Die Entstehung der neuzeitlichen europäischen Staaten und ihres Systems zwischen 1300 und 1600 ist aufs engste verbunden mit der Christentumsgeschichte. Nachdem die überdehnten Ansprüche von Papst- und Kaisertum gescheitert waren, ergab sich eine Nationalisierung, Territorialisierung und Kommunalisierung der abendländischen Kirche, mit der das Verlangen nach Reformen und deren teilweise Verwirklichung verbunden waren. In diese Vorgänge vielfältig rückgebunden führte die Reformation ausgehend von den drei Zentren Wittenberg, Zürich und Genf zur Ausbildung von Konfessionen und einer die Gesamtgesellschaft umgreifenden modernisierenden Konfessionalisierung, die freilich gleichzeitig auch erste Säkularisierungstendenzen hervortrieb. In fünf großen Abschnitten (Das Christentum im Spätmittelalter, die Reformation, Konfessionsbildung und Konfessionalisierung, das östliche Christentum, das Christentum in Übersee) geht der Autor den geschilderten Vorgängen umfassend, aber konzentriert auf das Wesentlich-Weiterwirkende nach.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.09.2006Christus kam nur bis Wittenberg
Jenseits der protestantischen Welt gibt es nur noch Chronologie: Der Kirchenhistoriker Gottfried Seebaß schreibt die Geschichte des Christentums um 1500
Auf den ersten Blick scheint alles einfach zu sein: Eine Geschichte des Christentums um 1500 wird sich an der Reformation, deren Vorgeschichte und deren Folgen orientieren; dabei muß man sich nicht auf Gestalten wie Luther, Zwingli oder Calvin und ihre Wirkungen beschränken, denn seit Ranke ist das, was man früher als "Gegenreformation" bezeichnet hat und heute oft lieber "katholische Reform" nennt, als Gegenthema historiographisch etabliert. Auch die unterschiedliche Intensität und Reichweite, mit denen die Länder und Völker Europas von dem epochalen Umbruch erfaßt worden sind, läßt sich darstellerisch leicht bewältigen, und selbst die nicht zum Staatskirchentum gelangten Strömungen wie der "linke Flügel" der Reformation finden im traditionellen Denken und Ordnen des historischen Stoffes ohne weiteres ihren Platz. Schwierig wird es erst, wenn der Titel "Geschichte des Christentums" wirklich umfassend begriffen wird, also die Geschichte aller Christen in der Zeit westeuropäischer Reformation und Renaissance geschrieben werden soll, und zwar auch im Hinblick auf die Abgrenzung zu und Interaktion mit anderen Religionen.
Gottfried Seebaß, einer der besten Kenner der Reformationsgeschichte, hat diese Herausforderung in seinem umfassenden Handbuch nicht angenommen, sondern die Summe eines Experten vorgelegt. Seebaß weiß um die Defizite, begnügte sich aber damit, die "Geschichte des östlichen Christentums ebenso wie die Geschichte der Mission und des Christentums in Übersee", die mit Reformation nichts (oder wenig) zu tun hatten, nur der Chronologie folgend einzubeziehen. Den ganzen Stoff unter dem Aspekt gemächlichen Wandels, der sich in der Geschichte immer (also auch im Osten) vollzieht, und revolutionärer Ereignisse (wie der Reformation) vergleichend zu entfalten, also Neuland zu betreten, hat er nicht gewagt.
Auch das Deutungsangebot der Profanhistoriker Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard, das inzwischen in der Geschichtswissenschaft schulbildend geworden ist, hat der evangelische Kirchenhistoriker zurückgewiesen: Von Konfessionalisierung als einem Prozeß umfassenden Wandels, der vor allem staatliche mit religiöser Modernisierung verbindet, bei der Reformation nur eine "Hauptetappe" gewesen sei und die Konfessionsbildung von Katholiken, Lutheranern, Calvinisten und Anglikanern einen Aspekt darstellt, möchte er eher absehen. Trotz des Untertitels seines Buches zieht er mit Hans Baron die Bezeichnung "konfessionelles Zeitalter" vor. Die Möglichkeit, wenigstens für das westliche Europa zu einer breiten europäischen Vergleichsbasis auf strukturgeschichtlicher Grundlage zu gelangen, wird aufgegeben zugunsten einer theologischen Rückbesinnung auf die Unterschiede.
Gegen alle Versuche, die spätmittelalterlichen innerkirchlichen Reformversuche in ein Kontinuum mit den Reformatoren zu stellen, hebt der Autor also wieder "den epochalen Charakter der Reformation" hervor. Dieser gründe in der exklusiven Berufung auf die Heilige Schrift unter Abwertung der Tradition; im Wandel der kirchlichen Verkündigung, nach der nicht mehr gelehrt wurde, wie der Mensch zu Gott, sondern wie Gott zum Menschen komme; in der Aufhebung der Polarität von Laien und Geistlichen; in der Aufwertung des bürgerlichen Lebens, durch die das eigentlich christliche Leben nicht länger mit Mönchtum und Askese, sondern mit dem "Handeln im weltlichen Beruf" als Dienst am Nächsten identifiziert wurde. Schließlich habe die Reformation dazu geführt, daß in allen Konfessionen wieder ein persönliches Bekenntnis zum Christentum erforderlich wurde.
Unter der Voraussetzung, daß es Seebaß vor allem um Kirchen- und Theologiegeschichte aus der Sicht des Protestanten gegangen war, bietet sein Buch in gut durchdachter Gliederung eine hervorragende Forschungsbilanz bis in kleinste Verästelungen. Studierende der Kirchengeschichte werden für seine Darstellung und die vernünftig ausgewählten Literaturhinweise dankbar sein. Ob aber dem Fachmann für Reformationsgeschichte gelungen ist, was er sich im Vorwort gewünscht hat, nämlich Menschen, die ihm persönlich nahestehen, mit diesem Buch davon zu überzeugen, daß der Gegenstand ein ganzes Forscherleben wert war?
MICHAEL BORGOLTE
Gottfried Seebaß: "Geschichte des Christentums III". Spätmittelalter - Reformation - Konfessionalisierung. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2006. 359 S., br., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jenseits der protestantischen Welt gibt es nur noch Chronologie: Der Kirchenhistoriker Gottfried Seebaß schreibt die Geschichte des Christentums um 1500
Auf den ersten Blick scheint alles einfach zu sein: Eine Geschichte des Christentums um 1500 wird sich an der Reformation, deren Vorgeschichte und deren Folgen orientieren; dabei muß man sich nicht auf Gestalten wie Luther, Zwingli oder Calvin und ihre Wirkungen beschränken, denn seit Ranke ist das, was man früher als "Gegenreformation" bezeichnet hat und heute oft lieber "katholische Reform" nennt, als Gegenthema historiographisch etabliert. Auch die unterschiedliche Intensität und Reichweite, mit denen die Länder und Völker Europas von dem epochalen Umbruch erfaßt worden sind, läßt sich darstellerisch leicht bewältigen, und selbst die nicht zum Staatskirchentum gelangten Strömungen wie der "linke Flügel" der Reformation finden im traditionellen Denken und Ordnen des historischen Stoffes ohne weiteres ihren Platz. Schwierig wird es erst, wenn der Titel "Geschichte des Christentums" wirklich umfassend begriffen wird, also die Geschichte aller Christen in der Zeit westeuropäischer Reformation und Renaissance geschrieben werden soll, und zwar auch im Hinblick auf die Abgrenzung zu und Interaktion mit anderen Religionen.
Gottfried Seebaß, einer der besten Kenner der Reformationsgeschichte, hat diese Herausforderung in seinem umfassenden Handbuch nicht angenommen, sondern die Summe eines Experten vorgelegt. Seebaß weiß um die Defizite, begnügte sich aber damit, die "Geschichte des östlichen Christentums ebenso wie die Geschichte der Mission und des Christentums in Übersee", die mit Reformation nichts (oder wenig) zu tun hatten, nur der Chronologie folgend einzubeziehen. Den ganzen Stoff unter dem Aspekt gemächlichen Wandels, der sich in der Geschichte immer (also auch im Osten) vollzieht, und revolutionärer Ereignisse (wie der Reformation) vergleichend zu entfalten, also Neuland zu betreten, hat er nicht gewagt.
Auch das Deutungsangebot der Profanhistoriker Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard, das inzwischen in der Geschichtswissenschaft schulbildend geworden ist, hat der evangelische Kirchenhistoriker zurückgewiesen: Von Konfessionalisierung als einem Prozeß umfassenden Wandels, der vor allem staatliche mit religiöser Modernisierung verbindet, bei der Reformation nur eine "Hauptetappe" gewesen sei und die Konfessionsbildung von Katholiken, Lutheranern, Calvinisten und Anglikanern einen Aspekt darstellt, möchte er eher absehen. Trotz des Untertitels seines Buches zieht er mit Hans Baron die Bezeichnung "konfessionelles Zeitalter" vor. Die Möglichkeit, wenigstens für das westliche Europa zu einer breiten europäischen Vergleichsbasis auf strukturgeschichtlicher Grundlage zu gelangen, wird aufgegeben zugunsten einer theologischen Rückbesinnung auf die Unterschiede.
Gegen alle Versuche, die spätmittelalterlichen innerkirchlichen Reformversuche in ein Kontinuum mit den Reformatoren zu stellen, hebt der Autor also wieder "den epochalen Charakter der Reformation" hervor. Dieser gründe in der exklusiven Berufung auf die Heilige Schrift unter Abwertung der Tradition; im Wandel der kirchlichen Verkündigung, nach der nicht mehr gelehrt wurde, wie der Mensch zu Gott, sondern wie Gott zum Menschen komme; in der Aufhebung der Polarität von Laien und Geistlichen; in der Aufwertung des bürgerlichen Lebens, durch die das eigentlich christliche Leben nicht länger mit Mönchtum und Askese, sondern mit dem "Handeln im weltlichen Beruf" als Dienst am Nächsten identifiziert wurde. Schließlich habe die Reformation dazu geführt, daß in allen Konfessionen wieder ein persönliches Bekenntnis zum Christentum erforderlich wurde.
Unter der Voraussetzung, daß es Seebaß vor allem um Kirchen- und Theologiegeschichte aus der Sicht des Protestanten gegangen war, bietet sein Buch in gut durchdachter Gliederung eine hervorragende Forschungsbilanz bis in kleinste Verästelungen. Studierende der Kirchengeschichte werden für seine Darstellung und die vernünftig ausgewählten Literaturhinweise dankbar sein. Ob aber dem Fachmann für Reformationsgeschichte gelungen ist, was er sich im Vorwort gewünscht hat, nämlich Menschen, die ihm persönlich nahestehen, mit diesem Buch davon zu überzeugen, daß der Gegenstand ein ganzes Forscherleben wert war?
MICHAEL BORGOLTE
Gottfried Seebaß: "Geschichte des Christentums III". Spätmittelalter - Reformation - Konfessionalisierung. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2006. 359 S., br., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Etwas mehr wäre schön gewesen, scheint Michael Borgolte zu denken. Dass der Autor vor einer umfassenden Geschichte des Christentums (im Vergleich mit anderen Religionen) zurückschreckt und lieber das Süppchen des Reformationsexperten kocht, der er ist, nimmt ihm der Rezensent ein wenig übel. Reformation schön und gut, aber die Chance eines strukturgeschichtlichen Vergleichs innerhalb Westeuropas hätte Gottfried Seebaß nach der Einschätzung Borgoltes ruhig nutzen können. So kann er das Buch "nur" als gründliche und "hervorragende Forschungsbilanz" auf dem Gebiet der protestantischen Theologie loben und es dank seiner "durchdachten" Gliederung und "ausgewählten" Bibliografie jungen Theologiehistorikern ans Herz legen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH