Zum WerkEine gewaltige Leistung: Wie das Recht in Griechenland und Rom entstanden ist, wie es sich durch alle Epochen zum Recht der einzelnen Staaten und der Europäischen Union von heute ausgeprägt hat, welche Entwicklungslinien sich auch im Vergleich mit den Rechtskreisen Chinas, Indiens und des Islam zeigen - so umfassend darzustellen hat das noch kein Autor gewagt.Vorteile auf einen Blick- von Homer bis heute- von England bis Russland und vom Nordkap bis Spanien- die großen Epochen, die einzelnen Staaten, die Staatenverbünde- Anschauliche Textbeispiele und Fälle von Solon bis zur Kassiererin Emmely.- Zivilrecht, Strafrecht, Öffentliches Recht, Völkerrecht, europäische Integration.- Zugleich ein literarisches Ereignis: so lesbar und kurzweilig kann Rechtsgeschichte sein.InhaltEuropa - Griechenland - Römisches Recht - Byzanz - Kelten, Germanen, Slawen - Frühes Mittelalter - Hoch- und Spätmittelalter - Frühe Neuzeit - 19. Jahrhundert - 20. Jahrhundert - Rückblick und VergleichZumAutorUwe Wesels opus maximum versteht sich als ideale Ergänzung seiner 1997 erschienenen "Geschichte des Rechts", die mit der Prähistorie beginnt, sich durch die Jahrhunderte dann aber auf das Recht in Deutschland konzentriert.ZielgruppeEin Sachbuch für alle, die aus privatem oder beruflichem Interesse über den nationalen Tellerrand hinaus das Werden des so vielfältigen Rechts in Europa nachvollziehen und verstehen wollen.Für die juristische Ausbildung endlich das ersehnte kompakte Werk: Prüfungsordnungen, Lehrstühle und Lehrveranstaltungen nehmen die europäische statt der deutschen Rechtsgeschichte immer stärker in den Fokus.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2010Der lange Marsch der Gerechtigkeitsidee
Uwe Wesels Geschichte des Rechts in Europa reicht von den Griechen bis zum Fall "Emmely" und zeigt den Autor als Geschichtenerzähler mit sozialem Anliegen, der die Religion entdeckt hat.
Ob der Verlag sich und dem Autor mit dieser Aufmachung einen Gefallen getan hat? Auf dem Schutzumschlag von Uwe Wesels Buch blickt Anselm Feuerbachs Iphigenie kontemplativ in die Ferne. Das Gemälde in Blau, Rot und Weiß gibt dem stattlichen Band jene elegant-kulturgeschichtliche Note, die es als ideales Geschenkbuch für und unter Juristen ausweist. Aber schon 1997 veröffentlichte der Verlag eine nicht minder opulente "Geschichte des Rechts" - in verblüffend ähnlicher Aufmachung. Alles ebenso gediegen, nur dass statt Iphigenie die Sibylle mit Putto auf dem Umschlag firmierte. Hieß es damals "Geschichte des Rechts", so lautet es heute "Geschichte des Rechts in Europa". Der Untertitel mutierte von einst "Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht" zu "Von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon". Wie weit geht also das Neue im neuen Buch von Uwe Wesel?
Der emeritierte Berliner Juraprofessor hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. Nach der Habilitation 1968 wurde er sofort nach Berlin berufen und engagierte sich aktiv in den hochpolitisierten Verhältnissen, an deren vorläufigem Ende 1974 sein Ausschluss aus der SPD stand: Er war zu links. Bald vierzig Jahre später danach befragt, lautet Wesels Auskunft, viele Kollegen hätten die Studenten als Feinde gesehen. Aus deren Sicht sei er von der falschen Fraktion zum Vizepräsidenten der FU Berlin gewählt worden, und so kam halt eins zum anderen. Der sehr linke Rechtshistoriker fühlte sich in der Folge aus politischen Gründen aus dem Fach ausgeschlossen.
Sein heutiger Ruf stützt sich daher nicht auf viele Rufe, die dann auch nicht kamen, sondern auf Bücher, in denen er einen unverkennbaren Ton kultiviert hat. Als Jura-Bücher für Nicht-Juristen noch eine Seltenheit waren, schrieb er 1984 einen Klassiker: "Juristische Weltkunde". Erfolgsrezept war und ist auch dieses Mal sein sprachlich einzigartig leicht verständlicher Text, verbunden mit großer Sachkunde und Anschaulichkeit. Und natürlich - so viel "1968" ist geblieben - einem sozialen Sinn, der den Prüfstein für die große Erzählung der Rechtsentwicklung abgibt.
Mit Zolas "J'accuse" endet diesmal die Darstellung des neunzehnten Jahrhunderts, jener "Epoche der Verwandlung der Welt" (Osterhammel). Die Geburt des politischen Intellektuellen, der ins Tagesgeschehen eingreift, markiert die Epochengrenze und wird höher taxiert als andere Zäsuren. Die Schilderung der historischen Ereignisse ist ein erzählerischer Höhepunkt des Buches: fesselnd und pointiert erfährt man auf sieben Seiten von den vielen einzelnen Prozessen für und gegen den armen Dreyfus. Der Kampf um die Rehabilitierung ist ein Kampf ums Recht zwischen Politik und gerichtlichem Prozess. Am Ende siegt die Gerechtigkeit.
Tatsächlich scheut Wesel sich nicht, gezielt Alliterationen an eine Fortschrittsgeschichte einzustreuen, wo es um die Prozesse langer Dauer geht. Sucht man nach epochenübergreifenden Kriterien der Darstellung, so stößt man auf Kriterien wie "liberal", "rational", "autonom", "normal" sowie immer wieder: "schon" und "noch". Damit operiert er zurückhaltend, aber durchaus sinnstiftend und gerät in alle Fragwürdigkeiten kategorialer Anachronismen. Unverkennbar bilden sich darin übergreifende Postulate einer Philosophie der Rechtsgeschichte Europas ab.
Diesen europäischen Anspruch hat Wesel vorbildlich ernst genommen. Der Kontinent ist kein abstraktes Konzept, das die meiste Zeit kulturalistisch aufgeladen und mit Suggestionen von exkludierender Homogenität abgehandelt wird. Im Gegenteil, Wesel hat sich die größtmögliche Mühe der Differenzierung gegeben. Das hat eine lehrbuchmäßige Trennung der Darstellungen zur Folge: So dekliniert er Änderungen der Verfassungsgerichtsbarkeit durch, chronologisch und nach Staaten geordnet. Später folgen andere Rechtsgebiete, Strafrecht oder Arbeitsrecht, und wieder nimmt der Leser nach einem einleitenden Überblick den langen Marsch durch die Territorien auf. Und so begegnet man den begleitenden politischen Ereignissen wie dem Zusammenbruch der Sowjetunion in zuverlässiger Wiederkehr.
Das zollt dem Anspruch eines rechtsgeschichtlichen Lehrbuchs für die Universität Tribut, welches das Buch auch sein will, mag manchen Leser, der sich für transnationale Entwicklungen interessiert, aber ob seiner Kleinteiligkeit ermüden. Immerhin, die verbindenden Linien in Kombination mit der Lesbarkeit der Darstellung mindern diesen Effekt im Rahmen des Möglichen. Erzählende Passagen wechseln sich mit dichten Faktenzusammenstellungen ab, Problematisierungen von Epochenbegriffen wie "Neuzeit" oder "Absolutismus" stehen neben aus den Quellen gearbeiteten Passagen. Und erfrischend wenig germanisierend ist die Stoffverteilung zudem!
Man kann die Leistung einer solchen Synthese nur angemessen würdigen, wenn man die Breite des epochalen und fachlichen Anspruchs berücksichtigt: ganz Europa, alle Epochen und alle Rechtsgebiete sind vertreten, Straf-, Zivil- und Öffentliches Recht inklusive Europa- und Völkerrecht. Das ist großartig für einen Autor, nach Hans Hattenhauers Erstling "Europäische Rechtsgeschichte" (1992) immer noch eine lehrbuchmäßige Pioniertat und in der Umsetzung schlicht beeindruckend.
Wo Wesel kein ausgewiesener Kenner ist, hat er sich auf die Forschungen der internationalen Kollegen gestützt. Die Auswertung ist bei allem Fleiß und guten Willen natürlich selektiv geraten. Manches Neue zur Theorie und Geschichte des Rechts fehlt; andere Materien, die die Komplexität des Rechts in der Moderne veranschaulichen würden, schienen dem gelernten Romanisten wohl zu peripher. Die wissenschaftliche Perspektive ist daher manchmal traditionalistischer, als der frische Ton es ahnen lässt.
Und was ist Europa für Wesel nun? "Eine Halbinsel Asiens ohne klare Grenze", heißt es geographisch. Aber Wesel ist ein politischer Geschichtenerzähler, der die europäische Aufklärung und andere geistige Prägungen als Alleinstellungsmerkmale und normative Selbstbeschreibungen in den Vordergrund rückt. Der griechischen Philosophie entstammt der Begriff westlicher Wissenschaft, den Römern zu verdanken ist die Entwicklung des "Weltmusters eines Rechts, das gegründet ist auf starkes Privateigentum und den freien Willen im Vertrag".
Eine markante Stelle: "Weltmuster des Rechts". Sie erinnert den Leser an das früher erschienene Buch Wesels. Schon 1997 findet sich die gleiche Wortfolge. Also doch ein Autoplagiat, zusammengestellt aus früheren Texten? Aber der Verdacht, den die Ausstattung des Buches unglücklicherweise weckt, trifft nicht zu. Tatsächlich ist dieses Buch ein autonomes Werk des Verfassers, dem man weder verbieten könnte noch sollte, an seine älteren Erzähllinien dort anzuknüpfen, wo sie in der Sache legitimiert und durch andere Publikationen vorgespurt sind.
Das Buch ist also neu in Materie und Form, und es setzt neue Pointen. Anders als in Wesels Weltgeschichte beginnt das Recht nun nicht bei den Jägern und Sammlern und führt nicht über Mesopotamien, Ägypten und hebräisches Recht, sondern hebt eben in der europäischen Antike an, und es bleibt viel europäischer, als es 1997 der Fall war. Am Ende, wenn er die Fäden wieder zusammenführt, erscheint in bisher ungekannter Klarheit ein neues Motiv: Es ist die Trennung von Recht und Religion, die unser europäisches Rechtsverständnis signifikant von dem anderer Rechtskulturen unterscheidet.
Wesels darstellerischer Kniff der Verdeutlichung zieht hierfür die Außenperspektive heran: Den kongenialen Schluss bildet ein "Rückblick und Vergleich". Das dem Leser Vertraute wird mit den außereuropäischen Rechtstraditionen Chinas, Indiens und des Islams kontrastiert, und siehe da, Europa unterscheidet sich durch die Trennung von Recht und Religion, von Kirche und Staat. Der Westen ist anders, sein Recht entwicklungsoffener angelegt. Fazit: Gut, dass wir verglichen haben.
Rückschritte und Fortschritte einer Gerechtigkeitsidee in ihrer Teleologie sind hier nochmals zu besichtigen. Säkularisierungsideen und sozialethische Postulate werden mit Mikro- und Makrostruktur der Rechtsentwicklung kombiniert. Wer es nicht versteht, dem legt Wesel in der letzten Randziffer die Geschichte der Barbara E. exemplarisch ans Herz. Nach mehr als siebenhundert Seiten kommen wir vor dem Landesarbeitsgericht Berlin an, der Fall der gekündigten Kassiererin "Emmely" wird verhandelt, und Wesel belehrt uns über die Gerechtigkeitslücke zwischen Boni und Bons.
Arbeitsrecht und Antike geraten hier noch einmal in einen Dialog, die Bundesrepublik wird wegen fehlender sozialer Gerechtigkeit ebenso wie die Jurisprudenz wegen ihrer "hM", der berüchtigten "herrschenden Meinung", angeprangert, die einen Rückzug auf Geltungsstandpunkte impliziert. Streitbar und auch links ist Wesel also geblieben.
MILOS VEC
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Uwe Wesels Geschichte des Rechts in Europa reicht von den Griechen bis zum Fall "Emmely" und zeigt den Autor als Geschichtenerzähler mit sozialem Anliegen, der die Religion entdeckt hat.
Ob der Verlag sich und dem Autor mit dieser Aufmachung einen Gefallen getan hat? Auf dem Schutzumschlag von Uwe Wesels Buch blickt Anselm Feuerbachs Iphigenie kontemplativ in die Ferne. Das Gemälde in Blau, Rot und Weiß gibt dem stattlichen Band jene elegant-kulturgeschichtliche Note, die es als ideales Geschenkbuch für und unter Juristen ausweist. Aber schon 1997 veröffentlichte der Verlag eine nicht minder opulente "Geschichte des Rechts" - in verblüffend ähnlicher Aufmachung. Alles ebenso gediegen, nur dass statt Iphigenie die Sibylle mit Putto auf dem Umschlag firmierte. Hieß es damals "Geschichte des Rechts", so lautet es heute "Geschichte des Rechts in Europa". Der Untertitel mutierte von einst "Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht" zu "Von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon". Wie weit geht also das Neue im neuen Buch von Uwe Wesel?
Der emeritierte Berliner Juraprofessor hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. Nach der Habilitation 1968 wurde er sofort nach Berlin berufen und engagierte sich aktiv in den hochpolitisierten Verhältnissen, an deren vorläufigem Ende 1974 sein Ausschluss aus der SPD stand: Er war zu links. Bald vierzig Jahre später danach befragt, lautet Wesels Auskunft, viele Kollegen hätten die Studenten als Feinde gesehen. Aus deren Sicht sei er von der falschen Fraktion zum Vizepräsidenten der FU Berlin gewählt worden, und so kam halt eins zum anderen. Der sehr linke Rechtshistoriker fühlte sich in der Folge aus politischen Gründen aus dem Fach ausgeschlossen.
Sein heutiger Ruf stützt sich daher nicht auf viele Rufe, die dann auch nicht kamen, sondern auf Bücher, in denen er einen unverkennbaren Ton kultiviert hat. Als Jura-Bücher für Nicht-Juristen noch eine Seltenheit waren, schrieb er 1984 einen Klassiker: "Juristische Weltkunde". Erfolgsrezept war und ist auch dieses Mal sein sprachlich einzigartig leicht verständlicher Text, verbunden mit großer Sachkunde und Anschaulichkeit. Und natürlich - so viel "1968" ist geblieben - einem sozialen Sinn, der den Prüfstein für die große Erzählung der Rechtsentwicklung abgibt.
Mit Zolas "J'accuse" endet diesmal die Darstellung des neunzehnten Jahrhunderts, jener "Epoche der Verwandlung der Welt" (Osterhammel). Die Geburt des politischen Intellektuellen, der ins Tagesgeschehen eingreift, markiert die Epochengrenze und wird höher taxiert als andere Zäsuren. Die Schilderung der historischen Ereignisse ist ein erzählerischer Höhepunkt des Buches: fesselnd und pointiert erfährt man auf sieben Seiten von den vielen einzelnen Prozessen für und gegen den armen Dreyfus. Der Kampf um die Rehabilitierung ist ein Kampf ums Recht zwischen Politik und gerichtlichem Prozess. Am Ende siegt die Gerechtigkeit.
Tatsächlich scheut Wesel sich nicht, gezielt Alliterationen an eine Fortschrittsgeschichte einzustreuen, wo es um die Prozesse langer Dauer geht. Sucht man nach epochenübergreifenden Kriterien der Darstellung, so stößt man auf Kriterien wie "liberal", "rational", "autonom", "normal" sowie immer wieder: "schon" und "noch". Damit operiert er zurückhaltend, aber durchaus sinnstiftend und gerät in alle Fragwürdigkeiten kategorialer Anachronismen. Unverkennbar bilden sich darin übergreifende Postulate einer Philosophie der Rechtsgeschichte Europas ab.
Diesen europäischen Anspruch hat Wesel vorbildlich ernst genommen. Der Kontinent ist kein abstraktes Konzept, das die meiste Zeit kulturalistisch aufgeladen und mit Suggestionen von exkludierender Homogenität abgehandelt wird. Im Gegenteil, Wesel hat sich die größtmögliche Mühe der Differenzierung gegeben. Das hat eine lehrbuchmäßige Trennung der Darstellungen zur Folge: So dekliniert er Änderungen der Verfassungsgerichtsbarkeit durch, chronologisch und nach Staaten geordnet. Später folgen andere Rechtsgebiete, Strafrecht oder Arbeitsrecht, und wieder nimmt der Leser nach einem einleitenden Überblick den langen Marsch durch die Territorien auf. Und so begegnet man den begleitenden politischen Ereignissen wie dem Zusammenbruch der Sowjetunion in zuverlässiger Wiederkehr.
Das zollt dem Anspruch eines rechtsgeschichtlichen Lehrbuchs für die Universität Tribut, welches das Buch auch sein will, mag manchen Leser, der sich für transnationale Entwicklungen interessiert, aber ob seiner Kleinteiligkeit ermüden. Immerhin, die verbindenden Linien in Kombination mit der Lesbarkeit der Darstellung mindern diesen Effekt im Rahmen des Möglichen. Erzählende Passagen wechseln sich mit dichten Faktenzusammenstellungen ab, Problematisierungen von Epochenbegriffen wie "Neuzeit" oder "Absolutismus" stehen neben aus den Quellen gearbeiteten Passagen. Und erfrischend wenig germanisierend ist die Stoffverteilung zudem!
Man kann die Leistung einer solchen Synthese nur angemessen würdigen, wenn man die Breite des epochalen und fachlichen Anspruchs berücksichtigt: ganz Europa, alle Epochen und alle Rechtsgebiete sind vertreten, Straf-, Zivil- und Öffentliches Recht inklusive Europa- und Völkerrecht. Das ist großartig für einen Autor, nach Hans Hattenhauers Erstling "Europäische Rechtsgeschichte" (1992) immer noch eine lehrbuchmäßige Pioniertat und in der Umsetzung schlicht beeindruckend.
Wo Wesel kein ausgewiesener Kenner ist, hat er sich auf die Forschungen der internationalen Kollegen gestützt. Die Auswertung ist bei allem Fleiß und guten Willen natürlich selektiv geraten. Manches Neue zur Theorie und Geschichte des Rechts fehlt; andere Materien, die die Komplexität des Rechts in der Moderne veranschaulichen würden, schienen dem gelernten Romanisten wohl zu peripher. Die wissenschaftliche Perspektive ist daher manchmal traditionalistischer, als der frische Ton es ahnen lässt.
Und was ist Europa für Wesel nun? "Eine Halbinsel Asiens ohne klare Grenze", heißt es geographisch. Aber Wesel ist ein politischer Geschichtenerzähler, der die europäische Aufklärung und andere geistige Prägungen als Alleinstellungsmerkmale und normative Selbstbeschreibungen in den Vordergrund rückt. Der griechischen Philosophie entstammt der Begriff westlicher Wissenschaft, den Römern zu verdanken ist die Entwicklung des "Weltmusters eines Rechts, das gegründet ist auf starkes Privateigentum und den freien Willen im Vertrag".
Eine markante Stelle: "Weltmuster des Rechts". Sie erinnert den Leser an das früher erschienene Buch Wesels. Schon 1997 findet sich die gleiche Wortfolge. Also doch ein Autoplagiat, zusammengestellt aus früheren Texten? Aber der Verdacht, den die Ausstattung des Buches unglücklicherweise weckt, trifft nicht zu. Tatsächlich ist dieses Buch ein autonomes Werk des Verfassers, dem man weder verbieten könnte noch sollte, an seine älteren Erzähllinien dort anzuknüpfen, wo sie in der Sache legitimiert und durch andere Publikationen vorgespurt sind.
Das Buch ist also neu in Materie und Form, und es setzt neue Pointen. Anders als in Wesels Weltgeschichte beginnt das Recht nun nicht bei den Jägern und Sammlern und führt nicht über Mesopotamien, Ägypten und hebräisches Recht, sondern hebt eben in der europäischen Antike an, und es bleibt viel europäischer, als es 1997 der Fall war. Am Ende, wenn er die Fäden wieder zusammenführt, erscheint in bisher ungekannter Klarheit ein neues Motiv: Es ist die Trennung von Recht und Religion, die unser europäisches Rechtsverständnis signifikant von dem anderer Rechtskulturen unterscheidet.
Wesels darstellerischer Kniff der Verdeutlichung zieht hierfür die Außenperspektive heran: Den kongenialen Schluss bildet ein "Rückblick und Vergleich". Das dem Leser Vertraute wird mit den außereuropäischen Rechtstraditionen Chinas, Indiens und des Islams kontrastiert, und siehe da, Europa unterscheidet sich durch die Trennung von Recht und Religion, von Kirche und Staat. Der Westen ist anders, sein Recht entwicklungsoffener angelegt. Fazit: Gut, dass wir verglichen haben.
Rückschritte und Fortschritte einer Gerechtigkeitsidee in ihrer Teleologie sind hier nochmals zu besichtigen. Säkularisierungsideen und sozialethische Postulate werden mit Mikro- und Makrostruktur der Rechtsentwicklung kombiniert. Wer es nicht versteht, dem legt Wesel in der letzten Randziffer die Geschichte der Barbara E. exemplarisch ans Herz. Nach mehr als siebenhundert Seiten kommen wir vor dem Landesarbeitsgericht Berlin an, der Fall der gekündigten Kassiererin "Emmely" wird verhandelt, und Wesel belehrt uns über die Gerechtigkeitslücke zwischen Boni und Bons.
Arbeitsrecht und Antike geraten hier noch einmal in einen Dialog, die Bundesrepublik wird wegen fehlender sozialer Gerechtigkeit ebenso wie die Jurisprudenz wegen ihrer "hM", der berüchtigten "herrschenden Meinung", angeprangert, die einen Rückzug auf Geltungsstandpunkte impliziert. Streitbar und auch links ist Wesel also geblieben.
MILOS VEC
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Streitbarkeit und die linke Sozialisation des Autors stehen für Milos Vec außer Frage. Ob der Rechtshistoriker Uwe Wesel mit seinem neuen Buch nicht nur alte und von ihm bereits publizierte Erkenntnisse aufwärmt, muss er erst noch herausfinden. Das Buch erscheint Vec als sehr gut verständlich, sachkundlich und anschaulich geschrieben und natürlich mit einem Sinn fürs Soziale, der sich laut Vec auch in den vom Autor gewählten epochenübergreifenden Kriterien, wie "liberal", "rational", "autonom" etc., niederschlägt, sowie in der Forderung nach einer Philosophie der Rechtsgeschichte Europas, an die sich der Autor vorbildlich differenziert (chronologisch, nach Staaten und Rechtsgebieten geordnet) heranwagt, wie wir erfahren. Derart akademisches Vorgehen ist für Vec nicht immer ohne Ermüdung zu bewältigen, der stete Wechsel von Fakten und erzählenden Abschnitten macht es ihm dennoch erträglich. Und schließlich kann Vec nur staunen, wie insgesamt erfrischend der Autor breitesten fachlichen und epochalen Ansprüchen und auch der internationalen Forschung Rechnung trägt. Zu den anfänglichen Bedenken fasst Vec zusammen: Alles neu in Form und Materie und Pointensetzung. Dass der Band nicht wie in Wesels Weltgeschichte des Rechts mit der Steinzeit beginnt, sondern mit der europäischen Antike, um dann Europa und seine Trennung von Kirche und Staat von anderen Rechtstraditionen zu unterscheiden, gehört für Vec zu ebendiesen Neuerungen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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