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Wie dem indischen Denken so hat Schweitzer auch dem chinesischen Denken einen eigenen Band gewidmet. Beide sind Teil seines bis heute aktuellen Vorhabens, durch eine Geschichte des Denkens der Menschheit die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben zu begründen. Schweitzer hat 1937 und 1939/40 in Lambarene fernab von Fachbibliotheken je eine Fassung seiner Geschichte des chinesischen Denkens verfaßt. Beide werden in diesem Band erstmals publiziert. Das nicht abgeschlossene Werk ist eine umfassendere Ausführung dessen, was Schweitzer in anderen Schriften nur kurz und summarisch vorgetragen hat. Seine…mehr

Produktbeschreibung
Wie dem indischen Denken so hat Schweitzer auch dem chinesischen Denken einen eigenen Band gewidmet. Beide sind Teil seines bis heute aktuellen Vorhabens, durch eine Geschichte des Denkens der Menschheit die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben zu begründen. Schweitzer hat 1937 und 1939/40 in Lambarene fernab von Fachbibliotheken je eine Fassung seiner Geschichte des chinesischen Denkens verfaßt. Beide werden in diesem Band erstmals publiziert. Das nicht abgeschlossene Werk ist eine umfassendere Ausführung dessen, was Schweitzer in anderen Schriften nur kurz und summarisch vorgetragen hat. Seine intensive Auseinandersetzung mit dem chinesischen Denken eröffnet einen faszinierenden Zugang zu seiner Theologie und Ethik. In einem Nachwort verortet der Bochumer Sinologe Heiner Roetz das Werk innerhalb der Sinologie und zeigt, daß es bis heute als eine der wenigen originellen Deutungen der chinesischen Philosophie und als eine allgemeinverständliche Einführung lesenswert ist.

Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Herausgeber: Bernard Kaempf, geb. 1943, ist seit 1985 Professor für praktische Theologie an der Protestantischen Theologischen Fakultät der Universität Strasbourg. Zahlreiche Veröffentlichungen über Schweitzer, Schleiermacher, C.G. Jung und zu Fragen der Seelsorge, u.a. Herausgabe eines Handbuchs der Praktischen Theologie (Introduction à la Théologie Pratique, 21999).
Johann Zürcher, geb. 1926, war Pfarrer und von 1972 bis 1979 wissenschaftlicher Assistent an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Bern. Seit 1979 widmet er sich ganz der Herausgabe des Schweitzerschen Nachlasses.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.04.2002

Unverhoffte Jadesplitter
Albert Schweitzers unbekannte Vision vom chinesischen Denken

Als vor 4623 Jahren die Himmelspfeiler geborsten waren, ging die Göttin Nü Gua zur Wiederherstellung des Himmelsgewölbes mit 36 501 Jadesteinen zu Werk. Doch den letzten Stein hielt sie für unbrauchbar und ließ ihn beiseite. Dieser eine Stein wird im bedeutendsten klassischen Roman Chinas, dem "Traum der roten Kammer" (auch: "Geschichte des Steins") in die Welt geschickt und durchlebt in der Reinkarnation des pubertierenden Protagonisten ihre Lüste und Leiden. Der Gegenstand göttlicher Vernachlässigung wird zum Objekt zauberhafter Erzählkunst.

Ein ähnlich vernachlässigtes Kleinod aus dem Nachlaß von Albert Schweitzer ist nach langen Irrwegen nun zugänglich: "Das chinesische Denken" war wohl als Teil von Schweitzers monumentalem Projekt einer "Geschichte des Denkens der Menschheit" oder seiner "Kulturphilosophie" gedacht. Seit den zwanziger Jahren hatte Schweitzer sich intensiv auch mit dem indischen Denken beschäftigt. Während der dieser Band 1936 auf Englisch erschien, wurde der chinesische Teilband nie publiziert. Der Sinologenhimmel, den Schweitzer 1937 um ein Urteil bat und der später noch zweimal zu Rate gezogen wurde, schwieg hübsch konfuzianisch oder verwarf das Manuskript. Es hieß, die nötigen Richtigstellungen würden länger ausfallen als der Urtext. Auch wenn der wissenschaftliche Olymp das Manuskript ablehnte, so ist ihm ein ungewöhnlicher Platz im Roman der deutschen Ostasienrezeption dennoch sicher.

Wie kann ein Werk, das seinen Darstellungsgegenstand so eindeutig den eigenen Thesen unterordnet, trotzdem so bestechen? Auf jeder Seite schimmert die emblematische Maxime des Philanthropen, Kulturphilosophen und Arztes Schweitzer hindurch: "Weltbejahung" und "Ehrfurcht vor dem Leben". Schweitzer schreibt in seinem Krankenhaus im kongolesischen Lambarene über Konfuzius, ohne Bibliothek, aber gelegentlich "mit Zahnweh" und oft nur "nachts im wunderbaren Mondschein". Wo er Weltentsagung wittert, wie im Buddhismus und der christlichen Mystik, wendet er sich ab - und hält uns entgegen, was er für den Edelstein im Denkgebäude der Menschheit hält: die chinesische Ethik, die das Vernunftgemäße mit dem Zweckmäßigen verbände und selbst in ihren mystischen Strömungen trotzdem noch weltbejahend sei. So etwas hat man über China seit den Schwärmereien der Aufklärer kaum mehr zu hören bekommen.

Schweitzer liest fast alles gegen den kulturkritischen Strich der vorherrschenden Ostasienrezeption. Konfuzius will er vom Vorurteil des pedantischen "Etikettenkrämers" befreien: Er sieht im konfuzianischen "Ritual" die äußere Form einer authentischen moralischen Innerlichkeit. Im Sinne von Konfuzius' Sentenz, er überliefere nur, würde aber nicht selber erschaffen, vergleicht Schweitzer ihn mit Bach: als gipfelnde Schlußfigur einer Epoche, eben nicht als Ouvertüre zu etwas ganz Neuem, wie etwa Platon.

Den Daoismus nutzt er nicht als Auftakt zu einem Credo der Zivilisationskritik, für ihn ist er der Sonderfall einer positiven Mystik, einer "weltverneinenden Weltbejahung". Nur mit einem Kunstgriff kann dies geschehen: Das daoistische Gebot der produktiven "Untätigkeit" (wuwei), das einer aktiven Weltbejahung entgegenzustehen scheint, sei nicht ernst, sondern nur wörtlich gemeint. Es gelte nicht auf der Ebene des Erlebens, sondern sei vor allem Ausdruck einer Freude am sprachlichen Experimentieren mit dem Paradoxen, daher einer vergeistigten und nicht fleischlichen Mystik wie der christlichen. Mit dieser These plädiert Schweitzer auch für die Ökumene von aktionistischem Konfuzianismus und handlungsasketischem Daoismus. Viel ähnlicher seien sie sich, als die jahrhundertealte Polemik es vermuten ließe. Jüngste antike Textfunde, die ein breites Spektrum daoistischer Konfuzianismen und konfuzianischer Daoismen zutage förderten, bestätigen Schweitzers hermeneutische Intuition und ökumenische Intention.

Sicher, Schweitzer ist nicht auf dem neuesten Stand der Forschung, sitzt gravierenden chronologischen Irrtümern auf. Auch unterschlägt er, was schlecht in sein Wandbild der Weltbejahung paßt, so etwa den Konfuzianer Xunzi , der die Natur des Menschen für schlecht hielt.

Manche Texte bestechen, weil sie in Visionen sprechen. Andere sind einfach originelle und eigenwillige Gedankenexperimente. Schweitzers Werk zum chinesischen Denken hat ein wenig von beidem. Und er darf der chinesischen Tradition seine Gewalt antun. Die Philologen scheinen, wenn sie einmal aufgucken, den Himmel manchmal vor lauter Steinen nicht zu sehen.

WIEBKE DENECKE

Albert Schweitzer: "Geschichte des chinesischen Denkens". Werke aus dem Nachlaß. Herausgegeben von Bernard Kaempf und Johann Zürcher. Mit einem Nachwort von Heiner Roetz. Verlag C.H.Beck, München 2002. 360 S., geb., 44,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wiebke Denecke begrüßt begeistert dieses "vernachlässigte Kleinod" aus dem Nachlass des Autors, das bisher nie zur Veröffentlichung gelangte. Zwar räumt die Rezensentin ein, dass Schweitzer nicht gerade auf dem neusten Forschungsstand mit seinen Überlegungen zum chinesischen Denken war, und sie gibt zu, dass er einige "gravierende chronologische Irrtümer" verbreitet. Was sie aber richtig begeistert an dem Buch ist die Mischung aus "Visionen" und "originellen und eigenwilligen Gedankenexperimenten", womit Schweitzer zwar der gängigen Ostasienrezeption entgegenstehe, dafür aber zum Beispiel sehr interessante Thesen zu einer Verbindung von Konfuzianismus und Daoismus aufstelle, die durch jüngste Textfunde bestätigt würden.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Schweitzer verdient es, neben, mit und gegen ... Friedrich Nietzsche gelesen zu werden." (Niklaus Peter, NZZ)