Die Genremalerei ist seit der Antike Gegenstand kunsttheoretischer Auseinandersetzung. Die Geschichte dieser Debatten wirft auch ein Licht auf die Bewertung und Umwertung künstlerischer Produktion im verlauf der Jahrhunderte.Seit der Antike ist die Genredarstellung als eine Art Gegenentwurf zu Historie und Porträt verstanden worden, bei dem nicht die großen Ereignisse und Persönlichkeiten, sondern alltägliche Begebenheiten und die Tätigkeiten unbekannter Menschen im Mittelpunkt standen. In der Rangfolge der Künste nahm sie, weil ihr Interesse dem Menschen galt, den dritten Platz ein. Genre bedeutete immer realistische Kunst bis hin zum komischen und Bizarren, wobei die Szenen oft moralische Botschaften übermitteln konnten. Stets am Rande der großen akademischen Kunst angesiedelt und als niedere Gattung angesehen, entwickelte sie sich seit dem 17. Jahrhundert zu einer der führenden Bildgattungen in ganz Europa. Sie wurde zunehmend von einer Gesellschaft geschätzt, die sich mit Historien nicht länger zu identifizieren vermochte. Die Autorin präsentiert Texte vom 1. bis zum 20. Jahrhundert im Original und in deutscher Übersetzung. Sie erläutert die Testausschnitte und stellt sie in einen größeren kunsthistorischen und -theoretischen Zusammenhang, der zeigt, daß die Auseinandersetzung mit der Genremalerei noch längst nicht abgeschlossen ist.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.01.2003Küchenstücke und Strumpfbänder, die man nicht geschenkt haben will
Wie der Mann, so sein Werk: Ein Band zur Genremalerei beschließt die Berliner Reihe zur Geschichte der klassischen Bildgattungen
Für die Malerei der Neuzeit waren die Bildgattungen und die mit ihnen verknüpften Konventionen von immenser Bedeutung. Sie determinierten die Produktions- und die Rezeptionsbedingungen, lange bevor in den Akademien des achtzehnten Jahrhunderts die fünf Gattungen – Historie, Porträt, Genre, Landschaft und Stillleben – in ihrer Wertigkeit und Rangfolge festgeschrieben wurden. Selbst das Opponieren gegen ein solches Regularium in der Moderne lässt sich letztlich nicht verstehen, kennt man nicht die Normen, gegen die angearbeitet wurde. Entsprechend wichtig und verdienstvoll ist die vom Kunsthistorischen Institut der Freien Universität in Berlin herausgegebene Buchreihe zur „Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren”, die nun mit dem letzten, von Barbara Gaehtgens betreuten Band zur Genremalerei abgeschlossen ist.
Alle fünf Bände verfahren weit gehend nach demselben Muster: Nach einer Einleitung zur Theorie der jeweiligen Gattung versammeln sie in chronologischer Reihenfolge Texte in Originalfassung und in Übersetzung, die von einem ausführlichen Kommentar begleitet werden. Es sind Auszüge aus veritablen Traktaten und Viten, kunstkritische Essays und Briefe. Nicht nur der ohnehin schwer bestimmbaren Grenzen zwischen diesen Theorieformen wegen, ist diese Kombination sinnvoll; sie verdeutlicht auch die Pluralität der Argumentationsweisen und Meinungen, die sich oft gerade nicht auf der chronologischen Achse ordnen und damit als „Entwicklung” der Theorie beschreiben lassen. So stecken die Texte ein Diskursfeld ab, in das sich die Gemälde vielgestaltig einschreiben.
Die Genremalerei ist nicht nur die am wenigsten distinkte und wohl auch die umstrittenste der fünf Bildgattungen, sie existierte auch lange bevor es den entsprechenden Terminus gab: Er begegnet erstmals im späteren achtzehnten Jahrhundert bei Diderot. Zuvor wurden die Bilder je nach Sujet etwa als „Groteske”, „Bambocciade”, als „Markt”- oder „Küchenstück” bezeichnet. Für die theoretische Fundierung der Gattung wurden Aristoteles’ Bemerkungen über die Komödie in der „Poetik” wichtig. Denn wie die Historie – der literarischen Gattung der Tragödie entsprechend – wichtige Persönlichkeiten in bedeutenden Handlungen schildert, so stellen Genrebilder – wie Komödien – „anonyme ‚unhistorische‘ Figuren in ihrem individuellen Lebensbereich, ihrem zuständlichen Dasein oder bei unspektakulären Ereignissen” dar, wie Gaehtgens die Gattung prägnant definiert.
Auch die Maler holten sich Anregungen in den antiken Schriften, etwa wenn El Greco wie der von Plinius erwähnte Antiphilos einen Jungen malt, der einen Holzscheit anbläst, oder wenn Caravaggio einen Knaben mit Fruchtkorb darstellt und so das „niedrige” Thema durch die Nachschöpfung eines Gemäldes von Zeuxis aufwertet. Erstaunlicherweise zeigt Gaehtgens’ Zusammenstellung der antiken Texte, dass der größere Teil der späteren Argumentationen für oder gegen das Genrebild in ihnen bereits in nuce enthalten ist. So fordern Aristoteles und Horaz eine dem Gegenstand adäquate Gestaltungsweise, wodurch sie bereits die in der Neuzeit im Zusammenhang mit dem Genrebild stets problematische Kategorie des „Angemessenen” aufrufen. Weiterhin bestimmte Aristoteles das Ziel der Komödie – und damit indirekt auch des Genre – in der Erzeugung von Vergnügen beim Rezipienten. Merkwürdig aus moderner Perspektive mutet seine Bemerkung über die Interdependenz vom Charakter des Dargestellten zu dem des Darstellenden an. Doch begegnet der Gedanke in Arnold Houbrakens Diktum „wie der Mann – so sein Werk” wieder, und er prägte wohl auch eine Reihe von Künstler-„Images”, wie das des „Malerrebellen” Caravaggio.
Auch für die Frage nach der absoluten oder relativen Wertigkeit von Genrebildern sind die Positionen bereits in den antiken Texten vorgeprägt und lassen den Rückschluss auf entsprechend kontrovers geführte Diskussionen zu. So wird die Niedrigkeit der Gattung bei Plinius allein durch ihre Umschreibung als „minores picturae” angezeigt, und sie wird auch deutlich in einer von ihm kolportierten Anekdote, derzufolge ein Besucher des römischen Forums ein dort hängendes Bild mit einem alten Hirten nicht einmal hätte geschenkt haben wollen. Dennoch gelang es einem Maler wie Peiraikos mit seinen Genrebildern höchsten Ruhm und höchste Preise zu erzielen, und damit im Prinzip eine Durchbrechung der Normen. In den späteren Debatten um die Aufnahme von Genremalern an die Akademien wird es letztlich immer um denselben Kerngedanken gehen: Wie hoch ist die künstlerische Leistung in einem gut gemalten Genrebild zu beurteilen, wenn es sich doch nur um „einfache” Malerei handelt?
Es sind nicht unbedingten die „großen” Theoretiker, welche die interessantesten Argumentationen zum Genre entwickeln; oft findet man eine erfrischende Klarheit gerade bei den „kleinen”, und hier lassen sich in Gaehtgens’ Buch interessante Entdeckungen machen. So empfiehlt der wenig bekannte und hier erstmals übersetzte Text des Amsterdamer Anwalts Jan de Bisschop den holländischen Malern, die „schöne italienische Malerei” zu studieren und sich von der Vorstellung zu lösen, dass das Hässliche reizvoll anzuschauen sei, wenn es nur gut nachgeahmt sei. Vermutlich gegen Rembrandt richtet sich Bisschops spitze Bemerkung über die genrehafte Darstellung mythologischer Gestalten wie Leda oder Danae „mit den Abdrücken von Strumpfbändern an den Beinen und anderen Abartigkeiten mehr”.
VALESKA VON
ROSEN
BARBARA GAEHTGENS: Genremalerei. (Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren 4) Reimer Verlag, Berlin 2002. 511 Seiten, 29,90 Euro.
Prunkendes Genre: Im Umkreis Caravaggios sind einige meisterlich komponierte großformatige Stillleben entstanden, die heute behelfsmäßig jenem Meister zugeschrieben werden, der das im Wadsworth Atheneum aufbewahrte Prunkstillleben gemalt hat. Zu diesen Meisterwerken zählt auch das abgebildete Stillleben, das bislang nie gezeigt worden ist. Wir entnehmen es dem Katalog der bis zum 23.Februar geöffneten Stillleben-Ausstellung der Hypo-Kunsthalle München.
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Wie der Mann, so sein Werk: Ein Band zur Genremalerei beschließt die Berliner Reihe zur Geschichte der klassischen Bildgattungen
Für die Malerei der Neuzeit waren die Bildgattungen und die mit ihnen verknüpften Konventionen von immenser Bedeutung. Sie determinierten die Produktions- und die Rezeptionsbedingungen, lange bevor in den Akademien des achtzehnten Jahrhunderts die fünf Gattungen – Historie, Porträt, Genre, Landschaft und Stillleben – in ihrer Wertigkeit und Rangfolge festgeschrieben wurden. Selbst das Opponieren gegen ein solches Regularium in der Moderne lässt sich letztlich nicht verstehen, kennt man nicht die Normen, gegen die angearbeitet wurde. Entsprechend wichtig und verdienstvoll ist die vom Kunsthistorischen Institut der Freien Universität in Berlin herausgegebene Buchreihe zur „Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren”, die nun mit dem letzten, von Barbara Gaehtgens betreuten Band zur Genremalerei abgeschlossen ist.
Alle fünf Bände verfahren weit gehend nach demselben Muster: Nach einer Einleitung zur Theorie der jeweiligen Gattung versammeln sie in chronologischer Reihenfolge Texte in Originalfassung und in Übersetzung, die von einem ausführlichen Kommentar begleitet werden. Es sind Auszüge aus veritablen Traktaten und Viten, kunstkritische Essays und Briefe. Nicht nur der ohnehin schwer bestimmbaren Grenzen zwischen diesen Theorieformen wegen, ist diese Kombination sinnvoll; sie verdeutlicht auch die Pluralität der Argumentationsweisen und Meinungen, die sich oft gerade nicht auf der chronologischen Achse ordnen und damit als „Entwicklung” der Theorie beschreiben lassen. So stecken die Texte ein Diskursfeld ab, in das sich die Gemälde vielgestaltig einschreiben.
Die Genremalerei ist nicht nur die am wenigsten distinkte und wohl auch die umstrittenste der fünf Bildgattungen, sie existierte auch lange bevor es den entsprechenden Terminus gab: Er begegnet erstmals im späteren achtzehnten Jahrhundert bei Diderot. Zuvor wurden die Bilder je nach Sujet etwa als „Groteske”, „Bambocciade”, als „Markt”- oder „Küchenstück” bezeichnet. Für die theoretische Fundierung der Gattung wurden Aristoteles’ Bemerkungen über die Komödie in der „Poetik” wichtig. Denn wie die Historie – der literarischen Gattung der Tragödie entsprechend – wichtige Persönlichkeiten in bedeutenden Handlungen schildert, so stellen Genrebilder – wie Komödien – „anonyme ‚unhistorische‘ Figuren in ihrem individuellen Lebensbereich, ihrem zuständlichen Dasein oder bei unspektakulären Ereignissen” dar, wie Gaehtgens die Gattung prägnant definiert.
Auch die Maler holten sich Anregungen in den antiken Schriften, etwa wenn El Greco wie der von Plinius erwähnte Antiphilos einen Jungen malt, der einen Holzscheit anbläst, oder wenn Caravaggio einen Knaben mit Fruchtkorb darstellt und so das „niedrige” Thema durch die Nachschöpfung eines Gemäldes von Zeuxis aufwertet. Erstaunlicherweise zeigt Gaehtgens’ Zusammenstellung der antiken Texte, dass der größere Teil der späteren Argumentationen für oder gegen das Genrebild in ihnen bereits in nuce enthalten ist. So fordern Aristoteles und Horaz eine dem Gegenstand adäquate Gestaltungsweise, wodurch sie bereits die in der Neuzeit im Zusammenhang mit dem Genrebild stets problematische Kategorie des „Angemessenen” aufrufen. Weiterhin bestimmte Aristoteles das Ziel der Komödie – und damit indirekt auch des Genre – in der Erzeugung von Vergnügen beim Rezipienten. Merkwürdig aus moderner Perspektive mutet seine Bemerkung über die Interdependenz vom Charakter des Dargestellten zu dem des Darstellenden an. Doch begegnet der Gedanke in Arnold Houbrakens Diktum „wie der Mann – so sein Werk” wieder, und er prägte wohl auch eine Reihe von Künstler-„Images”, wie das des „Malerrebellen” Caravaggio.
Auch für die Frage nach der absoluten oder relativen Wertigkeit von Genrebildern sind die Positionen bereits in den antiken Texten vorgeprägt und lassen den Rückschluss auf entsprechend kontrovers geführte Diskussionen zu. So wird die Niedrigkeit der Gattung bei Plinius allein durch ihre Umschreibung als „minores picturae” angezeigt, und sie wird auch deutlich in einer von ihm kolportierten Anekdote, derzufolge ein Besucher des römischen Forums ein dort hängendes Bild mit einem alten Hirten nicht einmal hätte geschenkt haben wollen. Dennoch gelang es einem Maler wie Peiraikos mit seinen Genrebildern höchsten Ruhm und höchste Preise zu erzielen, und damit im Prinzip eine Durchbrechung der Normen. In den späteren Debatten um die Aufnahme von Genremalern an die Akademien wird es letztlich immer um denselben Kerngedanken gehen: Wie hoch ist die künstlerische Leistung in einem gut gemalten Genrebild zu beurteilen, wenn es sich doch nur um „einfache” Malerei handelt?
Es sind nicht unbedingten die „großen” Theoretiker, welche die interessantesten Argumentationen zum Genre entwickeln; oft findet man eine erfrischende Klarheit gerade bei den „kleinen”, und hier lassen sich in Gaehtgens’ Buch interessante Entdeckungen machen. So empfiehlt der wenig bekannte und hier erstmals übersetzte Text des Amsterdamer Anwalts Jan de Bisschop den holländischen Malern, die „schöne italienische Malerei” zu studieren und sich von der Vorstellung zu lösen, dass das Hässliche reizvoll anzuschauen sei, wenn es nur gut nachgeahmt sei. Vermutlich gegen Rembrandt richtet sich Bisschops spitze Bemerkung über die genrehafte Darstellung mythologischer Gestalten wie Leda oder Danae „mit den Abdrücken von Strumpfbändern an den Beinen und anderen Abartigkeiten mehr”.
VALESKA VON
ROSEN
BARBARA GAEHTGENS: Genremalerei. (Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren 4) Reimer Verlag, Berlin 2002. 511 Seiten, 29,90 Euro.
Prunkendes Genre: Im Umkreis Caravaggios sind einige meisterlich komponierte großformatige Stillleben entstanden, die heute behelfsmäßig jenem Meister zugeschrieben werden, der das im Wadsworth Atheneum aufbewahrte Prunkstillleben gemalt hat. Zu diesen Meisterwerken zählt auch das abgebildete Stillleben, das bislang nie gezeigt worden ist. Wir entnehmen es dem Katalog der bis zum 23.Februar geöffneten Stillleben-Ausstellung der Hypo-Kunsthalle München.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Valeska von Rosen ist von dem letzten Band der Reihe "Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren" zur Genremalerei wie auch schon von den vorhergehenden Bänden sehr angetan. Analog zu den bereits erschienen Bänden würden nach einer Einführung in die Theorie der Bildgattung in chronologischer Reihenfolge Texte zur Genremalerei nebst Übersetzung und Kommentar geboten, beschreibt die Rezensentin. Dabei, so von Rosen erfreut, seien jenseits der großen, hinlänglich bekannten Kunsttheoretiker durchaus Entdeckungen zu machen. So findet sie besonders den Traktat des Amsterdamers Jan de Bisschop zur holländischen Genremalerei, der in diesem Buch erstmalig in deutscher Übersetzung vorliegt, aufschlussreich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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