Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.1996Der pauperisierte Samurai
Rudolf Hartmann entdeckt den Kampf der "Volksmassen" in Japan
Rudolf Hartmann: Geschichte des modernen Japan. Von Meiji bis Heisei.Akademie Verlag, Berlin 1996. 350 Seiten, 78,- Mark.
Daß ein deutscher Autor die erste Gesamtschau über annähernd 140 Jahre "Geschichte des modernen Japan" wagt, zeugt von bemerkenswertem Selbstbewußtsein, Fleiß, ja Kühnheit. Ob es an einem solchen ehrgeizigen Überblickwerk, das, so Hartmanns Anspruch in seinem Vorwort, vor einem Fachpublikum ebenso bestehen soll wie vor interessierten Laien, überhaupt mangelte, scheint unter Japanologen durchaus nicht unumstritten. Befürworter verweisen auf ihre Studenten, die eines solchen grundlegenen, fundierten Werks dringend bedürften. Gegner meinen, es sei selbst für den brillantesten, mit den neuesten Quellen und internationalen Sekundärstudien vertrauten Japan-Wissenschaftler unmöglich, die wie in Zeitraffersprüngen drängende Entwicklung Japans vom abgeschlossenen Feudalstaat zur zweitgrößten Industrienation auch nur halbwegs seriös darzustellen: Das Scheitern sei gewiß, auf noble oder ehrenrührige Weise.
Während dieser Streit von Außenseitern nicht entschieden werden kann, läßt sich behaupten, daß Rudolf Hartmann sich den Verächtern eines Überblickswerks unfreiwillig als Kronzeuge ausgeliefert hat: Sein Buch ist nicht nur sprachlich mißlungen, indem es sich eines monströsen Stils befleißigt, der zwischen mißgelauntem Diavortrag, Steuererklärungsprosa und Politbüroverlautbarung changiert und noch dazu Stilblüten einstreut. Es ist, und das wiegt schwerer, methodisch veraltet, politisch parteiisch und auf beunruhigende Weise ahnungslos, was die Erkenntnisse der internationalen, namentlich der amerikanischen Japanologie in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten betrifft: Es ist, so lautet der bald überwältigende Verdacht, eines jener Bücher, die für eine real existierende DDR verfaßt wurden und der Wende zum Opfer fielen.
Das ist Pech und muß noch nichts über die Qualität besagen. Zumal die sprachmittlerische und übersetzerische Arbeit der DDR-Japanologie einiges Ansehen genießt. Im Fall von Rudolf Hartmann aber, der aus unerfindlichen Gründen vom Akademie Verlag mit keiner Zeile vorgestellt wird, besagt es viel. Private Recherchen ergeben, daß der Japanologe Hartmann wohl Ende Fünfzig ist, der Akademie der Wissenschaften der DDR bis zu ihrer Auflösung angehörte, sich auf Neuere Geschichte sowie jene der Arbeiterbewegung spezialisierte und ein verdienstvolles deutsch-japanisches Zeichenwörterbuch (Hartmann/Wernecke) mitverfaßt hat. Der klassischen Modernisierungstheorie und dem Historischem Materialismus offenbar nach wie vor verpflichtet, analysiert er die atemraubende Wandlung des rückständigen Feudalstaats zur kolonialistischen Großmacht, ihre Kriegsniederlage und den Wiederaufstieg unter amerikanischer Patronage bis zur Handelssupermacht als rein ökonomisch-imperialistische Zwangsläufigkeit. Und das mit jener leicht angewiderten, marxistisch geschulten Selbstgewißheit, die jeden zum Dummkopf erklärt, der die Geschichte von Nationen nicht allein in Industrieproduktion, Reisaufkommen (?), Kriegsmarinetonnage, Nationaleinkommen und Bauernaufständen zu erkennen bereit ist.
Hartmann scheut nicht abgestandene Propagandabegriffe wie "linkes Abenteurertum", "sozial parasitäre Schicht", empört sich gegen "Faschisierung", "ungeheuerliche Ausbeutung", im Absatz darauf gar über "enorme Ausbeutung" und verehrt immer wieder und über die Maßen die "Massen", "Volksmassen" und vor allem deren heroischen, in Japan leider erfolglosen "Kampf". Gläubig legt er eine grotesk exakte Statistik über Bauernaufstände zwischen 1830 und 1867 vor, genau 809 seien es gewesen, notiert er, als hätten die Zählungen des Shogunats, der Bauern Schinder also, die Glaubwürdigkeit von Börsenkursen. Überhaupt liebt Hartmann - ganz in der Tradition des zeitgenössischen Japan - Zahlen aller Art, die ihm als Ersatz für Argumentation und Erklärung herhalten. Reis und Eisen, Blut und Bauern, alles ist nur etwas wert, wenn es "sicht- und meßbar" (Hartmann) ist.
Nun ließe sich einwenden, daß gegen eine besondere Berücksichtigung niederer Stände, Arbeiter, eben der kleinen Leute in Japan, die in der Tat in den Eroberungskriegen starben, statt sich an ihnen gesundzustoßen, eigentlich nichts spricht: Allerdings nur, wenn der Autor im Titel oder wenigstens im Vorwort offenbarte, daß es ihm nicht um "Geschichte", sondern etwa um eine Geschichte "der Ausgebeuteten im japanischen Imperialismus" zu tun sei. Davon aber ist nirgendwo die Rede, der Vorwurf des Ettikettenschwindels ist kaum zu widerlegen. Doch selbst wer die sozialistischen Neigungen Hartmanns teilte, muß von einer verballhornten Bürokratensprache abgeschreckt werden, in der "Samurai aufkommen" und "pauperisiert" verschwinden, "Attentate erfolgen", "Parteienlandschaften vereinfachen", "Militärgerichte begnaden", "Petitionen ungehört verhallen", "die Kraft der Volksbewegung in Gestalt der Reisunruhen" entdeckt wird und eine "Bank das Licht der Welt erblickt". Hartmann ist redundant töricht, wenn er "dieser Absicht . . . Intentionen zugrunde legt", er ist anrührend naiv, wenn er den Opfern einer Schlacht im russisch-japanischen Krieg (1904-1905) nachruft: "Menschenleben zählten nicht, ausschlaggebend war nur der Erfolg." Hartmann ist kitschig, wenn er in seinem Zahlenwirrwarr plötzlich hungernde Pächter vor "rindelosen Bäumen" beschreibt, und er erweist seinen geschundenen Helden keinen Gefallen, wenn er zwischen all den "diesbezüglich" und "Inangriffnahmen" etwa über die Einführung der Wehrpflicht schreibt: "Doch auferlegte sie auch den Bauern bedeutende Opfer, so daß es von deren Seite zu zahlreichen Erhebungen kam."
Wem es gegeben ist, von einer solchen Sprache abzusehen, wundert sich "indes" (Hartmanns Lieblingswort) über die Gewichte, welche der Autor auf 300 Seiten, zuzüglich fünfzig Seiten Zahlen und Namen in Anhang, Glossaren, Indizes, einzelnen Ereignissen beimißt. Dem Großen Kanto-Erdbeben vom 1. September 1923, dem verheerendsten und folgenreichsten psychologischen Schock vor dem Krieg, widmet er ganze siebzehn Zeilen. Von Pearl Harbor bis Hiroshima schafft er es in sieben Druckseiten, drei Tabellen und einer Karte; "Ökologieprobleme" in den sechziger Jahren, sind ihm, ohne Minamata beim Namen zu nennen, nur einen Absatz wert, an dessen Ende er allerdings behauptet, die Opfer "überschritten die Zehn-, ja die Hunderttausendergrenze." Viel Raum gewährt Hartmann dagegen den Verfolgungen, Spaltungen, Parteitagsbeschlüssen von Japans Sozialisten und Kommunisten und läßt, den fälligen "US-Imperialismus" sich verkneifend, keinen Zweifel daran, daß er die Westbindung Japans im Kalten Krieg für eine "Gefahr" hält und für "einen Verzicht auf einen Teil seiner Souveränität". Vom Imperialismus sowjetischer Spielart kein Wort, sowenig wie eine Kritik an Stalins Verletzung eines gültigen Neutralitätspaktes durch den Angriff am 8. August 1945. Da sind bei dem Genossen Japanologen Hartmann etliche alte, blinde Flecken, die auch nicht aufgehellt werden, wenn er richtig, gleichwohl in schrecklichem Deutsch, konstatiert, daß die Atombombenabwürfe "breite Volksschichten für den Pazifismus sensibilisiert haben", eine Bewegung, die "begann millionenfach zu werden".
In seinem Element ist Rudolf Hartmann stets dann, wenn Unterdrückte kämpfen, besonders aber während der Arbeitskämpfe in den fünfziger Jahren. Es ist ihm offenkundig eine Lust, von all den mutigen Streiks zu berichten, die 1960, im Jahr der Proteste gegen den Sicherheitsvertrag mit Amerika, in drei Generalstreiks gipfelten. Oder erst die Ölkrise 1974, da Hartmann mit Genugtuung feststellt: "Die Last der Krise traf wie immer die einfachen Menschen am härtesten. Sie wehrten sich dagegen, und die Streikbewegung des Jahres 1974 kennt nicht ihresgleichen in der japanischen Geschichte." Mit dem Ende der kämpferischen Gewerkschaften wird auch Hartmann kleinlaut und kurz angebunden. Sein Fußnotenapparat aus 144 Eintragungen verweist kaum je über das Jahr 1980 hinaus, die in der Japanologie führenden Amerikaner ignoriert Hartmann fast gänzlich auf verräterische Weise. Wirklich ärgerlich aber ist das Ende: Knappe vier Druckseiten widmet der Autor des Buches mit dem Untertitel "von Meiji bis Heisei" den Jahren von 1989, dem Tode Hirohitos (Showa), bis zur Jetztzeit unter Akihito (Heisei). Der äußerst unerquickliche Eindruck, hier sei eine im DDR-Sozialismus fertiggestellte Arbeit hastig auf Westformat gewendet und als aktuell ausgegeben worden, ist am Ende überwältigend. Es lassen sich womöglich persönliche, vielleicht tragische Gründe für dieses schwindelerregende Manöver anführen. Zu entschuldigen ist es schwerlich. UWE SCHMITT
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Rudolf Hartmann entdeckt den Kampf der "Volksmassen" in Japan
Rudolf Hartmann: Geschichte des modernen Japan. Von Meiji bis Heisei.Akademie Verlag, Berlin 1996. 350 Seiten, 78,- Mark.
Daß ein deutscher Autor die erste Gesamtschau über annähernd 140 Jahre "Geschichte des modernen Japan" wagt, zeugt von bemerkenswertem Selbstbewußtsein, Fleiß, ja Kühnheit. Ob es an einem solchen ehrgeizigen Überblickwerk, das, so Hartmanns Anspruch in seinem Vorwort, vor einem Fachpublikum ebenso bestehen soll wie vor interessierten Laien, überhaupt mangelte, scheint unter Japanologen durchaus nicht unumstritten. Befürworter verweisen auf ihre Studenten, die eines solchen grundlegenen, fundierten Werks dringend bedürften. Gegner meinen, es sei selbst für den brillantesten, mit den neuesten Quellen und internationalen Sekundärstudien vertrauten Japan-Wissenschaftler unmöglich, die wie in Zeitraffersprüngen drängende Entwicklung Japans vom abgeschlossenen Feudalstaat zur zweitgrößten Industrienation auch nur halbwegs seriös darzustellen: Das Scheitern sei gewiß, auf noble oder ehrenrührige Weise.
Während dieser Streit von Außenseitern nicht entschieden werden kann, läßt sich behaupten, daß Rudolf Hartmann sich den Verächtern eines Überblickswerks unfreiwillig als Kronzeuge ausgeliefert hat: Sein Buch ist nicht nur sprachlich mißlungen, indem es sich eines monströsen Stils befleißigt, der zwischen mißgelauntem Diavortrag, Steuererklärungsprosa und Politbüroverlautbarung changiert und noch dazu Stilblüten einstreut. Es ist, und das wiegt schwerer, methodisch veraltet, politisch parteiisch und auf beunruhigende Weise ahnungslos, was die Erkenntnisse der internationalen, namentlich der amerikanischen Japanologie in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten betrifft: Es ist, so lautet der bald überwältigende Verdacht, eines jener Bücher, die für eine real existierende DDR verfaßt wurden und der Wende zum Opfer fielen.
Das ist Pech und muß noch nichts über die Qualität besagen. Zumal die sprachmittlerische und übersetzerische Arbeit der DDR-Japanologie einiges Ansehen genießt. Im Fall von Rudolf Hartmann aber, der aus unerfindlichen Gründen vom Akademie Verlag mit keiner Zeile vorgestellt wird, besagt es viel. Private Recherchen ergeben, daß der Japanologe Hartmann wohl Ende Fünfzig ist, der Akademie der Wissenschaften der DDR bis zu ihrer Auflösung angehörte, sich auf Neuere Geschichte sowie jene der Arbeiterbewegung spezialisierte und ein verdienstvolles deutsch-japanisches Zeichenwörterbuch (Hartmann/Wernecke) mitverfaßt hat. Der klassischen Modernisierungstheorie und dem Historischem Materialismus offenbar nach wie vor verpflichtet, analysiert er die atemraubende Wandlung des rückständigen Feudalstaats zur kolonialistischen Großmacht, ihre Kriegsniederlage und den Wiederaufstieg unter amerikanischer Patronage bis zur Handelssupermacht als rein ökonomisch-imperialistische Zwangsläufigkeit. Und das mit jener leicht angewiderten, marxistisch geschulten Selbstgewißheit, die jeden zum Dummkopf erklärt, der die Geschichte von Nationen nicht allein in Industrieproduktion, Reisaufkommen (?), Kriegsmarinetonnage, Nationaleinkommen und Bauernaufständen zu erkennen bereit ist.
Hartmann scheut nicht abgestandene Propagandabegriffe wie "linkes Abenteurertum", "sozial parasitäre Schicht", empört sich gegen "Faschisierung", "ungeheuerliche Ausbeutung", im Absatz darauf gar über "enorme Ausbeutung" und verehrt immer wieder und über die Maßen die "Massen", "Volksmassen" und vor allem deren heroischen, in Japan leider erfolglosen "Kampf". Gläubig legt er eine grotesk exakte Statistik über Bauernaufstände zwischen 1830 und 1867 vor, genau 809 seien es gewesen, notiert er, als hätten die Zählungen des Shogunats, der Bauern Schinder also, die Glaubwürdigkeit von Börsenkursen. Überhaupt liebt Hartmann - ganz in der Tradition des zeitgenössischen Japan - Zahlen aller Art, die ihm als Ersatz für Argumentation und Erklärung herhalten. Reis und Eisen, Blut und Bauern, alles ist nur etwas wert, wenn es "sicht- und meßbar" (Hartmann) ist.
Nun ließe sich einwenden, daß gegen eine besondere Berücksichtigung niederer Stände, Arbeiter, eben der kleinen Leute in Japan, die in der Tat in den Eroberungskriegen starben, statt sich an ihnen gesundzustoßen, eigentlich nichts spricht: Allerdings nur, wenn der Autor im Titel oder wenigstens im Vorwort offenbarte, daß es ihm nicht um "Geschichte", sondern etwa um eine Geschichte "der Ausgebeuteten im japanischen Imperialismus" zu tun sei. Davon aber ist nirgendwo die Rede, der Vorwurf des Ettikettenschwindels ist kaum zu widerlegen. Doch selbst wer die sozialistischen Neigungen Hartmanns teilte, muß von einer verballhornten Bürokratensprache abgeschreckt werden, in der "Samurai aufkommen" und "pauperisiert" verschwinden, "Attentate erfolgen", "Parteienlandschaften vereinfachen", "Militärgerichte begnaden", "Petitionen ungehört verhallen", "die Kraft der Volksbewegung in Gestalt der Reisunruhen" entdeckt wird und eine "Bank das Licht der Welt erblickt". Hartmann ist redundant töricht, wenn er "dieser Absicht . . . Intentionen zugrunde legt", er ist anrührend naiv, wenn er den Opfern einer Schlacht im russisch-japanischen Krieg (1904-1905) nachruft: "Menschenleben zählten nicht, ausschlaggebend war nur der Erfolg." Hartmann ist kitschig, wenn er in seinem Zahlenwirrwarr plötzlich hungernde Pächter vor "rindelosen Bäumen" beschreibt, und er erweist seinen geschundenen Helden keinen Gefallen, wenn er zwischen all den "diesbezüglich" und "Inangriffnahmen" etwa über die Einführung der Wehrpflicht schreibt: "Doch auferlegte sie auch den Bauern bedeutende Opfer, so daß es von deren Seite zu zahlreichen Erhebungen kam."
Wem es gegeben ist, von einer solchen Sprache abzusehen, wundert sich "indes" (Hartmanns Lieblingswort) über die Gewichte, welche der Autor auf 300 Seiten, zuzüglich fünfzig Seiten Zahlen und Namen in Anhang, Glossaren, Indizes, einzelnen Ereignissen beimißt. Dem Großen Kanto-Erdbeben vom 1. September 1923, dem verheerendsten und folgenreichsten psychologischen Schock vor dem Krieg, widmet er ganze siebzehn Zeilen. Von Pearl Harbor bis Hiroshima schafft er es in sieben Druckseiten, drei Tabellen und einer Karte; "Ökologieprobleme" in den sechziger Jahren, sind ihm, ohne Minamata beim Namen zu nennen, nur einen Absatz wert, an dessen Ende er allerdings behauptet, die Opfer "überschritten die Zehn-, ja die Hunderttausendergrenze." Viel Raum gewährt Hartmann dagegen den Verfolgungen, Spaltungen, Parteitagsbeschlüssen von Japans Sozialisten und Kommunisten und läßt, den fälligen "US-Imperialismus" sich verkneifend, keinen Zweifel daran, daß er die Westbindung Japans im Kalten Krieg für eine "Gefahr" hält und für "einen Verzicht auf einen Teil seiner Souveränität". Vom Imperialismus sowjetischer Spielart kein Wort, sowenig wie eine Kritik an Stalins Verletzung eines gültigen Neutralitätspaktes durch den Angriff am 8. August 1945. Da sind bei dem Genossen Japanologen Hartmann etliche alte, blinde Flecken, die auch nicht aufgehellt werden, wenn er richtig, gleichwohl in schrecklichem Deutsch, konstatiert, daß die Atombombenabwürfe "breite Volksschichten für den Pazifismus sensibilisiert haben", eine Bewegung, die "begann millionenfach zu werden".
In seinem Element ist Rudolf Hartmann stets dann, wenn Unterdrückte kämpfen, besonders aber während der Arbeitskämpfe in den fünfziger Jahren. Es ist ihm offenkundig eine Lust, von all den mutigen Streiks zu berichten, die 1960, im Jahr der Proteste gegen den Sicherheitsvertrag mit Amerika, in drei Generalstreiks gipfelten. Oder erst die Ölkrise 1974, da Hartmann mit Genugtuung feststellt: "Die Last der Krise traf wie immer die einfachen Menschen am härtesten. Sie wehrten sich dagegen, und die Streikbewegung des Jahres 1974 kennt nicht ihresgleichen in der japanischen Geschichte." Mit dem Ende der kämpferischen Gewerkschaften wird auch Hartmann kleinlaut und kurz angebunden. Sein Fußnotenapparat aus 144 Eintragungen verweist kaum je über das Jahr 1980 hinaus, die in der Japanologie führenden Amerikaner ignoriert Hartmann fast gänzlich auf verräterische Weise. Wirklich ärgerlich aber ist das Ende: Knappe vier Druckseiten widmet der Autor des Buches mit dem Untertitel "von Meiji bis Heisei" den Jahren von 1989, dem Tode Hirohitos (Showa), bis zur Jetztzeit unter Akihito (Heisei). Der äußerst unerquickliche Eindruck, hier sei eine im DDR-Sozialismus fertiggestellte Arbeit hastig auf Westformat gewendet und als aktuell ausgegeben worden, ist am Ende überwältigend. Es lassen sich womöglich persönliche, vielleicht tragische Gründe für dieses schwindelerregende Manöver anführen. Zu entschuldigen ist es schwerlich. UWE SCHMITT
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