Erst langsam bildet sich in der Geschichtswissenschaft eine Forschungsrichtung heraus, die sich als historische Diskursanalyse bezeichnen läßt. Sie geht von der Beobachtung aus, daß zu einem historischen Zeitpunkt nur eine begrenzte Menge von Aussagen zu einem bestimmten Thema gemacht werden kann, obwohl rein sprachlich gesehen eine unendliche Menge von möglichen Aussagen existiert. Es ist der Diskurs, der die Möglichkeit von Aussagen zu einem bestimmten Gegenstand regelt, der das Sagbare und damit auch das Denkbare und Machbare organisiert. Seine Regeln und Regelmäßigkeiten, seine Möglichkeiten zur Wirklichkeitskonstruktion, seine gesellschaftliche Verankerung und seine historischen Veränderungen will die historische Diskursanalyse zum Inhalt der Untersuchung machen.
Die vorliegende Einführung gibt einen Überblick über den Forschungsstand. Sie beleuchtet wissenschaftsgeschichtliche und theoretische Grundlagen, bietet darüber hinaus aber auch forschungspraktische Handreichungen, stellt ein methodisches Verfahren vor, wie sich historische Diskursanalysen empirisch durchführen lassen, und illustriert es anhand von Studien, die es dazu bereits gibt.
Inhalt:
1. Einleitung - Sprache und Geschichte
2. Forschung - Sprache als Gegenstand der Geschichtswissenschaft
3. Theorie - Die Vielzahl der Diskurse
4. Methode - Das Vorgehen der historischen Diskursanalyse
5. Schluß - Wozu historische Diskursanalyse?
6. Quellenbeispiele
7. Bibliographie
Die vorliegende Einführung gibt einen Überblick über den Forschungsstand. Sie beleuchtet wissenschaftsgeschichtliche und theoretische Grundlagen, bietet darüber hinaus aber auch forschungspraktische Handreichungen, stellt ein methodisches Verfahren vor, wie sich historische Diskursanalysen empirisch durchführen lassen, und illustriert es anhand von Studien, die es dazu bereits gibt.
Inhalt:
1. Einleitung - Sprache und Geschichte
2. Forschung - Sprache als Gegenstand der Geschichtswissenschaft
3. Theorie - Die Vielzahl der Diskurse
4. Methode - Das Vorgehen der historischen Diskursanalyse
5. Schluß - Wozu historische Diskursanalyse?
6. Quellenbeispiele
7. Bibliographie
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Martin Stingelin eröffnet seine Rezension mit einem Abriss der Begriffsgeschichte des Wortes "Diskurs", um sich dann dieser Einführung in die "historische Diskursanalyse" zuzuwenden, die sich auf den Diskursbegriff Foucaults stützt. Er lobt das Buch als durchaus "anregend" und hebt lobend hervor, dass sich der Autor seinem Thema auch aus Richtung der Linguistik und der Literaturwissenschaft nähert. Allerdings moniert er, dass Landwehr seinem Gegenstand insofern nicht ganz "gerecht" wird, als dass er sich allein auf das "Sagbare" konzentriere und dabei das "Sichtbare" außer Acht lasse. Wer hier auf Probleme stoße, die das Buch nicht auflösen könne, solle sich vielleicht dann doch direkt an die Schriften Foucaults wenden, rät der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2002Ich bin der lustige Positivist
Achim Landwehrs "Diskursanalyse" hört mehr, als sie sieht
Das Wort "Diskurs" bewegt sich im heutigen Sprachgebrauch hin und her zwischen einem sinnentleerten Erkennungszeichen wechselnder intellektueller Moden, die nur die Berufung auf dieses Emblem verbindet, und der philosophischen Anstrengung verschiedener Disziplinen um einen konkreten Begriff. Tatsächlich entspricht dieses ebenso facettenreiche wie irrlichternde Moment des Wortes "Diskurs" seiner Entwicklungsgeschichte: Im Altlateinischen (discursus) ein Allerweltswort für "hin und her laufen" und "sich zerstreuen", das erst später den erweiterten Sinn von mündlichem Gespräch und schriftlicher Rede gewinnt, bezeichnete es in der scholastischen Logik des dreizehnten Jahrhunderts die menschliche Verstandestätigkeit, das Nachdenken, die in der (Selbst-)Unterredung gewonnenen Schlußfolgerungen.
In diesem Sinne wird "discourse" von Jeremy Bentham in seinem "Essay on Logic" zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts als Gedankenübertragung mittels Zeichen, als Sprachhandeln gefaßt. Die damit gewonnene soziale Dimension von Sprache als Handeln bewegt sich in einem Horizont, den George Boole 1854 als "universe of discourse" bezeichnet hat: Dieses "Universum des Diskurses" zeichnet sich dadurch aus, daß sein Bedeutungsfeld begrenzt ist.
Verschiedene Disziplinen kartographieren heute dieses Bedeutungsfeld. Umstritten ist dabei jeweils die Natur seiner Grenzen: In der "Diskursethik" von Jürgen Habermas etwa werden diese Grenzen durch den Umstand festgelegt, daß innerhalb eines praktischen Diskurses nur diejenige Norm allgemein gelten soll, der Folge zu leisten alle möglicherweise von ihr betroffenen Teilnehmer in einem alle Gründe und Folgen abwägenden Gespräch übereingekommen sind. Im Gegensatz dazu sind die Grenzen der Diskurse, wie sie die "Diskursanalyse" von Michel Foucault untersucht, ebenso kontingent wie historisch, da sie aus dem wechselhaften Geschick listenreicher Interpretationen der Welt hervorgehen, die miteinander um die Vorherrschaft ringen.
An diesen Diskursbegriff von Michel Foucault knüpft Achim Landwehrs "Einführung in die Historische Diskursanalyse" weitgehend an, nachdem sie das Problem herausgearbeitet hat, wie Sprache und Geschichte sich zueinander verhalten und welche verschiedenen historischen Schulen sich bislang dieses Problems angenommen haben. Allen voran steht da die Annales-Historiographie, Reinhart Kosellecks Begriffsgeschichte, Rolf Reichardts Historische Semantik, die "Intellectual History" der Cambridge School und Hayden Whites "Metahistory", um nur die einflußreichsten zu nennen. Einen interessanten Seitenblick auf die Geschichtswissenschaften wirft Landwehr dabei auch aus der Perspektive der Linguistik und der Literaturwissenschaft.
Der in den Augen eines Historikers hervorstechendste Grundzug im Denken von Foucault ist dessen "fröhlicher Positivismus": Foucault trauert nicht über fehlende historische Zeugnisse, in deren Spiegel uns eine vergangene Epoche vertrauter erscheinen würde; er setzt im Gegenteil voraus, daß die dokumentarische Materialität der Archive genau das zum Ausdruck bringt, was zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt sagbar war. Was wir in einer vergangenen Epoche wahrzunehmen glauben, obwohl es in den Archiven nicht verzeichnet ist, sind anachronistische Projektionen unsererseits. Um ihnen vorzubeugen, rekonstruiert Foucault die Regeln dessen, was zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt ausgesagt werden kann und was nicht. Daher der Titel von Landwehrs Einführung, die hier Foucaults "Archäologie des Wissens" von 1969 folgt: "Geschichte des Sagbaren".
Foucault selbst hat dieses Konzept des Sagbaren später allerdings ergänzt um das Sichtbare: Beide zusammen erst, das Sagbare und das Sichtbare, bilden das Archiv all dessen, was zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt zum Ausdruck kommen und wirkungsmächtig werden kann: "Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann."
Es ist kein Zufall, daß Landwehr bei seiner nützlichen Anleitung zum methodischen Vorgehen der historischen Diskursanalyse dem Foucaultschen Dispositiv keine Beachtung schenkt. Er beschränkt sich nahezu gänzlich auf das Sagbare: "Historisches Arbeiten spielt sich im Medium des Gesprochenen und Geschriebenen ab", hält er apodiktisch fest. Das entspricht zwar der Alltagserfahrung des historischen Handwerks, wird aber dem Gegenstand, auf den Foucault die von ihm auf dem Amboß seiner Nietzsche-Rezeption geschmiedeten Werkzeuge angewandt wissen wollte, nicht gerecht. Wer von der anregenden "Einführung in die Historische Diskursanalyse" mit Problemen konfrontiert wird, die ihm bislang unvertraut waren, wird also gut daran tun, zu Foucaults Schriften selbst zu greifen, um ihr tatsächliches Ausmaß absehen zu können. Danach wird er die Geschichtswissenschaft möglicherweise nicht wiedererkennen.
MARTIN STINGELIN
Achim Landwehr: "Geschichte des Sagbaren". Einführung in die Historische Diskursanalyse. edition diskord, Tübingen 2001. 223 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Achim Landwehrs "Diskursanalyse" hört mehr, als sie sieht
Das Wort "Diskurs" bewegt sich im heutigen Sprachgebrauch hin und her zwischen einem sinnentleerten Erkennungszeichen wechselnder intellektueller Moden, die nur die Berufung auf dieses Emblem verbindet, und der philosophischen Anstrengung verschiedener Disziplinen um einen konkreten Begriff. Tatsächlich entspricht dieses ebenso facettenreiche wie irrlichternde Moment des Wortes "Diskurs" seiner Entwicklungsgeschichte: Im Altlateinischen (discursus) ein Allerweltswort für "hin und her laufen" und "sich zerstreuen", das erst später den erweiterten Sinn von mündlichem Gespräch und schriftlicher Rede gewinnt, bezeichnete es in der scholastischen Logik des dreizehnten Jahrhunderts die menschliche Verstandestätigkeit, das Nachdenken, die in der (Selbst-)Unterredung gewonnenen Schlußfolgerungen.
In diesem Sinne wird "discourse" von Jeremy Bentham in seinem "Essay on Logic" zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts als Gedankenübertragung mittels Zeichen, als Sprachhandeln gefaßt. Die damit gewonnene soziale Dimension von Sprache als Handeln bewegt sich in einem Horizont, den George Boole 1854 als "universe of discourse" bezeichnet hat: Dieses "Universum des Diskurses" zeichnet sich dadurch aus, daß sein Bedeutungsfeld begrenzt ist.
Verschiedene Disziplinen kartographieren heute dieses Bedeutungsfeld. Umstritten ist dabei jeweils die Natur seiner Grenzen: In der "Diskursethik" von Jürgen Habermas etwa werden diese Grenzen durch den Umstand festgelegt, daß innerhalb eines praktischen Diskurses nur diejenige Norm allgemein gelten soll, der Folge zu leisten alle möglicherweise von ihr betroffenen Teilnehmer in einem alle Gründe und Folgen abwägenden Gespräch übereingekommen sind. Im Gegensatz dazu sind die Grenzen der Diskurse, wie sie die "Diskursanalyse" von Michel Foucault untersucht, ebenso kontingent wie historisch, da sie aus dem wechselhaften Geschick listenreicher Interpretationen der Welt hervorgehen, die miteinander um die Vorherrschaft ringen.
An diesen Diskursbegriff von Michel Foucault knüpft Achim Landwehrs "Einführung in die Historische Diskursanalyse" weitgehend an, nachdem sie das Problem herausgearbeitet hat, wie Sprache und Geschichte sich zueinander verhalten und welche verschiedenen historischen Schulen sich bislang dieses Problems angenommen haben. Allen voran steht da die Annales-Historiographie, Reinhart Kosellecks Begriffsgeschichte, Rolf Reichardts Historische Semantik, die "Intellectual History" der Cambridge School und Hayden Whites "Metahistory", um nur die einflußreichsten zu nennen. Einen interessanten Seitenblick auf die Geschichtswissenschaften wirft Landwehr dabei auch aus der Perspektive der Linguistik und der Literaturwissenschaft.
Der in den Augen eines Historikers hervorstechendste Grundzug im Denken von Foucault ist dessen "fröhlicher Positivismus": Foucault trauert nicht über fehlende historische Zeugnisse, in deren Spiegel uns eine vergangene Epoche vertrauter erscheinen würde; er setzt im Gegenteil voraus, daß die dokumentarische Materialität der Archive genau das zum Ausdruck bringt, was zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt sagbar war. Was wir in einer vergangenen Epoche wahrzunehmen glauben, obwohl es in den Archiven nicht verzeichnet ist, sind anachronistische Projektionen unsererseits. Um ihnen vorzubeugen, rekonstruiert Foucault die Regeln dessen, was zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt ausgesagt werden kann und was nicht. Daher der Titel von Landwehrs Einführung, die hier Foucaults "Archäologie des Wissens" von 1969 folgt: "Geschichte des Sagbaren".
Foucault selbst hat dieses Konzept des Sagbaren später allerdings ergänzt um das Sichtbare: Beide zusammen erst, das Sagbare und das Sichtbare, bilden das Archiv all dessen, was zu einem gegebenen historischen Zeitpunkt zum Ausdruck kommen und wirkungsmächtig werden kann: "Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann."
Es ist kein Zufall, daß Landwehr bei seiner nützlichen Anleitung zum methodischen Vorgehen der historischen Diskursanalyse dem Foucaultschen Dispositiv keine Beachtung schenkt. Er beschränkt sich nahezu gänzlich auf das Sagbare: "Historisches Arbeiten spielt sich im Medium des Gesprochenen und Geschriebenen ab", hält er apodiktisch fest. Das entspricht zwar der Alltagserfahrung des historischen Handwerks, wird aber dem Gegenstand, auf den Foucault die von ihm auf dem Amboß seiner Nietzsche-Rezeption geschmiedeten Werkzeuge angewandt wissen wollte, nicht gerecht. Wer von der anregenden "Einführung in die Historische Diskursanalyse" mit Problemen konfrontiert wird, die ihm bislang unvertraut waren, wird also gut daran tun, zu Foucaults Schriften selbst zu greifen, um ihr tatsächliches Ausmaß absehen zu können. Danach wird er die Geschichtswissenschaft möglicherweise nicht wiedererkennen.
MARTIN STINGELIN
Achim Landwehr: "Geschichte des Sagbaren". Einführung in die Historische Diskursanalyse. edition diskord, Tübingen 2001. 223 S., br., 18,- [Euro].
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