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Der Medizinhistoriker Heinz Schott und der klinische Psychiater Rainer Tölle legen eine umfassende, an den Sachproblemen und Praxisfragen orientierte Geschichte der Psychiatrie vor - ein Muß für jeden, der sich für die Geschichte der menschlichen Seele, ihrer Krankheiten und deren Behandlung interessiert. Die heutigen Lehrbücher der Psychiatrie gehen nicht mehr auf die Geschichte des Faches ein. Umgekehrt blenden historische Darstellungen der Psychiatrie den aktuellen Stand der Disziplin aus. Dabei ist der Bedarf an einer Zusammenführung beider Aspekte stärker als je zuvor: Viele der intern…mehr

Produktbeschreibung
Der Medizinhistoriker Heinz Schott und der klinische Psychiater Rainer Tölle legen eine umfassende, an den Sachproblemen und Praxisfragen orientierte Geschichte der Psychiatrie vor - ein Muß für jeden, der sich für die Geschichte der menschlichen Seele, ihrer Krankheiten und deren Behandlung interessiert.
Die heutigen Lehrbücher der Psychiatrie gehen nicht mehr auf die Geschichte des Faches ein. Umgekehrt blenden historische Darstellungen der Psychiatrie den aktuellen Stand der Disziplin aus. Dabei ist der Bedarf an einer Zusammenführung beider Aspekte stärker als je zuvor: Viele der intern und öffentlich geführten Kontroversen um die Psychiatrie lassen sich nur mit der nötigen historischen Tiefenschärfe angemessen verstehen und klären. Das vorliegende Werk, hervorgegangen aus der langjährigen Zusammenarbeit eines Medizinhistorikers und eines Psychiaters, ist eine systematische, an den theoretischen Konzepten und praktischen Problemen orientierte Geschichte der Psychiatrievon den Anfängen bis zur Gegenwart. In eigenen Kapiteln werden die Geschichte der Krankenversorgung, der psychiatrisch bedeutsamen Krankheiten sowie ihrer Therapieformen behandelt. Auch von der Fachwelt bisher weniger beachtete Themen, etwa Dämonologie und Mesmerismus, sind berücksichtigt. Zur Sprache kommen aber auch die Irrwege im 20. Jahrhundert, darunter insbesondere das Thema "Juden und Psychiatrie". Die ganz besondere Aufmerksamkeit der Autoren gilt schließlich der kritischen Auseinandersetzung mit dem Menschenbild in der Psychiatrie, wie sie sich in philosophisch orientierten Ansätzen, etwa der Daseinsanalyse oder der medizinischen Anthropologie, widerspiegeln.
Autorenporträt
Rainer Tölle, Prof. Dr. med., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, 1972-1998 Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik in Münster. Arbeits- und Forschungsgebiete: Psychotherapie und Pharmakotherapie der Psychosen, Wahnforschung, Geschichte der Psychiatrie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.2006

Der lange Schatten der Psychiatrie

Nach Foucaults "Wahnsinn und Gesellschaft" (1961) ist die traditionelle Psychiatriegeschichte obsolet. Das wissen auch die Autoren Heinz Schott und Rainer Tölle, der eine Medizinhistoriker, der andere Facharzt für Psychiatrie. Doch ihr angeblich "hermeneutischer" Zugang gießt nur alten Wein in neue Schläuche. Der Anspruch, eine "an den praktischen Problemen" orientierte Geschichte zu schreiben, bleibt uneingelöst.

Was sind in der Psychiatriegeschichte historische Fakten? Sicherlich nicht solche im Konjunktiv, wie man sie gelegentlich in dieser Darstellung findet: "Bereits 1527 soll es in Frankfurt am Main zur Errichtung eines eigenen Tollhauses gekommen sein, das vermutlich direkt dem Rat unterstand", lesen wir. Dabei weiß man in der Forschung seit mehr als zwanzig Jahren, daß von dem Bau eines Irrenhauses erst in den frühen 1560er Jahren die Rede ist. Wenn die Autoren "historische Begebenheiten" dagegen im Indikativ schildern, dann stimmen oft auch die Fakten nicht: Die ersten englischen Arbeitshäuser wurden per Gesetz erst 1576 und nicht 1545 eingerichtet. Doch was noch mehr als solche sachlichen Fehler irritiert, sind veraltete Sichtweisen in Verbindung mit einer fast unglaublich erscheinenden Ignoranz der neueren deutschsprachigen wie auch der internationalen Forschungsliteratur zur Geschichte der Psychiatrie.

Zunächst zum Perspektivwechsel. Während für die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Spitäler (Irrenhäuser eingeschlossen) bisher angenommen wurde, daß die medizinische Versorgung in diesen Einrichtungen, wenn überhaupt vorhanden, eher minimal war, haben neue Fallstudien dieses Bild revidiert. In den traditionellen Fürsorgeeinrichtungen wurde sehr wohl medizinisch behandelt, wenngleich nach dem damaligen therapeutischen Stand. Zur Therapie von Gemütskranken in der Vormoderne gehören die regelmäßige Beschäftigung der Insassen sowie gemeinsames Singen und Beten oder das Erlernen des Katechismus. Doch davon erfährt man hier nichts. Statt dessen werden zeitgenössische Berichte aufklärerisch gesinnter Reisender und Reformer aufgetischt, die unhaltbare Zustände in einzelnen Anstalten schildern, ohne daß die notwendige Quellenkritik, die historisches Arbeiten auszeichnet, zu erkennen ist.

Leider wird das Bild nicht besser, wenn die beiden Autoren auf die Geschichte der Psychiatrie der letzten zwei Jahrhunderte zu sprechen kommen. Wenn nicht von den rasch wechselnden Krankheitslehren oder Behandlungsformen die Rede ist, sondern der eher seltene Blick auf die Praxis geworfen wird, dann herrschen Zerrbilder vor und machen sich Fehleinschätzungen breit. Daß die Schweiz in der Zeit des Nationalsozialismus ein Zufluchtsort für psychisch kranke Menschen war, daran glaubt wohl nur jemand, der nicht Thomas Huonkers erschütterndes Buch (F.A.Z. vom 26. Januar 2004) kennt. Das Kapitel über die Militärpsychiatrie des Ersten und Zweiten Weltkriegs ignoriert die wichtigsten neueren Arbeiten zu den Kriegsneurosen (Babington, Riedesser/Verderber). Auch die Ausführungen über die Anfänge der forensischen Psychiatrie im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert sind bar jeder Kenntnis der relevanten neueren Literatur (Kaufmann, Lorenz und andere). Wie konnte der Beck-Verlag ein solch fehlerhaftes Buch durchwinken? Melancholie befällt den Leser wie "Der lange Schatten", der auf unserer Abbildung von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein zu sehen ist.

ROBERT JÜTTE

Heinz Schott, Rainer Tölle: "Geschichte der Psychiatrie". Krankheitslehren, Irrwege, Behandlungsformen. Verlag C. H. Beck, München 2006. 688 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als "gelehrtes und aktuelles Standardwerk" würdigt Wolfgang U. Eckart diese "Geschichte der Psychiatrie", die der Medizinhistoriker Heinz Schott und der Psychiater Rainer Tölle vorgelegt haben. Ihre "geradezu enzyklopädische Gesamtdarstellung" der Psychiatriegeschichte von der Dämonologie bis in die Gegenwart hat Eckart rundum überzeugt. Sie biete "sicheres, wohlgeordnetes Wissen" und weise "brillant" den Weg. Die Autoren stellten die Krankheitslehren, Wege und Irrwege sowie Behandlungsarten des Faches "systematisch und höchst informativ" dar. Eckart betont, dass viele der intern und öffentlich geführten Kontroversen um die Psychiatrie heute nur im Kontext der historischen Perspektiven angemessen verstanden werden können. Auch im Blick darauf kann Eckart diese Psychiatriegeschichte allen empfehlen, die sich grundlegend über das Thema informieren wollen.

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