Marktplatzangebote
4 Angebote ab € 7,40 €
  • Gebundenes Buch

Die Geschichte des chinesischen Films ist maßgeblich von den gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen dieses Jahrhunderts in China geprägt. Stefan Kramer gibt einen Überblick über die Entwicklung des Mediums von der Kaiserzeit bis hin zu dem international bekannt gewordenen Avantgarde-Kino der 80er und 90er Jahre.

Produktbeschreibung
Die Geschichte des chinesischen Films ist maßgeblich von den gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen dieses Jahrhunderts in China geprägt. Stefan Kramer gibt einen Überblick über die Entwicklung des Mediums von der Kaiserzeit bis hin zu dem international bekannt gewordenen Avantgarde-Kino der 80er und 90er Jahre.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997

Der elektrische Schatten
Die Geschichte des chinesischen Films / Von Martin Gieselmann

Chinas Filme erobern seit gut einem Jahrzehnt den Westen. Regisseure wie Martin Scorsese oder Quentin Tarantino entdecken in den Arbeiten ihrer chinesischen Kollegen visuelle Ausdruckskraft und Innovationen, die sie in den Produktionen des eigenen Landes vermissen. Immer häufiger zählen chinesische Filme zu den Favoriten auf den Filmfestivals der Welt. Dabei sind hier nur Ausschnitte einer immensen Produktion zu erfassen. In den Studios der Volksrepublik China, Hongkongs und Taiwans werden insgesamt mehr als zweihundert Spielfilme pro Jahr abgedreht.

Doch während die Zahl der Kontakte und Koproduktionen mit China wächst und sich einige Stars der chinesischen Filmszene mittlerweile auch im Westen heimisch fühlen, gab es hierzulande bislang keine fundierte historische Darstellung zur Entwicklung der Filmkultur in China. Die Besonderheiten der "elektrischen Schatten", wie der Film in China genannt wird, sind bestenfalls kursorisch untersucht worden, und die rasante Entwicklung der neunziger Jahre ist noch weitgehend unbeachtet geblieben. Der Sinologe und Filmwissenschaftler Stefan Kramer hat nun eine erste umfassende "Geschichte des chinesischen Films" vorgelegt, die auch die Produktionen aus Hongkong und Taiwan einbezieht.

Kramer zeichnet die großen Linien des Filmwesens in China nach, vom Anfang des "abendländischen Schattenspiels" im späten Kaiserreich bis zu den jungen Regisseuren der neunziger Jahre, die mit ihrem nicht selten illegal produzierten Kino des urbanen Realismus die Modernisierung Chinas kritisch beleuchten. Durch die Verknüpfung von Filmgeschichte und politisch-historischem Kontext eröffnet das Buch auch dem in der chinesischen Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts weniger bewanderten Leser die Möglichkeit, sowohl die Bedeutung einzelner Werke als auch die Entwicklungsschritte des chinesischen Kinos insgesamt nachzuvollziehen. In Auswahl und Gewichtung beschränkt er sich auf das Notwendige und liefert eine kenntnisreiche und gut lesbare Einführung in die chinesische Filmkultur.

Neben diesem geglückten Abriß der Filmgeschichte legt Kramer einen Schwerpunkt auf das "Avantgardekino der achtziger und neunziger Jahre". Darin behandelt er die seit Mitte der achtziger Jahre entstandenen Werke derjenigen Regisseure, die vielfach als fünfte Generation bezeichnet worden sind. Kramer argumentiert, daß Regisseure wie Zhang Yimou, Chen Kaige oder Tian Zhuangzhuang mit ihrer "filmischen Gesellschaftsanalyse" eine Form des individuellen und politisch oppositionellen Ausdrucks gefunden hätten, die unerreicht sei. Nach dem Aufschwung des Kinos in den dreißiger und vierziger Jahren sei die Filmkunst mit Gründung der Volksrepublik China "zu einem Instrument platter Didaktik" verkommen. In der Folgezeit hätten sich die Filmemacher der herrschenden politischen Ideologie gebeugt oder sich an einem überkommenen konfuzianischen Moralkodex orientiert. Daher sei es ihnen nicht gelungen, Werke zu erstellen, die einen individuellen Ausdruck erkennen lassen und dabei gesellschaftlich richtungweisend wirken. Dies gelte - so Kramer - nicht nur für die Regisseure der älteren Generation in der Volksrepublik China, sondern auch für viele Filmemacher aus Hongkong und Taiwan.

Es dürfte unbestritten sein, daß die Produktionen der "fünften Generation" für das Filmwesen in der Volksrepublik China eine außerordentliche Innovation bedeuteten. Werke wie die "Gelbe Erde" oder das "Rote Kornfeld" haben es von innen erneuert und ihm nach außen zu internationaler Größe verholfen. Indem Kramer sie jedoch zum alleinigen Maßstab für die chinesische Filmkunst insgesamt macht, verstellt er sich den Blick für andere künstlerische Entwürfe. So sind die Kapitel über das Filmwesen in Hongkong und Taiwan vergleichsweise weniger gelungen, weil die Werke der dortigen Künstler allzusehr am Schaffen einer Gruppe von Regisseuren gemessen werden, die in einem nicht vergleichbaren gesellschaftlichen Kontext tätig waren.

Darüber hinaus mindert Kramer den Wert seiner Filmgeschichte an den Stellen, an denen er von der wissenschaftlichen Darstellung zum politischen Kommentar wechselt. Es mag Gründe geben, die Beamten der Filmbürokratie, einem der konservativsten und am stärksten überwachten Sektor staatlicher Herrschaft, als "machtversessene Funktionäre" zu bezeichnen. Und Äußerungen wie die, daß Mao Zedong einer "der mörderischsten Diktatoren der Weltgeschichte" gewesen sei, sind auch in China selbst zu hören. Doch sind derartige Seitenhiebe auf die Machthaber Chinas - die sich in der gesamten Abhandlung finden - nur bedingt geeignet, die durchaus problematische und verhängnisvolle Beziehung von Politik und Film zu erklären. Anstatt die Vielfalt und Komplexität dieser Wechselbeziehung zu untersuchen, stilisiert Kramer die Zensur zum eindimensionalen Feindbild und verschließt sich und dem Leser damit die Möglichkeit, einen tieferen Einblick in die Besonderheit und Widersprüchlichkeit der Lage des Films in China zu gewinnen.

Kramers "Geschichte des chinesischen Films" ist insgesamt dennoch ein notwendiges und überaus lesenswertes Buch, dem es gelingt, den Bogen von den Anfängen des Kinos in China bis zu den Entwicklungen der Gegenwart zu schlagen. Es ist zugleich ein unschätzbares aktuelles Nachschlagewerk zum chinesischen Film.

Stefan Kramer: "Geschichte des chinesischen Films". Metzler Verlag, Stuttgart 1997. 313 S., geb., 78,- Mark.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr