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Zum WerkEine gewaltige Leistung: Wie das Recht in Griechenland und Rom entstanden ist, wie es sich durch alle Epochen zum Recht der einzelnen Staaten und der Europäischen Union von heute ausgeprägt hat, welche Entwicklungslinien sich auch im Vergleich mit den Rechtskreisen Chinas, Indiens und des Islam zeigen - so umfassend darzustellen hat das noch kein Autor gewagt.Vorteile auf einen Blick- von Homer bis heute- von England bis Russland und vom Nordkap bis Spanien- die großen Epochen, die einzelnen Staaten, die Staatenverbünde- Anschauliche Textbeispiele und Fälle von Solon bis zur…mehr

Produktbeschreibung
Zum WerkEine gewaltige Leistung: Wie das Recht in Griechenland und Rom entstanden ist, wie es sich durch alle Epochen zum Recht der einzelnen Staaten und der Europäischen Union von heute ausgeprägt hat, welche Entwicklungslinien sich auch im Vergleich mit den Rechtskreisen Chinas, Indiens und des Islam zeigen - so umfassend darzustellen hat das noch kein Autor gewagt.Vorteile auf einen Blick- von Homer bis heute- von England bis Russland und vom Nordkap bis Spanien- die großen Epochen, die einzelnen Staaten, die Staatenverbünde- Anschauliche Textbeispiele und Fälle von Solon bis zur Kassiererin Emmely.- Zivilrecht, Strafrecht, Öffentliches Recht, Völkerrecht, europäische Integration.- Zugleich ein literarisches Ereignis: so lesbar und kurzweilig kann Rechtsgeschichte sein.InhaltEuropa - Griechenland - Römisches Recht - Byzanz - Kelten, Germanen, Slawen - Frühes Mittelalter - Hoch- und Spätmittelalter - Frühe Neuzeit - 19. Jahrhundert - 20. Jahrhundert - Rückblick und VergleichZumAutorUwe Wesels opus maximum versteht sich als ideale Ergänzung seiner 1997 erschienenen "Geschichte des Rechts", die mit der Prähistorie beginnt, sich durch die Jahrhunderte dann aber auf das Recht in Deutschland konzentriert.ZielgruppeEin Sachbuch für alle, die aus privatem oder beruflichem Interesse über den nationalen Tellerrand hinaus das Werden des so vielfältigen Rechts in Europa nachvollziehen und verstehen wollen.Für die juristische Ausbildung endlich das ersehnte kompakte Werk: Prüfungsordnungen, Lehrstühle und Lehrveranstaltungen nehmen die europäische statt der deutschen Rechtsgeschichte immer stärker in den Fokus.
Autorenporträt
Wesel
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.2010

Der lange Marsch der Gerechtigkeitsidee

Uwe Wesels Geschichte des Rechts in Europa reicht von den Griechen bis zum Fall "Emmely" und zeigt den Autor als Geschichtenerzähler mit sozialem Anliegen, der die Religion entdeckt hat.

Ob der Verlag sich und dem Autor mit dieser Aufmachung einen Gefallen getan hat? Auf dem Schutzumschlag von Uwe Wesels Buch blickt Anselm Feuerbachs Iphigenie kontemplativ in die Ferne. Das Gemälde in Blau, Rot und Weiß gibt dem stattlichen Band jene elegant-kulturgeschichtliche Note, die es als ideales Geschenkbuch für und unter Juristen ausweist. Aber schon 1997 veröffentlichte der Verlag eine nicht minder opulente "Geschichte des Rechts" - in verblüffend ähnlicher Aufmachung. Alles ebenso gediegen, nur dass statt Iphigenie die Sibylle mit Putto auf dem Umschlag firmierte. Hieß es damals "Geschichte des Rechts", so lautet es heute "Geschichte des Rechts in Europa". Der Untertitel mutierte von einst "Von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht" zu "Von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon". Wie weit geht also das Neue im neuen Buch von Uwe Wesel?

Der emeritierte Berliner Juraprofessor hat eine bewegte Lebensgeschichte hinter sich. Nach der Habilitation 1968 wurde er sofort nach Berlin berufen und engagierte sich aktiv in den hochpolitisierten Verhältnissen, an deren vorläufigem Ende 1974 sein Ausschluss aus der SPD stand: Er war zu links. Bald vierzig Jahre später danach befragt, lautet Wesels Auskunft, viele Kollegen hätten die Studenten als Feinde gesehen. Aus deren Sicht sei er von der falschen Fraktion zum Vizepräsidenten der FU Berlin gewählt worden, und so kam halt eins zum anderen. Der sehr linke Rechtshistoriker fühlte sich in der Folge aus politischen Gründen aus dem Fach ausgeschlossen.

Sein heutiger Ruf stützt sich daher nicht auf viele Rufe, die dann auch nicht kamen, sondern auf Bücher, in denen er einen unverkennbaren Ton kultiviert hat. Als Jura-Bücher für Nicht-Juristen noch eine Seltenheit waren, schrieb er 1984 einen Klassiker: "Juristische Weltkunde". Erfolgsrezept war und ist auch dieses Mal sein sprachlich einzigartig leicht verständlicher Text, verbunden mit großer Sachkunde und Anschaulichkeit. Und natürlich - so viel "1968" ist geblieben - einem sozialen Sinn, der den Prüfstein für die große Erzählung der Rechtsentwicklung abgibt.

Mit Zolas "J'accuse" endet diesmal die Darstellung des neunzehnten Jahrhunderts, jener "Epoche der Verwandlung der Welt" (Osterhammel). Die Geburt des politischen Intellektuellen, der ins Tagesgeschehen eingreift, markiert die Epochengrenze und wird höher taxiert als andere Zäsuren. Die Schilderung der historischen Ereignisse ist ein erzählerischer Höhepunkt des Buches: fesselnd und pointiert erfährt man auf sieben Seiten von den vielen einzelnen Prozessen für und gegen den armen Dreyfus. Der Kampf um die Rehabilitierung ist ein Kampf ums Recht zwischen Politik und gerichtlichem Prozess. Am Ende siegt die Gerechtigkeit.

Tatsächlich scheut Wesel sich nicht, gezielt Alliterationen an eine Fortschrittsgeschichte einzustreuen, wo es um die Prozesse langer Dauer geht. Sucht man nach epochenübergreifenden Kriterien der Darstellung, so stößt man auf Kriterien wie "liberal", "rational", "autonom", "normal" sowie immer wieder: "schon" und "noch". Damit operiert er zurückhaltend, aber durchaus sinnstiftend und gerät in alle Fragwürdigkeiten kategorialer Anachronismen. Unverkennbar bilden sich darin übergreifende Postulate einer Philosophie der Rechtsgeschichte Europas ab.

Diesen europäischen Anspruch hat Wesel vorbildlich ernst genommen. Der Kontinent ist kein abstraktes Konzept, das die meiste Zeit kulturalistisch aufgeladen und mit Suggestionen von exkludierender Homogenität abgehandelt wird. Im Gegenteil, Wesel hat sich die größtmögliche Mühe der Differenzierung gegeben. Das hat eine lehrbuchmäßige Trennung der Darstellungen zur Folge: So dekliniert er Änderungen der Verfassungsgerichtsbarkeit durch, chronologisch und nach Staaten geordnet. Später folgen andere Rechtsgebiete, Strafrecht oder Arbeitsrecht, und wieder nimmt der Leser nach einem einleitenden Überblick den langen Marsch durch die Territorien auf. Und so begegnet man den begleitenden politischen Ereignissen wie dem Zusammenbruch der Sowjetunion in zuverlässiger Wiederkehr.

Das zollt dem Anspruch eines rechtsgeschichtlichen Lehrbuchs für die Universität Tribut, welches das Buch auch sein will, mag manchen Leser, der sich für transnationale Entwicklungen interessiert, aber ob seiner Kleinteiligkeit ermüden. Immerhin, die verbindenden Linien in Kombination mit der Lesbarkeit der Darstellung mindern diesen Effekt im Rahmen des Möglichen. Erzählende Passagen wechseln sich mit dichten Faktenzusammenstellungen ab, Problematisierungen von Epochenbegriffen wie "Neuzeit" oder "Absolutismus" stehen neben aus den Quellen gearbeiteten Passagen. Und erfrischend wenig germanisierend ist die Stoffverteilung zudem!

Man kann die Leistung einer solchen Synthese nur angemessen würdigen, wenn man die Breite des epochalen und fachlichen Anspruchs berücksichtigt: ganz Europa, alle Epochen und alle Rechtsgebiete sind vertreten, Straf-, Zivil- und Öffentliches Recht inklusive Europa- und Völkerrecht. Das ist großartig für einen Autor, nach Hans Hattenhauers Erstling "Europäische Rechtsgeschichte" (1992) immer noch eine lehrbuchmäßige Pioniertat und in der Umsetzung schlicht beeindruckend.

Wo Wesel kein ausgewiesener Kenner ist, hat er sich auf die Forschungen der internationalen Kollegen gestützt. Die Auswertung ist bei allem Fleiß und guten Willen natürlich selektiv geraten. Manches Neue zur Theorie und Geschichte des Rechts fehlt; andere Materien, die die Komplexität des Rechts in der Moderne veranschaulichen würden, schienen dem gelernten Romanisten wohl zu peripher. Die wissenschaftliche Perspektive ist daher manchmal traditionalistischer, als der frische Ton es ahnen lässt.

Und was ist Europa für Wesel nun? "Eine Halbinsel Asiens ohne klare Grenze", heißt es geographisch. Aber Wesel ist ein politischer Geschichtenerzähler, der die europäische Aufklärung und andere geistige Prägungen als Alleinstellungsmerkmale und normative Selbstbeschreibungen in den Vordergrund rückt. Der griechischen Philosophie entstammt der Begriff westlicher Wissenschaft, den Römern zu verdanken ist die Entwicklung des "Weltmusters eines Rechts, das gegründet ist auf starkes Privateigentum und den freien Willen im Vertrag".

Eine markante Stelle: "Weltmuster des Rechts". Sie erinnert den Leser an das früher erschienene Buch Wesels. Schon 1997 findet sich die gleiche Wortfolge. Also doch ein Autoplagiat, zusammengestellt aus früheren Texten? Aber der Verdacht, den die Ausstattung des Buches unglücklicherweise weckt, trifft nicht zu. Tatsächlich ist dieses Buch ein autonomes Werk des Verfassers, dem man weder verbieten könnte noch sollte, an seine älteren Erzähllinien dort anzuknüpfen, wo sie in der Sache legitimiert und durch andere Publikationen vorgespurt sind.

Das Buch ist also neu in Materie und Form, und es setzt neue Pointen. Anders als in Wesels Weltgeschichte beginnt das Recht nun nicht bei den Jägern und Sammlern und führt nicht über Mesopotamien, Ägypten und hebräisches Recht, sondern hebt eben in der europäischen Antike an, und es bleibt viel europäischer, als es 1997 der Fall war. Am Ende, wenn er die Fäden wieder zusammenführt, erscheint in bisher ungekannter Klarheit ein neues Motiv: Es ist die Trennung von Recht und Religion, die unser europäisches Rechtsverständnis signifikant von dem anderer Rechtskulturen unterscheidet.

Wesels darstellerischer Kniff der Verdeutlichung zieht hierfür die Außenperspektive heran: Den kongenialen Schluss bildet ein "Rückblick und Vergleich". Das dem Leser Vertraute wird mit den außereuropäischen Rechtstraditionen Chinas, Indiens und des Islams kontrastiert, und siehe da, Europa unterscheidet sich durch die Trennung von Recht und Religion, von Kirche und Staat. Der Westen ist anders, sein Recht entwicklungsoffener angelegt. Fazit: Gut, dass wir verglichen haben.

Rückschritte und Fortschritte einer Gerechtigkeitsidee in ihrer Teleologie sind hier nochmals zu besichtigen. Säkularisierungsideen und sozialethische Postulate werden mit Mikro- und Makrostruktur der Rechtsentwicklung kombiniert. Wer es nicht versteht, dem legt Wesel in der letzten Randziffer die Geschichte der Barbara E. exemplarisch ans Herz. Nach mehr als siebenhundert Seiten kommen wir vor dem Landesarbeitsgericht Berlin an, der Fall der gekündigten Kassiererin "Emmely" wird verhandelt, und Wesel belehrt uns über die Gerechtigkeitslücke zwischen Boni und Bons.

Arbeitsrecht und Antike geraten hier noch einmal in einen Dialog, die Bundesrepublik wird wegen fehlender sozialer Gerechtigkeit ebenso wie die Jurisprudenz wegen ihrer "hM", der berüchtigten "herrschenden Meinung", angeprangert, die einen Rückzug auf Geltungsstandpunkte impliziert. Streitbar und auch links ist Wesel also geblieben.

MILOS VEC

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.10.2010

Der Mensch ist nicht gut, aber er kann sich zähmen
Nun sieht man den gemeinsamen Wald, nicht nur nationale Bäume: Uwe Wesels imposante und kurzweilige Geschichte des Rechts in Europa
Nach so umfassenden Titeln wie „Juristische Weltkunde“ (1984), „Fast alles was Recht ist“ (1992) und vor allem der großen „Geschichte des Rechts“ (3. Auflage 2006) hätte man denken können, nun sei es genug. Aber den Berliner Rechtshistoriker Uwe Wesel hat das Projekt einer europäischen Rechtsgeschichte, oder eben genauer einer „Geschichte des Rechts in Europa“ nicht ruhen lassen. In jahrelanger Arbeit hat er nun noch einmal die verschiedenen nationalen Rechtsgeschichten durchgeackert, sich in – für den Zentraleuropäer – entlegene Gebiete eingearbeitet, Literatur gesammelt und sammeln lassen.
Entstanden ist daraus ist ein dickes, von Informationen überquellendes und dennoch leicht lesbares Buch. Wesel, 77 Jahre alt, ist der Universalhistoriker des Fachs. Dazu befähigen ihn seine Anfänge bei dem Altphilologen Bruno Snell in Hamburg, seine rechtshistorische romanistische Ausbildung bei Wolfgang Kunkel in München, seine erstaunliche Arbeitskraft und nicht zuletzt seine leichte, gewandte, witzig-ironische Feder. Eine gewisse Altersmilde ist hinzugekommen. Der Mensch ist nicht gut, so klingt es bei ihm etwa, aber er kann doch durch das gesellschaftlich wandelbare Konsens-Produkt „Recht“ sich selbst und andere halbwegs zähmen und so zu vernünftigen Verhältnissen gelangen.
Die erste Schwierigkeit beim Schreiben eines solchen Buches ist die Bestimmung des geographischen Raums „Europa“. Die von Geschichte durchtränkte, zerklüftete Halbinsel am westlichen Rand des eurasischen Kontinents wechselte im Lauf der Zeit ihre Schwerpunkte und lässt sich unter politischen, religiös-kulturellen und rechtlichen Gesichtspunkten immer neu umgrenzen. Die zweite Schwierigkeit liegt in der Durchmessung eines Zeit-Raums von zweieinhalbtausend Jahren, den die professionelle Rechtsgeschichte mit unzähligen horizontalen und vertikalen Spezialstudien erforscht, aber kaum jemals synthetisch und vergleichend erfasst hat. Die nationalistische Tönung der Forschung seit dem 19. Jahrhundert kommt hinzu. Es gilt also, sie zugleich zu nutzen und sich von ihr zu distanzieren, damit Zusammenhänge in den Blick geraten.
Der Autor geht so vor, dass er dort anfängt, wo auch das eigentliche Wunder des freien politischen Denkens beginnt, in Griechenland. Von da schreitet er voran zum weltgeschichtlich ebenso singulären Zentrum des Rechtsdenkens, nach Rom. Dessen Rechtswelt wird von den Anfängen der römischen Republik bis zur Völkerwanderung entfaltet. Dann verschiebt sich das Zentrum in das eigentümlich starr scheinende „Ostrom“ Byzanz vom 6. bis zum 15. Jahrhundert, bis zum Fall Konstantinopels im Jahr 1453. Sodann zurück in den Westen: Aus den keltischen, germanischen und slawischen Stammesgesellschaften steigen langsam Herrschaftsgebilde auf, werden romanisiert und christianisiert, bringen Stammesrechte hervor, die vor allem ein frühes Strafrecht enthalten. Die Wanderung geht weiter in das Frühmittelalter mit seinen großräumigeren Herrschaftsstrukturen von Königtum und Adel, mit Agrarrecht und Lehnwesen, Erbrecht und Strafrecht, mit insgesamt mehr oral transportiertem Gewohnheitsrecht als hoheitlich gesetztem Recht.
Alle Rechtshistoriker, aber auch alle anderen Disziplinen von der Theologie bis zur Agrar- und Technikgeschichte, sind sich einig, dass das Hochmittelalter einen Entwicklungssprung bedeutet. Die Dynamik der islamischen Welt kommt dagegen langsam zum Stillstand, Byzanz sinkt ab, während in Europa Staat und Kirche auseinander treten und Philosophie und politisches Denken auf antiker Grundlage neu beginnen. Gleichzeitig wird das halb verschüttete römische Recht zu neuem Leben erweckt, parallel zum erstmals systematisch geordneten Recht der römischen Weltkirche. Von da an ist Europa das „Kerneuropa“: Italien, Spanien, Frankreich, England; Deutschland, Polen, Skandinavien, tendenziell auch das westliche Russland. In dieser Welt von 1050 bis 1500 bewegt sich Uwe Wesel zwar auf wissenschaftlich viel begangenem Terrain, ebenso in der Frühen Neuzeit von 1500 bis 1800, im 19. und 20. Jahrhundert – aber er verdichtet den Stoff, wie nur er es kann, und er entfaltet ihn wieder vergleichend.
Wesel beginnt damit, dass er die Epochen zunächst aus der Vogelperspektive schildert, dann auf einzelnen Stationen – Herrschaftsordnung, Zivilrecht mit Agrarrecht, Familien- und Erbrecht, Strafrecht – den Blick in den Territorien kreisen lässt, Charakteristika und Differenzen mitteilt, um dann wieder zur Vogelperspektive zurückzukehren. Auch wenn man als ungeübter Leser manchmal ermüden mag, erdrückt von der Fülle der Details: es gelingt Wesel doch mit seiner frischen Sprache, gelegentlichen Spitzen, ja auch Kalauern, vor allem aber mit den steten Hinweisen auf Funktionalität und Interessengebundenheit von Recht, den Stoff fließend zu halten. Auch eingestreute einzelne Fälle – von den Prozessen gegen Sokrates und Jesus, von Johanna von Orléans bis zur Affaire Dreyfus, von Slade’s Case bis zum Reichstagsbrandprozess und den Moskauer Schauprozessen – lockern die Kompaktheit der Strukturen, Institute und Institutionen auf.
Die Darstellung schreitet gewissermaßen im Stop-and-go-Verfahren voran. Sie bezieht seit der Frühen Neuzeit auch das Völkerrecht mit ein, seit der Französischen Revolution kommen dann das Verfassungsrecht, mit der sozialen Frage auch das Arbeitsrecht hinzu. Unterbelichtet bleiben lediglich die vieltausendfachen europäischen „Policey-Ordnungen“ der Frühen Neuzeit und das aus ihnen entstandene moderne Verwaltungsrecht, das damals wie heute unseren Alltag bestimmt: Wasser- und Bodenrecht, Gesundheitsvorsorge, Bau- und Planungsrecht, Recht der Gefahrenabwehr, Armenfürsorge, Sittenaufsicht und vieles andere.
Gewiss geht es im Wesentlichen um „Kerneuropa“. Was aber Wesels Buch auszeichnet, ist die Berücksichtigung von Byzanz bis ins 15. Jahrhundert, dann durchgehend diejenige von Russland und der gesamten slawischen Welt. Nun sieht man den europäischen Wald, nicht nur die Bäume der nationalen Rechtsgeschichten. Dieser Wald ist immer noch voller eigenartiger Gewächse, aber Wesel zeigt doch einleuchtend, warum sich Spezifika entwickelt haben, warum etwa Spanien seit der westgotischen Herrschaft seine Eigenheiten aufweist, warum die englische (unterschieden von der schottischen) Rechtsentwicklung zwar eine europäische ist, aber doch ganz anders verlief als auf dem Kontinent, warum die skandinavischen Monarchien und deren Adel andere Strukturen aufweisen als in Zentraleuropa, warum schließlich Deutschland bis ins 19. Jahrhundert braucht, um seine Kleinstaaterei in einem Nationalstaat zu bündeln.
Das Buch bietet am Ende – passend zur Globalisierung – auch noch einen kurzen Rundblick auf andere Rechtskulturen wie China, Indien und die islamische Welt. Das sagt sich so leicht. Aber gerade dies wird eine Aufgabe der Zukunft sein, den dialogischen Vergleich mit anderen Rechtskulturen überhaupt erst sprachlich zu ermöglichen; denn deren politische Bedeutung wird schneller wachsen, als den Europäern lieb sein mag. Dieser Dialog ist aber nur dann zu führen, wenn man erst einmal die Eigenarten und Begrenzungen der eigenen Kulturgeschichte des Rechts kennt.
Seit langem spricht man von der rechtsgeschichtlichen Klammer des römischen Rechts, das Europa als Ius commune zusammenhält und dessen Substanz auch das geistige Unterfutter einer europäischen Angleichung des Privatrechts liefern mag. Die zweite wesentliche Klammer ist durch die Konfessionsspaltungen des 16. Jahrhunderts eher in Vergessenheit geraten, nämlich das in „Kerneuropa“ geltende Recht der katholischen Kirche. Es wirkte jahrhundertelang im Familien-, Erb- und Strafrecht – soweit eben die ordnende Kraft Roms reichte.
Die dritte Klammer ist aktuell die wichtigste: Das europäische politische Denken auf der Grundlage des Aristoteles, Thomas von Aquins, der großen Staatstheoretiker Bodin, Hobbes, Locke, Montesquieu, Rousseau und Kant, das schließlich zu Menschenrechten, Verfassungen mit Grundrechten, Gewaltenteilung und repräsentativer Demokratie auf der Basis der Volkssouveränität führte. Dass der Vertrag von Lissabon, das letzte Dokument europäischen „Verfassungsdenkens“, ohne dieses Erbe gar nicht vorstellbar wäre, liegt auf der Hand. Es steht als Ius commune publicum dem römischrechtlichen Fundament des Zivilrechts im Rang keineswegs nach.
Man kann sogar sagen, dass die heutigen Wachstumsspitzen des Zivilrechts gerade auf Gebieten liegen, von denen die Römer noch nichts wissen konnten – Finanz- und Kapitalmarktrecht, Gesellschaftsrecht, Telekommunikationsrecht etwa –, während das nationale und transnationale Verfassungsrecht, die demokratische Legitimation von Macht, der Aufbau komplexer Regulierungsebenen, die auf jeden Fall rechtsstaatlich kontrollierbar sein sollen, ständig von der Zufuhr jenes alten Denkens lebt, etwa bei den Fragen, wie man Elemente direkter Demokratie der repräsentativen Demokratie beimischen könne, was „Gemeinwohl“ und „Verantwortung“ bedeute oder generell: wie politische Probleme in Verfassungsprobleme verwandelt und umgekehrt rückverwandelt werden können. Wesel vernachlässigt dies in seinem Buch nicht, im Gegenteil. Das Schlusskapitel zum 20. und 21. Jahrhundert geht ausführlich auf die europäischen Diktaturen, auf die Gründung der Vereinten Nationen, die Entstehung der europäischen Verfassungsgerichtsbarkeiten und den Entstehungsprozess der EU-Institutionen ein.
Uwe Wesels Buch ist nicht nur ein Paket solider Information, es ist ungemein anregend und kurzweilig geschrieben, es verbirgt seine Gelehrsamkeit gleichsam unter nonchalanter Sprache. Für die interessierte Öffentlichkeit und das Jurastudium ist es ein großer Gewinn. Sein geschicktes Bauprinzip macht die enzyklopädische Fülle handhabbar, und es bietet durch die zahllosen Verweise auf die Forschung jederzeit die Chance zum Einstieg in einzelne Materien. Dieses Buch ist eine glatte Widerlegung des Vorurteils, Rechtsgeschichte sei ein trockenes Fach. MICHAEL STOLLEIS
UWE WESEL: Geschichte des Rechts in Europa. Von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon. Verlag C. H. Beck, München 2010. 734 Seiten, 38 Euro.
Rom, Kirche und Aufklärung
– aus diesen drei Quellen
speist sich unser Recht
Für die Globalisierung braucht
es den Vergleich Europas
mit anderen Rechtskulturen
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Streitbarkeit und die linke Sozialisation des Autors stehen für Milos Vec außer Frage. Ob der Rechtshistoriker Uwe Wesel mit seinem neuen Buch nicht nur alte und von ihm bereits publizierte Erkenntnisse aufwärmt, muss er erst noch herausfinden. Das Buch erscheint Vec als sehr gut verständlich, sachkundlich und anschaulich geschrieben und natürlich mit einem Sinn fürs Soziale, der sich laut Vec auch in den vom Autor gewählten epochenübergreifenden Kriterien, wie "liberal", "rational", "autonom" etc., niederschlägt, sowie in der Forderung nach einer Philosophie der Rechtsgeschichte Europas, an die sich der Autor vorbildlich differenziert (chronologisch, nach Staaten und Rechtsgebieten geordnet) heranwagt, wie wir erfahren. Derart akademisches Vorgehen ist für Vec nicht immer ohne Ermüdung zu bewältigen, der stete Wechsel von Fakten und erzählenden Abschnitten macht es ihm dennoch erträglich. Und schließlich kann Vec nur staunen, wie insgesamt erfrischend der Autor breitesten fachlichen und epochalen Ansprüchen und auch der internationalen Forschung Rechnung trägt. Zu den anfänglichen Bedenken fasst Vec zusammen: Alles neu in Form und Materie und Pointensetzung. Dass der Band nicht wie in Wesels Weltgeschichte des Rechts mit der Steinzeit beginnt, sondern mit der europäischen Antike, um dann Europa und seine Trennung von Kirche und Staat von anderen Rechtstraditionen zu unterscheiden, gehört für Vec zu ebendiesen Neuerungen.

© Perlentaucher Medien GmbH
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