wurde 1932 in Czernowitz geboren, der Hauptstadt der Bukowina, damals zu Rumänien, heute zur Ukraine gehörig. Nach sechs Jahren Verfolgung und Krieg, die er zuerst im Ghetto und im Lager, dann in den ukrainischen Wäldern und zuletzt als Küchenjunge der Roten Armee überlebte, kam er nach Palästina. Seine international hochgelobten Romane, u.a. ausgezeichnet mit dem National Jewish Book Award, erschienen in vielen Sprachen, auf Deutsch zuletzt: "Alles, was ich liebte" (2002). Aharon Appelfeld lebt in Jerusalem.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.01.2005Eine Art Geistigkeit
Aharon Appelfeld erzählt raunend aus seinem Leben
Misslich ist es, wenn der Autor eines Buches sein eigenes Sprachvermögen mit mehr Begeisterung bestaunt als der Leser. Appelfelds „Fragmente der Erinnerung und Reflexion”, eine Skizze seines Lebens, sind als Erfolgsgeschichte aufgebaut: von der Stummheit zur Sprachgewalt, gipfelnd in der jovialen Bestätigung Gershom Scholems: „Appelfeld, Sie sind ein Schriftsteller”, die der so Geadelte stolz zitiert.
Appelfelds „Geschichte eines Lebens” ist aus dem Hebräischen übersetzt, nicht immer glücklich übrigens. Aber die Ungeschicklichkeiten der Übersetzung verbergen nicht, dass hinter vielen deutschen Formulierungen im Hebräischen schwache oder schiefe Bilder und Metaphern stehen. Da das Buch vom Schreiben handelt, spielt auch das Vergessen eine große Rolle. Appelfeld spricht darüber so: Nach dem Krieg „baute das Vergessen sich seine tiefen Keller, und die nahmen wir später mit nach Israel. Als wir ins Land kamen, hatte sich das Vergessen in unserer Seele schon verschanzt. In dieser Hinsicht war Israel eine Art Fortsetzung von Italien. Das Vergessen fand hier fruchtbaren Boden. . . . Ab und zu drangen aus den gut befestigten Kellern Bilder des Krieges nach draußen und wollten leben. Doch sie waren nicht stark genug, die Mauern des Vergessens und den Lebenswillen zu erschüttern.”
Das Vergessen sitzt also im Keller, zugleich aber wächst es auf der Erde, und dann wieder herrscht es außerhalb des Kellers, wo es Mauern errichtet hat. Man merkt, dass Appelfeld etwas sehr Schriftstellergemäßes sagen will, aber irgendwie dringt das aus den fruchtbaren Mauern, hinter denen seine Sprache sich als Fortsetzung der Seele verschanzt hat, nicht nach draußen.
Auf Geheiß des Schicksals
Appelfelds Geschichte ist horrend, und des sprachlichen Aufwands, den er macht, bedarf sie nicht. Seine Mutter wurde im heimatlichen Czernowicz umgebracht, sein Vater starb in einem Lager der Nazis, aus diesem Lager floh der Junge 1942, er war damals zehn Jahre alt. Bis zum Ende des Krieges lebte das Kind mal im Wald, mal bei irgendwelchen Landleuten, die ihn grob behandelten, für sich arbeiten ließen und nicht lange nach seiner Herkunft fragten. Nach dem Krieg verbrachte er einige Monate in einem Lager für Displaced Persons in Italien, um dann nach Israel zu reisen, wo er Bäume pflanzen lernte, den Militärdienst absolvierte, bei Martin Buber und Gershom Scholem studierte und sich der Schriftstellerei zuwandte - der „mir vom Schicksal zugedachten Aufgabe”.
Aber anstatt das zu beschreiben, mystifiziert Appelfeld, was ihm widerfuhr. Den hohen Ton Martin Bubers hat er sich angeeignet, den Geschichten des Baal Shem Tov und anderen chassidischen Erzählungen eifert er nach, bringt es aber bloß zur Travestie. Er spricht nicht, er raunt. Sein Bemühen um Bedeutsamkeit macht nebulös, was er zu sagen hätte.
Weil das Staunen über die Wunder der Welt zu den religiösen Gefühlen gehört, die Appelfeld heute teuer sind, ist der Feldweg, auf dem der säkular erzogene Knabe seinen orthodoxen Großvater zur Synagoge begleitete, rückblickend „voller Wunder”: „Dutzende Augenpaare von Fohlen, Schafen und Böcken . . . freuen sich.” Deshalb auch kehrt der Großvater am Sabbat „voller Staunen” von der Synagoge heim. Und weil Kinder mehr Anteil am Göttlichen haben als die Erwachsenen, lässt Appelfeld die jüdischen Kinder der Blindenanstalt in Czernowicz ihr eigenes Schicksal vorausahnen: „Die blinden Kinder waren anscheinend besser im Bilde als wir”, was sich für ihn darin zeigt, dass in der Schule allabendlich ein Lied namens „Tod dem Tod” gesungen wurde.
Wenn jemand etwas Gutes tat, dann „leuchtete sein Gesicht wie das eines Kindes”. Die Begriffe „kindlich” und „leuchten” gehören für Appelfeld zusammen. „Meine Poetik entwickelte sich in den ersten Jahren meines Lebens”, behauptet er. Das ist unwahrscheinlich. Dazu ist sein Text zu manieriert. Und weil es zu seiner metaphysisch-schwammigen Art der Darstellung gehört, alles ins Nichtssagend-Allgemeine zu überhöhen, werden die Menschen in „edle” und „schlechte” eingeteilt, wobei der Autor Wiederholungen nicht scheut: „In den langen Jahren des Krieges habe ich wunderbare Menschen getroffen.” „Eine Vielzahl mutiger und edler Menschen habe ich während des Krieges kennen gelernt.” In Italien „hatten wir das Glück, eine - wenn auch kurze - Zeit mit wunderbaren Menschen zu verbringen”. In dem 1950 gegründeten Club „Das neue Leben” traf er „einige wunderbare Menschen”.
Manchmal differenziert Appelfeld, das geht dann so: „Nach Kriegsende waren wir von schlechten Menschen umgeben, doch es gab auch Menschen, die im Krieg gewachsen waren . . . aus ihren Gesichtern leuchtete eine Art Geistigkeit. Oft waren es gebildete Leute, doch auch einfache Leute erreichten diese Stufe.” Klingt da womöglich Dünkel heraus, der Dünkel desjenigen, der selbst nur ein Jahr zur Schule gehen konnte, nun aber selbstzufrieden auf seine Laufbahn zurückblickt? - Manche meinen, Appelfeld sei fast so gut wie Kafka, andere halten ihn für einen Kafka-Epigonen. Dies Buch ist kein Kafka, es ist auch kein Buber, es ist nicht einmal ein Appelfeld.
FRANZISKA AUGSTEIN
AHARON APPELFELD: Geschichte eines Lebens. Deutsch von Anne Birkenhauer. Rowohlt Berlin, Berlin 2005. 202 Seiten, 17,90 Euro.
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Aharon Appelfeld erzählt raunend aus seinem Leben
Misslich ist es, wenn der Autor eines Buches sein eigenes Sprachvermögen mit mehr Begeisterung bestaunt als der Leser. Appelfelds „Fragmente der Erinnerung und Reflexion”, eine Skizze seines Lebens, sind als Erfolgsgeschichte aufgebaut: von der Stummheit zur Sprachgewalt, gipfelnd in der jovialen Bestätigung Gershom Scholems: „Appelfeld, Sie sind ein Schriftsteller”, die der so Geadelte stolz zitiert.
Appelfelds „Geschichte eines Lebens” ist aus dem Hebräischen übersetzt, nicht immer glücklich übrigens. Aber die Ungeschicklichkeiten der Übersetzung verbergen nicht, dass hinter vielen deutschen Formulierungen im Hebräischen schwache oder schiefe Bilder und Metaphern stehen. Da das Buch vom Schreiben handelt, spielt auch das Vergessen eine große Rolle. Appelfeld spricht darüber so: Nach dem Krieg „baute das Vergessen sich seine tiefen Keller, und die nahmen wir später mit nach Israel. Als wir ins Land kamen, hatte sich das Vergessen in unserer Seele schon verschanzt. In dieser Hinsicht war Israel eine Art Fortsetzung von Italien. Das Vergessen fand hier fruchtbaren Boden. . . . Ab und zu drangen aus den gut befestigten Kellern Bilder des Krieges nach draußen und wollten leben. Doch sie waren nicht stark genug, die Mauern des Vergessens und den Lebenswillen zu erschüttern.”
Das Vergessen sitzt also im Keller, zugleich aber wächst es auf der Erde, und dann wieder herrscht es außerhalb des Kellers, wo es Mauern errichtet hat. Man merkt, dass Appelfeld etwas sehr Schriftstellergemäßes sagen will, aber irgendwie dringt das aus den fruchtbaren Mauern, hinter denen seine Sprache sich als Fortsetzung der Seele verschanzt hat, nicht nach draußen.
Auf Geheiß des Schicksals
Appelfelds Geschichte ist horrend, und des sprachlichen Aufwands, den er macht, bedarf sie nicht. Seine Mutter wurde im heimatlichen Czernowicz umgebracht, sein Vater starb in einem Lager der Nazis, aus diesem Lager floh der Junge 1942, er war damals zehn Jahre alt. Bis zum Ende des Krieges lebte das Kind mal im Wald, mal bei irgendwelchen Landleuten, die ihn grob behandelten, für sich arbeiten ließen und nicht lange nach seiner Herkunft fragten. Nach dem Krieg verbrachte er einige Monate in einem Lager für Displaced Persons in Italien, um dann nach Israel zu reisen, wo er Bäume pflanzen lernte, den Militärdienst absolvierte, bei Martin Buber und Gershom Scholem studierte und sich der Schriftstellerei zuwandte - der „mir vom Schicksal zugedachten Aufgabe”.
Aber anstatt das zu beschreiben, mystifiziert Appelfeld, was ihm widerfuhr. Den hohen Ton Martin Bubers hat er sich angeeignet, den Geschichten des Baal Shem Tov und anderen chassidischen Erzählungen eifert er nach, bringt es aber bloß zur Travestie. Er spricht nicht, er raunt. Sein Bemühen um Bedeutsamkeit macht nebulös, was er zu sagen hätte.
Weil das Staunen über die Wunder der Welt zu den religiösen Gefühlen gehört, die Appelfeld heute teuer sind, ist der Feldweg, auf dem der säkular erzogene Knabe seinen orthodoxen Großvater zur Synagoge begleitete, rückblickend „voller Wunder”: „Dutzende Augenpaare von Fohlen, Schafen und Böcken . . . freuen sich.” Deshalb auch kehrt der Großvater am Sabbat „voller Staunen” von der Synagoge heim. Und weil Kinder mehr Anteil am Göttlichen haben als die Erwachsenen, lässt Appelfeld die jüdischen Kinder der Blindenanstalt in Czernowicz ihr eigenes Schicksal vorausahnen: „Die blinden Kinder waren anscheinend besser im Bilde als wir”, was sich für ihn darin zeigt, dass in der Schule allabendlich ein Lied namens „Tod dem Tod” gesungen wurde.
Wenn jemand etwas Gutes tat, dann „leuchtete sein Gesicht wie das eines Kindes”. Die Begriffe „kindlich” und „leuchten” gehören für Appelfeld zusammen. „Meine Poetik entwickelte sich in den ersten Jahren meines Lebens”, behauptet er. Das ist unwahrscheinlich. Dazu ist sein Text zu manieriert. Und weil es zu seiner metaphysisch-schwammigen Art der Darstellung gehört, alles ins Nichtssagend-Allgemeine zu überhöhen, werden die Menschen in „edle” und „schlechte” eingeteilt, wobei der Autor Wiederholungen nicht scheut: „In den langen Jahren des Krieges habe ich wunderbare Menschen getroffen.” „Eine Vielzahl mutiger und edler Menschen habe ich während des Krieges kennen gelernt.” In Italien „hatten wir das Glück, eine - wenn auch kurze - Zeit mit wunderbaren Menschen zu verbringen”. In dem 1950 gegründeten Club „Das neue Leben” traf er „einige wunderbare Menschen”.
Manchmal differenziert Appelfeld, das geht dann so: „Nach Kriegsende waren wir von schlechten Menschen umgeben, doch es gab auch Menschen, die im Krieg gewachsen waren . . . aus ihren Gesichtern leuchtete eine Art Geistigkeit. Oft waren es gebildete Leute, doch auch einfache Leute erreichten diese Stufe.” Klingt da womöglich Dünkel heraus, der Dünkel desjenigen, der selbst nur ein Jahr zur Schule gehen konnte, nun aber selbstzufrieden auf seine Laufbahn zurückblickt? - Manche meinen, Appelfeld sei fast so gut wie Kafka, andere halten ihn für einen Kafka-Epigonen. Dies Buch ist kein Kafka, es ist auch kein Buber, es ist nicht einmal ein Appelfeld.
FRANZISKA AUGSTEIN
AHARON APPELFELD: Geschichte eines Lebens. Deutsch von Anne Birkenhauer. Rowohlt Berlin, Berlin 2005. 202 Seiten, 17,90 Euro.
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"Durch seine literarische Könnerschaft ist Aharon Appelfeld Autoren wie Primo Levi oder Imre Kertész ebenbürtig." (Der Spiegel)
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der im Jahr 1932 in Czernowitz geborene Aharon Appelfeld hat unter abenteuerlichen Umständen, etwa in den Wäldern der Ukraine, das Dritte Reich überlebt - während seine Eltern und viele Angehörige von den Nazis ermordet wurden. In mehreren Romanen hat er das Thema in fiktiven Geschichten verarbeitet, nun sind seine Erinnerungen erschienen. Der Rezensent Andreas Breitenstein ist sehr angetan von der Art, wie Appelfeld mit "Lakonik" und "zerbrochen in kurze Kapitel als novellistische Episoden oder poetische Inbilder" die Geschichte seines Lebens erzählt, zu der die schwierige Ankunft in Israel, die mit schlechtem Gewissen verbundene Anhänglichkeit an das Jiddische und die Anfänge als Schriftsteller gehören. Als Person, betont der Rezensent, nimmt sich der Berichterstatter dabei stark zurück, was die Lektüre aber zum umso "bestürzenderen" Erlebnis macht: "Oft ist man versucht niederzuknien."
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Über das Leben vor und nach Auschwitz: unsentimental, bewegend, ein großartiges literarisches Zeitdokument.« DIE ZEIT »Es gibt keinen Zweifel: Wer sich eine Bibliothek mit Weltliteratur in Form von Hörbüchern aufbauen möchte, kommt an dieser Edition nicht vorbei.« WDR 3 »Hier wird fündig, wer an Hörbuchproduktionen Freude hat, die nicht schnell hingeschludert sind, sondern mit einer Regie-Idee zum Text vom und für den Rundfunk produziert sind.« NDR KULTUR »Mehr Zeit hätte man ja immer gern, aber für diese schönen Hörbücher [...] besonders.« WAZ »Die Hörbuch-Edition 'Große Werke. Große Stimmen.' umfasst herausragende Lesungen deutschsprachiger Sprecherinnen und Sprecher, die in den Archiven der Rundfunkanstalten schlummern.« SAARLÄNDISCHER RUNDFUNK