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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Verlag: DuMont Buchverlag
  • Seitenzahl: 359
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 514g
  • ISBN-13: 9783770148158
  • ISBN-10: 3770148150
  • Artikelnr.: 24013064
  • Herstellerkennzeichnung
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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Werner Hofmann, selbst berühmter Kunsthistoriker, bespricht diesen Aufsatzband von Kollege zu Kollege. Er lobt Sauerländers Methodenreichtum, der der Sache immer angemessen sei, und faltet seinen Themenreichtum auf: vom Mittelalter bis zu Marcel Proust. Mit Bedauern vermerkt er das Fehlen von Sauerländers Fragonard-Aufsatz, der eine Brücke von früheren Jahrhunderten zum 19. Jahrhundert geschlagen hätte. Hofmann spricht über Sauerländers Frankophilie, der nichts Schwärmerisches anhafte und geht besonders auch auf die Studien Sauerländers zu anderen Kunsthistorikern ein. Als wohltuend empfindet Hofmann, dass Sauerländer die "sorgenvollen Debatten über eine Krisis der Kunstwissenschaft" als Gerede abtue - und dies, obwohl auch er den Kunstbegriff als endgültig zerbrochen empfinde.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Können Sie den Touch verstehen?
Willibald Sauerländer spürt den Hauch, der durch Kunstgeschichte weht / Von Werner Hofmann

Was tut der Kunsthistoriker, wenn die Bilder aus der Kunst davonlaufen? Stellt er sich blind, will er sie zurückholen oder setzt er hinter den Exodus einen neuen Bildbegriff, der so neu gar nicht ist? Wenn er etwa auf das Weltgerichtstympanon von Sainte-Foy in Conques blickt, empfiehlt ihm Willibald Sauerländer, sich von den Interpretationsweisen unseres Jahrhunderts zu trennen und nicht nach vergeistigter Formensprache zu suchen, sondern ganz einfach "mittelalterliche Bilder . . . buchstäblicher und naiver" anzusehen. Etwa wie Comicstrips? Von dieser Empfehlung trennte sich Sauerländer, als er daranging, Poussins "Jahreszeiten" im Louvre auszuloten, um hinter der vordergründigen Verquickung von Landschaft und biblischen Themen (vom Sündenfall bis zur Sintflut) eine weitere, alle vier Bilder durchdringende Bedeutungsebene zu ermitteln. Nun gibt er sich nicht mit dem Buchstäblichen zufrieden, mit schnell identifizierbaren biblischen Akteuren im "neuzeitlichen Bild von der Landschaft", sondern sieht "Formen und Sinnbilder, die einer zurückliegenden transzendenten Weltvorstellung entstammen", in sie eingeschmolzen. Als heilsgeschichtliche Allegorien verstanden, berühren sich die vier Landschaften mit der Botschaft des romanischen Weltgerichts - was dort explizit erzählt wird, tritt uns nun verschlüsselt entgegen und bedarf der weitläufigen ikonologischen Beweisführung.

Wenn ihn die visuelle Evidenz nicht befriedigt, auf die er in Conques setzt - die Adressaten der drastisch deutlichen Mahnung waren die nach Santiago de Compostela strömenden Pilgerscharen -, macht sich Sauerländer auf die Suche nach Doppelbödigkeit - so in Fragonards Schäferliebschaften (Amours des Bergers) in der Frick Collection. Die antiken Skulpturen in der Gartenlandschaft sind für ihn nicht bloß schmückende Requisiten, er integriert ihre Kunstebene dem Bildgeschehen und weist sie als dessen ikonische Paraphrasen nach. Leider fehlt der Fragonard-Aufsatz in der vorliegenden Auswahl; er würde das strenge siebzehnte Jahrhundert (Poussin) mit der Nonchalance des neunzehnten verbunden haben, welches in Manet, einer seiner Zentralgestalten, auftritt.

Sauerländer bedient sich weder der ikonologischen noch der gesellschaftskritischen Sonde, sondern begnügt sich damit, den "Phänomensinn" (Panofsky) einiger Hauptwerke in seiner Rätselhaftigkeit zu evozieren, wobei ihm Gedichte von Mallarmé assistieren. So gewinnt sein suggestiver essayistischer Zugriff "Einblicke in Glanz, Langeweile und Tragödien eines sich selbst fragwürdig werdenden Bürgerdaseins", und er spürt, wie von dieser Unsicherheit noch hundert Jahre später - wir lesen einen Aufsatz über die Manet-Ausstellung von 1983 - die "retrospektiven Sehnsüchte der Besucher" angezogen werden. Die subtile Ausstellungskritik gilt einem "sozialarchäologischen Erlebnis".

Was geschieht, wenn diese bürgerliche Sensibilität sich nicht bloß in Bildern darstellt, sondern ihre gesamte Umwelt ästhetisch sublimiert, das erfahren wir in dem faszinierenden Vortrag über Proust und die Malerei. Die Projektionen der Laterna magica, Prousts prägendes Kindheitserlebnis, gleiten verfremdend und buchstäblich verzaubernd über die Möbel und Wände eines Salons hinweg, so dass Bildzwitter entstehen, in denen die aufwendigen Interieurs des Jahrhundertendes sich mit mittelalterlichen Rittergeschichten verbinden. Wieder eine Welt aus zwei Ebenen. Ob Prousts Dingwahrnehmung, weil sie auf die präzisen Namen der Gegenstände verzichtet, den Dichter zu einem Anti-Panofsky macht, wie Sauerländer in einer Boutade meint, bleibe dahingestellt. Eher dürfte es hier um Nietzsches Einsicht gehen, dass es "zwischen Subjekt und Objekt keine Kausalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern höchstens ein ästhetisches Verhalten" gibt.

Conques, Poussin, Manet, Proust: Wir sehen einen Kunsthistoriker mit weitgespannten Interessen, der den konkreten Werken die verschiedensten Fragestellungen entnimmt und dabei unterschiedliche Methoden erprobt. Doch tut er das nicht nach freiem Belieben und Ermessen, denn er weiß, dass jede Kunstwirklichkeit "in ihrem eigenen historischen Kontext, aus ihren spezifischen realen Gegebenheiten heraus verstanden werden muss". Damit endet der Aufsatz über "Cluny und Speyer", den burgundischen Neubau des Abtes Hugo von Sémur und den etwa gleichzeitigen, von Heinrich IV. betriebenen Umbau des Doms zu Speyer. In seiner baugeschichtlichen Morphologie gelingt es Sauerländer, kein einziges Mal die deutsche oder die französische "Volksseele" ins Treffen zu führen oder gar mit "Sonderleistungen" zu argumentieren. Dafür lässt der Mediävist Sauerländer den Satz gelten, den der von ihm bewunderte Wilhelm Vöge 1894 schrieb: "Trotz Kaiser und Reich, Frankreich ist das wichtigste Kulturland des Mittelalters, hier lebt dasselbe sein intensivstes Leben, hier gestaltet sich letzteres zu den klassischen Daseins- und Denkformen."

Sauerländers Frankophilie haftet nichts Schwärmerisches an. Er hat sie sich in den sechs Jahren seines Aufenthaltes in Paris (1954 bis 1959) redlich erarbeitet. Mediävisten wie Grodecki erschlossen ihm den genauen Umgang mit den Fakten und ließen ihn auf Distanz zur feierlichen Kathederrhetorik seiner deutschen Lehrer und Kollegen gehen. In der französischen akademischen Welt fand er Zuspruch für seine Absicht, "einen rationaleren, zivileren, säkularisierteren Umgang" mit den Kunstwerken zu finden. Zu den Ergebnissen zählen die Aufsätze über Cluny und Speyer und das Weltgerichtstympanon. Zum französischen Positivismus kam der Kontakt mit Panofsky. Der große Forscher beeindruckte weniger als Fundgrube der Gelehrsamkeit denn als ein souveräner Kopf voller geistreicher Assoziationen. So wie Sauerländer Viollet-le-Ducs trockene Kostümkunde des Mittelalters mit den Toiletten der "Recherche du temps perdu" überblendet und zum Funkeln bringt, so genoss er die "sinnlichen Mythen- und Märchenerzählungen" des Großen Pan. Ihn wieder nach Deutschland zurückzuholen, gelang zwar nicht, dafür wurde Sauerländer 1961 an das Institute for Advanced Study in Princeton eingeladen.

Zu Sauerländers fünfundsiebzigstem Geburtstag ist nun ein Band mit Aufsätzen erschienen. Er enthält, wie der Doppeltitel ankündigt, Untersuchungen zur Kunstgeschichte, gefolgt von Essays über Kunsthistoriker. Der dritte Abschnitt verschränkt die beiden ersten und analysiert die Kritik der Kunstgeschichte und des Kunstgeschehens. Vorangestellt ist ein sehr schöner Prodomo-Aufsatz: die "Zersplitterte Erinnerung" des Verfassers an seinen Bildungsweg, der zu den nicht zahlreichen Beispielen bewältigter Vergangenheit in der Bundesrepublik zählt.

Es ist, als hätte Sauerländer mit Bedacht die fünf Kunsthistoriker ausgewählt, denen er seine Porträtanalysen widmet. Sie alle projizieren, bewusst oder unbewusst, die Wahrnehmungsmodi ihrer eigenen Zeit auf die Vergangenheiten. Viollet-le-Ducs Kostümkunde steht in der Tradition der von Balzac begründeten "Physiologie de la toilette" und würdigt die Kleidung zuweilen als einen "Hauch", der selbst im Mittelalter dem Körper seine Freiheit belässt. Dahinter steht Winckelmann. (Worringer wird daraus die luftige Analogie "Griechentum und Gotik" konstruieren.) Auch bei Vöge, dem Initiator der deutschen Mittelalterforschung, glaubt Sauerländer die "Stimme Winckelmanns" zu hören.

Aber noch lebhafter empfindet und analysiert er Vöges Version dessen, was Nietzsche sich als "Doppelblick" attestierte, die Spannung zwischen naturwissenschaftlicher Exaktheit und künstlerischem Enthusiasmus. Er sieht den schwer Nervenkranken, an dessen Freund Warburg denkend, "zerrissen zwischen dem ärztlichen Blick Morellis (des positivistischen Stilkritikers) und der Trunkenheit Nietzsches . . ." - 1916 musste sich Vöge von der Freiburger Universität in den Ruhestand versetzen lassen. Auch die bahnbrechende Leistung Alois Riegls beruht letztlich auf einer mentalen Zersplitterung, dem produktiven Konflikt zwischen genauester Materialkunde und einem universalhistorischen Konstrukt. Bei Hans Sedlmayr wieder lässt sich eine obsessionelle Faszination durch die "Moderne" nachweisen, die zwischen kalter Analyse und exorzistischem Eifer schwankt.

Schließlich Meyer Schapiro, der "große Außenseiter", weder Kenner noch Ikonologe oder Theoretiker. Auch er war ein Mediävist von hohem Rang, der jedoch, monokausalem Denken abhold, die "aesthetic attitude" etwa der Romanik nicht übersah, sondern als Gegenwirklichkeit an den theologisch gebundenen Aussagen mitwirken sah. Darin folgte er Julius von Schlosser. Sauerländer hebt auf Schapiros zentrales Kriterium der Inkoheränz ab: Sie zeigt sich in der "Stilmischung" (Wickhoffs Entdeckung) und in dem Abstand, der zwischen den Merkmalen einer Kultur und ihrer Kunst liegt. Mit Recht hebt er einen Satz aus Schapiros Aufsatz über neuere abstrakte Malerei hervor: "Was Malerei und Skulptur heute so interessant macht, ist ihr hoher Grad an Nichtkommunikation."

Damit ist das Terrain bereitet für den dritten Abschnitt der Aufsatzsammlung. "Von Stilus zu Stil" lässt die Auseinandersetzung mit Schapiros großem Stil-Aufsatz von 1953 erwarten, die jedoch nicht stattfindet. Mit Vergnügen liest der Betroffene die nachsichtig-scharfsinnigen Überlegungen zu der Hamburger Ausstellung "Kunst - was ist das?" von 1977. Sauerländer nimmt diese Lockerungsübung ernst und erkennt sie als Empfehlung, die Frage nach der Kunst aus dem jeweiligen Kontext zu beantworten.

Sauerländer ist kein Krisenseismograph. Die sorgenvollen Debatten über eine Krisis der Kunstwissenschaft sind für ihn bloß Gerede. Gleichwohl trifft er sich mit Hans Belting in der Frage: "Ist der Kunstbegriff also endgültig zerbrochen, auf dem Kunstgeschichte als Disziplin gründete?" Er ist es, aber das macht den Kunsthistoriker nicht brotlos: "Das Material der Kunstgeschichte wird in einer neuen Medienlandschaft aufgehen, die nicht nur vom traditionellen Wertgefüge entlastet sein wird, sondern in der auch das private Kunsterlebnis gewohnter Art durch eine Vielzahl von Surrogatangeboten ersetzt werden wird. Dieser Prozess ist faszinierend, und er eröffnet für eine Bildwissenschaft ungeahnte, surreale Perspektiven, aber er bringt auch eine ganz neue Dimension von Entfremdung und Identitätsverlust mit sich." Man sieht: Optimistisch in die Zukunft blickend, geht der Präzisionist Sauerländer vom Standbein auf das Spielbein über und setzt auf sein Phantasiepotential. L'imagination au pouvoir! hieß es vor dreißig Jahren in Paris.

Willibald Sauerländer: "Geschichte der Kunst - Gegenwart der Kritik". Hrsg. von Werner Busch, Wolfgang Kemp, Monika Steinhauser und Martin Warnke. DuMont Verlag, Köln 1999. 359 S., 74 Abb., br., 49,90 DM.

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