichheit des Lichtes" für die entsprechende Ausrichtung verantwortlich machen zu können.
Gegenüber solchen Gebundenheiten haben die Meister des Faches, beginnend mit Jan van Eyck, sich immer wieder glänzend behauptet. Noch die vornehme Unberührtheit Cézannes, noch die Umformungen Picassos leben von der hohen Achtung des Porträts. Dem Betrachter bietet gerade die Gebundenheit des Auftrags Beispiele von großartiger Faszination. Ein Rest von Gegebenheit wehrt sich dabei gegen die Verflüchtigung der Form. Hegels Formulierung vom "Schädelknochen" des Menschen als "der Wirklichkeit und dem Dasein des Menschen", an die Nicola Suthor erinnert, lebt auch von dieser Situation. Bei Bacon allerdings wird die Gegenposition eingenommen: "Ich möchte ganz bestimmte Dinge malen wie Porträts, die Porträts von Menschen sein werden, aber wenn einer sie analysiert, wird er einfach nicht wissen, wie das Bild überhaupt zustande gekommen ist", sagte er 1962 im Gespräch mit David Sylvester.
Porträtmaler zu sein war ein harter Beruf. In der Vorstellung Diderots überragte der Pastellmaler Maurice Quentin de La Tour. An seinem Beispiel war die Überlegenheit unbeteiligter Entschlossenheit gegenüber der emotionalen Beteiligung etwa bei den Bildnissen von Greuze festzustellen. Als "kalt, ohne Grazie", "die Haare sind von Metall" erschienen Diderot zuletzt dessen entzauberte Porträts.
Noch etwas ist bei Diderot zu lernen (oder wird durch ihn vermittelt). Er formulierte 1765: "Versucht, meine Freunde, euch die Figur als durchsichtig zu denken und euer Auge in den Mittelpunkt derselben zu bringen!" Hat Kleist bei seinen denkwürdigen Betrachtungen über das Marionettentheater hier angeknüpft? Es gibt wenige neue Bücher, die durch die Fülle der Texte und ihre Erschließung Gedanken so in Bewegung setzen wie dieses Studienbuch. Das Wort vom Porträt als Prüfstein der Malerei - es stammt aus der Umgebung Manets - darf man getrost auch für den Band und sein Anliegen in Anspruch nehmen. Die vom Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin besorgte Reihe zur Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren hat einen würdigen Abschluss gefunden.
WERNER SCHADE Rudolf Preimesberger, Hannah Baader, Nicola Suthor (Hrsg.): "Porträt". Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Band 2. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1999. 487 S., Abb., br., 58,- DM.
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Schlagende Ähnlichkeit ist nicht mehr Ideal: Am Porträt beweist sich die Meisterschaft der Malerei
Unter den klassischen Gemäldeaufgaben ist die grundlegende das Porträt, denn der Wahrheitsanspruch ist groß und der Spielraum gering. Viele Wege führen zum Ziel, die Fotografie hat nur wenige abgeschnitten. Die alte Grundvorstellung vom Gottesbild und seiner Fortsetzung im menschlichen Ebenbild besteht als Verabredung nach wechselnden Normen. Ihre schriftliche Überlieferung bereichert den lückenhaften Bestand der Bilder. Man kann nicht auf sie verzichten, mag sie auch in praktischer Beziehung von wechselndem Gewicht gewesen sein. Dabei hat die Betrachtung vom Menschenbild auszugehen, das nach jüdischer und christlicher Tradition aus dem Schatten des Gottesbildes gewachsen ist. Das Bildnis ist sein Sonderfall.
Wer widmet sich noch dem Porträt? Die einmal von Jan van Eyck begründete und von nachfolgenden Meistern gesteigerte Linie hat bis zu Alberto Giacometti und Francis Bacon Bestand gehabt. Über der letzten Zeit liegt der Schatten von Einsichten, die deutlich in den Worten von Georges Braque aus dem Jahr 1908 zum Ausdruck gebracht sind: "Ich könnte eine Frau in all ihrer natürlichen Schönheit nicht porträtieren. Die Fertigkeit habe ich nicht. Niemand hat sie. Ich muss deshalb eine neue Art Schönheit schaffen, eine Schönheit, die sich mir zeigt im Sinne von Volumen, Linie, Masse, Schwere." Es war die bildnishafte Bindung, die auf jede Berührung mit einer Art von Schmerz reagierte, früher bereits bei anamorphotischen Bildern, jetzt bei der Befragung von Volumen, Linie, Masse und Schwere der konkreten Figur. Die Arbeiten von Giacometti und Bacon haben daraus ihre Unerbittlichkeit bezogen.
Unabhängig von diesem Stand ist die Klage über den unbewältigten Porträtauftrag ein Gemeinplatz. Unzählige Beischriften von Bildern variieren den Gedanken, mögen im Einzelnen auch vorauseilende Rechtfertigung und lauernde Lobeserwartung darin eingeschlossen gewesen sein. Beim Porträt liegen unersättliche Ansprüche vor. Das Publikum wird von ihnen bedrängt, und die Maler haben nach haltbaren Lösungen geforscht. Der seit frühen Zeiten geübte Abguss in Wachs oder Gips mag den Wunsch nach Belebung gesteigert haben. Für eine gewisse Zeit mochte die farbige Behandlung ausgereicht haben, man verdankt ihr die Mumienbilder Ägyptens. Doch der Sinn richtete sich bereits früh auf die Unwägbarkeiten der Repräsentation. "Warum ahmt ihr nicht auch die seelischen Eigenschaften nach, das Überzeugendste, das Angenehmste, das Holdeste, das Begehrenswerteste und Entzückendste?" So soll schon Sokrates auf den Maler Parrhasios eingedrungen sein, der ihm geduldig Rede und Antwort stand. An dem Dialog fällt auf, dass es Parrhasios, der vom Bildhauer Polyklet den Sinn für Körperproportionen übernommen hatte, nicht in den Sinn kam, Gleichmaß und Farbe in den Dienst der Seelenmalerei zu stellen. Man einigte sich auf die Mittel von Mimik und Gestik, die das Problem nur im oberflächlichen Sinne lösen konnten.
Einen scharfen Geist wie Erasmus von Rotterdam hat der Kult von "Porträts des Geistes", die auf solche Überlegungen zurückgehen, nicht daran gehindert, die geringe Porträtähnlichkeit des ihm von Dürer gewidmeten Kupferstichs zu vermerken. Massys und Holbein, leicht lassen sich Cranach und Burgkmair hinzufügen, haben dem Sinn der Auftraggeber offenbar besser entsprochen. Das betraf nicht nur Dürers Erasmusbildnis. Auch beim Melanchthonbild, das von knappem Zuschnitt ist, hat ein Beobachter wie Georg Dehio gefunden, dass die Charakterschilderung "bis an die Grenze der Verzerrung" reiche. Ob Vernachlässigung oder Verzerrung, das Bildnis in seiner Vergleichbarkeit verhalf dem Betrachter bereits in der frühen Zeit zu einem höchst differenzierten, vielleicht gelegentlich über den Anlass hinausschießenden Urteil. Wer hält die Forderung des Dichters Joost van den Vondel nicht für überzogen, Rembrandt hätte die Stimme des Predigers in das großartige Bildnis des Cornelis Claesz Anslo von 1641 einbringen müssen: "Wer Anslo sehen will, muss ihn hören?" Der Dichter scheint sich dabei doch nur auf eine alte Rhetoriker-Forderung zu beziehen; wäre er wohl zufrieden gestellt gewesen von den mit malerischen Mitteln zum Brüllen gebrachten Köpfen des Francis Bacon?
Geistesgrößen sind früher als Verkörperung von bestimmten Charakteren gemalt worden. Nach dem Bericht Lomazzos haben etwa das Bildnis Dantes für den Tiefsinn, Petrarcas für Mühelosigkeit, Sannazaros für Klugheit, Ariosts für Fruchtbarkeit und Schmuck und Bembos für Größe und Genauigkeit gestanden. Es mag Reihen solcher Darstellungen gegeben haben. In den Kreis ähnlicher Idealvorstellungen gehören ohne Zweifel Dürers so genannte vier Apostel, die im strengen Sinne freilich keine Porträts sind.
Rudolf Preimesberger ist in Zusammenarbeit mit Nicola Suthor und Hannah Baader eine neue Anthologie zum Porträt zu verdanken. Er betont, dass von einer zusammenhängenden Geschichte, selbst auch nur von einer "als kohärent interpretierbaren Geschichte der Reflexe des Porträts und der Reflexion über das Porträt" beim vorliegenden Buch nicht die Rede sein kann. In sechsundvierzig Textbeispielen werden Einzelfälle behandelt. Überschneidungen sind unvermeidlich. Sie ergeben sich aus manchem gemeinsamen Bezug auf älteres Schriftgut. Von Sokrates über Alberti bis zu Vasari, Diderot, Hegel und Deleuze reichen die Bezüge. Besonders sorgfältig sind die frühen Texte zum Menschenbild nach christlicher Tradition ausgebreitet. Sie bilden die Modellfälle der Untersuchung, an der außer den Herausgebern vier weitere Autoren beteiligt waren. Mit dem allmächtigen Vaterbild in seiner religiösen Verankerung aus dem ersten Buch Moses werden Fundamente für die Betrachtung gelegt. Wer einen Begriff von der Dichte der sprachlichen Verknüpfungen erhalten will, dem öffnet Preimesberger glänzende Zugänge. In ähnlichem Sinne erhalten die klassischen griechischen Vorstellungen vom Ursprung des Bildnisses in Schatten- und Spiegelbild ihre Interpretationen. Es zeigt sich, dass im Falle der Bildniskunst ein überschaubarer Kreis von Begründungen über die Jahrhunderte wirksam gewesen ist.
Mit Michelangelo erscheint der Typus des Künstlers, der sich der Porträtähnlichkeit nicht beugt und sich auf das Urteil der Nachwelt als Maßstab berief. Nach Preimesberger verlief der Prozess vom "Konzept eines Übergangs vom Darstellen des Sichtbaren zum darstellenden Sichtbarmachen des Unsichtbaren". Dabei gewann der Anteil des Künstlers an Gewicht: "Damit Manet sein Porträt Clémenceaus malen kann, muss er das Wagnis auf sich genommen haben, dass er selbst darin alles sei und Clémenceau nichts", hat schon Malraux festgestellt.
Immer ist der Bildnisauftrag in Gefahr, auf schlagende Ähnlichkeit reduziert zu werden. Die eigentliche Leistung des Künstlers, die darin besteht, das Bild zu bauen und zu halten, tritt in den Hintergrund und wird auch in den Quellen kaum berührt. Der Maler hat zu wägen und Ketten von Beobachtungen aneinander zu reihen. Er hat zu häufen und auszuscheiden. Fotografien irritieren ihn nicht, sie ermöglichen, etwa im Falle von Bacon und Baselitz, einen erwünschten Abstand. Es mag ein Rest von Rätselhaftigkeit genügen, um die porträtierte Person zu bezeichnen, manchmal in stärkerem Maße, als es der vollständige Katalog aller Züge zusammen vermag. Das Bildnis scheint die Fratze zu berühren, ein wenig auch die Karikatur, was bereits Ingres für legitim angesehen hat.
Das Porträt ist kaum die früheste Bildaufgabe der Menschen gewesen. Es setzt innerhalb der menschlichen Gemeinschaft gewachsene Normen voraus. Man kann es sich erst nach Abklingen urtümlicher Naturbeschwörungen und nach der Installation von Herrschaftsbezügen vorstellen. Zu den Beschränkungen gehört noch in später Zeit, dass das Bildnis der Frau in ritueller Bannung auf der linken Seite des Mannes zu verharren hatte; dieser Sachverhalt muss übrigens dem spanischen Maler Francisco Pacheco im siebzehnten Jahrhundert so wenig gegenwärtig gewesen sein, dass er glaubte, die "Schönheit und Weichheit des Lichtes" für die entsprechende Ausrichtung verantwortlich machen zu können.
Gegenüber solchen Gebundenheiten haben die Meister des Faches, beginnend mit Jan van Eyck, sich immer wieder glänzend behauptet. Noch die vornehme Unberührtheit Cézannes, noch die Umformungen Picassos leben von der hohen Achtung des Porträts. Dem Betrachter bietet gerade die Gebundenheit des Auftrags Beispiele von großartiger Faszination. Ein Rest von Gegebenheit wehrt sich dabei gegen die Verflüchtigung der Form. Hegels Formulierung vom "Schädelknochen" des Menschen als "der Wirklichkeit und dem Dasein des Menschen", an die Nicola Suthor erinnert, lebt auch von dieser Situation. Bei Bacon allerdings wird die Gegenposition eingenommen: "Ich möchte ganz bestimmte Dinge malen wie Porträts, die Porträts von Menschen sein werden, aber wenn einer sie analysiert, wird er einfach nicht wissen, wie das Bild überhaupt zustande gekommen ist", sagte er 1962 im Gespräch mit David Sylvester.
Porträtmaler zu sein war ein harter Beruf. In der Vorstellung Diderots überragte der Pastellmaler Maurice Quentin de La Tour. An seinem Beispiel war die Überlegenheit unbeteiligter Entschlossenheit gegenüber der emotionalen Beteiligung etwa bei den Bildnissen von Greuze festzustellen. Als "kalt, ohne Grazie", "die Haare sind von Metall" erschienen Diderot zuletzt dessen entzauberte Porträts.
Noch etwas ist bei Diderot zu lernen (oder wird durch ihn vermittelt). Er formulierte 1765: "Versucht, meine Freunde, euch die Figur als durchsichtig zu denken und euer Auge in den Mittelpunkt derselben zu bringen!" Hat Kleist bei seinen denkwürdigen Betrachtungen über das Marionettentheater hier angeknüpft? Es gibt wenige neue Bücher, die durch die Fülle der Texte und ihre Erschließung Gedanken so in Bewegung setzen wie dieses Studienbuch. Das Wort vom Porträt als Prüfstein der Malerei - es stammt aus der Umgebung Manets - darf man getrost auch für den Band und sein Anliegen in Anspruch nehmen. Die vom Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin besorgte Reihe zur Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren hat einen würdigen Abschluss gefunden.
WERNER SCHADE Rudolf Preimesberger, Hannah Baader, Nicola Suthor (Hrsg.): "Porträt". Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Band 2. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1999. 487 S., Abb., br., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Werner Schade nutzt die Besprechung des Buches zu grundsätzlichen Überlegungen über das Porträt. Nachdem er kenntnisreich die Geschichte der Gattung und ihre Problematik rekapituliert hat, wendet er sich der Studie zu, die sein uneingeschränktes Lob erhält. Die hinzugezogenen theoretischen Quellen eröffneten "glänzende Zugänge" zum Thema, rühmt der Rezensent. Selten setze Textfülle und ihre Erschließung "Gedanken so in Bewegung" wie dieses Buch, und er findet, dass es einen "würdigen" Abschluss der Reihe der von der Freien Universität Berlin unternommenen Untersuchungen zu den einzelnen Gattungen in der Malerei darstellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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