Niemand war besser geeignet, ein Vorwort zu diesem Buch zu schreiben, als Umberto Eco, der in seinen Romanen immer wieder die Folgen von Verschwörungstheorien und Massenhysterie reflektiert. Alessandro Manzoni rekonstruiert hier auf Grundlage zeitgenössischer Quellen einen Kriminalprozess in Mailand 1630: Zwei angebliche "Pestsalber", die Mauern mit giftigen Substanzen beschmiert haben sollten, um die Seuche zu verbreiten, waren gefoltert, verurteilt und auf unvorstellbar grausame Art hingerichtet worden. Manzoni, der die Folter verabscheut, versucht gegen den Aufklärer Pietro Verri zu erweisen, dass die Mailänder Richter auch gegen die zu ihrer Zeit geltende Rechtsauffassung verstoßen hätten. Damit steht er freilich auf verlorenem Posten, denn die Rechtsgelehrten, die er anführt, stellten die Folter nicht grundsätzlich in Frage. (Neue Zürcher Zeitung)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.08.2012Schwache Richter
Der alte Goethe gehörte zu den ersten und begeisterten Lesern von Alessandro Manzoni. Aber bei allem Lob für dessen "Promessi Sposi", den im Italien der Jahre 1628 bis 1630 spielenden großen Roman, brachte er doch einen Vorbehalt an: Insbesondere im Kapitel über die Pest in Mailand habe der Dichter unglücklicherweise dem Historiker das Heft überlassen. Was Goethe damals nicht wissen konnte, als er die Abschweifung von der Romanhandlung monierte: Manzoni hatte sogar noch mehr an Material für dieses Kapitel vorbereitet, in dem er die schrittweise Entwicklung von der Leugnung der Epidemie bis zu den Ausbrüchen kollektiver Hysterie über vermeintliche Giftausleger, die "Salber", schildert. Zwei dieser imaginierten Salber wurden in einem Prozess zum Tode verurteilt, am Ort des zerstörten Hauses eines der beiden Hingerichteten eine "Schandsäule" errichtet. Sie gibt dem Traktat den Namen, den Manzoni dann doch separat veröffentlichte, als Anhang zur definitiven Ausgabe der "Brautleute" von 1842. Es ist eine aus den Quellen gearbeitete Darstellung des Prozesses, die deutlich machen will, dass dessen haarsträubender Verlauf nicht einfach durch den Zeithintergrund, vor allem nicht bloß durch die eingeräumte Möglichkeit der Folter, erklärt werden darf. Manzoni geht es vielmehr um fatale psychologische und institutionelle Mechanismen auf Seiten des Gerichts, die sich nicht ins Historische abschieben lassen, sondern ein Pensum für aufklärerische Kritik blieben, deren Sache er mit seinem Traktat vertrat. Vor- und Nachwort tragen zum Reiz dieser neuen Ausgabe in einer exzellenten Reihe bei. (Alessandro Manzoni: "Geschichte der Schandsäule". Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Mit einem Vorwort von Umberto Eco und einem Nachwort von Michael Stolleis. Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung (exzerpta classica XXVII), Mainz 2012. 222 S., br., 17,- [Euro].)
hmay
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der alte Goethe gehörte zu den ersten und begeisterten Lesern von Alessandro Manzoni. Aber bei allem Lob für dessen "Promessi Sposi", den im Italien der Jahre 1628 bis 1630 spielenden großen Roman, brachte er doch einen Vorbehalt an: Insbesondere im Kapitel über die Pest in Mailand habe der Dichter unglücklicherweise dem Historiker das Heft überlassen. Was Goethe damals nicht wissen konnte, als er die Abschweifung von der Romanhandlung monierte: Manzoni hatte sogar noch mehr an Material für dieses Kapitel vorbereitet, in dem er die schrittweise Entwicklung von der Leugnung der Epidemie bis zu den Ausbrüchen kollektiver Hysterie über vermeintliche Giftausleger, die "Salber", schildert. Zwei dieser imaginierten Salber wurden in einem Prozess zum Tode verurteilt, am Ort des zerstörten Hauses eines der beiden Hingerichteten eine "Schandsäule" errichtet. Sie gibt dem Traktat den Namen, den Manzoni dann doch separat veröffentlichte, als Anhang zur definitiven Ausgabe der "Brautleute" von 1842. Es ist eine aus den Quellen gearbeitete Darstellung des Prozesses, die deutlich machen will, dass dessen haarsträubender Verlauf nicht einfach durch den Zeithintergrund, vor allem nicht bloß durch die eingeräumte Möglichkeit der Folter, erklärt werden darf. Manzoni geht es vielmehr um fatale psychologische und institutionelle Mechanismen auf Seiten des Gerichts, die sich nicht ins Historische abschieben lassen, sondern ein Pensum für aufklärerische Kritik blieben, deren Sache er mit seinem Traktat vertrat. Vor- und Nachwort tragen zum Reiz dieser neuen Ausgabe in einer exzellenten Reihe bei. (Alessandro Manzoni: "Geschichte der Schandsäule". Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Mit einem Vorwort von Umberto Eco und einem Nachwort von Michael Stolleis. Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung (exzerpta classica XXVII), Mainz 2012. 222 S., br., 17,- [Euro].)
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