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Die Geschichte des Christentums in Deutschland war über weite Strecken auch "Deutsche Geschichte". Die christlichen Konfessionen beeinflußten Staat und Politik, Kultur und Gesellschaft und wurden von diesen im Gegenzug zu einem steten Wandlungsprozeß gezwungen. Der Leipziger Kirchenhistoriker Kurt Nowak stellt in seinem Buch diese Wechselwirkungen dar und beleuchtet sie kritisch.

Produktbeschreibung
Die Geschichte des Christentums in Deutschland war über weite Strecken auch "Deutsche Geschichte". Die christlichen Konfessionen beeinflußten Staat und Politik, Kultur und Gesellschaft und wurden von diesen im Gegenzug zu einem steten Wandlungsprozeß gezwungen. Der Leipziger Kirchenhistoriker Kurt Nowak stellt in seinem Buch diese Wechselwirkungen dar und beleuchtet sie kritisch.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995

Generalrevision des Gottesverständnisses
Kurt Nowak über das Christentum in Deutschland nach der Aufklärung / Von Rudolf Vierhaus

Daß die Geschichte des Christentums eines der ganz großen Themen der geschichtlichen Erinnerung, des Geschichtsdenkens und der Geschichtswissenschaft der westlichen Welt ist, wird niemand ernstlich bestreiten. Ob es noch ein aktuelles Thema sei, ist seit dem 19. Jahrhundert oft bezweifelt worden. In den letzten Jahrzehnten jedoch findet es ein neues, populäres und wissenschaftliches Interesse. "Christentum und Gesellschaft", "Religion und Gesellschaft", "Religiöse Bewegungen" lauten Themenstellungen, unter denen zwar auch theologische und innerkirchliche Probleme, Glaubensfragen und Frömmigkeitshaltungen behandelt werden, allerdings in ihrer Verflechtung mit den jeweiligen sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnissen.

Das gilt nicht erst für die sogenannte moderne Welt, für sie jedoch in verstärktem Maße. Kann doch die Geschichte des Christentums seit dem 18. Jahrhundert ohne die volle Einbeziehung des sozialen und kulturellen Wandels nicht verstanden werden, der zur Säkularisierung des Denkens und des privaten und öffentlichen Lebens, zum Bedeutungsverlust der Kirchen und zur Entchristlichung der Gesellschaft, zu permanenter Religionskritik und zunehmender religiöser Gleichgültigkeit geführt hat. Zugleich aber auch zum Widerstand gegen diesen sich als Modernisierung verstehenden Prozeß, zu erfolgreichen Behauptungskämpfen und zur Reorganisation der Kirchen, zu Erweckungs- und Bekenntnisbewegungen und zu einer über die Kirchen hinausdrängenden christlichen Religiosität, die als verhaltens- und mentalitätsprägende Kraft wie als Herausforderung an Staat und Gesellschaft noch immer wirksam ist.

Nicht nur moderne christliche Fundamentalismen machen darauf aufmerksam, wie sehr die gegenwärtige westliche Welt vom Christentum gleichsam imprägniert ist, auch wenn dies vielfach nicht mehr gewußt wird. Auch die moderne kulturwissenschaftliche Forschung ist weit in die Tiefendimensionen der christlichen Religion in der modernen Gesellschaft vorgedrungen. Wer die Geschichte des Christentums in den letzten zwei Jahrhunderten darstellt, muß sie im Kontext der Sozial-, Kultur- und Politikgeschichte einer Zeit zu sehen in der Lage sein, in der das Christentum seine dominierende Bedeutung verloren zu haben scheint, es aber doch weit mehr ist als Restbestand einer in die Gegenwart noch hineinragenden Vergangenheit, nämlich ein wirksames Element der Gegenwart.

Dafür ist die "Geschichte des Christentums in Deutschland" des Leipziger Kirchenhistorikers Kurt Nowak ein herausragendes Beispiel, das die Aufmerksamkeit nicht nur der "Fachwelt" verdient. Anlage, Tenor und Anspruch des Werkes sind im Untertitel angezeigt: "Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts". Diese Thematik schließt in Deutschland besonders komplizierte Probleme ein; handelt es sich doch um ein Land ohne kirchliche Einheit und stets spannungsreicher Koexistenz der mit den deutschen Einzelstaaten eng verknüpften Konfessionen, ein Land, das erst spät politische Einheit erreichte, die zugleich mit der Abstoßung des katholischen Österreich einen Umbruch des Konfessionsverhältnisses brachte; um ein Land zudem, in dem seit der Reformation die kontroverse Beschäftigung mit Fragen des rechten Glaubens, mit der Theologie und der Kirchen- und Religionsgeschichte lange Zeit zentrale Bedeutung für das geistige Leben besaß, in dem aber doch auch der Absturz in die Barbarei des biologistischen Rassismus möglich war.

Im Blick auf dieses Land dem Verhältnis von Religion, Politik und Gesellschaft seit dem "Ende der Aufklärung" nachzugehen heißt eine schwer zu überblickende Vielfalt von besonderen Ausprägungen dieses Verhältnisses zu berücksichtigen, die noch vermehrt wird, wenn man - wie Nowak es tut - das Judentum als dritte "Konfession" einbezieht: als religiös-kulturelle Kraft und politisch-gesellschaftlichen Faktor, der für die Orientierung der Protestanten und Katholiken eine Schlüsselfunktion einnahm.

Nowak, für den es selbstverständlich ist, daß die Geschichte des Christentums nicht als Kirchen- und Theologiegeschichte geschrieben werden kann, nennt im Vorwort zwei "Grundannahmen" für seine Darstellung: Entkirchlichung und Entchristlichung in der modernen Welt sind nicht mit einem Schwund der Religion gleichzusetzen, sondern scheinen Folgen einer "ständigen Erweiterung des Universums der Religion" mit allen seinen Auswirkungen bis zu dem Punkt zu sein, "wo die Negation der Religion zu einem Teil ihrer Wirklichkeit geworden ist". Und: Das Verhältnis des Christentums zur Aufklärung des 17./18. Jahrhunderts ist als Dauerthema der seitherigen Geschichte des Christentums und der Kirchen nicht unter dem negativen Aspekt der Säkularisierung, sondern dem der Universalisierung der Religion zu sehen. Nicht die destruktiven Wirkungen der Aufklärung, sondern ihre Bedeutung für das Christentum sollen aufgezeigt werden. Für einen Kirchenhistoriker ein riskantes Vorhaben, das Nowak auf der Grundlage breiter historischer Kenntnis mit kräftigem strukturierendem Zugriff und ausgeprägter Formulierungsfreude angeht. Entstanden ist eine problemorientiert zügige, vorzüglich lesbare Darstellung.

Sie folgt im großen der Chronologie der politischen Geschichte. Im ersten Teil "Übergangsgesellschaft und bürgerliche Welt" ist das Jahrhundert von 1770-1870 behandelt, im zweiten "Das Deutsche Reich" unter Einschluß der Weimarer Republik und des Dritten Reiches, im kurzen dritten die "Nachkriegszeit" bis zur "doppelten Staatsgründung" 1949. Die Folge der einzelnen problemorientierten Kapitel und Unterkapitel lassen schon auf den ersten Blick das Bemühen des Verfassers erkennen, sein Leitthema, die Geschichte der Religion, nicht politik- und gesellschaftsgeschichtlich zu mediatisieren.

Sie bleibt im Zentrum einer Darstellung, die die christliche Religion in allen ihren institutionellen Gestalten, ihren das Denken und Handeln der Menschen prägenden Wirkungen, ihren sozialen Funktionen und politischen Aktionen als noch immer allgegenwärtige Wirklichkeit zeigen will. Sie ist konsequent überkonfessionell, berücksichtigt allerdings die christlichen Freikirchen und nichtkirchlichen Gemeinschaften nicht. Dagegen findet die Rolle des Judentums in der deutschen Gesellschaft, insbesondere sein Verhältnis zu den christlichen Konfessionen und deren Haltung zu ihm, ausführliche Beachtung. Bei aller Überkonfessionalität der Darstellung sind doch die für die gesellschaftlich-kulturelle und politische Entwicklung in Deutschland in jeder Hinsicht wichtigen Unterschiede zwischen Protestantismus und Katholizismus deutlich herausgearbeitet.

Der Weg des deutschen Katholizismus von seiner Krise im späten 18. Jahrhundert und der Auflösung der Reichskirche durch die Säkularisation von 1803 über den Neuaufbau der Kirchenorganisation nach 1815, die Neubelebung des kirchlichen Lebens und die Revitalisierung der Volksfrömmigkeit, den Ultramontanismus, den Kampf gegen Liberalismus und Modernismus und für die Freiheit gegenüber der Staatsgewalt bis zum Eintritt in die Politik als katholische Partei, die in der Weimarer Republik Regierungsverantwortung übernimmt - das ist eine Erfolgsgeschichte, die in Nowaks Darstellung sich von der diffusen Geschichte des Protestantismus deutlich abhebt und dem oft behaupteten katholischen Modernitätsrückstand widerspricht.

Der deutsche Protestantismus hingegen, stärker von der Aufklärung beeinflußt, tiefer in die philosophischen, ideenpolitischen Richtungskämpfe verwickelt, kirchlich enger an die weltliche Obrigkeit, aber weit weniger an die Kirche gebunden, mit tiefer Kluft zwischen modernitätsbewußten Bildungschristen und konservativen Bekenntnischristen und mit seinen Anpassungen und Unentschiedenheiten bietet ein ganz anderes Bild, dessen Widersprüchlichkeit vom Verfasser ohne Harmonisierung und differenziert vorgestellt wird.

Die begrifflich pointierte, gedrängte Analyse des Verhältnisses von Christentum und Gesellschaft "am Ende des Zeitalters der Aufklärung" hätte man sich angesichts der grundlegenden Bedeutung für die folgende Darstellung etwas ausführlicher gewünscht, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob und wie die breiteren Bevölkerungsschichten von der Aufklärung erreicht wurden und welche anderen Gründe zu der beginnenden Entkirchlichung und dem "religiösen Kulturumbruch" beigetragen haben, in dessen Verlauf die Religion als Thema der öffentlichen Diskussion aus dem Raum der Kirchen hinaustrat.

Es war dies, wie zutreffend gezeigt wird, ein Vorgang, der nicht erst unter dem Eindruck der Französischen Revolution und der Aufhebung der geistlichen Staaten in Gang kam; die Autoritäts- und Orientierungskrise der Kirchen war Teil der umfassenden sozialen und politischen Krise des Ancien régime, in deren Verlauf sich die religiösen, weltanschaulichen und politischen Positionen formierten, die in wechselnden Verbindungen und Abstoßungen, Anpassungen und Oppositionen für die Folgezeit bis in die Gegenwart hinein kennzeichnend geblieben sind.

Die Beschreibung ihrer Wirkungen sowohl für die Religion als auch für Gesellschaft und Politik, der Aufweis der unterschiedlichen Aktions- und Reaktionsweisen der Katholiken und der - stets gespaltenen - Protestanten, die Untersuchung der traditionsgestützten oder taktischen Koalitionen zwischen Kirchenleitungen, Regierungen und politischen Parteien, die Charakterisierung der konfessionellen Milieus in einem Lande mit vielfach gehemmter demokratischer, später aber stürmischer wirtschaftlicher Entwicklung und einer durch besondere Staatsleistungen privilegierten Stellung der Kirchen - das sind nur einige der wichtigsten Themen des Buches. In welchem Ausmaß theologisch begründete, philosophisch und kulturpolitisch legitimierte konfessionelle Gegensätze den einzelstaatlichen Partikularismus stützten und das deutsche Parteiensystem mitbestimmten, ist besonders an den konfessionspolitischen Konflikten der Restaurationszeit und am "Kulturkampf" der 1870/80er Jahre eindringlich dargestellt, wobei insbesondere die Bedeutung der Konflikte für die Selbstbehauptung und die kirchliche und politische Mobilisierung des Katholizismus hervorgehoben wird. Gegenüber liberalprotestantischer und emanzipationsvernünftiger Kritik sind die Motive des katholischen Antimodernismus wie die unzeitgemäß erscheinenden Formen katholischer Volksfrömmigkeit analysiert. "Zu den Merkmalen der Neuzeit und Moderne gehören", so stellt Nowak in diesem Zusammenhang fest, "irreduktible Vielfalt und wachsende schiedsrichterliche Ohnmacht im Blick auf das Wahre und Falsche in der Religion. Das Universum der Religion enthält in der Ungleichzeitigkeit seiner Gehalte, im Widerstreit der sich in ihm abarbeitenden Parteien und auch in den Ansprüchen der religiösen (Teil-)Kulturen auf gesellschaftliche Sinnstiftung die Verlockung, bestimmte Elemente zu favorisieren, andere zu verwerfen. Dabei kommt vielfach das, was die verschiedenen religiösen Kulturen darstellten und meinten, zu kurz." Ob ein Katholik in gleicher Weise vom "Universum der Religion" sprechen würde?

Der Protestantismus im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft erfährt bei Nowak eine kritische Beurteilung, in seinen Reihen gingen die Anpassungen an die politische Macht wie an den Zeitgeist weiter als im Katholizismus; die Ablösung von der Autorität der Kirche in Richtung auf einen Kulturprotestantismus erfolgte in den bürgerlichen Schichten weithin bruchlos, gegen den jedoch von den Erweckungsbewegungen, dem katholisierenden romantisch-konservativen Kirchentum der Restaurationszeit über die neu-lutherische Orthodoxie bis zur dialektischen Theologie immer wieder Front gemacht wurde. Nowak zeigt die Orientierungsschwierigkeiten der protestantischen Landeskirchen gegenüber demokratischen Tendenzen, ebenso gegenüber der Nationalbewegung bis zur Reichsgründung, die nach dem Ausscheiden Österreichs und dem Sieg über Frankreich in manchen Kreisen geschichtstheologisch als Sieg des protestantischen Deutschland über den internationalen Katholizismus und die Prinzipien der Französischen Revolution interpretiert wurde und von wo der Weg zur Abdrängung der im Reich zur Minderheit gewordenen Katholiken - wie des internationalen und kirchenkritischen Sozialismus - zur Reichsfeindschaft nicht weit war.

Das Kapitel "Kirche im Kaiserreich - Kampf um die Leitkultur" gehört zu den Höhepunkten des Buches. Dem Verfasser gelingt auf knapp fünfzig Seiten eine dichte Analyse der Politisierung der Konfessionen, ihres Anteils an allen Vorgängen und Tendenzen der Zeit, ihrer Haltung zur Industrialisierung und zur Arbeiterfrage, zur Kolonialpolitik, zum Imperialismus und Militarismus, zum Antisemitismus, zum Materialismus und zu den zahllosen Versuchen postchristlicher Sinnstiftung - Zeiterscheinungen, von denen die Konfessionen nicht nur betroffen, sondern in die sie selbst vielfältig verwickelt waren.

Die Behandlung der Zeit der Weimarer Republik "Explosion der Moderne" überschrieben zu finden, überrascht zunächst, leuchtet aber bei der Lektüre ein. Mit dem Untergang der Monarchie, dem Übergang zur weltanschauungsneutralen demokratischen Republik und zum Parlamentarismus entstand eine Situation, die von den Konfessionen unterschiedlich genutzt wurde. Während der Katholizismus, aus seinem kulturellen Exil völlig heraustretend und durch die Zentrumspartei in die Regierungsverantwortung eintretend, eine unerwartete Entfaltung erlebte, taten sich die in die Staatsfreiheit entlassenen protestantischen Kirchen schwer, ein positives Verhältnis zum neuen Staat zu finden.

Dagegen kam es zu einer theologischen Bewegung, der Nowak die Qualität einer Revolution zuschreibt: zu einer "Generalrevision des Gottesverständnisses" gegenüber der kulturprotestantischen Theologie der Vermittlung und der Kontinuitätsbewahrung. Bei Anerkennung der Fruchtbarkeit der Krisentheologie bescheinigt ihr Nowak doch Armut an konstruktivem Wirklichkeitssinn. Eine "Theologie der Demokratie, die sich den Erfordernissen der pluralistischen Kultur und den Ansprüchen der parlamentarischen Verfassungsrealität" gestellt hätte, sei nicht hervorgebracht worden. Zwar erkennt Nowak auch im Protestantismus eine "neue Kirchlichkeit", die dem allgemeinen Zeitgeist der Sehnsucht nach Gemeinschaft entsprochen habe, aber er betont auch die darin enthaltene Gefahr der Mystifizierung des Gemeinschaftsbegriffs.

Am Ende der Weimarer Republik standen beide Konfessionen der reißenden Veränderung aller Lebensverhältnisse, vor allem der politischen Radikalisierung und den sozialen Gegensätzen praktisch hilflos, dem steigenden Antisemitismus tatenlos gegenüber. Als sie in den Sog der "nationalen Revolution" hineingerieten, war es wiederum der Katholizismus, der sich ohne Spaltung, mit Rückhalt an der Kirche, besser behauptete als der Protestantismus. Das Hauptinteresse Nowaks gilt jedoch nicht dem "Kirchenkampf" zwischen deutschen Christen und Bekennender Kirche, in den die Mehrheit der Protestanten nicht hineingezogen worden sei. Er richtet seine Aufmerksamkeit mehr auf die nationalsozialistische Weltanschauungs- und Kulturpolitik, zu deren Zielen es gehörte, das Christentum aus allen Lebensbereichen zu verdrängen, auf nichtchristliche Glaubensbewegungen und auf die Behauptungskraft der "Volkskirche", auf Verfolgung und Widerstand, der sich - eine wichtige Feststellung! - keineswegs immer gegen das NS-Regime als Ganzes richtete, sondern in "Teilwiderständen" äußerte. Mit Recht unterstreicht Nowak die Erfolglosigkeit des Kampfes der Nationalsozialisten gegen die Kirchen und Anzeichen für die verstärkte Hinwendung zur Kirche im Kriege.

Der abschließende Teil "Nachkriegszeit" bringt zahlreiche Einzelheiten kirchlicher Hilfstätigkeit und wieder aufblühenden christlichen kulturellen Lebens, gibt aber im übrigen eher einen Überblick über das politische Geschehen der Jahre 1945 bis 1949. Wichtiger ist das wenige, was über das Christentum in der Sowjetischen Besatzungszone - auch über die Hoffnungen auf einen "christlichen Sozialismus" und die anfängliche Bereitschaft vieler Protestanten zur Zusammenarbeit mit der Militärregierung und auch der SED - gesagt wird. Die Jahre der sowjetischen Militärherrschaft seien nur der "Vorhof" der weltanschaulichen und politischen Konflikte gewesen, die in den Folgejahren mit der SED, vor allem nach ihrer Umgestaltung zur "Partei neuen Typs", auszutragen waren.

Über die behauptete besondere Spiritualität des ostdeutschen Protestantismus und "Zukunftschristentums protestantischer Provenienz", das sich 1989 zu bestätigen schien, dann aber "von seiner charismatischen Höhe" abgestürzt sei, würde man gern vom Verfasser mehr hören. Seiner Annahme, daß sich das Christentum in Deutschland "mittel- und langfristiger Perspektive . . . wahrscheinlich auf einen minoritären Status zubewegen" werde, wird man sich allerdings nicht entziehen können. Was aber würde das für das "Universum der Religion" in unserem Lande bedeuten? Was tritt an die Stelle des Christentums?

Gewiß hätte sich - bei diesem Thema! - mancher Akzent anders setzen lassen, zum Beispiel auch den Erweckungsbewegungen und dem Pietismus, dem christlich geprägten Leben in Familie und Kirchengemeinde, der gesellschaftlichen Stellung evangelischer Pfarrer und katholischer Priester, der Inneren Mission und der christlichen Arbeiterbewegung größere Aufmerksamkeit gewidmet werden können. Auch hätten gelegentliche Blicke über Deutschland hinaus das Besondere der deutschen Entwicklung schärfer ins Licht stellen können. Der realgeschichtliche Reichtum der Darstellung ist gleichwohl beeindruckend, ebenso der Mut, mit dem hier Christentumsgeschichte als Geschichte der modernen Gesellschaft geschrieben ist.

Kurt Nowak: "Geschichte des Christentums in Deutschland". Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Verlag C. H. Beck, München 1995. 389 S., geb., 58,- DM.

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