Der Band umfaßt die Zeit der Reichskrise unter den Soldatenkaisern und die diocletianisch-konstantinischen Reformen, die zu einer Bürokratiesierung und dann zur Christianisierung des Reiches geführt haben. Es folgt die Darstellung der militärischen und innenpolitischen Auseinandersetzungen mit den Germanen im Zuge der Völkerwanderung. Diese Ereignisse besiegelten die Reichsteilung, und in ihrer Folge geriet der gesamte lateinische Westen im Laufe des 5. Jahrhunderts n. Chr. unter germanische Oberhoheit. Schließlich wird Justinians letzter, großangelegter Versuch beschrieben, die Reichseinheit wiederherzustellen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.1999Frauen und Kinder zuletzt
Eine nicht ganz neue Geschichte der Spätantike: Alexander Demandt liebt die Dekadenz und scheut die Modernisierung
Merkwürdig - das ist ein lesenswertes Buch, das regelrecht verschlungen werden kann. Warum ist das merkwürdig? Weil es sich, mit winzigen Ausnahmen, um denselben Text handelt, der schon 1989 in der wissenschaftlichen Reihe des "Handbuchs der Altertumswissenschaften" erschienen ist. Es soll hier nicht darüber gerechtet werden, ob sich in den vergangenen neun Jahren inhaltlich wirklich nichts Neues ergeben hat, wie es im Vorwort heißt. Vielmehr sei die Merkwürdigkeit positiv hervorgehoben, daß ein Buch, das als nüchternes Handbuch für Fachleute geschrieben wurde, trotzdem eine fesselnde Lektüre abgibt.
Das liegt an drei Eigenschaften der Schreibweise des Autors. Erstens werden, was einem Handbuch eigentlich nicht entspricht, Sympathien ausgedrückt, so die für den zum Heidentum rückkonvertierten Kaiser Julian, eine Sympathie, die der Rezensent übrigens nicht teilt. Zweitens bevorzugt Demandt kurze Aussagesätze, die dem Stil Lebendigkeit und Prägnanz verleihen, und drittens bringt er Fakten über Fakten, also Dinge, über die sich eben Aussagen treffen lassen. Dadurch kommen zwar gelegentlich Probleme, Ambivalenzen und auch Begründungen für manche Aussagen zu kurz, aber die Lesbarkeit und das Interesse an den Dingen werden gefördert.
Nach einleitenden Ausführungen über die Spätantike in der Geschichtswissenschaft, über ihre Wesenszüge und Quellen erzählt der erste Hauptteil die politische Geschichte von der Soldatenzeit im dritten bis zu Kaiser Justinian im sechsten Jahrhundert. Der zweite Hauptteil schildert systematisch die inneren Verhältnisse, gegliedert in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Bildungswesen, Städte und Religion; der Schluß beschäftigt sich mit der "Deutung", dabei etwa mit der berühmten Frage nach den Ursachen des Endes des spätrömischen Reiches und der Antike überhaupt. Das alles wird mit einem solchen Detailreichtum und in einem solch gleichmäßigen Fluß erzählt, daß das Herausgreifen einzelner Dinge schon fast Willkür darstellt.
Also dann willkürlich herausgegriffen, nur Positives: Eine gute Beobachtung ist, daß die verhältnismäßig unschädliche Existenz zahlreicher Kinderkaiser ein Zeichen für die Stärke des Systems ist; gut erläutert ist, inwiefern trotz der West- und Ostkaiser die Reichseinheit weiterbestand; gut, daß die Kirchenpolitik als das einzige Gebiet bezeichnet wird, auf dem die Kaiser aus eigener Initiative und nicht nur auf Grund von Anfragen tätig wurden; gut die eingehende Darstellung der Verwaltung und die der Heeresorganisation; gut, daß gegen das Bild vom "Zwangsstaat" etwa darauf verwiesen wird, daß es eine gesellschaftliche "Mobilität wie nie zuvor" gegeben habe; gut die Beobachtung, daß weniger die horizontale Schichtung als das Nebeneinander vertikaler Gruppen wichtig war, beispielsweise die Gefolgschaften der Germanenkönige, die Kirche und ihre jeweiligen Häresien und Sekten, die Klientel der reichen Grundbesitzer und der Heermeister; gut, daß das Bild allgemeinen Niedergangs da und dort relativiert wird, so etwa hinsichtlich der Wirtschaft, die teilweise sogar florierte; gut die ausführliche Darstellung der Bildungsinstitutionen wie der Rechtsschulen und Universitäten; gut schließlich, daß die zunehmende Germanisierung nicht nur des Heeres, sondern auch von Politik und Gesellschaft eine Art Generalbaß der Erzählung bilden. Der Name eines Westgotenkönigs wird richtig mit Athavulf wiedergegeben, nicht wie meist sonst mit Athaulf; etwas verdeckt wird so dessen Weiterentwicklung zu einem deutschen Vornamen, der seit dem Untergang eines späteren Reiches außer Gebrauch gekommen ist.
Eine eigene Erwähnung wert ist das Schlußkapitel. Demandt scheut sich richtigerweise nicht, zum Dekadenzproblem klare Worte zu finden: "Niedergang der Bildung, der nun alle Schichten erfassende Aberglaube, Verlotterung der Sprache, Geldentwertung, Primitivierung der Kunst, Vulgarisierung des Rechts, Brutalisierung der Strafjustiz", und ebenso richtig ist, daß er zwar auch die Gegenrechnung aufmacht, aber hinsichtlich dessen, "was für die Antike typisch war", eben doch einen Abstieg feststellt. Ähnlich umsichtig gibt Demandt eine Übersicht über das Problem der Periodisierung und scheint dabei die Spätantike als eine Epoche eigenen Rechts anzusehen; Franz Georg Maier mit seiner schönen Formulierung "Die Verwandlung der Mittelmeerwelt" hätte erwähnt werden können. In der Kontinuitätsfrage bezieht Demandt ausdrücklich Stellung, indem er ebenfalls zu Recht meint, daß alles in allem zwischen Antike und Mittelalter doch "wohl mehr Fäden abgerissen sind als in irgendeinem anderen Jahrhundert der europäischen Geschichte".
Schließlich die Übersicht über die wichtigsten Theorien über die Ursachen des Untergangs des römischen Reiches, die er ihrerseits in ihrem historischen Kontext sieht. Er bespricht das Christentum, soziale Gründe, naturwissenschaftliche Gründe sogar einschließlich von Rassetheorien, innenpolitisches Versagen, kulturmorphologische Vorstellungen vom Werden und Vergehen und schließlich den äußeren Druck durch die Germanen. Letztere Theoriengruppe scheint die von Demandt bevorzugte zu sein, wie man aus der Ausführlichkeit schließen kann, mit der er sie zum Schluß bespricht, allerdings in der Variante, daß "sich die Auflösung des Reiches nicht nur als gescheiterte Abwehr, sondern ebenso als mißglückte Einbürgerung der Germanen auffassen" lasse. Auch hier stimmt ihm der Rezensent zu.
Die Übersicht über die jeweiligen Theorien ist übrigens der Ort, an dem der Verfasser ein wenig vom früheren Text abweicht. Vor dem Begriff "Deutsche Demokratische Republik" ist das in ihrem Zusammenhang so beliebte Wörtchen "ehemalig" eingefügt. Statt nun darüber zu räsonnieren, daß dieses Wörtchen in einem Buch, dessen Gegenstand immerhin mehr als anderthalb Jahrtausende zurückliegt, entweder ständig oder vielmehr besser gar nicht angewandt werden sollte, muß doch noch ein Wort dazu gesagt werden, daß hier ein wissenschaftlicher Text unüberarbeitet vorgelegt wird, der immerhin neun Jahre alt ist. Das ist aus verschiedenen Gründen mißlich. Zum einen hat das bloße Abschneiden des wissenschaftlichen Apparates nicht verhindert, daß im Text zahlreiche technische Angaben und Formulierungen stehengeblieben sind, die der gebildete Laie, an den das Buch sich nunmehr wendet, nicht ohne weiteres verstehen kann, und es ist auch schade, daß diejenigen Quellenstellen, die statt im Text nur in den Anmerkungen standen, nicht auch in den Text aufgenommen worden sind.
Zum anderen aber ist das Buch da und dort inhaltlich nicht mehr auf dem Stand der Forschung, die ja in den abgelaufenen neun Jahren nicht untätig war. Nur ein Beispiel, das der Frauengeschichte. Sie ist keine bloße Mode, sondern sollte mittlerweile ein integraler Bestandteil eines jeden Geschichtsverständnisses geworden sein. Deshalb wundert es, daß - immerhin! - die Frauen unter dem zusammenfassenden Titel "Frauen und Kinder" nach den Sklaven abgehandelt werden oder daß die Rolle einzelner bedeutender Kaiserinnen wie etwa die Galla Placidias eher en passent behandelt wird. Auch wird im so wichtigen Zusammenhang mit der Entwicklung des Christentums die Position der Frauen kaum erörtert, obwohl die Frauen doch, auch in Gestalt vieler Kaiserinnen, wesentlich zur Verbreitung des neuen Glaubens beitrugen. Im Zusammenhang mit dem Ideal der Jungfräulichkeit ist insbesondere die weibliche Askese in der letzten Zeit intensiv untersucht worden, und darauf fehlen Hinweise ganz. Auf sie hätten die gebildeten Laien beiderlei Geschlechts schon ein Anrecht gehabt.
Natürlich gibt es, ganz unvermeidlich, auch sachliche Fehler, auf die die frühere Kritik aufmerksam gemacht hatte, und es ist bedauerlich, daß darüber ganz hinweggegangen wird. Hätte man nicht, wenn denn schon die Übernahme des unveränderten bisherigen Textes aus welchen Gründen auch immer unvermeidlich war, einen kleinen Anhang mit Berichtigungen und Nachträgen, insbesondere zum jetzigen Forschungsstand, machen können? Ein kleines Versehen sei deshalb genannt, weil es zum versöhnlichen Schluß überleitet: Eine wichtige Quelle für die antike Geschichte ist ein byzantinisches Lexikon, von dem man früher glaubte, es sei von einem gewissen Suidas verfaßt, und Demandt zitiert es gelegentlich noch unter diesem Namen. Seit längerem weiß man aber, und das tut auch der Autor, daß das eine Verschreibung war und daß das Lexikon einfach Suda heißt. Suda bedeutet Bollwerk, Bollwerk gegen die Unwissenheit. Und das ist Demandts Werk, von dem mit Grund erhofft werden kann, daß es der immer mehr um sich greifenden Unwissenheit über die Vergangenheit einen kräftigen Damm entgegensetzt. Dafür bringt es eine wichtige Voraussetzung mit, nämlich die der Lesbarkeit, obwohl es doch der unveränderte Text eines einfachen Handbuchs ist. Merkwürdig.
WOLFGANG SCHULLER
Alexander Demandt: "Geschichte der Spätantike". Das Römische Reich von Diocletian bis Justinian 284-565 n. Chr. Verlag C. H. Beck, München 1998. IX, 515 S., Karten, geb., 68,- DM.
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Eine nicht ganz neue Geschichte der Spätantike: Alexander Demandt liebt die Dekadenz und scheut die Modernisierung
Merkwürdig - das ist ein lesenswertes Buch, das regelrecht verschlungen werden kann. Warum ist das merkwürdig? Weil es sich, mit winzigen Ausnahmen, um denselben Text handelt, der schon 1989 in der wissenschaftlichen Reihe des "Handbuchs der Altertumswissenschaften" erschienen ist. Es soll hier nicht darüber gerechtet werden, ob sich in den vergangenen neun Jahren inhaltlich wirklich nichts Neues ergeben hat, wie es im Vorwort heißt. Vielmehr sei die Merkwürdigkeit positiv hervorgehoben, daß ein Buch, das als nüchternes Handbuch für Fachleute geschrieben wurde, trotzdem eine fesselnde Lektüre abgibt.
Das liegt an drei Eigenschaften der Schreibweise des Autors. Erstens werden, was einem Handbuch eigentlich nicht entspricht, Sympathien ausgedrückt, so die für den zum Heidentum rückkonvertierten Kaiser Julian, eine Sympathie, die der Rezensent übrigens nicht teilt. Zweitens bevorzugt Demandt kurze Aussagesätze, die dem Stil Lebendigkeit und Prägnanz verleihen, und drittens bringt er Fakten über Fakten, also Dinge, über die sich eben Aussagen treffen lassen. Dadurch kommen zwar gelegentlich Probleme, Ambivalenzen und auch Begründungen für manche Aussagen zu kurz, aber die Lesbarkeit und das Interesse an den Dingen werden gefördert.
Nach einleitenden Ausführungen über die Spätantike in der Geschichtswissenschaft, über ihre Wesenszüge und Quellen erzählt der erste Hauptteil die politische Geschichte von der Soldatenzeit im dritten bis zu Kaiser Justinian im sechsten Jahrhundert. Der zweite Hauptteil schildert systematisch die inneren Verhältnisse, gegliedert in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Bildungswesen, Städte und Religion; der Schluß beschäftigt sich mit der "Deutung", dabei etwa mit der berühmten Frage nach den Ursachen des Endes des spätrömischen Reiches und der Antike überhaupt. Das alles wird mit einem solchen Detailreichtum und in einem solch gleichmäßigen Fluß erzählt, daß das Herausgreifen einzelner Dinge schon fast Willkür darstellt.
Also dann willkürlich herausgegriffen, nur Positives: Eine gute Beobachtung ist, daß die verhältnismäßig unschädliche Existenz zahlreicher Kinderkaiser ein Zeichen für die Stärke des Systems ist; gut erläutert ist, inwiefern trotz der West- und Ostkaiser die Reichseinheit weiterbestand; gut, daß die Kirchenpolitik als das einzige Gebiet bezeichnet wird, auf dem die Kaiser aus eigener Initiative und nicht nur auf Grund von Anfragen tätig wurden; gut die eingehende Darstellung der Verwaltung und die der Heeresorganisation; gut, daß gegen das Bild vom "Zwangsstaat" etwa darauf verwiesen wird, daß es eine gesellschaftliche "Mobilität wie nie zuvor" gegeben habe; gut die Beobachtung, daß weniger die horizontale Schichtung als das Nebeneinander vertikaler Gruppen wichtig war, beispielsweise die Gefolgschaften der Germanenkönige, die Kirche und ihre jeweiligen Häresien und Sekten, die Klientel der reichen Grundbesitzer und der Heermeister; gut, daß das Bild allgemeinen Niedergangs da und dort relativiert wird, so etwa hinsichtlich der Wirtschaft, die teilweise sogar florierte; gut die ausführliche Darstellung der Bildungsinstitutionen wie der Rechtsschulen und Universitäten; gut schließlich, daß die zunehmende Germanisierung nicht nur des Heeres, sondern auch von Politik und Gesellschaft eine Art Generalbaß der Erzählung bilden. Der Name eines Westgotenkönigs wird richtig mit Athavulf wiedergegeben, nicht wie meist sonst mit Athaulf; etwas verdeckt wird so dessen Weiterentwicklung zu einem deutschen Vornamen, der seit dem Untergang eines späteren Reiches außer Gebrauch gekommen ist.
Eine eigene Erwähnung wert ist das Schlußkapitel. Demandt scheut sich richtigerweise nicht, zum Dekadenzproblem klare Worte zu finden: "Niedergang der Bildung, der nun alle Schichten erfassende Aberglaube, Verlotterung der Sprache, Geldentwertung, Primitivierung der Kunst, Vulgarisierung des Rechts, Brutalisierung der Strafjustiz", und ebenso richtig ist, daß er zwar auch die Gegenrechnung aufmacht, aber hinsichtlich dessen, "was für die Antike typisch war", eben doch einen Abstieg feststellt. Ähnlich umsichtig gibt Demandt eine Übersicht über das Problem der Periodisierung und scheint dabei die Spätantike als eine Epoche eigenen Rechts anzusehen; Franz Georg Maier mit seiner schönen Formulierung "Die Verwandlung der Mittelmeerwelt" hätte erwähnt werden können. In der Kontinuitätsfrage bezieht Demandt ausdrücklich Stellung, indem er ebenfalls zu Recht meint, daß alles in allem zwischen Antike und Mittelalter doch "wohl mehr Fäden abgerissen sind als in irgendeinem anderen Jahrhundert der europäischen Geschichte".
Schließlich die Übersicht über die wichtigsten Theorien über die Ursachen des Untergangs des römischen Reiches, die er ihrerseits in ihrem historischen Kontext sieht. Er bespricht das Christentum, soziale Gründe, naturwissenschaftliche Gründe sogar einschließlich von Rassetheorien, innenpolitisches Versagen, kulturmorphologische Vorstellungen vom Werden und Vergehen und schließlich den äußeren Druck durch die Germanen. Letztere Theoriengruppe scheint die von Demandt bevorzugte zu sein, wie man aus der Ausführlichkeit schließen kann, mit der er sie zum Schluß bespricht, allerdings in der Variante, daß "sich die Auflösung des Reiches nicht nur als gescheiterte Abwehr, sondern ebenso als mißglückte Einbürgerung der Germanen auffassen" lasse. Auch hier stimmt ihm der Rezensent zu.
Die Übersicht über die jeweiligen Theorien ist übrigens der Ort, an dem der Verfasser ein wenig vom früheren Text abweicht. Vor dem Begriff "Deutsche Demokratische Republik" ist das in ihrem Zusammenhang so beliebte Wörtchen "ehemalig" eingefügt. Statt nun darüber zu räsonnieren, daß dieses Wörtchen in einem Buch, dessen Gegenstand immerhin mehr als anderthalb Jahrtausende zurückliegt, entweder ständig oder vielmehr besser gar nicht angewandt werden sollte, muß doch noch ein Wort dazu gesagt werden, daß hier ein wissenschaftlicher Text unüberarbeitet vorgelegt wird, der immerhin neun Jahre alt ist. Das ist aus verschiedenen Gründen mißlich. Zum einen hat das bloße Abschneiden des wissenschaftlichen Apparates nicht verhindert, daß im Text zahlreiche technische Angaben und Formulierungen stehengeblieben sind, die der gebildete Laie, an den das Buch sich nunmehr wendet, nicht ohne weiteres verstehen kann, und es ist auch schade, daß diejenigen Quellenstellen, die statt im Text nur in den Anmerkungen standen, nicht auch in den Text aufgenommen worden sind.
Zum anderen aber ist das Buch da und dort inhaltlich nicht mehr auf dem Stand der Forschung, die ja in den abgelaufenen neun Jahren nicht untätig war. Nur ein Beispiel, das der Frauengeschichte. Sie ist keine bloße Mode, sondern sollte mittlerweile ein integraler Bestandteil eines jeden Geschichtsverständnisses geworden sein. Deshalb wundert es, daß - immerhin! - die Frauen unter dem zusammenfassenden Titel "Frauen und Kinder" nach den Sklaven abgehandelt werden oder daß die Rolle einzelner bedeutender Kaiserinnen wie etwa die Galla Placidias eher en passent behandelt wird. Auch wird im so wichtigen Zusammenhang mit der Entwicklung des Christentums die Position der Frauen kaum erörtert, obwohl die Frauen doch, auch in Gestalt vieler Kaiserinnen, wesentlich zur Verbreitung des neuen Glaubens beitrugen. Im Zusammenhang mit dem Ideal der Jungfräulichkeit ist insbesondere die weibliche Askese in der letzten Zeit intensiv untersucht worden, und darauf fehlen Hinweise ganz. Auf sie hätten die gebildeten Laien beiderlei Geschlechts schon ein Anrecht gehabt.
Natürlich gibt es, ganz unvermeidlich, auch sachliche Fehler, auf die die frühere Kritik aufmerksam gemacht hatte, und es ist bedauerlich, daß darüber ganz hinweggegangen wird. Hätte man nicht, wenn denn schon die Übernahme des unveränderten bisherigen Textes aus welchen Gründen auch immer unvermeidlich war, einen kleinen Anhang mit Berichtigungen und Nachträgen, insbesondere zum jetzigen Forschungsstand, machen können? Ein kleines Versehen sei deshalb genannt, weil es zum versöhnlichen Schluß überleitet: Eine wichtige Quelle für die antike Geschichte ist ein byzantinisches Lexikon, von dem man früher glaubte, es sei von einem gewissen Suidas verfaßt, und Demandt zitiert es gelegentlich noch unter diesem Namen. Seit längerem weiß man aber, und das tut auch der Autor, daß das eine Verschreibung war und daß das Lexikon einfach Suda heißt. Suda bedeutet Bollwerk, Bollwerk gegen die Unwissenheit. Und das ist Demandts Werk, von dem mit Grund erhofft werden kann, daß es der immer mehr um sich greifenden Unwissenheit über die Vergangenheit einen kräftigen Damm entgegensetzt. Dafür bringt es eine wichtige Voraussetzung mit, nämlich die der Lesbarkeit, obwohl es doch der unveränderte Text eines einfachen Handbuchs ist. Merkwürdig.
WOLFGANG SCHULLER
Alexander Demandt: "Geschichte der Spätantike". Das Römische Reich von Diocletian bis Justinian 284-565 n. Chr. Verlag C. H. Beck, München 1998. IX, 515 S., Karten, geb., 68,- DM.
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