Ehrhart Neubert, als ostdeutscher Theologe und Soziologe jahrelang selbst mit der Friedensbewegung verbunden, legt hier eine erste Gesamtdarstellung der unterschiedlichen Oppositionskräfte in der DDR vor. Die Darstellung zeigt, daß die DDR-Opposition klare eigene Vorstellungen zur Deutschlandpolitik, Rechtsstaatlichkeit und zum zivilisatorischen Wert von Freiheit hatte, die auch noch über das Jahr 1990 hinauswirken.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.1997Eigenwillige Persönlichkeiten und idealistischer Überschuß
Größe und Schwäche der "systemimmanenten Opposition" in der DDR
Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989. Ch. Links Verlag, Berlin 1997. 960 Seiten, 48,- Mark.
Hier berichtet ein Mitgestalter und Mitbetroffener, einer, der fast jeden, jede Gruppe und jeden Vorgang in der Dissidenten-Szene der späten DDR, der DDR Honeckers, dieses relativ kleinen und überschaubaren Gebildes, in irgendeiner Weise kannte und miterlebte und den die dokumentarische Fülle seines Materials nahezu erdrückt. Zu den verarbeiteten 680 Literaturquellen treten Hunderte unveröffentlichte Texte, meist Unikate aus persönlichem Besitz, deren (zum Teil wiederholte) Auflistung jeweils am Ende der 106 Kapitel die wissenschaftliche Erschließung der Materialfülle nicht gerade erleichtert.
Die systematische Lektüre wird durch das Fehlen eines Sachwortverzeichnisses und fehlende Wiedergabe der bis dreifach untergliederten Kapitelteilungen im Inhaltsverzeichnis erschwert. Da der Autor chronologisch vorgeht, bietet nur das Personenregister die Möglichkeit, zusammengehörige, aber zeitlich verteilt dargestellte Einzelthemen, wie etwa die für die Leipziger Ereignisse wichtige Vita des Pfarrers Wonneberger (Dresden/Leipzig), im Zusammenhang zu lesen. Auch bleibt bei solcher Verwurzelung in mündlichen und schriftlichen Originalen der Rückgriff auf Sekundär- und sogar Tertiärliteratur unverständlich, was zum Beispiel für die Redebeiträge Ulbrichts und Mitzenheims am 29. Februar 1968 zur Staats-beziehungsweise Kirchengrenzen-Frage über Besier (1995) zum Kirchlichen Jahrbuch 1968 und von dort zur Tageszeitung "Neue Zeit" vom 2. März 1968 als allgemein zugänglicher Primärquelle führt.
Das mindert aber den Wert dieser im Detail akribischen und auch zuverlässigen Darstellung nur unwesentlich. Sie will im Zusammenhang gelesen werden und liest sich für den gelernten DDR-Bürger fast wie ein Roman, der aber ein Bericht ist vom Leben in der DDR, das so nur einer wiedergeben kann, der selbst engagiert war, auch selbst Partei nahm, in der Kirche, in der Politik. Erstaunlich, wie der engagierte Zeitzeuge dennoch rückblickend in beachtlicher Weise um Objektivität bemüht ist, gerade wenn aus einstigen Freunden heute Gegner geworden sind und aus Gegenspielern Mitstreiter, und wenn die Rückschau auch die Illusionen bloßlegt. So ist ein Buch zustande gekommen, das in vieler Hinsicht zum Nachdenken anregt.
Die Reichhaltigkeit dieses hochinteressanten, für den DDR-Normalbürger in dieser Vielfalt unbekannten Materials offenbart die ganze Isoliertheit des Geschehens um die DDR-Dissidenten. Meist war das Berichtete - wenn überhaupt - breiteren Kreisen nur ansatzweise dadurch bekanntgeworden, daß Journalisten aus dem Westen, im Deutschlandfunk etwa, berichteten. Hier nun findet sich der Gesamtzusammenhang für einst bruchstückhafte, oft sehr vage Informationen.
Ehrhart Neubert (Jahrgang 1940), bis 1984 Gemeinde- und Studentenpfarrer in Thüringen, dann bis 1992 Referent der Theologischen Studienabteilung beim DDR-Kirchenbund (BEK) in Berlin, jetzt Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, vertritt, wenn auch als Älterer und Betreuender, eine Generation, deren politisches Bewußtsein keinen eigenen Erfahrungsbezug mehr zum Deutschen Reich, zur NS-Zeit, zu Kirchenkampf und zum Krieg hatte und sich unter der geistigen und personalen Verfügungsgewalt einer bereits abgeschotteten und vom Westen anerkannten DDR entfalten mußte. Von daher sind die geistigen Auseinandersetzungen in der DDR nach Mauerbau und Grundlagenvertrag mit dem vorhergehenden gesamtdeutsch geprägten Ringen um Einheit und Freiheit für ganz Deutschland und gegen die Konsolidierung, ja teilweise gegen die Existenz der DDR überhaupt, schwerlich auf eine Traditionslinie zu bringen, gleich gar nicht beginnend mit dem Willkürdatum 1949.
Neubert beginnt denn auch seine Geschichte entgegen dem Titel mit dem Jahr 1945, um bereits nach 200 Seiten im Jahr 1972 am Beginn jener virulenten Entwicklung um die Themen "Menschenrechte", "Frieden" und "Umwelt" zu stehen, deren vielfältig verästelte Geschichte von ihren Anfängen mit Havemann, KSZE, offener kirchlicher Jugendarbeit und so weiter bis zu ihrem Ende Anfang 1990 auf 700 Seiten kundig und breit entfaltet wird.
Gegenüber dem Streben nach Beseitigung von Kommunismus und DDR von gesamtdeutscher, das heißt notwendigerweise weitgehend westdeutscher Basis aus konnte nach 1972 in der DDR legal nur an eine Überwindung der Kluft zwischen dem Anspruch sozialistischer Ideen und der Wirklichkeit des realen Sozialismus gedacht werden, ohne dabei das DDR-System selbst in Frage zu stellen. Solches Unterfangen blieb daher stets eingebunden in die "Weltanschauung" und Wertungen des DDR-Sozialismus.
Problematischer Begriff
Dieses aus taktischen oder auch prinzipiellen Gründen um Legalität bemühte Handeln kennzeichnet Neubert mit dem Begriff "systemimmanente Opposition", die der Repressionsapparat des SED-Systems seinerseits unentwegt zu kriminalisieren versuchte. Alles auf diese Legalität aber von vornherein verzichtende, gar gegen die Existenz der DDR gerichtete Handeln mit bewußter Inkaufnahme von Haft und staatlicher Gewalt wird unter "Widerstand" eingereiht (zum Beispiel die Aktionen von Ulrich Schacht für Dubceks CSSR 1968) und ist nicht Gegenstand der Darstellung.
In diesem Ansatz, der nur Auseinandersetzungen im Rahmen des Systems als "Opposition" gelten lassen will, liegt die Schwäche der Darstellung wie auch der beschriebenen geistigen (organisiert konnte sie nicht sein) Bewegung überhaupt. Es wird damit die Haltung einzelner und von Gruppen ignoriert, die aus eigenem Erleben das Unternehmen "DDR" samt "Sozialismus" aus nationalen, ökonomischen und ordnungspolitischen Gründen für eine grundsätzlich verfehlte Angelegenheit hielten: ein Sache, über deren Beseitigung man sich Gedanken machen sollte, nicht aber über deren Reparatur. Mangels realer Aussicht auf ein Ende oder Entkommen aus der DDR wurde dabei nüchtern auf öffentliches Opponieren als existenzgefährdend und letztlich sinnlos verzichtet, um im privaten Bereich bewußt gegen das SED-System zu leben.
Das unter Umständen hieraus folgende, dann aber doch sehr demonstrative Nein gegen die DDR mit einem "Ausreiseantrag" übertraf an gesellschaftspolitischer Wirkung zunächst die der "systemimmanenten Opposition" bei weitem. Sie stieß auf eine konstante Grundhaltung nicht unerheblicher Teile der DDR-Bevölkerung, die sich einst am 17. Juni 1953 gezeigt hatte, am 19. März 1970 beim Brandt-Besuch in Erfurt laut wurde ("Willy Brandt, regier du unser Land!") sowie erneut am 19. Dezember 1989 bei Kohls Auftritt vor der Frauenkirche in Dresden ("Helmut, nimm uns an die Hand!") und die in den Wahlen des Jahres 1990 einen Großteil der Ideen der "systemimmanenten Opposition" endgültig als "idealistischen Überschuß" auswies.
Von diesem Ansatz her gerät aber auch der Ursprung der die anfangs recht erfolgreiche DSU bildenden Gruppen aus Sympathieträgern für die CSU und Franz Josef Strauß überhaupt nicht ins Blickfeld. Auch die - freilich bescheidene - Wirkung der auf Bekenntnistreue bedachten Kirchenkreise (in Sachsen zum Beispiel "Bekennende Kirche", "Kirche und Bekenntnis"), die die Friedensgruppen als Schrittmacher kirchenleitender Linksorientierung ablehnten (deswegen interessanterweise Ärger mit der Staatssicherheit bekamen) und deren Vertreter etwa im sächsisch-landeskirchenamtlichen Arbeitskreis "Kirche und Gesellschaft" die Nato-Nachrüstung verteidigten, liegt außerhalb der Betrachtung.
Unter diesen Einschränkungen wäre es wohl sachgerechter, den zwar unzureichenden, aber gebräuchlichen, Begriff "Bürgerrechtler" zu verwenden statt den mißverständlichen, wenn auch von den Beteiligten bevorzugten einer "Opposition". Neubert relativiert diesen zwar selbst ("Die DDR-Opposition als eine einheitliche Größe ist lediglich eine Projektion"). Doch im Laufe der Darstellung verselbständigt der Begriff sich immer wieder, indem "die" Opposition "reagiert", "akzeptiert", "sich im Konflikt befindet", was den Eindruck erweckt, als sei hier mehr am Werk als eine Vielzahl sehr individueller, sehr differenzierter einzelner, verbunden oft nur durch das gemeinsame Schutzdach der Kirche für diese Friedens- und Umweltgruppen, unterschieden aber durch ebendieses Dach wiederum auch von der atheistischen Mehrheit der DDR-Bevölkerung.
Was bleibt
Diese Gruppen haben geistig sehr intensiv gearbeitet und "in unzähligen schriftlichen Positionsbestimmungen, Zielvorgaben, Erklärungen" um ihr Selbstverständnis gerungen. Man ist versucht, an den Arbeitsstil der West-Grünen zu denken. Die organisatorische Differenzierung im Herbst 1989 reichte denn auch von Neuem Forum und Demokratischem Aufbruch bis zu Trotzkisten und Anarchisten, wobei sich etwa der Demokratische Aufbruch seinerseits sowohl auf Rainer Eppelmann wie Edelbert Richter, Daniela Dahn wie Ehrhart Neubert stützte.
Doch in solcher Formung eigengeprägter und oft genug gegensätzlicher politischer Persönlichkeiten liegt wohl ein herausragendes Ergebnis des historischen Phänomens "systemimmanenter Opposition in der DDR", wenn nicht gar - mangels massenwirksamer Früchte - die bleibende Leistung überhaupt, neben anderen unbestreitbaren Erfolgen wie der Rettung und Öffnung der Stasi-Unterlagen.
"Viele Vorgänge der Oppositionsgeschichte bis zur Wende sind auch durch die Persönlichkeitsstrukturen der Akteure, ihren individuellen Mut, ihre Alleingänge . . . geprägt": Der - für die Kirchenoberen und gewiß nicht nur für sie - sehr querköpfige Pfarrer Christoph Wonneberger "gab ab 1986 die entscheidenden Impulse, die Leipzig Ende der achtziger Jahre zum Zentrum der Revolution machten". Und ohne die Idee der "eigenwilligen und energischen Anette Ebischbach, die sich den Rufnamen Johanna gegeben hatte", am 13. Februar 1982 an der Dresdner Frauenkirche mit der Gruppe "Wolfspelz" eine Schweigedemonstration mit Kerzen durchzuführen, würde es dieses rasch sich ausbreitende Symbol des friedlichen Aufbegehrens wohl gar nicht geben.
Ehrhart Neubert hält dies alles, zusammen mit einem wichtigen Stück DDR-Zeit- und Kirchengeschichte, durch seinen Bericht in lebendiger Erinnerung. Ein Buch, an dem künftige DDR-Geschichtsschreibung nicht vorbeikommen wird.
Eine Anmerkung zum Schluß sei allerdings gestattet: Eine Darstellung der Opposition in der DDR sollte sich den Gebrauch des von Egon Kreuz geprägten Begriffs der "Wende" für das Geschehen von 1989/90 versagen. Oder sollte die Verwendung dieses so unauslöschlich in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangenen Begriffes damit zusammenhängen, daß auch die Exponenten der ehemaligen DDR-Opposition die Ereignisse von 1989/ 90 - in merkwürdiger Gemeinsamkeit mit westlichen, veränderungsunwilligen Anschluß-Politikern - nicht als Revolution begreifen wollen? STEFFEN HEITMANN
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Größe und Schwäche der "systemimmanenten Opposition" in der DDR
Ehrhart Neubert: Geschichte der Opposition in der DDR 1949-1989. Ch. Links Verlag, Berlin 1997. 960 Seiten, 48,- Mark.
Hier berichtet ein Mitgestalter und Mitbetroffener, einer, der fast jeden, jede Gruppe und jeden Vorgang in der Dissidenten-Szene der späten DDR, der DDR Honeckers, dieses relativ kleinen und überschaubaren Gebildes, in irgendeiner Weise kannte und miterlebte und den die dokumentarische Fülle seines Materials nahezu erdrückt. Zu den verarbeiteten 680 Literaturquellen treten Hunderte unveröffentlichte Texte, meist Unikate aus persönlichem Besitz, deren (zum Teil wiederholte) Auflistung jeweils am Ende der 106 Kapitel die wissenschaftliche Erschließung der Materialfülle nicht gerade erleichtert.
Die systematische Lektüre wird durch das Fehlen eines Sachwortverzeichnisses und fehlende Wiedergabe der bis dreifach untergliederten Kapitelteilungen im Inhaltsverzeichnis erschwert. Da der Autor chronologisch vorgeht, bietet nur das Personenregister die Möglichkeit, zusammengehörige, aber zeitlich verteilt dargestellte Einzelthemen, wie etwa die für die Leipziger Ereignisse wichtige Vita des Pfarrers Wonneberger (Dresden/Leipzig), im Zusammenhang zu lesen. Auch bleibt bei solcher Verwurzelung in mündlichen und schriftlichen Originalen der Rückgriff auf Sekundär- und sogar Tertiärliteratur unverständlich, was zum Beispiel für die Redebeiträge Ulbrichts und Mitzenheims am 29. Februar 1968 zur Staats-beziehungsweise Kirchengrenzen-Frage über Besier (1995) zum Kirchlichen Jahrbuch 1968 und von dort zur Tageszeitung "Neue Zeit" vom 2. März 1968 als allgemein zugänglicher Primärquelle führt.
Das mindert aber den Wert dieser im Detail akribischen und auch zuverlässigen Darstellung nur unwesentlich. Sie will im Zusammenhang gelesen werden und liest sich für den gelernten DDR-Bürger fast wie ein Roman, der aber ein Bericht ist vom Leben in der DDR, das so nur einer wiedergeben kann, der selbst engagiert war, auch selbst Partei nahm, in der Kirche, in der Politik. Erstaunlich, wie der engagierte Zeitzeuge dennoch rückblickend in beachtlicher Weise um Objektivität bemüht ist, gerade wenn aus einstigen Freunden heute Gegner geworden sind und aus Gegenspielern Mitstreiter, und wenn die Rückschau auch die Illusionen bloßlegt. So ist ein Buch zustande gekommen, das in vieler Hinsicht zum Nachdenken anregt.
Die Reichhaltigkeit dieses hochinteressanten, für den DDR-Normalbürger in dieser Vielfalt unbekannten Materials offenbart die ganze Isoliertheit des Geschehens um die DDR-Dissidenten. Meist war das Berichtete - wenn überhaupt - breiteren Kreisen nur ansatzweise dadurch bekanntgeworden, daß Journalisten aus dem Westen, im Deutschlandfunk etwa, berichteten. Hier nun findet sich der Gesamtzusammenhang für einst bruchstückhafte, oft sehr vage Informationen.
Ehrhart Neubert (Jahrgang 1940), bis 1984 Gemeinde- und Studentenpfarrer in Thüringen, dann bis 1992 Referent der Theologischen Studienabteilung beim DDR-Kirchenbund (BEK) in Berlin, jetzt Mitarbeiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, vertritt, wenn auch als Älterer und Betreuender, eine Generation, deren politisches Bewußtsein keinen eigenen Erfahrungsbezug mehr zum Deutschen Reich, zur NS-Zeit, zu Kirchenkampf und zum Krieg hatte und sich unter der geistigen und personalen Verfügungsgewalt einer bereits abgeschotteten und vom Westen anerkannten DDR entfalten mußte. Von daher sind die geistigen Auseinandersetzungen in der DDR nach Mauerbau und Grundlagenvertrag mit dem vorhergehenden gesamtdeutsch geprägten Ringen um Einheit und Freiheit für ganz Deutschland und gegen die Konsolidierung, ja teilweise gegen die Existenz der DDR überhaupt, schwerlich auf eine Traditionslinie zu bringen, gleich gar nicht beginnend mit dem Willkürdatum 1949.
Neubert beginnt denn auch seine Geschichte entgegen dem Titel mit dem Jahr 1945, um bereits nach 200 Seiten im Jahr 1972 am Beginn jener virulenten Entwicklung um die Themen "Menschenrechte", "Frieden" und "Umwelt" zu stehen, deren vielfältig verästelte Geschichte von ihren Anfängen mit Havemann, KSZE, offener kirchlicher Jugendarbeit und so weiter bis zu ihrem Ende Anfang 1990 auf 700 Seiten kundig und breit entfaltet wird.
Gegenüber dem Streben nach Beseitigung von Kommunismus und DDR von gesamtdeutscher, das heißt notwendigerweise weitgehend westdeutscher Basis aus konnte nach 1972 in der DDR legal nur an eine Überwindung der Kluft zwischen dem Anspruch sozialistischer Ideen und der Wirklichkeit des realen Sozialismus gedacht werden, ohne dabei das DDR-System selbst in Frage zu stellen. Solches Unterfangen blieb daher stets eingebunden in die "Weltanschauung" und Wertungen des DDR-Sozialismus.
Problematischer Begriff
Dieses aus taktischen oder auch prinzipiellen Gründen um Legalität bemühte Handeln kennzeichnet Neubert mit dem Begriff "systemimmanente Opposition", die der Repressionsapparat des SED-Systems seinerseits unentwegt zu kriminalisieren versuchte. Alles auf diese Legalität aber von vornherein verzichtende, gar gegen die Existenz der DDR gerichtete Handeln mit bewußter Inkaufnahme von Haft und staatlicher Gewalt wird unter "Widerstand" eingereiht (zum Beispiel die Aktionen von Ulrich Schacht für Dubceks CSSR 1968) und ist nicht Gegenstand der Darstellung.
In diesem Ansatz, der nur Auseinandersetzungen im Rahmen des Systems als "Opposition" gelten lassen will, liegt die Schwäche der Darstellung wie auch der beschriebenen geistigen (organisiert konnte sie nicht sein) Bewegung überhaupt. Es wird damit die Haltung einzelner und von Gruppen ignoriert, die aus eigenem Erleben das Unternehmen "DDR" samt "Sozialismus" aus nationalen, ökonomischen und ordnungspolitischen Gründen für eine grundsätzlich verfehlte Angelegenheit hielten: ein Sache, über deren Beseitigung man sich Gedanken machen sollte, nicht aber über deren Reparatur. Mangels realer Aussicht auf ein Ende oder Entkommen aus der DDR wurde dabei nüchtern auf öffentliches Opponieren als existenzgefährdend und letztlich sinnlos verzichtet, um im privaten Bereich bewußt gegen das SED-System zu leben.
Das unter Umständen hieraus folgende, dann aber doch sehr demonstrative Nein gegen die DDR mit einem "Ausreiseantrag" übertraf an gesellschaftspolitischer Wirkung zunächst die der "systemimmanenten Opposition" bei weitem. Sie stieß auf eine konstante Grundhaltung nicht unerheblicher Teile der DDR-Bevölkerung, die sich einst am 17. Juni 1953 gezeigt hatte, am 19. März 1970 beim Brandt-Besuch in Erfurt laut wurde ("Willy Brandt, regier du unser Land!") sowie erneut am 19. Dezember 1989 bei Kohls Auftritt vor der Frauenkirche in Dresden ("Helmut, nimm uns an die Hand!") und die in den Wahlen des Jahres 1990 einen Großteil der Ideen der "systemimmanenten Opposition" endgültig als "idealistischen Überschuß" auswies.
Von diesem Ansatz her gerät aber auch der Ursprung der die anfangs recht erfolgreiche DSU bildenden Gruppen aus Sympathieträgern für die CSU und Franz Josef Strauß überhaupt nicht ins Blickfeld. Auch die - freilich bescheidene - Wirkung der auf Bekenntnistreue bedachten Kirchenkreise (in Sachsen zum Beispiel "Bekennende Kirche", "Kirche und Bekenntnis"), die die Friedensgruppen als Schrittmacher kirchenleitender Linksorientierung ablehnten (deswegen interessanterweise Ärger mit der Staatssicherheit bekamen) und deren Vertreter etwa im sächsisch-landeskirchenamtlichen Arbeitskreis "Kirche und Gesellschaft" die Nato-Nachrüstung verteidigten, liegt außerhalb der Betrachtung.
Unter diesen Einschränkungen wäre es wohl sachgerechter, den zwar unzureichenden, aber gebräuchlichen, Begriff "Bürgerrechtler" zu verwenden statt den mißverständlichen, wenn auch von den Beteiligten bevorzugten einer "Opposition". Neubert relativiert diesen zwar selbst ("Die DDR-Opposition als eine einheitliche Größe ist lediglich eine Projektion"). Doch im Laufe der Darstellung verselbständigt der Begriff sich immer wieder, indem "die" Opposition "reagiert", "akzeptiert", "sich im Konflikt befindet", was den Eindruck erweckt, als sei hier mehr am Werk als eine Vielzahl sehr individueller, sehr differenzierter einzelner, verbunden oft nur durch das gemeinsame Schutzdach der Kirche für diese Friedens- und Umweltgruppen, unterschieden aber durch ebendieses Dach wiederum auch von der atheistischen Mehrheit der DDR-Bevölkerung.
Was bleibt
Diese Gruppen haben geistig sehr intensiv gearbeitet und "in unzähligen schriftlichen Positionsbestimmungen, Zielvorgaben, Erklärungen" um ihr Selbstverständnis gerungen. Man ist versucht, an den Arbeitsstil der West-Grünen zu denken. Die organisatorische Differenzierung im Herbst 1989 reichte denn auch von Neuem Forum und Demokratischem Aufbruch bis zu Trotzkisten und Anarchisten, wobei sich etwa der Demokratische Aufbruch seinerseits sowohl auf Rainer Eppelmann wie Edelbert Richter, Daniela Dahn wie Ehrhart Neubert stützte.
Doch in solcher Formung eigengeprägter und oft genug gegensätzlicher politischer Persönlichkeiten liegt wohl ein herausragendes Ergebnis des historischen Phänomens "systemimmanenter Opposition in der DDR", wenn nicht gar - mangels massenwirksamer Früchte - die bleibende Leistung überhaupt, neben anderen unbestreitbaren Erfolgen wie der Rettung und Öffnung der Stasi-Unterlagen.
"Viele Vorgänge der Oppositionsgeschichte bis zur Wende sind auch durch die Persönlichkeitsstrukturen der Akteure, ihren individuellen Mut, ihre Alleingänge . . . geprägt": Der - für die Kirchenoberen und gewiß nicht nur für sie - sehr querköpfige Pfarrer Christoph Wonneberger "gab ab 1986 die entscheidenden Impulse, die Leipzig Ende der achtziger Jahre zum Zentrum der Revolution machten". Und ohne die Idee der "eigenwilligen und energischen Anette Ebischbach, die sich den Rufnamen Johanna gegeben hatte", am 13. Februar 1982 an der Dresdner Frauenkirche mit der Gruppe "Wolfspelz" eine Schweigedemonstration mit Kerzen durchzuführen, würde es dieses rasch sich ausbreitende Symbol des friedlichen Aufbegehrens wohl gar nicht geben.
Ehrhart Neubert hält dies alles, zusammen mit einem wichtigen Stück DDR-Zeit- und Kirchengeschichte, durch seinen Bericht in lebendiger Erinnerung. Ein Buch, an dem künftige DDR-Geschichtsschreibung nicht vorbeikommen wird.
Eine Anmerkung zum Schluß sei allerdings gestattet: Eine Darstellung der Opposition in der DDR sollte sich den Gebrauch des von Egon Kreuz geprägten Begriffs der "Wende" für das Geschehen von 1989/90 versagen. Oder sollte die Verwendung dieses so unauslöschlich in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangenen Begriffes damit zusammenhängen, daß auch die Exponenten der ehemaligen DDR-Opposition die Ereignisse von 1989/ 90 - in merkwürdiger Gemeinsamkeit mit westlichen, veränderungsunwilligen Anschluß-Politikern - nicht als Revolution begreifen wollen? STEFFEN HEITMANN
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