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Band 5 der Geschichte des deutschen Buchhandels behandelt die Sowjetische Besatzungszone (1945-49) und die DDR (1949-90). Der erste Teil widmet sich den politischen Ausgangsbedingungen in Ostdeutschland nach dem Ende der NS-Diktatur und den kulturellen Rahmenbedingungen in der Zeit der SED-Herrschaft sowie der Entwicklung der wichtigsten belletristischen Verlage zum Beispiel Aufbau, Volk und Welt, Insel, Kiepenheuer, Reclam, Eulenspiegel und der Mitteldeutsche Verlag.

Produktbeschreibung
Band 5 der Geschichte des deutschen Buchhandels behandelt die Sowjetische Besatzungszone (1945-49) und die DDR (1949-90). Der erste Teil widmet sich den politischen Ausgangsbedingungen in Ostdeutschland nach dem Ende der NS-Diktatur und den kulturellen Rahmenbedingungen in der Zeit der SED-Herrschaft sowie der Entwicklung der wichtigsten belletristischen Verlage zum Beispiel Aufbau, Volk und Welt, Insel, Kiepenheuer, Reclam, Eulenspiegel und der Mitteldeutsche Verlag.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2024

Propagandistische Dauererregung bindet kein Lesepublikum
Vom fraglosen Nutzen der Polykratie der Ämter: Zum abschließenden Band der Geschichte des deutschen Buchhandels im Nationalsozialismus

Im Frühjahr 1935 erhielten alle Buchhändler Deutschlands die Order, Sonderschaufenster zum Geburtstag des "Führers" zu gestalten. Felix Jud platzierte daraufhin im Fenster seiner Hamburger Bücherstube eine schief hängende Illustrierte mit dem Konterfei des Diktators, das er mit knapp zwanzig Exemplaren des Bestsellers "Heitere Tage mit braunen Menschen" umrahmte. Das Cover des Südseebuches von Richard Katz zeigte eine leicht bekleidete dunkle Schönheit mit Blumen im Haar, die sich auf dem Stamm einer Palme niedergelassen hatte.

Diese Anekdote wurde - mit weiteren Details ausgeschmückt - 1998 und erneut 2018 in Festschriften der Buchhandlung Felix Jud publiziert. Aber ist sie wahr? Es gibt offenbar keinen zeitgenössischen Bericht, der sie bestätigt, auch in den Meldungen der Hamburger Gestapo findet das Ereignis, das angeblich "zum Stadtgespräch" geworden ist, keine Erwähnung. Handelt es sich also um eine Fiktion, die der Entlastung - mehr des heutigen Lesers als der einstigen Akteure - dient?

Die "Geschichte des deutschen Buchhandels" in der Zeit des Nationalsozialismus, deren abschließenden Band Ernst Fischer und Reinhard Wittmann jetzt vorlegen, bietet zum ersten Mal einen Überblick über alle Bereiche der Herstellung und Verbreitung von Büchern und anderen Druckschriften unter den Bedingungen einer Ideologie, die mit terroristischen Mitteln eine vollständige Herrschaft über das Denken und Handeln jedes einzelnen Menschen erstrebte. Auch wenn andere Medien wie die mündliche Rede (etwa auf Kundgebungen und Parteitagen), der sie multiplizierende Rundfunk ("Goebbels-Schnauze"), das Kino (mit dem rasant sich ausbreitenden Tonfilm) und die Tagespresse aufgrund ihrer Massenwirksamkeit im Zentrum der Aufmerksamkeit der Funktionäre standen, unterwarfen sie in gleichem Maße das gedruckte Buch einer möglichst totalen Kontrolle. Dabei ging es nur chronologisch an erster Stelle um das Ausschalten von allem, was nicht der nationalsozialistischen Ideologie entsprach; viel wichtiger war es, diese Ideologie in die "Köpfe und Herzen" der Menschen zu pflanzen, damit beispielsweise ein Buchhändler nicht mehr nach der - streng geheimen - Liste verbotener Bücher fragte, sondern von selbst wusste, welche Bücher er bei der Gestapo abzuliefern hatte. Erstmals in der Geschichte des Buchwesens stand nicht die Zensur, sondern ihre Zwillingsschwester, die Propaganda, im Mittelpunkt der Aktivitäten.

Während der bereits 2015 veröffentlichte erste Teil dieses Monumentalwerkes sich eingehend mit den Grundlagen (Jan-Pieter Barbian) befasste sowie einen fulminanten Überblick über die Entwicklung der belletristischen Verlage lieferte (Reinhard Wittmann), folgt jetzt zunächst die Darstellung weiterer Verlagstypen, darunter, um nur einige zu nennen, die Kunst- und Architekturverlage (Roland Jaeger), die Musikverlage (Axel Beer), die Schulbuchverlage (Gisela Teistler) oder die Kinder- und Jugendbuchverlage (Anke Vogel). Von besonderem Gewicht sind schon der Sache nach der konzise Abriss der Geschichte des Verlags Franz Eher Nachf. als Zentralverlag der NSDAP (Wilhelm Haefs) und die Übersicht über die zahllosen Gau-, Organisations- und parteinahen Verlage (Murray G. Hall).

Mehr noch als für die Studien zum Verlagswesen gilt für den Bereich des verbreitenden Buchhandels, dass wissenschaftliche Vorarbeiten selten und höchstens punktuell vorlagen, sodass die Autoren immer wieder gezwungen waren, Grundlagenarbeit zu leisten, und dies in einem Bereich, der die Historiker schon immer mit einer äußerst mageren Quellenlage gequält hat. Nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs und der Zerstörung des Leipziger Buchhändlerviertels als Zentrale des deutschen Buchhandels am 4. Dezember 1943 können sich Verlagsgeschichten immer noch auf die gedruckten Bücher stützen - dagegen ist von den Abertausenden Sortimentsbuchhandlungen (Jan-Pieter Barbian), den Antiquariaten (Reinhard Wittmann), den buchhändlerischen Nebenmärkten (Christine Haug), den Leihbibliotheken, Lesezirkeln und Buchgemeinschaften (Jan-Pieter Barbian und Ernst Fischer) und den Einrichtungen des Buchexports und des deutschen Auslandsbuchhandels (Ernst Fischer) nahezu kein firmeninternes Material überliefert worden.

Dies zwingt dazu, die Geschichte zu großen Teilen aus der Perspektive der Herrschenden und ihrer amtlichen Archive beziehungsweise der von ihnen kontrollierten Presse zu schreiben. Dabei wird deutlich, dass selbst radikale Maßnahmen auch deshalb schnell und wirkungsvoll umgesetzt wurden, weil sie in den Verlagen und Buchhandlungen auf willige Vollstrecker, ja mehr noch: auf Profiteure trafen. Nach den Krisenjahren 1929/31 erlebte der deutsche Buchhandel bis 1942 eine erst langsame, dann geradezu aberwitzige Konjunktur bei Absatz, Umsatz und Gewinnen, und auch danach profitierten einige Firmen wie Bertelsmann, Reclam und andere in exorbitantem Ausmaße vom Krieg in Gestalt des Frontbuchhandels. Andererseits ist selbst aus den offiziellen Berichten zu erschließen, dass von einer umfassenden Beherrschung des Buchmarktes keine Rede sein konnte. Neben der Polykratie der Ämter und dem Chaos der Zuständigkeiten sowie den objektiven Grenzen einer Kriegswirtschaft waren es die nicht zu ändernden Interessen des Lesepublikums, die eine totale Herrschaft verhinderten. Die propagandistische Dauererregung führte schon bald zu einer Abstumpfung und zu einer Flucht in "unpolitische" Unterhaltungsliteratur aller Art.

Mit Blick auf manche jüngere Tendenzen warnen die Herausgeber vor einem Bestreben nach "rigorosen moralischen Qualifizierungen" des einstigen Verhaltens von Autoren, Verlegern und Buchhändlern, hinter dem sich lediglich "erhebliche Defizite beim Wissen um die komplizierten Interdependenzen und Zwänge des totalitären Lenkungs- und Überwachungssystems" versteckten. Wenn etwa noch kürzlich in Publikationen zur Musikgeschichte des "Dritten Reichs" platterdings behauptet wurde, dass der Jazz verboten worden sei, ist das schwer in Einklang zu bringen mit dem Befund, dass Musik für Jazz-Orchester noch Ende 1943 in den Katalogen der einschlägigen Musikverlage angeboten wurde. Es bleibt eine Aufgabe auch der Buchhistoriker, sich der Erkenntnis von Reinhard Wittmann zu stellen: "Die Wirklichkeit verlegerischen (und, so darf ergänzt werden, buchhändlerischen) Überlebens in der Diktatur ist sicher nicht mit einer bloßen Dichotomie von Fanatikern, Anpassern und Mitläufern auf der einen und vorsichtiger Distanz, 'Innerer Emigration' oder gar provokanter Opposition auf der anderen Seite zu erfassen." In diesem Geiste hat die Forschung noch ein weites Arbeitsfeld vor sich, aber nun kann sie auf einem soliden Fundament aufbauen.

Mit dem Erscheinen der letzten Teilbände ist zugleich die Gesamtdarstellung der Geschichte des deutschen Buchhandels im Nationalsozialismus abgeschlossen, zu der - darauf ist ausdrücklich hinzuweisen - auch die Bände von Ernst Fischer über den Exilbuchhandel gehören (siehe F.A.Z. vom 5. März 2021). Das von der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels herausgegebene Werk ist ein Meilenstein in der kritischen Auseinandersetzung einer Branche mit ihrer eigenen, nicht selten beschämenden Geschichte. Es mussten neunzig Jahre seit der "Machtergreifung" vergehen, bis der Buchhandel, der sich so gern als Kulturträger sieht, es gewagt hat, in den Spiegel zu blicken.

Und Felix Jud? Der erklärte NS-Gegner wurde 1943 verhaftet, 1944 ins KZ Neuengamme verlegt und im April 1945(!) zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Wenige Tage später wurde er von den Engländern befreit. Seine Hamburger Bücherstube ist bis heute ein Leuchtturm des deutschen Buchhandels. Ob buchstäblich wahr oder nicht, manchmal bewahren Anekdoten eine höhere Wahrheit. MARK LEHMSTEDT

"Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert". Band 3: Drittes Reich, Teil 1 und 2.

Hrsg. von Ernst Fischer und Reinhard Wittmann. De Gruyter Verlag, Berlin 2023. 957 S., Abb., geb., 300,- Euro.

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